„Ein konsistentes königliches Profil gelingt dem Nibelungenlied [...] nicht – was freilich nichts mit der vielfach vermuteten Schwäche des Königs zu tun hat.“ (Ehrismann 2005: S.65)
Es gibt wohl kaum eine Figur innerhalb des Nibelungenliedes, deren Rolle in der Forschung so unterschiedlich interpretiert wurde und deren Bewertung so stark divergiert wie die des Burgundenkönigs Gunther. Für die einen handelt es sich bei Gunther um einen geschickten und clever agierenden Strategen, der mit Hilfe von Bündnissen und Absprachen seine Herrschaftsposition in Worms zu festigen vermag, für die anderen ist Gunther nicht mehr als eine königliche Marionette am Hof zu Worms, der die eigentliche Herrschaft bereitwillig in die Hände seiner Vasallen legt und trotz seiner exponierten Stellung als Burgundenkönig, nur eine Nebenfigur des Nibelungenepos darstellt (vgl. Göhler 1989: S. 58).
Diplomatischer Machtpolitiker oder schwacher höfischer Herrscher? Diese viel diskutierte Frage gilt bis heute als eines der interessantesten Rätsel, welches das Nibelungenlied für Forscher wie Leser parat hält. Allein scheint die Frage nach Stärke oder Schwäche der Herrschaft Gunthers bisher unter falschen Prämissen gestellt worden zu sein. Zwar finden sich für beide Interpretationsansätze im Nibelungenlied genügend Anhaltspunkte, der Frage nach einem adäquaten Bewertungsmaßstab von Herrschaft im zeitgenössischen Kontext des Nibelungenliedes ist von Seiten der Forschung bisher jedoch nur wenig Rechnung getragen worden. Erst in den letzten Jahren und im Kontext der stärkeren Berücksichtigung textexterner Faktoren wie den sozio-kulturellen und politischen Verhältnissen um 1200 oder den historischen Quellen des Sagenstoffes, scheint sich die Rezeption des Burgundenkönigs zu wandeln. Vor allem die neueren Untersuchungen zum zeitgeschichtlichen Herrschaftsverständnis im Mittelalter drängen dabei auf eine Neudefinition des im Nibelungenlied dargestellten Herrscherbildes. Es stellt sich dabei die Frage inwieweit der Topos des Strategen und Machtpolitikers als Bewertungsmaßstab von Herrschaft überhaupt Sinn macht...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Der(ohn)mächtige Herrscher – König Gunther und die Forschung
- „rex iustus“ / „rex iniquus“: Die mittelalterliche Darstellungstradition von Herrschaft
- Die Figur Gunther und ihre stoffgeschichtliche Dimension
- Die historischen Wurzeln und sagengeschichtliche Tradition der Figur Gunther
- Die sozialen und politischen Bedingungen um 1200
- Die literarischen Wandlungsprozesse der Stauferzeit …...
- Das Herrscherbild Gunthers im Nibelungenlied.
- Ausgangskonstellation
- Siegfrieds Ankunft am Burgundenhof
- Krieg gegen die Sachsen
- Werbung Brünhilds und Hochzeit in Worms
- Königinnenstreit und Tod Siegfrieds
- Trauer Kriemhilds und Neuvermählung
- Ausblick: Zug ins Etzelland und Kampf gegen die Hunnen
- Fazit: Die Figur des Burgundenkönigs im Kontext textexegetischer Pfadabhängigkeiten
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Figur des Burgundenkönigs Gunther im Nibelungenlied und untersucht dessen Herrscherbild im Kontext mittelalterlicher Herrschaftskonzeptionen. Ziel ist es, die Frage nach der Herrschaftsqualität Gunthers zu beantworten und Kontinuitäten sowie Brüche innerhalb der Figur aufzudecken. Die Arbeit analysiert die Figur Gunthers anhand eines Idealtypus des gerechten bzw. ungerechten Herrschers, der aus mittelalterlichen Herrschaftskonzeptionen abgeleitet wird.
- Analyse des Herrscherbildes Gunthers im Nibelungenlied im Kontext mittelalterlicher Herrschaftskonzeptionen
- Untersuchung der Frage nach der Herrschaftsqualität Gunthers
- Aufzeigen von Kontinuitäten und Brüchen innerhalb der Figur des Burgundenkönigs
- Erläuterung möglicher Begründungsansätze für das spezifische Herrscher- und Rollenbild Gunthers
- Einordnung der Erkenntnisse in die bisherige Forschung zum Herrscherbild des Burgundenkönigs
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Figur des Burgundenkönigs Gunther im Nibelungenlied vor und beleuchtet die unterschiedlichen Interpretationen seiner Rolle in der Forschung. Es wird die Frage nach der Stärke oder Schwäche seiner Herrschaft aufgeworfen und die Notwendigkeit einer Betrachtung im zeitgenössischen Kontext des Nibelungenliedes betont.
Das zweite Kapitel befasst sich mit der mittelalterlichen Darstellungstradition von Herrschaft und stellt einen Idealtypus des gerechten bzw. ungerechten Herrschers auf, der als Bewertungsgrundlage für die weitere Analyse der Figur Gunthers dient. Es wird die Bedeutung des sozialhistorischen und literaturgeschichtlichen Kontextes für die Interpretation des Nibelungenliedes hervorgehoben.
Das dritte Kapitel untersucht die Figur Gunthers im Kontext ihrer stoffgeschichtlichen Dimension. Es werden die historischen Wurzeln und die sagengeschichtliche Tradition der Figur, die sozialen und politischen Bedingungen um 1200 sowie die literarischen Wandlungsprozesse der Stauferzeit beleuchtet.
Das vierte Kapitel analysiert das Herrscherbild Gunthers im Nibelungenlied. Es werden die Ausgangskonstellation, Siegfrieds Ankunft am Burgundenhof, der Krieg gegen die Sachsen, die Werbung Brünhilds und Hochzeit in Worms, der Königinnenstreit und Tod Siegfrieds, die Trauer Kriemhilds und Neuvermählung sowie der Ausblick auf den Zug ins Etzelland und den Kampf gegen die Hunnen betrachtet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Figur des Burgundenkönigs Gunther, das Nibelungenlied, mittelalterliche Herrschaftskonzeptionen, „rex iustus“, „rex iniquus“, Herrschaftsqualität, Kontinuitäten und Brüche, Stoffgeschichte, soziale und politische Bedingungen um 1200, literarische Wandlungsprozesse der Stauferzeit, textexegetische Pfadabhängigkeiten.
- Arbeit zitieren
- Torben Fischer (Autor:in), 2009, Gunther – der schwache 'künec'?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128479