Die habsburgisch-osmanische Großbotschaft 1719/20 im Wienerischen Diarium

Edition und Zusammenfassung der Berichterstattung


Masterarbeit, 2022

134 Seiten, Note: 1

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Abstract

2. Einleitung

3. Historischer Kontext
3.1. Entstehung und Charakteristika von Großbotschaften
3.2. Die habsburgisch-osmanische Großbotschaft von 1719/20

4. Das Medium Zeitung
4.1. Historische Entwicklung
4.2. Das Wienerische Diarium

5. Methode
5.1. Quellenbeschaffung
5.2. Digitale Aufbereitung mit Transkribus

6. Zusammenfassung der Quellen
6.1. Überblick
6.2. Auswechslung der Großbotschafter
6.3. Audienz des kaiserlichen Großbotschafters bei Sultan Ahmed III
6.4. Abschließende Worte

7. Editionsteil

8. Bibliographie
8.1. Quellen
8.2. Literatur
8.3. Internetressourcen

1. Abstract

Diese Arbeit untersucht die zeitgenössische Berichterstattung über die habsbur­gisch-osmanische Großbotschaft 1719/20. Im Fokus steht dabei das „Wieneri­sche Diarium“, die älteste, noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Neben ei­ner inhaltlichen Zusammenfassung, welche einen Überblick über die Berichte der damaligen Zeit geben soll, enthält diese Arbeit auch einen Editionsteil. Darin sind sämtliche transkribierte Texte der Berichterstattung zu finden. Die Transkription und die weitere digitale Aufbereitung, im Zuge derer unter anderem auch das Markieren von bestimmten Wörtern erfolgte, wurde über das Programm „Transkribus“ realisiert.

This thesis examines contemporary reporting on the Habsburg-Ottoman Great Embassy of 1719/20. The focus is on the “Wienerische Diarium”, the oldest daily newspaper in the world that is still published. In addition to a summary of the content, which is intended to give an overview of the reports of the time, this work also contains an edition part. It contains all the transcribed texts of the re­porting. The transcription and the further digital processing, in the course of which, among other things, certain words were marked, was carried out using the “Transkribus” program.

2. Einleitung

Die Beziehungen zwischen Habsburgern und Osmanen waren geprägt von vielen Kriegen und Friedensschlüssen. Auch im 18. Jahrhundert waren die Habsburger an drei Kriegen gegen die Osmanen direkt beteiligt. Der erste dieser Kriege, der von 1714-1718 dauerte, konnte durch diplomatische Verhandlungen beim Frieden von Passarowitz beendet werden. Infolgedessen war es üblich, Großbotschaften zwischen beiden Reichen auszutauschen. Diese Großbotschaf­ten und auf welche Art und Weise in der damaligen Zeit darüber in der Presse berichtet wurde, sollen das Thema dieser Arbeit sein. Im Fokus steht dabei das Wienerische Diarium, die älteste, noch erscheinende Tageszeitung der Welt.1 Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick über die Berichterstattung des Wienerischen Diariums über die habsburgisch-osmanische Großbot­schaft 1719/20 zu geben. Dabei bestand die Aufgabenstellung zunächst einmal darin, sämtliche Ausgaben, die digital verfügbar sind, durchzuarbeiten und entsprechende Berichte zu dieser Thematik zu lokalisieren. Im Anschluss daran wurden diese zusammengetragenen Texte mit­tels einer Texterkennungs-Software transkribiert. Durch weitere digitale Aufbereitungen, wie der manuellen Korrektur der zuvor transkribierten Texte sowie dem Markieren von wichtigen Personen, Orten und Datumsangaben, um diese digital durch weitere Links näher beschreiben zu können, wurde eine Edition aller Berichte der habsburgisch-osmanischen Großbotschaft 1719/20 im Wienerischen Diarium angefertigt.

Die Edition dieser Arbeit ist ein Beitrag zum Projekt „Digitale Edition von Quellen zur habs­burgisch-osmanischen Diplomatie 1500-1918“, kurz „QhoD“. Es handelt sich dabei um eine im Jahr 2020 von der ÖAW am Institute for Habsburg and Balkan Studies gegründete Infra­struktur zur Edition von Quellen der habsburgisch-osmanischen Diplomatie.2 Diese Quellen werden nach der digitalen Aufbereitung open access, also als frei lizenzierte offene For­schungsdaten, für die weitere Nutzung zur Verfügung gestellt. Berücksichtigt werden dabei alle Arten von Quellen und alle Formen diplomatischer Beziehungen, also neben Korrespon­denzen, Instruktionen, Protokollen, oder Rechnungen eben auch publizistische Quellen, wie Zeitungsartikel. Aufgrund ihres breiten inhaltlichen Spektrums sind diese Quellen für die For­schung von umfassender Bedeutung. Sie geben Einblicke in anthropologische und kulturwissenschaftliche Themen, ebenso in Bereiche wie Transkulturalität, Wissenszirkulation oder Imperienbildung. Damit gewähren sie tiefe Einblicke in die historischen Beziehungen zwischen dem Christentum und dem Islam. Durch die freie Verfügbarkeit dieser Forschungs­daten ist es allen ForscherInnen möglich, weitere Quellen zur habsburgisch-osmanischen Dip­lomatie über QhoD zu veröffentlichen.3 Dieses Konzept ist also ein moderner Ansatz, um die Forschung über die habsburgisch-osmanische Diplomatie voranzutreiben. Dabei war vor allem die Untersuchung von publizistischen Quellen in der Geschichtswissenschaft lange Zeit ver­pönt, da diese als unseriös galten. Der Historiker Martin Spahn wagte 1908 auf dem „Interna­tionalen Kongress für historische Wissenschaften“ einen ersten Vorstoß zur Neubewertung publizistischer Medien, indem er ankündigte, die Presse werde in Zukunft die wertvollste Quelle von allen sein. Er förderte in der Folge an seinem Kölner Lehrstuhl zahlreiche presse­geschichtliche Arbeiten, und gründete sogar ein Institut für Zeitungskunde. Dennoch blieben Medien für die meisten Historikerinnen lange Zeit unbedeutende Quellen, die gelegentlich nur zur Veranschaulichung von Zusammenhängen oder ähnlichem herangezogen wurden. Erst das Aufkommen der Sozial- und Alltagsgeschichte in den 1970er Jahren führte zu einem ersten Anstieg von geschichtswissenschaftlichen Medienstudien, der in den späten 1990er Jahren nochmals deutlich anwuchs. Mittlerweile ist die medienhistorische Forschung in der Ge­schichtswissenschaft durch eine Vielzahl von Publikationen und Projekten (wie QhoD) etab­liert. Dies gilt vor allem für die deutsche, britische und amerikanische Geschichtswissenschaft. Historikerinnen der romanischen und osteuropäischen Länder zeigten dagegen bislang ver­gleichsweise wenig Interesse an der Untersuchung publizistischer Quellen.4

Um die Besonderheiten von Großbotschaften an sich besser zu verstehen, werden in dieser Arbeit zuerst deren Charakteristika und Hauptaufgaben genauer erläutert, bevor speziell auf die habsburgisch-osmanische Großbotschaft von 1719/20 näher eingegangen wird. im Zuge dessen muss auch Klarheit über die historischen Begebenheiten der damaligen Zeit verschafft werden. im vierten Kapitel wird die historische Entwicklung des untersuchten Mediums „Zei­tung“ kurz dargelegt. Dabei ist es auch wichtig, die inhaltlichen Themen der damaligen Zei­tungen zu beschreiben, da dieser sich natürlich von modernen Zeitungen unterscheidet. im An­schluss daran werden Hintergrundinformationen zum Wienerischen Diarium an sich beleuch­tet. Kapitel 5 widmet sich der für die Anfertigung dieser Edition verwendeten Methode. Neben der Art und Weise, wie die benötigten Quellen ausfindig gemacht und verarbeitet wurden, soll dabei auch Klarheit zur genauen digitalen Aufbereitung verschafft werden. Das 6. Kapitel dient einzig der Zusammenfassung des gesamten Quellenbestandes. Im ersten Schritt wird ein grober Überblick über die Art und Weise der Berichte an sich gegeben, bevor zwei Beispiele einer detaillierteren Berichterstattung in den Fokus genommen werden: Die Auswechslung der bei­den Großbotschafter, sowie die Audienz des kaiserlichen Großbotschafters bei Sultan Ahmed III. Dies waren wichtige Ereignisse im Verlauf beider Missionen. Hierbei wurde, neben einer jeweils prägnanten Zusammenfassung des Inhalts, das Augenmerk vor allem auf etwaige Ge­meinsamkeiten bzw. Unterschiede in der Berichterstattung sowie auf ein möglicherweise be­wusst vermitteltes Islambild gelegt. Ergänzend werden nochmals kurz die daraus gewonnen Erkenntnisse zusammengefasst. Den Abschluss macht der Editionsteil dieser Arbeit aus, in dem sämtliche aufbereitete Berichte des Wienerischen Diariums zu beiden Großbotschaften aus den Jahren 1719-1720 zu finden sind.

3. Historischer Kontext

3.1. Entstehung und Charakteristika von Großbotschaften

Die Frühe Neuzeit war geprägt von vielen Konflikten zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich. Die sogenannten „Türkenkriege“ wechselten sich ab mit neu ausverhan­delten Friedensverträgen und Waffenstillstandsabkommen. Für solche Einigungen war inter­kulturelles Konfliktmanagement notwendig, und eine wesentliche Rolle spielte dabei die Dip­lomatie. In der Frühen Neuzeit waren Großbotschaften eine besondere Ausprägung des Ge­sandtschaftswesens. Diese Großbotschaften waren von höchster Ebene entsandte, wechselsei­tige diplomatische Missionen. Ihre Hauptaufgaben bestanden darin, ratifizierte Friedensver­träge zum Hof des jeweils anderen Herrschers zu überbringen, Geschenke zu übergeben, oder neue Herrscher zur Übernahme des Throns zu beglückwünschen. Für das diplomatische Zere­moniell wurden dabei keinerlei Kosten gescheut. Besondere Ereignisse wie die Auswechslung zweier Großbotschafter oder Audienzen am Hof des jeweils anderen Herrschers waren geprägt von symbolischen Gesten aller Art, denn darin manifestierten sich die zentralen Grundwerte einer Kultur in besonders sinnfälliger Form.5

Die Großbotschaft als besondere Form des Gesandtschaftswesens entwickelte sich im 17. Jahr­hundert, als sich Habsburger und Osmanen aufgrund ihres militärischen Gleichstandes beim Frieden von Zsitvatorok als ebenbürtige Verhandlungspartner akzeptieren mussten. Während zuvor von osmanischer Seite in den Waffenstillstandsverträgen die Habsburger-Titulatur oft sprachlich herabgewürdigt wurde, stellten die Osmanen nun erstmalig den Sultanstitel mit dem Kaisertitel gleich. Diese gegenseitige Anerkennung der Ebenbürtigkeit beider Reiche führte zu einer ersten Annäherung beider Rechtsverständnisse. Bei den weiteren Verhandlungen zum Frieden von Zsitvatorok kam es aber auch zu Kontroversen, beispielsweise die alljährlichen Tributzahlungen betreffend. Im Gegensatz zu den Habsburgern wollten die Osmanen diese Zahlungen aufrechterhalten. Um Kompromisse für diese Kontroversen zu finden, wurden Ver­einbarungen getroffen, die letztendlich als Ursprung für das Entstehen der Großbotschaften gesehen werden können. Nun wurden gegenseitige Geschenkübergaben vertraglich festgelegt, welche von den obersten Gesandten beider Reiche überbracht werden sollten. Der habsburgi­sche Gesandte wurde dabei von osmanischer Seite erstmals als „Großer Botschafter“ bezeich­net, wodurch ihm explizit ein hervorgehobener Status zuerkannt wurde. Die Überbringung von Geschenken an sich war für die Habsburger zwar keine unbekannte diplomatische Praxis, zu­vor wurde aber stets versucht, bescheiden und vorsichtig aufzutreten. Nun war der geplante Austausch von Geschenken aber ein feierlich zelebrierter Akt, der den Friedensschluss endgül­tig anhand symbolischer gegenseitiger Ehrenbekundungen besiegeln sollte. Demnach wurden nun jene Gesandtschaften, welche in den Anerkennungsprozessen von Friedensverträgen wirk­ten, personell, politisch und zeremoniell aufgewertet. Die wichtige Aufgabe der Großbotschaf­ter war es nun, das Gleichgewicht der Kräfte beider Reiche symbolisch darzustellen, wofür fortan ein hoher Aufwand betrieben wurde. Der Begriff „Großbotschaft“ ist in der Forschung jedoch nicht unumstritten, da es keine allgemein anerkannte Definition dafür gibt. Auch wenn es in der Literatur hinsichtlich der Einstufung einer Gesandtschaft widersprüchliche Aussagen gibt, so lässt sich aber dennoch sagen, dass die eben beschriebenen Aufgaben für Großbot­schafter kennzeichnend sind.6 Großbotschafter gab es nicht nur in den habsburgisch-osmani­schen Beziehungen, sie wurden beispielsweise auch von Venedig oder Polen-Litauen an das Osmanische Reich entsandt.7

3.2. Die habsburgisch-osmanische Großbotschaft von 1719/20

Der in dieser Arbeit behandelten Großbotschaft von 1719/20 war der Friede von Passarowitz vorausgegangen. In einem feierlichen Akt wurde am 21. Juli 1718 das Friedensabkommen zwi­schen Kaiser Karl VI., Sultan Ahmed III. und der Republik Venedig geschlossen. Der Krieg, der mit diesem Friedensschluss beendet wurde, der sogenannte „Venezianisch-Österreichische Türkenkrieg“, hatte seit 1715 bestanden. Nachdem der kaiserliche Oberbefehlshaber Prinz Eu­gen mit seiner Armee die Festungen Temeswar (1716) und Belgrad (1717) erobern konnte, war der Krieg militärisch zu Ende. Weil ein dauerhafter Frieden mit „Ungläubigen“ für das Osma­nische Reich nicht möglich war, da ein solcher nicht dem islamischen Rechtsverständnis ent­sprochen hätte, wurde der Waffenstillstand nur für die Dauer von 24 Mondjahren festgelegt, wobei ein solches Mondjahr etwa zehn Tage kürzer ist als unser gebräuchliches Sonnenjahr. Durch den zustande gekommenen Vertrag beim Frieden von Passarowitz hatte die Habsbur­germonarchie die weiteste Ausdehnung gegenüber dem Osmanischen Reich auf dem Balkan erreicht. Das „Temescher Banat“, die Kleine Walachei, der Norden Serbiens sowie einen Ge­bietsstreifen in Nordbosnien konnten die Habsburger fortan für sich beanspruchen.

Demgegenüber verlor Venedig die Halbinsel Morea (Peloponnes) an die Osmanen. Zu erwäh­nen ist an dieser Stelle jedoch auch, dass die habsburgischen Erwerbungen, außer dem Banat, beim Frieden von Belgrad 1739 wieder an das Osmanische Reich abgegeben werden mussten. Großes Interesse an der Entstehung des Friedensvertrages von Passarowitz hatten auch Groß­britannien und die Niederländischen Generalstaaten. Dadurch sollten weitere militärische Er­folge der Habsburger sowie eine zusätzliche Schwächung des Osmanischen Reichs unterbun­den werden.8

Um den nun vertraglich beschlossenen Frieden symbolisch zu festigen, wurden Großbotschaf­ten entsandt. Als kaiserlicher Großbotschafter wurde Damian Hugo von Virmont eingesetzt, der im Jahr 1719 die Reise an die Hohe Pforte auf sich nahm. Über ihn wissen wir einiges: 1666 kam der niederrheinische Adlige in Herten (Ruhrgebiet) zur Welt. Ursprünglich sollte er Geistlicher werden, machte dann jedoch in der kaiserlichen Armee Karriere, in die er 1696 eintrat. Als Oberst führte er im Großen Türkenkrieg ein eigenes Regiment an und erlebte im Jahr 1697 an vorderster Front den glorreichen Sieg der von Prinz Eugen befehligten kaiserli­chen Truppen in der Schlacht bei Zenta. Als Dank für seine Dienste wurde er 1706 vom Kaiser in den Reichsgrafenstand erhoben. Schon wenig später begann er seinen diplomatischen Dienst, indem er zunächst als kaiserlicher Statthalter in Mantua tätig war. Weitere Missionen an den Hof Friedrich Wilhelms I. von Preußen nach Berlin und zum schwedischen König nach Stralsund folgten, bis er 1717 schließlich von Prinz Eugen zu den Friedensverhandlungen mit dem Osmanischen Reich nach Passarowitz bestellt wurde, wo er als einer von drei Bevollmäch­tigten des Kaisers teilnahm.9 Nach den Friedensverhandlungen begann er schließlich, nachdem er am 26. April 1719 noch die Urlaubsaudienz vom Kaiser gewährt bekam, seine Reise nach Konstantinopel.10 Weitere wichtige Stationen seiner Mission, neben einigen weiteren Aufent­halten auf seinem Weg an die Hohe Pforte, waren der Grenzübertritt und die Auswechslung mit dem türkischen Großbotschafter Ibrahim Bassa bei Paracin am 15. Juni 171911, weiters sein Einzug in Konstantinopel am 3. August 171912, und seine Antrittsaudienz bei Sultan Ahmed III. am 8. August 1719.13 Nach einem mehrere Monate andauernden Aufenthalt in Konstantinopel trat Damian Hugo von Virmont schließlich seine Rückreise an, und erreichte am 21. Juli 1720 Wien.14

Sein Gegenüber war der türkische Großbotschafter Mükkerem Rumeli Valesi Bayeseli Taya- Sade Ibrahim Bassa (oft auch „Pascha“ oder „Passa“). Über ihn wissen wir, wie von vielen Persönlichkeiten der osmanischen Geschichte, vergleichsweise wenig. Erwähnt wird beispiels­weise, dass er zuvor Befehlshaber in Belgrad war, und sein Sarkophag nach der Eroberung Belgrads mitgenommen und in Wien aufgestellt wurde.15 Er erreichte, nachdem die bereits erwähnte Auswechslung beider Großbotschafter am 15. Juni 1719 stattgefunden hatte, am 26. Juni 1719 Belgrad, wo er ebenfalls einen öffentlichen Einzug halten durfte.16 In Wien konnte er schließlich am 14. August 1719 seinen Einzug halten.17 Nachdem er die Audienz beim Kai­ser am 4. September 171918 erhalten hatte, verblieb auch er einige Monate in Wien, um ver­schiedenen Aktivitäten nachzugehen, wovon in der späteren Zusammenfassung der Quellen noch genaueres zu finden ist. Ibrahim Bassa trat schließlich ebenfalls wieder seine Rückreise an, nachdem er die Abschiedsaudienz vom Kaiser am 13. April 1720 erhalten hatte, und er­reichte Konstantinopel wahrscheinlich im Juli 1720.19 Seine Ankunft in Konstantinopel konnte mit Briefen eines Kuriers noch bestätigt werden, der genaue Tag jedoch nicht, da aufgrund einer Erkrankung des Sultans kein öffentlicher Einzug stattfinden konnte.20

Wie bereits an diesen Stationen erkennbar ist, waren die Reiseabläufe beider Großbotschafter sehr ähnlich. In diesen Missionen fokussierte sich das Politikverständnis der Zeit, sie waren ein essentieller Bestandteil des Friedensprozesses. Blieben geplante Zeremonien dieser Missi­onen, wie beispielsweise die Auswechslung der beiden Großbotschafter an der Grenze zu Pa- racin, aus, so konnte dies als ein Vertrauensbruch gesehen werden, und die Umsetzung der Verträge drohte ins Stocken zu geraten.21 Der Großbotschafter sollte genauso ehrenhaft behan­delt werden, wie der Herrscher selbst, den der Großbotschafter repräsentierte. Deshalb wurde dieses Gesandtschaftszeremoniell auch königliches tractament oder honores regii genannt. Das zeremonielle Handeln konnte also Einfluss auf politische Entscheidungen haben.22 Diese Versöhnungsakte waren Teil des Friedensprozesses. Das rechtliche Gewicht eines Friedens­vertrages lag zwar auch in der Frühen Neuzeit tendenziell am Vertragstext, seine Rechtskraft erhielt der Vertrag dennoch erst durch die feierliche Unterzeichnung und den Austausch der Dokumente, sowie die weitere symbolische Inszenierung des Friedens.23

4. Das Medium Zeitung

4.1. Historische Entwicklung

Bis heute zählen Zeitungen zu jenen Massenmedien, welche die Gesellschaft, Kultur und Po­litik entscheidend prägen. Dennoch stellt die Erfindung der periodischen Presse zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der historischen Forschung keine markante Zäsur dar. Sie gilt nicht als Medienrevolution, da sie mit keiner technischen Erfindung in Verbindung steht. Der Buch­druck hatte sich bereits etabliert, und die Drucktechnik änderte sich von der Zeit Gutenbergs bis zur Französischen Revolution kaum. Auch sprachlich war der Begriff „Zeitung“ an sich nichts neues, da er um 1500 bereits für aperiodische Flugblätter mit aktuellen Meldungen (die sogenannten „Neuen Zeitungen“) verwendet wurde. Erst im 19. Jahrhundert konnte sich der Begriff als spezifische Bezeichnung für das Medium durchsetzen. Wie Bösch in seinem Werk zur Mediengeschichte beschreibt, war an diesem Medium vor allem die Verbindung verschie­dener Eigenschaften früherer Medien neu:24 25 „[...] ihre Periodizität, Aktualität, inhaltliche Uni­versalität und Publizität, also die Zugänglichkeit für prinzipiell jedermann. “25

Die Zeitung etablierte sich im deutschsprachigen Raum zunächst langsam, im 17. Jahrhundert waren Anzahl und Auflagen der Zeitungen noch recht gering. Inhaltlich waren lokale Artikel eher selten, während militärische Nachrichten und Meldungen aus dem Ausland dominierten. Auf den ersten Blick veränderte sich dahingehend auch im 18. Jahrhundert wenig. Vor allem in der internationalen Perspektive lassen sich dennoch einige nennenswerte Wandlungspro­zesse ausmachen. So stiegen beispielsweise die Auflagen der Zeitungen stark an, obwohl in der Drucktechnik selbst größere Innovationen ausblieben. Sie trugen damit klar zur Bildung nationaler und internationaler Kommunikationsräume bei. Die Zensur verlagerte sich während des 18. Jahrhunderts zunehmend von religiösen auf politische Fragen. Es wurde ein größerer bürokratischer Aufwand dafür betrieben, und die Zensur wurde zentralisierter. International lassen sich dabei gegenläufige Entwicklungen beobachten. Während sich in manchen Ländern die Zensur verschärfte, war in Österreich das Gegenteil der Fall, da die Zensur zwar streng war, aber schlecht organisiert.26 Formal veränderten sich die Zeitungen nur sehr langsam. Einge­hende Nachrichten wurden aneinandergereiht, beginnend unter der Angabe von Ort und Da­tum. Überschriften, Schlagzeilen oder sonstige redaktionelle Gestaltungen wurden ausgelas­sen. Insgesamt war der Schreibstil eher faktenorientiert und neutral gehalten, persönliche Wertungen kam so gut wie gar nicht vor. Während viele Zeitungen zu Beginn nur zweimal pro Woche erschienen sind, steigerte sich dies im Laufe der Zeit bei vielen auf viermal pro Woche. Das Wienerische Diarium erschien jedoch das ganze 18. Jahrhundert hindurch nur zweimal pro Woche. Durch die steigende Anzahl neu eingeführter Zeitungen ergaben sich grundsätzlich drei vorherrschende Typen, denen diese Zeitungen zugeteilt werden können: die Wochenzei­tungen, die Intelligenzblätter (oder auch neue Anzeigenblätter), und die politischen Zeitun­gen.27 Erstere waren wöchentlich erscheinende Blätter, sie sich vermehrt an die unteren Ge­sellschaftsschichten und speziell an die Landbevölkerung wandten. Hier kamen in den Berich­ten vermehrt moralische Bewertungen vor und es gab bereits Leserbriefe, welche die Leserbin­dung fördern sollten. In den meisten Fällen hatten diese Zeitungen aber nur eine lokale Reich­weite und eine sehr begrenzte Erscheinungsdauer. Im 18. Jahrhundert soll es insgesamt um die 100 Titel davon gegeben haben.28 Die Intelligenzblätter beinhalteten überwiegend Inserate wie Stellenanzeigen, Suchanzeigen, Werbeanzeigen usw. Zum einen sollten diese Blätter dazu bei­tragen, den Warenverkehr und den Arbeitsmarkt anzukurbeln. Zum anderen wurden sie von den Behörden dafür benutzt, amtliche Nachrichten bekannt zu machen, um den Einfluss der Gilden und Zünfte zu brechen. Spezifische Berufsgruppen wie Beamte, Magistrate, Zünfte usw. waren daher zum Bezug dieser Blätter verpflichtet, weshalb sie im 18. Jahrhundert auch weit verbreitet waren.29 Der dritte Zeitungstypus, die politischen Zeitungen, waren wohl am weitesten verbreitet. Inhaltlich dominant waren darin vor allem militärisch-politische Ereig­nisse. Weiters wurde auch über Reisen oder diplomatische Verhandlungen und generell über die Gesellschaft berichtet. Diese politischen Nachrichten waren meist objektiv, nüchtern und wertfrei formuliert. Damit rückte die Politik in die Reichweite des gewöhnlichen Verstandes und wurde zu einem Gegenstand, über den von den Bürgerinnen diskutiert werden konnte.30 In einem bisher unbekannten Ausmaß konnten sich die Lesenden über politisch-militärische Ereignisse informieren, was natürlich Konsequenzen für die Wahrnehmung der Menschen hatte. Dies gilt nicht nur für jene Personen, die selbst lesen konnten, sondern auch Analphabe­ten profitierten davon, da sie durch die mündliche Weitergabe von solchen Weltbegebenheiten erfuhren.31 Die politische Zeitung kann also als eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des bürgerlichen Selbstbewusstseins gesehen werden. Das Wienerische Diarium kann aufgrund des Inhalts am ehesten wohl den politischen Zeitungen zugeordnet werden.32

4.2. Das Wienerische Diarium

Das Wienerische Diarium erschien erstmals im Jahr 1703. Diese Zeit war für einen Großteil der Menschen in Europa eine unruhige Zeit, da sie von zahlreichen Kriegen geprägt war. Mög­licherweise bestand auch deshalb ein so großes Interesse an den Nachrichten aus der ganzen Welt, welches durch bestehende Medien nicht mehr befriedigt werden konnte. Die Menschen griffen häufig auf geschriebene Zeitungen zurück, welche nicht zensuriert waren. Durch die Herausgabe einer vom kaiserlichen Hof geförderten deutschsprachigen Zeitung wie dem Wie­nerischen Diarium sollte dieser Entwicklung wohl Einhalt geboten werden. Entscheidend dürfte aber auch der Wunsch des Hofes gewesen sein, das im Vergleich zu anderen Städten zurückliegende Zeitungswesen anzukurbeln, indem eine repräsentative Hofzeitung am heimi­schen Zeitungsmarkt etabliert wird.33 34 Am Titelblatt der ersten Ausgabe vom 8. August 1703 steht bereits geschrieben, was das Wienerische Diarium beinhalten sollte:

Wiennerisches Diarium, Enthaltend Alles Denckwürdige / so von Tag zu Tag so wohl in dieser Käyserlichen Residentz=Stadt Wienn selbsten sich zugetragen / als auch von andern Orthen auß der gantzen Welt allda nachrichtlich eingeloffen / Mit diesem Besondern Anhang / Daß auch alle die jenige Persohnen / welche wochentlich allhier gestorben / hingegen was von Vornehmen gebohren / dann copuliret worden /ferner anhero und von dannen verreiset / da­rinnen befindlich. Mit Ihro Römischen KäyserlichenMajestät allergnädigsten Privilegio“ 4 Der hier beschriebene inhaltliche Aufbau wurde die nächsten Jahrzehnte im Grunde so beibe­halten. Für die Informationsbeschaffung standen verschiedene Quellen zur Verfügung. Nach­richten vom Hof wurden wohl durch die Hofämter vermittelt, politische Nachrichten direkt durch die Regierung. Die Tauf-, Trau- und Totenregister im Rathaus dienten als Quelle für die Zusammensetzung der Listen aller getauften, verehelichten und verstorbenen Personen in Wien. Des Weiteren dienten kirchliche Stellen als Informanten. Für die Auslandsnachrichten orientierte man sich in den ersten Jahren noch weitgehend an ausländischen Zeitungen. Die Berichterstattung im Wienerischen Diarium dürfte vom Hof von Beginn an streng reglementiert gewesen sein, da Kaiser Leopold I. bereits wenige Wochen nach der Ersterschei­nung des Diariums, nämlich am 31. August 1703, mittels einer Resolution deutliche Einschrän­kungen vorgab. Diese betrafen die Liste der Verstorbenen sowie jene der An- und Abreisenden, da fortan keine Todesursachen und auch keine Reiseintentionen mehr bekanntgegeben werden durften.

Erster Herausgeber des Wienerischen Diariums war Johann Baptist Schönwetter, ein bedeu­tender Buchhändler in Wien, der aus einer Buchführerfamilie aus Frankfurt am Main stammte. Ende des 17. Jahrhunderts siedelte sich seine Familie als Hofbuchführer und Reichshofbuch­drucker in Wien im Haus „Zum rothen Igel“ an. Auch während den für diese Arbeit relevanten Jahren 1719-1720 wurde die Zeitung von Schönwetter herausgegeben, ab 1721 übernahm der Buchdrucker Johann Peter van Ghelen.35

Der Aufbau des Wienerischen Diariums ist aus heutiger Sicht etwas ungewöhnlich, da Bilder oder andere graphische Gestaltungselemente fast vollständig fehlen. Auch nach Schlagzeilen oder Artikelüberschriften sucht man vergebens. Absätze wurden chronologisch geordnet, wo­bei zu Beginn stets das Datum und/oder der Ursprungsort der betreffenden Nachricht genannt wurden. Der Umfang des Diariums war in den ersten Jahren relativ gleichbleibend, wobei ein leichter Trend zu einer höheren Seitenanzahl zu erkennen ist. Zu Beginn waren Ausgaben mit mehr als acht Seiten noch eher die Ausnahme, 1713 hatten die meisten Ausgaben bereits einen Umfang von zehn Seiten. Das war auch in den Jahren 1719-1720 der Fall, wobei jene Ausga­ben, die einen Anhang (oft in Form von Reisediarien des kaiserlichen Großbotschafters) hatten, natürlich dann mehr Seiten aufwiesen. Im Vergleich mit anderen Zeitungen jener Zeit, die in der Regel einen Umfang von etwa vier Seiten hatten, wies das Wienerische Diarium damit einen wesentlich größeren Seitenumfang auf.36

Das Verhältnis des Staates zur Presse und insbesondere zum Wienerischen Diarium ist ein oft diskutiertes Thema. Manche meinen, der Impuls zur Gründung der Zeitung sei der bereits er­wähnte Wunsch nach einer repräsentativen Hofzeitung gewesen, andere meinen das Verhältnis des Hofs zur Presse sei eher gleichgültig gewesen. Auch bei der Einflussmöglichkeit des Dia­riums auf die öffentliche Meinung gibt es widersprüchliche Thesen. Eine Besonderheit der Berichterstattung im Wienerischen Diarium war auf jeden Fall, dass neben den Auslandsnach­richten auch über lokale Ereignisse berichtet wurde. In den Jahren 1719-1720 waren letztere immer am Beginn des Blattes zu finden, gefolgt von den Auslandsnachrichten. Diese Reihen­folge veränderte sich jedoch in den darauffolgenden Jahren, ebenso nahmen die Auslandsnach­richten einen größeren Platz in der Berichterstattung ein. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass Wien damals eine durchaus noch überschaubare Stadt war, in der die örtlichen Ereignisse den Wienern und Wienerinnen ohnehin bekannt waren.37 Durch die selektive Auswahl, wo­rüber berichtet wird und worüber nicht, „[...] generieren, institutionalisieren, transformieren, selektieren, memorieren und multiplizieren [,..]“38 Zeitungen wie das Wienerische Diarium gesellschaftliches Alltagswissen. Sie unterziehen also die Ereignisse der Umwelt einer be­stimmten Auswahl, um diese dann als Themen in das eigene Bezugssystem (der Lesenden) einzuordnen. Damit wurden bestimmte Themen, welche mit der eigenen Erfahrungswelt der Wiener Bevölkerung nicht viel zu tun hatten, zu Topoi. Neben der primären Funktion der In­formation hatten Zeitungen wie das Wienerische Diarium, auch wenn die Berichterstattung an sich möglichst objektiv gehalten wurde, also auch eine Sozialisationsfunktion.39

Anhand des Erfolges oder Misserfolges einer Zeitung kann die Leserinnenmentalität der ver­gangenen Jahrhunderte rekonstruiert werden. Die Redaktion periodischer Tagespressen musste die Erwartungshaltungen der Lesenden erfüllen, um das Blatt unmittelbar nach dem Erscheinen auch verkaufen zu können. Daraus lässt sich schließen, dass die Berichterstattung des Wiene­rischen Diariums weitgehend die Interessen der Lesenden abdeckte, da durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch eine Nachfrage bestand, während viele andere Blätter im 18. Jahrhundert schon kurz nach dem Erscheinen wieder eingestellt werden mussten.40

5. Methode

5.1. Quellenbeschaffung

Im 18. Jahrhundert gab es drei große Kriege zwischen Habsburgern und Osmanen, die einen anschließenden Austausch von Großbotschaftern zur Folge hatten. Um das für diese Edition benötigte Quellenmaterial zu beschaffen, wurden zunächst alle Ausgaben des Wienerischen Diariums in diesen drei Zeiträumen untersucht. Nach dem 6. Österreichischen Türkenkrieg, der mit dem Frieden von Passarowitz im Jahr 1718 endete, wurden die Großbotschafter im Zeitraum von 1719-1720 auf ihre Mission geschickt. Ebenso gab es Großbotschaften im Zeit­raum von 1740-1741, nachdem der 7. Österreichische Türkenkrieg durch den Frieden von Bel­grad im Jahr 1739 beendet wurde. Das letzte untersuchte Material waren die Großbotschaften im Zeitraum von 1791-1792, welche im Anschluss an den 8. Österreichischen Türkenkrieg, der durch den Frieden von Swischtow (früher Sistowa) beendet wurde, entsandt wurden.41

Die Österreichische Nationalbibliothek bietet auf ihrer Homepage einen digitalen Lesesaal an: https://anno.onb.ac.at/. Darin wurden sämtliche Ausgaben des Wienerischen Diariums, nach Jahreszahlen geordnet, digital zur Verfügung gestellt.42 Zunächst wurden die Originaltexte al­ler Ausgaben zu den oben genannten Zeiträumen über den digitalen Lesesaal inspiziert. Sobald über die kaiserliche Großbotschaft bzw. osmanische Großbotschaft Textstellen ausfindig ge­macht werden konnten, wurde die entsprechende Zeitungsausgabe als pdf-Dokument herunter­geladen. Vom 1. März 1719 bis zum 24. August 1720 konnten auf diese Art und Weise 75 Ausgaben des Wienerischen Diariums ermittelt werden, in denen über die Großbotschaften berichtet wurde. Vom 30. April 1740 bis zum 2. August 1741 waren es 35 Ausgaben, und vom 13. August 1791 bis zum 15. August 1792 waren es 31 Ausgaben. Da die einzelnen Berichter­stattungen in ihrer Länge sehr stark variieren, war eine Einschätzung, wie groß der tatsächliche Textumfang aller ermittelten Ausgaben letztendlich sein wird, nur schwer durchzuführen. Dementsprechend wurde zunächst mit dem gesamten Quellenmaterial weitergearbeitet.

5.2. Digitale Aufbereitung mit Transkribus

Nachdem auf diese Art und Weise in Summe 141 Ausgaben ausfindig gemacht werden konn­ten, wurden diese im nächsten Schritt transkribiert. Für die Transkription wurde das Programm „Transkribus“43 verwendet. Es handelt sich dabei um „[...] eine umfassende Plattform für die Digitalisierung, Texterkennung mithilfe Künstlicher Intelligenz, Transkription und das Durch­suchen von historischen Dokumenten [...]“.44 Das Programm ist frei zugänglich und wird von der europäischen Genossenschaft READ-COOP betrieben. Mussten bisher historische Texte immer händisch transkribiert werden, bietet sich damit nun die Möglichkeit, die in Fraktur­schrift gedruckten Texte des Wienerischen Diariums automatisiert erkennen zu lassen und in modernen Text umzuwandeln. Da Transkribus kostenlos zum Download zur Verfügung steht, ist es nicht nur ein vielversprechender Hoffnungsträger für HistorikerInnen und andere Exper­tInnen, sondern auch für Personen ohne Fachkenntnisse durchaus interessant. Ein paar Grund­kenntnisse sollten aber dennoch mitgebracht werden, da auch ein solches Programm nicht zu 100 Prozent fehlerfrei arbeiten kann, und ein zusätzliches Korrekturlesen und Ausbessern von Transkriptionsfehlern nötig ist.45

Um mit Transkribus arbeiten zu können, ist zunächst eine Registrierung auf der Homepage nötig. Danach stehen 500 kostenlose Credits zur Texterkennung zur Verfügung. Die Transkrip­tion benötigte pro Seite etwa 1,25 Credits, weshalb zusätzliche Credits vom Projekt QhoD zur Verfügung gestellt wurden. Für den Privatgebrauch müssen in einem solchen Fall also weitere Credits kostenpflichtig erworben werden. Grundsätzlich gibt es nach der Registrierung zwei Möglichkeiten, um mit Transkribus arbeiten zu können: Entweder, man ladet die Expert-Client Version auf das eigene Betriebssystem herunter, oder man arbeitet über die Browser Version „Transkribus-Lite“. Die Download-Version umfasst die volle Leistungsfähigkeit von Transkri- bus und beinhaltet alle verfügbaren Funktionen, während die Browser-Version Einschränkun­gen beinhaltet, meiner Meinung nach jedoch übersichtlicher gestaltet ist. Im Zuge dieser Arbeit wurden beide Versionen parallel verwendet.46 Im nächsten Schritt wurden zunächst alle Doku­mente im pdf-Format auf die Transkribus-Server hochgeladen. Um die Texterkennung durch­führen zu lassen, muss die Datei segmentiert werden. Das bedeutet, dass auf jeder Seite die einzelnen Zeilen und Absätze markiert werden müssen. Das Programm kann diesen Schritt vollkommen automatisiert selbst durchführen, oftmals unterlaufen dabei jedoch kleinere Feh­ler. So kam es öfter vor, dass eine Zeile nicht als ganze Zeile erkannt wurde, und somit in mehrere Teile zerlegt wurde. Auch Aufzählungen, bei denen die Ziffern im Originalblatt am linken Seitenrand gedruckt wurden, können vom Programm meist nicht erkannt werden. Ein weiteres Problem stellte die Aufteilung des Textes dar, vor allem bei den späteren Ausgaben ab 1791. Zu dieser Zeit war es in den Zeitungsberichten nämlich üblich, den Text auf zwei Spalten aufzuteilen, die in der Mitte des Blattes durch eine Linie voneinander getrennt wurden. Somit konnte der linke Teil des Blattes als eigene Texteinheit betrachtet werden, die zuerst gelesen wurde, bevor man sich dem rechten Teil des Blattes zuwendete. Von Transkribus wurde dies in einigen Fällen auch richtig erkannt und segmentiert, in einigen Fällen jedoch auch nicht, sodass nach der Transkription die Sätze durcheinandergeraten waren. In all diesen Fällen musste die Segmentierung im Nachhinein manuell ausgebessert werden, was nur über die Download-Version möglich ist. Durch das Hinzufügen oder Entfernen einzelner Zeilen und dem korrekten Markieren von Zeilen konnten diese Fehler, wenn auch leider sehr zeitintensiv, überarbeitet werden.

Nach der Segmentierung konnte mit der eigentlichen Texterkennung begonnen werden. Die Erkennung der gedruckten Frakturschrift funktioniert dabei über maschinelles Lernen, eine grundlegende Methode der künstlichen Intelligenz. Dabei soll eine Maschine, ohne dass zuvor konkrete Lösungswege aufgezeigt wurden, automatisiert sinnvolle Ergebnisse liefern können. Indem aus vorliegenden Daten vom Programm ein Modell erlernt wird, kann dieses Modell dann in weiterer Folge auf noch nicht gesehene Daten angewandt werden. Das Programm wird also mit Textdokumenten gefüttert, die alle mit der gleichen Frakturschrift bedruckt worden sind. Zusätzlich müssen zu diesen Dokumenten manuell vorgefertigte Transkriptionen zur Ver­fügung gestellt werden. So erlernt das Programm, dass bestimmte Formen oder Folgen von Linien mit gewissen Buchstaben gleichzusetzen sind. Ein eigenes Modell, beispielsweise spe­ziell für die Schriftart im Wienerischen Diarium, kann somit trainiert werden. Je mehr Daten dabei Transkribus zur Verfügung bekommt, umso geringer wird letztendlich auch die Fehler­quote des Modells, da es neue Situationen mit bereits bekannten Mustern vergleicht, und, falls die Transkription korrekt war, dies durch das NutzerInnen-Feedback auch so vermerkt wird. Dadurch wird das Modell stets erweitert und das Programm „lernt mit“.47 Im Zuge dieser Ar­beit musste ein solches Modell jedoch nicht neu trainiert werden, da es bereits von Historike­rInnen anderer Projekte angefertigt wurde und frei zugänglich ist. Für die vorliegende Edition wurde das Modell „German Fraktur 18th Century - WrDiarium_M9“ verwendet. Dieses Mo­dell erwies sich als sehr gut geeignet für die Transkription des Quellenmaterials. Bei der an­schließenden manuellen Nachbearbeitung des Textes (die wie bereits erwähnt dennoch durchzuführen ist) ergaben sich meistens nur Fehler in Form von einzelnen falsch übersetzten Buchstaben, und diese auch meistens nur dann, wenn der Originaldruck nur mehr schwer lesbar oder gar unlesbar war.

Bevor mit der Nachbearbeitung des Quellenmaterials begonnen wurde, musste jedoch noch eine Einschränkung vorgenommen werden. Da die Berichterstattung des Wienerischen Diari­ums zu den Großbotschaften erstaunlich umfangreich ausfiel, wurden die automatisiert transkribierten Texte der Jahre 1740-1741 sowie 1791-1792 für diese Edition nicht weiter be­rücksichtigt. Das Material aller drei Großbotschaften hätte den Rahmen für diese Arbeit ge­sprengt.

Die weitere digitale Aufbereitung der Berichte zur Großbotschaft 1719-1720 bestand zunächst darin, die restlichen Übersetzungsfehler des Programms manuell auszubessern. Dies wurde aufgrund der besseren Übersicht in der Browser-Version durchgeführt. Vom Programm wurde dabei ein bestimmtes Interpunktionszeichen, welches im 18. Jahrhundert wie eine Art Binde­strich verwendet wurde, mit einem „=“ Zeichen übersetzt. In dieser Arbeit wurde diese Über­setzung vorerst nicht korrigiert, da dies erst in einem späteren Arbeitsschritt der Edition erfol­gen wird. Anschließend wurden in den Texten vorkommende Personen, Orte, sowie Datums­angaben markiert. Neben der Segmentierung und Korrektur der Texte war dieser Schritt ein weiterer Hauptbestandteil der digitalen Aufbereitung. Diese Markierungen sind digital ersicht­lich, im Editionsteil dieser Arbeit wurden sie aufgrund der besseren Leserlichkeit jedoch weg­gelassen. Das Markieren erfolgt in Transkribus über vorgefertigte „Tags“, wobei eine Unter­teilung in Personen, Orten, und Datumsangaben bereits gegeben ist. Falls nötig, könnten an dieser Stelle auch eigene Tag-Kategorien erstellt werden. Der Sinn dieser Markierungen be­steht darin, die markierten Wörter mit weiteren Informationen oder Weblinks zu verknüpfen, was in weiterer Folge im Rahmen des Projekts auch noch erfolgen wird.48 Bei den Personen werden dabei Informationen hinzugefügt, um diese für den/die LeserIn eindeutig identifizier­bar zu machen. Bei Orten (vor allem auch historischen Orten) sind Informationen nützlich, um diese genau lokalisieren zu können. Teil dieser Arbeit war es jedoch nur, die betreffenden Tags zu setzen. Die weiteren Informationen werden erst in einem späteren Arbeitsschritt hinzuge­fügt. Generell wurde nach der Regel markiert, dass alle Personen relevant sind, die identifizier­bar sind. Hierbei war zunächst jedoch nicht ganz klar, ob auch allgemein bekannte Persönlich­keiten wie beispielsweise Kaiser Karl VI. oder Sultan Ahmed III. ebenfalls markiert werden sollten. Es wurde schließlich entschieden, dass auch diese Personen für eine Markierung rele­vant sind. Weitere Nennungen wie beispielsweise „die drei Trompetenspieler“ etc. wurden dementsprechend nicht markiert. Ebenso wurden nicht nur die Eigennamen selbst markiert, sondern auch die Personal-, -Possessiv-, Relativ-, oder Demonstrativpronomen, sowie Substan­tive. Bei den Orten wurden gleichermaßen sämtliche Orte markiert, die eindeutig lokalisierbar sind. Datumsangaben wurden in der Form JJJJ-MM-TT gemacht.

6. Zusammenfassung der Quellen

In diesem Teil der Arbeit werden nun die Berichte zu den Großbotschaften 1719/20 des Wie­nerischen Diariums zusammengefasst. Neben einem kurzen Überblick über den Inhalt der Be­richterstattung in ihrer Gesamtheit wird dabei der Fokus auf zwei spezielle Ereignisse gelegt: Die Auswechslung der beiden Großbotschafter an der Grenze zu Paracin, sowie die Audienz des kaiserlichen Großbotschafters Damian Hugo von Virmont in Konstantinopel bei Sultan Ahmed III. Diese Ereignisse wurden ausgewählt, weil die Berichterstattung in diesen Fällen deutlich ausführlicher war und in diesem Sinne auch miteinander vergleichbar ist.

6.1. Überblick

Die Berichterstattung beginnt in der Ausgabe vom 01. bis 03. März 1719 mit der Nachricht über die Ernennung Ibrahim Bassas zum türkischen Großbotschafter. Wie in dieser und den darauffolgenden Ausgaben schon zu erkennen ist, handelt es sich bei den meisten Nachrichten um kurze, meist auf einer Seite untergebrachte, und nur wenige Zeilen lange Texte. Die Be­richte betreffen sowohl die kaiserliche, als auch die türkische Großbotschaft. Wir erfahren von ersten Vorbereitungen zur habsburgischen Großbotschaft, welche auch eine Zusammenstel­lung von Geschenken beinhaltet, die der kaiserliche Großbotschafter Graf von Virmont an die Hohe Pforte überbringen soll. Darunter befindet sich beispielsweise ein silberner Spiegelrah­men. Dieses und weitere Geschenke für den türkischen Hof werden öffentlich ausgestellt, etwa zeitgleich erfahren wir von der Abreise des osmanischen Großbotschafters, Ibrahim Bassa, von Konstantinopel. In der Ausgabe vom 26. bis 28. April sehen wir bereits, wie ausführlich über gewisse Ereignisse, wie hier die Abschiedsaudienz Virmonts beim Kaiser, im Anhang mancher Blätter berichtet wird. In dieser ausführlichen Beschreibung, welche acht Seiten umfasst, wer­den die genauen zeremoniellen Abläufe und die beteiligten Personen der Abschiedsaudienz beschrieben. Auf zwei dieser wichtigen Ereignisse und ihrer ausführlichen Beschreibungen soll, wie bereits erwähnt, in den kommenden Unterkapiteln erst näher eingegangen werden.49 Es folgen weitere Kurznachrichten über die zukünftige Unterbringung der türkischen Großbot­schaft in Wien und andere Ankündigungen, bevor über die Abreise Virmonts aus Wien berich­tet wird, in Form einer detaillierten Auflistung seines Gefolges inklusive eines Holzschnittes seiner Schiffe. Im weiteren Verlauf erfahren wir über Virmonts Ankunft in Pressburg, später in Ofen, und Ibrahims Ankunft in Nissa (heute Nis). Virmont reist weiter nach Belgrad, von wo es bereits erste Nachrichten zur bevorstehenden Auswechslung der beiden Großbotschafter gibt. Bei der Abreise aus Belgrad werden die Schiffe von Virmont und seinen Mitreisenden verkauft, der Erlös wird für den Freikauf von gefangenen Christen verwendet. Die Auswechs­lung der beiden Großbotschafter findet am 15. Juni 1719, bei starkem Regenwetter, zwischen Paracin und Rasna statt. Danach reist Ibrahim Bassa weiter nach Belgrad, während in der Aus­gabe vom 08. bis 11. Juli 1719 erstmals das Diarium des kaiserlichen Großbotschafters Vir- mont zu lesen ist. Darin wird die gesamte Reise Virmonts detailliert beschrieben. Es ist wie ein Reisetagebuch zu lesen, in dem wir unter anderem näheres über die einzelnen Zwischenstatio­nen, Begegnungen und Festlichkeiten auf seiner Reise erfahren. Fortsetzungen dieses Diariums sind auch in späteren Ausgaben immer wieder als Anhang zu finden.50 Nach der erfolgten Aus­wechslung konzentrieren sich die Berichte mehr auf den weiteren Reiseverlauf des türkischen Großbotschafters, der zuerst Halt macht in Adrianopel, bevor er schließlich Schwechat erreicht, wo er campiert, und kurz darauf seinen Einzug in Wien halten darf. Über diesen öffentlichen Einzug liegt eine ausführliche Beschreibung vor. Auch Virmont erreicht nun Konstantinopel. Kurz darauf erhält er bereits Audienzen beim Großwesir sowie beim Sultan. Da die Pest in Konstantinopel wütet, werden sie außerhalb der Stadt einquartiert.51 Währenddessen erhält Ibrahim Bassa eine Audienz bei Prinz Eugen. Es folgen weitere Kurznachrichten über ihn. Er besichtigt verschiedene Orte in der Stadt, wie beispielsweise den Tiergarten in Schönbrunn, er geht in die Oper, beglückwünscht den Kaiser zum Namenstag, und begibt sich sogar mit seinem Gefolge auf den Kahlenberg, den Schauplatz der berühmten Schlacht im Jahr 1683, im Zuge derer die Zweite Wiener Türkenbelagerung beendet werden konnte. Auch der türkische Groß­botschafter hat verschiedene Geschenke nach Wien mitgebracht, worüber immer wieder kurz berichtet wird. Weitere Besuche Ibrahim Bassas sind beispielsweise auf dem Jahrmarkt, bei einem niederländischen Seiltänzerspiel, oder nochmals ein Treffen mit Prinz Eugen.52 Nach solchen Kurzmeldungen bis Anfang Dezember 1719 folgt eine längere Pause in der Berichter­stattung, bis Ende Februar 1720. Dann erfahren wir von ersten Abreisen der Gefolgsleute der türkischen Großbotschaft, in Richtung Konstantinopel. Ibrahim Bassa selbst verweilt noch län­ger in Wien, wohnt einer Jagd bei und verbringt einen Tag in Klosterneuburg. Sein Gegenüber, Graf von Virmont, erhält währenddessen seine letzte Audienz beim Sultan. Von einem Kurier wurde die Information überbracht, dass dieser wahrscheinlich gegen Ende des Monats März wieder von Konstantinopel aus aufbrechen werde. Ibrahim Bassa stattet auch dem Stadtkommandanten Wiens, Wirich Philipp Lorenz Daun, einen Besuch ab, bevor er schließ­lich ebenfalls seine Abschiedsaudienz vom Kaiser erhält, worüber wieder in einer ausführli­chen Beschreibung berichtet wird. Danach reist der türkische Großbotschafter nach Belgrad ab, eine genaue Ordnung der Schiffe findet sich wieder im Anhang des Blattes. Über seine Zwischenstoppe in Pressburg und Ofen wird ebenfalls berichtet. Währenddessen ist auch der kaiserliche Großbotschafter am 27. April 1720 von Konstantinopel losgezogen. Die Auswechs­lung der beiden Großbotschafter findet am selben Ort wie im Jahr zuvor statt, diesmal am 16. Juni 1720. Danach reist Virmont weiter über Belgrad zurück nach Wien, wo er am 21. Juli 1720 ankommt. Ibrahim Bassa erreicht wahrscheinlich im Juli 1720 Konstantinopel, ein öf­fentlicher Einzug bleibt aufgrund einer Erkrankung des Sultans aus.53 54

Allgemein betrachtet besteht die Berichterstattung Großteils aus kurzen, sachlichen und wert­freien Berichten, die den/die LeserIn wieder auf den neusten Stand bringen sollen. Meistens berichtet das Wienerische Diarium von den Orten, an denen die Großbotschafter sich momen­tan befinden, von alltäglichen Dingen in ihrem Tagesablauf wie Stadtbesichtigungen, Geschen­ken die ausgetauscht werden, von besonderen Ereignissen wie Audienzen, festlichen Einzügen, oder anderen Begegnungen. Den besonderen Ereignissen ist, zusätzlich zu einer Kurzmeldung, meist ein ausführlicher Bericht angehängt, der detaillierter über die Geschehnisse berichtet.

6.2. Auswechslung der Großbotschafter

Eines der wichtigsten Ereignisse war für beide Großbotschafter der Austausch am 15. Juni 1719, an der Grenze zu Paracin. In der Ausgabe vom 08. bis 11. Juli 17 1 954 wird darüber sehr detailliert, aus der Perspektive des kaiserlichen Großbotschafters, berichtet.

Am 8. Juni 1719 befand sich der kaiserliche Großbotschafter mit seinem Gefolge in Belgrad, wo die Vorbereitungen auf die bevorstehende Auswechslung begannen. Ein osmanischer Be­diensteter wurde dafür eigens von Nissa nach Belgrad gesandt. Mit ihm wurde genauestens ausverhandelt, wie der zeremonielle Auswechslungs-Akt ablaufen sollte. Danach begab sich ein großer Teil des Gefolges bereits in Richtung der Grenze zum osmanischen Reich. Am Tag darauf, dem 9. Juni 1719 folgte ihnen der Großbotschafter mit seinen restlichen Gefolgsleuten. Bei Krotzka (heute Grocka) übernachteten sie.55 Dort hatten sich die für die von kaiserlicher Seite zur Auswechslung bestimmten „[...] 1500. Mann nebst 200. Grenadiers von Geschwind und Prinz Alexander Würtembergischen Infanterie=Regimentern / unter Commando des Alt=Würtembergischen Dragoner =Regiments Obrist=Lieutenants / Herrn Grafen von Waldegg/alschon vor bemeldtem Krozka in einem ordentlichen Lager [.. ,]“56 zusammenge­funden. Am nächsten Tag reisten sie weiter nach Kolar (Kolari). Aufgrund des starken Regens wurde der Weg immer beschwerlicher, und es blieb nicht viel Zeit zum Rasten, da die Aus­wechslung bereits auf den 15. Juni 1719 fixiert war. Am 12. Juni erreichte man Jagodina. Ein Kurier brachte die Nachricht, dass der zu überquerende Fluss Morava aufgrund des starken Regens deutlich gestiegen war, wodurch die Laufbrücke zerstört worden war. Deshalb musste der kaiserliche Generalfeldwachtmeister, Herr Graf von Odoyer, sich sofort dorthin begeben, um mithilfe von Knechten und den zu Hilfe gerufenen Bauern aus dem Umland die Brücke zu reparieren. Dies gelang, und der Großbotschafter konnte am 13. Juni die Brücke mitsamt sei­nem Gefolge überqueren. Am Abend erreichten sie Paracin, wo sofort alle weiteren Vorberei­tungen für die Auswechslung getroffen wurden. Wie zuvor genauestens vereinbart worden war, musste die Ankunft des eigenen Großbotschafters der anderen Seite mitgeteilt werden. Ein Sekretär wurde mit einem Schreiben am 14. Juni nach Nissa entsandt, um die Nachricht zu überbringen. Gleichzeitig wurde von einem Bediensteten der Osmanen die Ankunft des osma­nischen Großbotschafters verkündet. Beide wurden nach Kenntnisnahme der Nachricht und freundlicher Bewirtung wieder zurückgeschickt. Der kaiserliche Sekretär kam um zehn Uhr abends mit der Antwort zurück, dass alle Vorkehrungen für die bevorstehende Auswechslung getroffen worden waren.57 Außerdem wurde er mit „[...] einem Dolomalyckroten Tuch/einem Stück Helaly / einem Stückel ganz weisen: dan einem Stück Aleppischen Atlas / und mit drey Türkischen Tüchlen [,..]“58 beschenkt.

Am Tag der Auswechslung wurden zunächst einige der Gefolgsleute des kaiserlichen Groß­botschafters Virmont vorausgeschickt, zum eigentlichen Ort der Auswechslung in Paracin. Da­mals war dies der letzte Ort vor dem angrenzenden osmanischen Gebiet, der noch zum König­reich Serbien gehörte. Der Großbotschafter selbst folgte ihnen zwischen sechs und sieben Uhr morgens. Etwa zur gleichen Zeit brachen auch sämtliche Truppen von kaiserlicher Seite auf. Man versammelte sich kurz vor dem eigentlichen, zur Auswechslung bestimmten Ort. Ebenso vernahm man bereits die Annäherung des osmanischen Großbotschafters und seiner Gefolgs­leute. Beide Seiten ließen ein Zelt für ihren Großbotschafter aufschlagen, während die Truppen sich in Kriegs-Ordnung aufstellten.59 Der Generalfeldwachtmeister Graf von Odoyer begab sich nun mitsamt den Truppen und seinem Gefolge, welches aus „[...] 12. Officiers / einem Hof=Marschall / zwey Pagen /zwey Lauffern /acht Heyducken /20. in rot mit Silber verbräm­ten Livery gekleydten Laggeyen / und acht Reütknechten mit Hand=Pferden [.. ,]“60 bestand, an die Grenze. 60 Schritte vor der äußeren von drei Grenzsäulen blieben die Truppen stehen, er selbst ging mit seinem Gefolge bis zu 15 Schritte an die äußere Grenzsäule heran. Diese Säulen sind im Vorhinein durch die gemeinsame Arbeit sowohl von Habsburgern als auch Os- manen errichtet worden. Ihre Abstände voneinander waren genau bemessen: Die mittlere Säule entsprach der Grenze selbst, 20 Schritte davon entfernt stand auf kaiserlicher Seite eine Säule, die andere 20 Schritte von der Grenzlinie entfernt auf osmanischer Seite. Der Generalfeld­wachtmeister Graf von Odoyer und sein Gegenüber auf osmanischer Seite, der Seraskier von Nissa, ritten zu Pferd noch bis zu 5 Schritte an die mittlere Säule heran, woraufhin beide zur exakt gleichen Zeit vom Pferd stiegen, und bei der mittleren Säule zusammentraten. Es gab eine freundliche Umarmung, und zwei Stühle wurden herangetragen, auf denen die beiden Platz nahmen und sich unterhielten, bis die beiden Großbotschafter dazukamen. Letztere stie­gen ebenfalls zur genau gleichen Zeit vom Pferd, diesmal jedoch bereits direkt an den äußeren Säulen, und gingen in gleichen Schritten an die mittlere Säule heran. Dabei wurden beide von ihren jeweiligen Generälen, dem Grafen von Odoyer sowie dem Seraskier von Nissa, an die mittlere Säule geführt, indem diese ihnen die rechte Hand reichten. In der Zwischenzeit hatte sich ein Gewitter aufgetan und es begann stark zu regnen, was jedoch keinen Einfluss auf das geplante Zeremoniell hatte. Die beiden Großbotschafter begrüßten sich höflich und nahmen beide an den aufgestellten Stühlen Platz. Danach begann das Gespräch der beiden, wobei der kaiserliche Großbotschafter Virmont auf Lateinisch sprach, der osmanische Großbotschafter auf Türkisch, und jeweils ein Dolmetscher für seinen Großbotschafter übersetzte. Ebenso wur­den Kaffee und Konfekte herbeigebracht. Die Unterredung der beiden dauerte etwa eineinhalb Stunden. Während des Austausches wechselte das Gefolge beider Großbotschafter die Seiten: die Habsburger wechselten auf das osmanische Gebiet, während die Osmanen sich auf die Seite begaben, wo zuvor noch das habsburgische Gefolge gestanden war. Wieder wurden die beiden Großbotschafter von ihren Generälen an der Hand genommen und verabschiedeten sich vonei­nander. Damit war der Akt der Auswechslung vollbracht. Die beiden Großbotschafter stiegen am gleichen Standpunkt wieder aufs Pferd, wo sie zuvor abgestiegen waren. Der habsburgische General, Grad von Odoyer, begleitete nun den osmanischen Großbotschafter Ibrahim Bassa auf seiner weiteren Reise nach Wien, während der Seraskier von Nissa den habsburgischen Großbotschafter, Graf von Virmont, bei seiner Weiterreise nach Konstantinopel begleitete.61

Die Berichterstattung über die Auswechslung der beiden Großbotschafter ist erstaunlich de­tailliert. In einem Umfang von fast sieben Seiten wird genauestens über die einzelnen Stationen des kaiserlichen Großbotschafters, sowie die Abläufe in den Tagen vor und nach der Aus­wechslung, berichtet. Beim Akt der Auswechslung selbst wird darauf geachtet, den genauen Ablauf dieser Zeremonie mit allen Einzelheiten zu erzählen. Wie Faulstich festgehalten hat, waren solche politischen Nachrichten meist sehr objektiv, nüchtern und wertfrei formuliert. Das trifft auch für diese Berichterstattung zu. Wenn überhaupt eine Wertung vorliegt, dann ist diese positiver Natur. Im Vordergrund steht jedoch die Information. Der/Die LeserIn sollte in erster Linie über den genauen Ablauf solcher Ereignisse informiert sein. Auffallend ist dabei auch, dass immer wieder die Gleichstellung beider Reiche betont wird. Diese Parität soll sym­bolisch zum Ausdruck gebracht werden, indem beispielsweise die Großbotschafter gleichzeitig am Auswechslungsort eintreffen, gleichzeitig vom Pferd steigen, oder die Abstände der Säulen voneinander auf beiden Seiten gleich sind. Hätte einer der beiden zu früh agiert, hätte dies symbolisch als eine Bitte um Frieden interpretiert werden können. Es war offensichtlich wich­tig, dass dem/der LeserIn diese Gleichstellung auch klar gemacht wird. Des Weiteren wird ein sehr freundschaftliches Bild der beiden Großbotschafter zum Ausdruck gebracht, indem auch betont wird, dass sie sich während ihrer Unterredung mit Kaffee und Konfekten bewirten las­sen, was eine sehr angenehme Gesprächsatmosphäre vermittelt.62

6.3. Audienz des kaiserlichen Großbotschafters bei Sultan Ahmed III.

Ein weiteres wichtiges Ereignis, worüber im Wienerischen Diarium ausführlich berichtet wurde, war die Audienz des kaiserlichen Großbotschafters Virmont bei Sultan Ahmed III. Nachdem Virmont am 3. August 1719 seinen Einzug in Konstantinopel gehalten hatte, und am 5. August die Einladung zur Audienz bei Großwesir Nevsehirli Damat Ibrahim Pascha wahr­nahm, wurde er am 8. August von Sultan Ahmed III. zur Audienz gebeten. Zu finden ist dieser Bericht in der Ausgabe vom 02. bis 05. September 1719.63

Bei Anbruch des 8. August 1719, um 12 Uhr Mitternacht, gaben die Trompeter des Großbot­schafters das Zeichen, sich bereit zu machen, denn sie sollten sich noch vor Sonnenaufgang im großen Serail einfinden. Die Pferde für den Großbotschafter und sein Gefolge wurden vom Stall des Sultans bereitgestellt. Um 1 Uhr morgens marschierten sie, von ihrer Unterkunft au­ßerhalb der Stadt ausgehend, los. Janitscharen beleuchteten ihnen mit Fackeln den Weg bis zur Stadtmauer. In der Stadt selbst waren sie noch etwa eine Stunde unterwegs, bis sie den Palast des Sultans erreichten. Der Oberhofmeister des Großwesirs empfing den Großbotschafter, wei­tere um die hundert vornehme Osmanen waren beim Empfang anwesend. Sie passierten einen langen und weiten Vorhof. Während das Gefolge des Großbotschafters bereits von den Pferden stieg, tat der Großbotschafter dies erst an jener Stelle, wo es auch für die Großwesire üblich war. Sie gingen weiter in den inneren Hof des Palastes, wo sich etwa 30 000 Janitscharen und eine große Menge weiterer Hofbediensteter befanden. Anhand des Turbans konnte man erken­nen, welches Amt der Träger innehatte, wo er geboren worden war, oder welcher Religion er sich bekannte. Der Großbotschafter wurde von einem osmanischen Bedienten mit einem sil­bernen Stab in den Palast eingeführt.64 Darin befand sich folgende Sitzordnung: „[...] Gegen der Thür / oben an / sasse der Groß=Vezier / in einem weissen Kleyd / von Satin und Zobel gefüttert / und ein dreyeckigten Bund mit einem Gold=Band geflochten auf dem Kopf habend / auf seiner rechten Hand etwas entfernet der erste Vezter, Capitain-Bassa, oder General=Ad- miral / und auf der Linken die 2. Kades Legmir. oder die 2. vornehmste Richter über die in Europa und Asien gelegene Länder neben sich sitzend; Der Kaiserliche Herr Groß=Botschaf- ter wurde zur rechten Seiten zu dem Verwahrer des Groß=Sigills [=Siegel] gesetzet / auf der linken Seiten sasse der Tefterdar [auch Defterdar, ein Schatzmeister] , und 2. Cammer=Präsi- denten mit 2. Andern Titular=Präsidenten; [...]“65 In weiterer Folge wurde ein Prozess abge­halten, um die osmanische Justiz zu demonstrieren. Danach trat ein Janitscharen Aga (osmani­scher Lieutenant) ein, um die bevorstehende Auszahlung der Janitscharen anzukündigen. Für diesen Akt wurden 2360 Münzbeutel, gefüllt mit Groschen, Gulden und Dukaten, aus der Schatzkammer hereingebracht. Stichprobenartig wurden dem Großwesir von jeder Sorte Mün­zen gezeigt, um diesen die Echtheit der Münzen überprüfen zu lassen. Man zählte die Beutel zu 30, 40, oder 50 Stück zusammen und legte sie außerhalb des Palasts auf einen großen, ge­pflasterten Platz. Dann wurde die riesige Menge von Janitscharen in kleinere Gruppen geteilt. Sobald der Name einer Gruppe ausgerufen wurde, stürmten die Janitscharen dieser Gruppe los, denn nur die schnellsten unter ihnen konnten einen Beutel ergattern. So ging die Auszahlung der Janitscharen vonstatten. Während des gesamten Prozesses wurde kein Wort gesprochen, nur das Getöse des Laufens konnte wahrgenommen werden. Danach wurden noch weitere Sol­daten und Hofbedienstete ausbezahlt. Der Sultan selbst hatte dem ganzen Schauspiel von sei­nem Platz aus zugesehen, welcher hinter einem vergoldeten Gitter, über dem Platz des Groß­wesirs gelegen war. Währenddessen waren dem kaiserlichen Großbotschafter die ver­schiedensten Speisen aufgetischt worden. Da die Osmanen zu dieser Zeit jedoch aufgrund des Ramadan fasteten, und somit auch der Großwesir nichts aß, verzichtete auch der Großbotschaf­ter aus Höflichkeit ihm Gegenüber auf das Essen.66 Das Gefolge des Großbotschafters speiste dennoch in einem Nebensaal. Die Mahlzeiten bestanden aus Fleisch, Fisch, Reis, Pasteten, Ge­backenem, und verschiedensten Konfekten. Nachdem die Auszahlung vorbei war, wurde der Großbotschafter hinaus auf einen Hof geführt, wo einigen seiner Leute Kaftane für die bevor­stehende Audienz beim Sultan angelegt wurden. Ihm selbst wurde ein Zobel-Pelz angelegt. Im Anschluss daran wurde man in das Zimmer geführt, in dem die Audienz stattfand. Dieser Raum und der darin befindliche Thron des Sultans werden detailliert beschrieben:67 „[...] Den Sultan fanden wir auf einem viereckigt= im oberen Winkel des Zimmers gegen anderthalb Ehlen ho­hen Thron / von vier mit geschlagenem Gold und kostbaren Steinen versezten Saulen / welcher auch mit von kostbaren Perlen geflickt=rot=sammeten Decken beleget ware; Die Wand von dem selben ware mit von grossen Perlen gestickten Polster gezieret / und das völlige Zimmer ware mit rot Atlaß von Schophio gestickt=kostbaren Spalieren behengt / der Boden des Zim­mers aber ware mit goldenen Sonnen und von Schophio gestickten Decken belegt; Der Sultan ware mit einem von Zobel gefüttert= Türkischen Rock gekleydet / so von rotem Tuch / und mit gross=Diamantenen Schlingen und Knöpffen besezt gewesen; Auf dem Kopf hatte er einen grün=mit weissem Muselin überflochtenen Turband / beederseits ein angehefte Schnur von Perlen / in der Mitten auf der Stirn ein grossen mit Kleynodien reich besezt= weiß und schwarz gemischten dreyfachen Raiger=Busch; In dem Gürtel steckte ein Dolch mit einem von kostba­ren Steinen gefasten Heft / an den Fingern truge er kostbare Ringe; Neben seiner stunde linker Hand ein goldener Schreibzeug/rechter Hand lag auf dem Polster ein mit Diamanten versezter Sabel; Das Angesicht des Groß=Sultans ware länglicht / mit einem schwarzen Bart / und sitt- sammen Gebehrden; [,..]“68 Weiters wird dann über die Rede berichtet, die der kaiserliche Großbotschafter an den Sultan hielt. Darin teilte er dem Sultan mit, dass er von seiner kaiserlichen Majestät hierher gesandt worden war, um ihm mündlich zu bestätigen, dass der Friede von Passarowitz in allen Punkten eingehalten werden wird und auch genau beobachtet werden soll, ob dem Folge geleistet wird. Er äußerte außerdem den Wunsch, dass von den Osmanen gleich gehandelt werden würde. Die Rede wurde vom Dolmetscher ins Türkische übersetzt und vorgetragen. Die Antwort darauf kam nicht vom Sultan persönlich, sondern vom Großwesir, welche der Dolmetscher für den kaiserlichen Botschafter ins Italienische übersetzte und vortrug: Auch der Sultan sei gewillt, den Frieden von Passarowitz in allen vereinbarten Punkten einzuhalten. Auch er wünsche sich, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhen werde. Da­raufhin wurden die kostbaren Geschenke hereingebracht, die man aus Wien für den Sultan mitgenommen hatte. Schließlich wurde der kaiserliche Großbotschafter mitsamt seinem Ge­folge wieder hinausgeführt, auf ähnliche Art und Weise wie bei der Ankunft, und zurück ins Quartier begleitet.69 70

Auch hier wird deutlich, wie ausführlich über die Angelegenheiten der Großbotschaften be­richtet wurde. Das Interesse der Wiener Bevölkerung an diesen Ereignissen muss demzufolge damals sehr groß gewesen sein. Im Vergleich zum Bericht über die Auswechslung der beiden Großbotschafter sind in der Art und Weise der Berichterstattung nicht viele Unterschiede fest­stellbar. Auch dieser Text ist sehr objektiv und wertfrei formuliert. Die genauen Abläufe der Audienz werden von Beginn bis zum Ende detailliert geschildert. Dieser Stil der Nachrichten­wiedergabe trifft im Falle des Wienerischen Diariums im Prinzip für das gesamte 18. Jahrhun­dert zu, und dürfte ganz einfach dem damaligen Geschmack des Publikums entsprochen ha- ben.70 Viel Beachtung wird aber den Bräuchen und Gepflogenheiten der Osmanen geschenkt, wie an der Beschreibung der osmanischen Justiz anhand einer Vorführung oder der Auszahlung der Janitscharen zu erkennen ist. Es bestand wohl unter anderem auch Interesse daran, welche Speisen im Osmanischen Reich üblich waren, wie prunkvoll der Palast des Sultans ausgestattet war, oder welches Aussehen der Sultan selbst hatte. Das würde auch dem damaligen Islambild entsprechen, welches sich ab dem späten 17. Jahrhundert verändert hatte. Die Niederlage der Osmanen bei der Belagerung Wiens 1683 markierte das Ende der osmanischen Expansions­kraft, und während sich in den sozial tiefer stehenden und ungebildeteren Schichten das Feind­bild des Türken noch lange halten konnte, wandelte es sich bei den gebildeteren Leuten der oberen Schicht allmählich zu einem positiveren Bild. Alles „Orientalische“ wurde nun als et­was Exotisches betrachtet, was auch mit einer distanzierteren Sichtweise der Bevölkerung zu tun hatte und mit dem neuen Wissen in Verbindung stand, welches von Reiseberichten ins Osmanische Reich vermittelt wurde.71 Dieses neue Interesse am Orient lässt sich auch in der Berichterstattung erkennen, da die Beschreibung von osmanischen Sitten und Traditionen ei­nen großen Teil des Berichts einnimmt, selbst wenn die Formulierung des Textes an sich eher neutral und wertfrei ist. Es ist also davon auszugehen, dass sich die Berichte im Wienerischen Diarium vor allem an gebildetere Schichten der Wiener Bevölkerung richtete, was logisch er­scheint, da die ungebildete Bevölkerung damals ohnehin nicht lesen konnte.

6.4. Abschließende Worte

Zur Zeit dieser Berichterstattung gab es, wie bereits erwähnt, einen Wandel beim damaligen Islambild. Die neue militärische Situation nach der Belagerung Wiens 1683 führte zu einer Entspannung in den traditionell sehr belasteten Beziehungen zwischen den Habsburgern und den Osmanen. Die politischen und wirtschaftlichen Interaktionen wurden immer intensiver, und dadurch kam es zunehmend zu einem kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, ge­fördert auch durch neue Gesandtschafts- und Reiseberichte. Der Bevölkerung im habsburgi­schen Reich wurde somit ein differenzierteres Bild von der Geschichte, dem Aufbau und der Kultur des osmanischen Reiches vermittelt, was zu einem größeren Allgemeininteresse an der osmanischen Gesellschaft und Kultur führte. Das Bild des Mittelalters, vom Schrecken der Christenheit, weichte immer mehr dem Bild des exotischen Fremden. Der Angst war also zu­nehmend eine Neugierde an diesem Land und seiner Bewohnerinnen gewichen.72 Dies lässt sich grundsätzlich auch in der Berichterstattung des Wienerischen Diariums in den Jahren 1719-1720 feststellen. Das osmanische Reich wird als ebenbürtiger Gegenspieler gesehen, mit dem nun endlich ein hoffentlich lange bestehender Friede vereinbart werden konnte. Berichte, welche offensichtlich „Türkenfurcht“ oder „Türkenspott“ vermitteln sollten, sind in diesem Zeitraum keine zu finden. Stattdessen werden die osmanische Kleidung, Architektur, Speisen und andere kulturelle Dinge aller Art sehr detailliert beschrieben. Die europäische Fachliteratur war im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gar von einer gewissen „emotionslosen Sachlich­keit“ geprägt, in welcher über die Osmanen meist vorurteilsfrei und tendenziell wohlwollend berichtet wurde.73 Im Kontext der Friedenssicherung durch den Austausch von Großbotschaf­tern trifft diese Art und Weise der Berichterstattung beim Wienerischen Diarium bereits für die Jahre 1719-1720 zu, wie in den weiteren Berichten der vorliegenden Edition nachzulesen ist.

[...]


1 Vgl. Arno STROHMEYER, Die Theatralität interkulturellen Friedens. Damian Hugo von Virmont als kaiserlicher Großbotschafter an der Hohen Pforte (1719/20), in: Guido Braun / Arno Strohmeyer, Hg., Frieden und Friedens­sicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag, Münster 2013, 423.

2 Vgl. Über das Projekt QhoD, online unter: http://gams.uni-graz.at/context:qhod/sdef:Context/get?mode=qhod- project (31.05.2022).

3 Vgl. ÖAW, Beitrag zum Projekt QhoD, online unter: https://www.oeaw.ac.at/ihb/forschungsbereiche/digitale- historiographie-und-editionen/forschung/habsburg-osmanische-diplomatie (31.05.2022).

4 Vgl. Frank BÖSCH, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt am Main 2011, 13-15.

5 Vgl. Christoph WÜRFLINGER, Symbolische Kommunikation im habsburgisch-osmanischen Konfliktmanage­ment. Die Großbotschaft des Anton Corfiz Graf Ulfeld nach Konstantinopel 1740/41, Masterarbeit, Universität Salzburg 2017, 4-5.

6 Vgl. Philip STEINER, „Clash of Ceremonies“: Die habsburgisch-osmanischen Großbotschaften im 17. Jahrhun­dert. Interkulturelle und zeremonielle Kommunikation im Rahmen diplomatischer Missionen: Kontroversen, Konfliktvermeidungsstrategien und Konfliktbewältigung, Masterarbeit, Universität Salzburg 2011, 28-31.

7 Vgl. Arno STROHMEYER, Theatralität, 413-414.

8 Vgl. Ernst PETRITSCH, Die Anfänge des Konsularwesens in den Beziehungen zwischen der Habsburgermonar­chie und dem Osmanischen Reich, in: Andras Oross, Hg., Neuaufbau im Donauraum nach der Türkenzeit. Ta­gungsband der internationalen Konferenz anlässlich des 300-jährigen Jubiläums des Friedens von Passarowitz, Wien 2021, 67-68.

9 Vgl. Arno STROHMEYER, Theatralität, 416.

10 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1642 (26. bis 28. April 1719), 1-2 und 9-16.

11 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1660 (28. bis 30. Juni 1719), 2.

12 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1678 (30. August bis 01. September 1719), 1-2.

13 Vgl. ebd., 1-2.

14 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1771 (20. bis 23. Juli 1720), 2-3 und 9-10.

15 Vgl. Wien-Geschichte-Wiki, Loudongrab, online unter: https://www.geschichtewiki.wien. gv.at/Loudongrab (12.05.2022).

16 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1662 (05. bis 07. Juli 1719), 2-3.

17 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1673 (12. bis 15. August 1719), 3.

18 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1769 (02. bis 05. September 1719), 2.

19 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1743 (13. bis 16. April 1720), 1.

20 Vgl. Wienerisches Diarium Nr. 1771 (20. bis 23. Juli 1720), 2-3.

21 Vgl. Arno STROHMEYER, Theatralität, 415.

22 Vgl. Christoph WÜRFLINGER, Symbolische Kommunikation, 23.

23 Vgl. ebd., 19.

24 Vgl. Frank BÖSCH, Mediengeschichte, 58-59.

25 Ebd., 59.

26 Vgl. ebd., 70-71.

27 Vgl. Werner Faulstich, Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700-1830), Göttingen 2002, 29.

28 Vgl. ebd., 35-37.

29 Vgl. ebd., 32-33.

30 Vgl. ebd., 29-31.

31 Vgl. Jürgen WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln 2000, 68.

32 Vgl. Werner Faulstich, Die bürgerliche Mediengesellschaft, 31-32.

33 Vgl. Rita Klement, „Das Wiener Alltagsleben in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Spiegel des Wie­nerischen Diariums“, Diplomarbeit, Universität Wien 2012, 40.

34 Wienerisches Diarium Nr. 1 (08. August 1703), 1.

35 Vgl. Rita Klement, Das Wiener Alltagsleben, 42-44.

36 Vgl. ebd., 45-47.

37 Vgl. ebd., 48-50.

38 Kai Kauffmann, „Es ist nur ein Wien!“. Stadtbeschreibungen von Wien 1700 bis 1783. Geschichte eines literarischen Genres der Wiener Publizistik, Wien 1994, 24.

39 Vgl. ebd., 24-25.

40 Vgl. Rita Klement, Das Wiener Alltagsleben, 54.

41 Vgl. Anatolien-Portal, Übersicht Türkenkriege, online unter: https://www.anatolienportal.com/uumlbersicht- tuumlrkenkriege.html (13.05.2022).

42 Vgl. Österreichische Nationalbibliothek, Jahresauswahl der Wiener Zeitung, online unter: https ://anno.onb.ac.at/cgi -content/anno?aid=wrz (13.05.2022).

43 Siehe https://readcoop.eu/de/transkribus/ (13.05.2022).

44 https://readcoop.eu/de/transkribus/ (13.05.2022).

45 Vgl. Marc Rothballer, Transkribus - Erfahrungsbericht zu maschinellem Lernen und Handwritten Text Recognition in der Heimat- und Familienforschung, online unter: https://archivalia.hypotheses.org/124394 (16.05.2022).

46 Vgl. https://readcoop.eu/de/transkribus/download/ (16.05.2022).

47 Vgl. Marc Rothballer, Transkribus, online unter: https://archivalia.hypotheses.org/124394 (16.05.2022).

48 Vgl. https://readcoop.eu/de/transkribus/howto/how-to-enrich-transcribed-documents-with-mark-up/ (16.05.2022).

49 Vgl. Kapitel 7: Editionsteil, 33-43.

50 Vgl. ebd., 43-61.

51 Vgl. ebd., 61-85.

52 Vgl. ebd., 85-102.

53 Vgl. ebd., 102-127.

54 Vgl. ebd., 53-61.

55 Vgl. ebd., 53-55.

56 Ebd., 55.

57 Vgl. ebd., 55-56.

58 Ebd., 56.

59 Vgl. ebd., 56-57.

60 Ebd., 57.

61 Vgl. ebd., 57-59.

62 Vgl. Arno STROHMEYER, Theatralität, 420-421.

63 Vgl. Kapitel 7: Editionsteil, 72-85.

64 Vgl. ebd., 80-81.

65 Ebd., 81.

66 Vgl. ebd., 81-82.

67 Vgl. ebd., 82.

68 Ebd., 82-83.

69 Vgl. ebd., 83-84.

70 Vgl. Rita Klement, Das Wiener Alltagsleben, 47.

71 Vgl. Felix Konrad, Von der 'Türkengefahr' zu Exotismus und Orientalismus: Der Islam als Antithese Europas (1453-1914)?, in: Europäische Geschichte Online, online unter: http://ieg-ego.eu/de/threads/modelle-und-stereo- typen/tuerkengefahr-exotismus-orientalismus/felix-konrad-von-der-tuerkengefahr-zu-exotismus-und-orientalis- mus-1453-1914/customview/++widget++form.widgets.dnb/@,@,download/konradf-2010-de.pdf (26.05.2022), 6.

72 Vgl. Brigitta PESTI, Herkules und der Drache mit den sieben Köpfen. Die Verwandlungen des Türkenbildes in der Wiener ungarischen Presse im 18. Jahrhundert, in: Andras Oross, Hg., Neuaufbau im Donauraum nach der Türkenzeit. Tagungsband der internationalen Konferenz anlässlich des 300-jährigen Jubiläums des Friedens von Passarowitz, Wien 2021, 127.

73 Vgl. ebd., 143.

Ende der Leseprobe aus 134 Seiten

Details

Titel
Die habsburgisch-osmanische Großbotschaft 1719/20 im Wienerischen Diarium
Untertitel
Edition und Zusammenfassung der Berichterstattung
Hochschule
Universität Salzburg
Note
1
Jahr
2022
Seiten
134
Katalognummer
V1286661
ISBN (Buch)
9783346745569
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diplomatie, Wienerisches Diarium, Edition
Arbeit zitieren
Anonym, 2022, Die habsburgisch-osmanische Großbotschaft 1719/20 im Wienerischen Diarium, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1286661

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