Macht Sitzenbleiben Sinn?

Mögliche bildungspolitische Konsequenzen aus den Ergebnissen der PISA-Studie


Trabajo de Seminario, 2006

21 Páginas, Calificación: 1


Extracto


Inhalt

Einleitung

1 Die Klassenwiederholung. Definition und Historisches
1.1 Einordnung des Sitzenbleibens in die Grundstruktur des deutschen Schulsystems
1.2 Geschichte des Sitzenbleibens

2 Mit der Klassenwiederholung auftretende Probleme
2.1 Homogene Lerngruppen = leistungsstarke Lerngruppen?
2.2 Psychologische Aspekte des Sitzenbleibens
2.3 Gesellschaftliche Auswirkungen des Sitzenbleibens

3 Mögliche Konsequenzen
3.1 Was kann Deutschland vom PISA-Sieger Finnland lernen?
3.2 Stimmungslage in Deutschland zum Thema Abschaffen des Sitzenbleibens

4 Fazit

Literatur

Einleitung

Das „Sitzenbleiben“[1] ist im deutschen Schulsystem seit mehreren hundert Jahren fest verankert. Die Kritik am Sitzenbleiben ist nach Bekanntwerden der Ergebnisse der PISA-Studie neu entfacht; nachdem die deutschen Schüler[2] bei dieser internationalen Vergleichsstudie so schlecht abschnitten, plädierte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dafür, eher in vorbeugende Förderung zu investieren, statt bundesweit jährlich etwa 250.000 Schüler eine Jahrgangsstufe wiederholen zu lassen. Die Diskussion um den Sinn des Sitzenbleibens ist jedoch schon sehr alt[3]. Bereits in den Siebziger- und den Achtzigerjahren wurde am Sitzenbleiben Kritik geübt[4].

An die Maßnahme der Wiederholung einer Klassenstufe wird die Erwartung geknüpft, dass dies zu einer Steigerung der Homogenität innerhalb einer Lerngruppe führe und somit zu einem insgesamt besseren Lernerfolg. Für denjenigen, der eine Klasse wiederholt, soll das Sitzenbleiben dazu dienen, dass er in der neuen, weniger anspruchsvollen Lerngruppe wieder Fuß fasst und sich seine Leistung verbessert[5]. In den letzten Jahren ist dieser Zusammenhang jedoch mehrfach in Frage gestellt worden, was sich nicht zuletzt in jüngsten Forderungen der GEW ausdrückt, das Sitzenbleiben doch ganz abzuschaffen.

In der vorliegenden Arbeit soll zunächst das Sitzenbleiben als Instrument in das deutsche gegliederte Schulsystem eingeordnet werden. Es soll erläutert werden, welche Erwartungen an die Klassenwiederholung geknüpft werden und welche Funktion das Sitzenbleiben erfüllen soll. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, welche geschichtliche Bedeutung die Klassenwiederholung hat und aus welchem Kontext heraus sie vor etwa zweihundert Jahren als pädagogische Maßnahme entstanden ist.

Daran schließt sich im zweiten Kapitel eine Diskussion der Frage an, als wie sinnvoll das Sitzenbleiben in der heutigen Zeit angesehen werden kann und welche Probleme damit verbunden sind. Dabei werden sowohl psychologische als auch gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt.

Im dritten Kapitel sollen Möglichkeiten diskutiert werden, was Deutschland tun könnte um aus dem Bildungsmittelmaß heraus wieder weiter an die internationale Spitze zu kommen. Anhand des PISA-Siegers Finnland soll gezeigt werden, wie eine ausgeprägte Förderkultur eventuell als Alternative zu einer starken Selektionskultur gesehen werden kann, um die Leistungsfähigkeit der Schüler zu steigern. Es werden dabei Teilergebnisse der PISA-Studie dieser und anderer Länder gegenübergestellt, die eine Aussage über die Häufigkeit des Gebrauchs von Klassenwiederholungen und verzögerten Schullaufbahnen treffen.

Daran schließt sich eine Darstellung des derzeitigen Meinungsbildes an, das derzeit in Deutschland zum Thema Sitzenbleiben zu finden ist. Dabei werden sowohl Meinungen des Volkes als auch die Stimmung innerhalb der Politik aufgegriffen.

1 Die Klassenwiederholung. Definition und Historisches

1.1 Einordnung des Sitzenbleibens in die Grundstruktur des deutschen Schulsystems

Sitzenbleiben ist „der umgangssprachliche Begriff für die Wiederholung einer Jahrgangsstufe, die jeweils am Ende eines Schuljahres angeordnet wird, wenn ein Kind das im Lehrplan festgelegte Pensum nicht bewältigt hat.“[6]

Mit der Anordnung der Klassenwiederholung soll eine Homogenisierung der Klasse bewirkt werden. Orientiert wird sich dabei an einem fiktiven Leistungsdurchschnitt, der in der jeweiligen Klassenstufe zu erwarten ist.[7] Das Instrument der Klassenwiederholung ist in engem Zusammenhang mit dem Aufbau des deutschen Schulsystems zu sehen. Es handelt sich dabei um ein gegliedertes Schulsystem, bei dem Schüler sich auf unterschiedliche Schultypen verteilen. Die Zuordnung zu den verschiedenen Schulformen findet aufgrund diagnostischer Informationen, etwa Zensuren, Intelligenzquotient oder andere Schulleistungstestergebnisse, statt. Dieses beschriebene Selektionsverfahren findet in der Gesellschaft nach wie vor Anerkennung.[8] Nach Fend[9] gehört die Selektionsfunktion neben einer Qualifizierungsfunktion und einer Integrations-/ Legitimationsfunktion strukturell zur Funktion der Schule. Maßnahmen, die das Ziel verfolgen Unterricht klassen- bzw. lerngruppenübergreifend zu organisieren um so homogene Gruppen herzustellen, werden unter dem Begriff äußere Differenzierung zusammengefasst.[10] Ein herausragendes Kriterium, nach dem im deutschen Schulsystem differenziert wird, ist das Alter. Es ist heutzutage prinzipiell festgelegt, in welchem Alter ein Kind eingeschult wird, in welchem Alter es normalerweise die Grundschule beendet, dass es nach sechs weiteren Jahren auf einer von vier möglichen Schulformen seinen Abschluss macht usw. Es gibt also Jahrgangsklassen, in denen im Normalfall gleichaltrige Kinder zusammen unterrichtet werden. Die individuellen Bildungsverläufe sehen häufig jedoch nicht so geradlinig aus. Wird nach dem Kriterium der Leistung und nicht nur nach dem des Alters differenziert, kann dieser idealtypische Schulweg verändert werden. Dies geschieht häufig schon vor der Einschulung, indem die Kinder aufgrund mangelnder Schulfähigkeit ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt werden. Im weiteren Schulverlauf ist es dann möglich, aufgrund mangelnder Schulleistungen am Ende eines Schuljahres nicht in die nächste Klasse versetzt zu werden und eine Klasse wiederholen zu müssen. Des Weiteren kann eine Klassenwiederholung auch freiwillig auf Wunsch der Eltern durchgeführt werden.[11]

1.2 Geschichte des Sitzenbleibens

Zeugnisse, die vom Instrument der Klassenwiederholung berichten, stammen vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Eine Recherche von Ingrid Lohmann[12] ergibt Einblicke in einen Fall von Sitzenbleiben, der sich 1813 in Berlin ereignet hat. Dort hat Prof. Jungius, Lehrer der Mathematik und Physik, einen Brief an J. W. Süvern, Staatsrat in der Sektion für den Kultus und den öffentlichen Unterricht, geschrieben, in dem er berichtet, dass seiner Schule bei der Versetzung zweier Schüler ein Fehler unterlaufen sei. Diese Schüler seien fälschlicherweise in die nächst höhere Klasse versetzt worden, obwohl sie in Mathematik zwei Stufen hinter der Lateinleistung hinterherhinkten. Zu dieser Zeit existierte in der Grundstruktur noch das aus der Reformation stammende Lateinklassensystem, wonach alle Schüler aufgrund ihrer Kenntnissen im Lateinischen den Klassenstufen zugeordnet wurden.

Im Jahre 1808 oder 1809 gab es eine gymnasiale Reform; August F. Bernardi hat im Zusammenhang mit der beginnenden Etablierung allgemeiner Bildung in Preußen am Gymnasium Friedrichswerder in Berlin so genannte Bildungsstufen eingeführt. Damit wurde die Dominanz des Lateinischen eingedämmt und den anderen Fächern mehr Bedeutung zugerechnet. Die Bildungsstufen führte er ein, um den verschiedenen Ständen dieser Zeit Rechnung zu tragen, nämlich dem niederen Bürgerstand, dem gebildeteren Stand und den späteren Studierenden. Dementsprechend gab es die untere, die mittlere und die höhere Bildungsstufe. Um versetzt zu werden, mussten sich die Schüler seitdem in den wichtigsten Fächern Prüfungen unterziehen; es war fortan nicht mehr nur das Lateinische maßgebend für die Versetzung. Grundlegend für die heutige Versetzungspraxis war jedoch die Einführung der Jahrgangsklasse im Jahre 1837 in der Berliner wissenschaftlichen Deputation[13]. Die Jahrgangsklasse wurde schon von Johann Amos Comenius (1592-1670) gefordert, jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt[14].

[...]


[1] der Verfasserin ist bewusst, dass „Sitzenbleiben“ ein umgangssprachlicher Ausdruck ist. Der besseren Lesbarkeit halber wird er fortan jedoch nicht jedes Mal mit Anführungsstrichen als solcher gekennzeichnet.

[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text fast ausschließlich das generische Maskulinum verwendet, welches weibliche wie männliche Personen gleichermaßen einschließen soll.

[3] Krohne/ Meier/ Tillmann, Sitzenbleiben, Geschlecht und Migration, S. 373.

[4] vgl. zum Beispiel Ingenkamp 1972, Hurrelmann/ Wolf 1986.

[5] vgl. Tillmann, Wenn Unterschiede zwischen Kindern als Ärgernis gelten, S. 20.

[6] Glumpler, Sitzenbleiben, S. 316 f.

[7] Vgl. ebd.

[8] Keck, Selektion, S. 315.

[9] vgl. Fend, H, Gesellschaftliche Bedingungen schulischer Sozialisation, S. 64 ff.

[10] vgl. Meyer-Willner, äußere Differenzierung, S. 76.

[11] Bellenberg, Individuelle Schullaufbahnen, S. 9.

[12] Lohmann, Wer hat das Sitzenbleiben erfunden, S. 12 ff.

[13] vgl. ebd.

[14] vgl. Ingenkamp, Zur Problematik der Jahrgangsklasse, S. 20.

Final del extracto de 21 páginas

Detalles

Título
Macht Sitzenbleiben Sinn?
Subtítulo
Mögliche bildungspolitische Konsequenzen aus den Ergebnissen der PISA-Studie
Universidad
University of Marburg
Calificación
1
Autor
Año
2006
Páginas
21
No. de catálogo
V128801
ISBN (Ebook)
9783640348756
ISBN (Libro)
9783640348275
Tamaño de fichero
454 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Macht, Sitzenbleiben, Sinn, Mögliche, Konsequenzen, Ergebnissen, PISA-Studie
Citar trabajo
Christine Beier (Autor), 2006, Macht Sitzenbleiben Sinn?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128801

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