Konzept und Umsetzung der Altstadtsanierung Wolfenbüttel


Examensarbeit, 2009

94 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. Theoretische Grundlagen

1. Einleitung

II. Sanierung in Wolfenbüttel – Grundlagen und Planung
1. Vorbereitende Untersuchungen
2. Sozialplan und Bürgerbefragung
3. Städtebaulicher Rahmenplan (Konzeptplanung)
3.1 Leitbild zur Funktion und Einbindung
3.2 Leitbild Verkehr
3.3 Leitbild Nutzung
3.4 Leitbild Bebauung und Gestaltung
4. Geplante Durchführung der Sanierung
5. Kostenkalkulation

III. Die Innenstadtsanierung von Wolfenbüttel
1. Durchführung der Sanierung
1.1 Die Neue-Heimat-Affäre
1.2 Beginn und Verlauf der Sanierung bis 1988
1.3 Die Sanierung bis 1998
1.4 Fortschritte bis heute
2. Kostenentwicklung
3. Kostenexplosion durch Denkmalschutz

IV. Sanierung in Wolfenbüttel – Erfolge und Beispiele
1. Die Sanierung des Wolfenbütteler Rathauses (Stadtmarkt 2-6)
1.1 Geschichte des Rathauses
1.2 Sanierung des Nordflügels und der ehemaligen Ratswaage
2. Die Alte Apotheke (Stadtmarkt 14)
2.1 Entstehung und Funktion
2.2 Sanierungsproblematik des Objektes
3. Das Ensemble „Krumme Straße“
3.1 Entstehung und Funktion
3.2 Sanierungsgeschichte des Straßenzuges

V. Problematisierung und Bewertung

VI. Zusammenfassung und Ausblick

Quellenverzeichnis

Aufsätze und Monographien

Internetquellen

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: Idealplan für Wolfenbüttel

Abb. 2: Plan der Festung Wolfenbüttel um

Abb. 3: Denkmalgeschützte Häuser (rot markiert)

Abb. 4: Typischer Fachwerkaufbau

Abb. 5: Zeughaus Wolfenbüttel

Abb. 6: Sanierungsgebiet „Historische Innenstadt“

Abb. 7: Vorbereitung einer Sanierungsmaßnahme – Überblick

Abb. 8: Durchführung einer Sanierungsmaßnahme – Überblick

Abb. 9: Ablauf eines privaten Sanierungsverfahrens

Abb. 10: Kalkulierte Sanierungskosten

Abb. 11: Geplante Sanierungsfinanzierung

Abb. 12: Sanierungsbedürftigkeit gemäß Aussage von Befragten

Abb. 13: Die sanierten Kolonnaden und Arkaden

Abb. 14: Kleiner Zimmerhof

Abb. 15: Entwicklung der Sanierungsabschlüsse

Abb. 16: Kostenverteilung in Prozent/€ (Stand: 1988)

Abb. 17: Gesamtinvestitionsvolumen und Fördermittel im Vergleich

Abb. 18: Der Stadtmarkt mit dem Wolfenbütteler Rathaus

Abb. 19: Ratswaage und Nordflügel 1989/

Abb. 20: Saal der Ratswaage

Abb. 21: Die Alte Apotheke (Westseite)

Abb. 22: Die Alte Apotheke – Neue und alte Farbgebung

Abb. 23: Noch lange nicht fertig saniert – Krumme Straße

Abb. 24: Abgeschlossene Sanierungsmaßnahmen in der Krummen Straße

bis 2008 (rot markiert)

Abb. 25: Die sanierte Krumme Straße

Abb. 26: Einwohnerzahlentwicklung von Wolfenbüttel

Abb. 27: Die Heinrichstadt im Luftbild

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. THEORETISCHE GRUNDLAGEN

1. Einleitung

Eine Stadt ist…

…eine Siedlung von gewisser Größe und geschlossener Orts- form…, die eine beachtliche Differenzierung des Ortsbildes auf- weist, in der städtisches Leben in ausreichender Form entfaltet ist und der eine ausgesprochene Zentralität eigen ist“ (SCHWARZ 1966, S. 365).

Um diesen Aspekten einer Stadt gerecht werden zu können, bedarf es einer nach- haltigen, wohl geplanten Stadtentwicklung und Stadterneuerung. Gerade in histo- risch geprägten Städten erweist sich dies jedoch oftmals als planerisch kompliziert, kostenintensiv und zeitaufwendig, da der Sanierung alter Bausubstanz oftmals mehr Aufwand bedarf als ein einfacher Abriss und Neubau. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass speziell in der Innenstadt Wolfenbüttels sehr viele Gebäude unter Denk- malschutz stehen. Dies hat laut § 2 Abs. 3 NDSchG zur Folge, dass „In öffentliche Planungen und öffentliche Baumaßnahmen […] die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege rechtzeitig und so einzubeziehen [sind] , dass die Kulturdenkmale erhalten werden und ihre Umgebung angemessen gestaltet wird, soweit nicht andere öffentliche Belange überwiegen.“

Allein an diesen Voraussetzungen ist abzulesen, wie komplex und umfangreich die Sanierung einer so altstädtisch geprägten Stadt wie Wolfenbüttel ist. 26,4% der Alt- stadtgebäude stammen aus der Zeit der Renaissance, 19,7% aus dem Barock, 15,5% aus dem Rokoko. Dahingegen wurden nur 13,3% der vorhandenen Gebäude nach 1918 erbaut (OHNESORGE 1974, S. 73). Trotzdem soll dieses Gebäudeinven- tar den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft genügen. Ein Abort im Hinterhof ist heute ebenso wenig akzeptabel wie eine Torfheizung im Innenraum oder nicht vorhandene Wärmedämmung. Mit zunehmendem Wohlstand in der Bevölkerung stieg vor allem nach dem zweiten Weltkrieg der Anspruch an den Wohnraum. Die- sem Anspruch musste sich die Stadtplanung in den letzten Jahrzehnten verstärkt stellen. Doch warum ist die Sanierung einer Stadt, hier explizit Wolfenbüttel, so er- strebenswert, anstatt alte, unmoderne Bauten einfach durch neue zu ersetzen und so den Ansprüchen der Bewohner zu genügen?

Hierzu muss man die Entwicklung Wolfenbüttels in Betracht ziehen. Historisch ge- sehen kann die Stadt auf eine äußerst komplexe Geschichte zurückblicken, die sich vor allem im Innenstadtbereich belegen lässt – mitten im großflächigen Sanierungsgebiet.

Wie bei vielen Städten liegt auch bei Wolfenbüttel die früheste Siedlungsentwicklung im Dunkeln. Erstmals urkundlich erwähnt wird die Siedlung als „Wulferesbutle“ in kirchlichen Dokumenten. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um eine Wasserburg gehandelt haben könnte, die im Bereich der Okerniederung, etwa am Platz des heu- tigen Schlosses, gestanden haben dürfte, welche erstmals Ende des 12. Jahrhun- derts urkundlich belegt wird (THÖNE 1968, S. 13).

Mehrere Jahrhunderte lang bezeichnete der Name Wolfenbüttel allein die Wasser- burg, erst später die dann entstandene Festung und schließlich ab dem Jahr 1747 die gesamte umliegende Siedlung (OHNESORGE 1974, S. 52).

Die 1192 durch Heinrich den Löwen zerstörte und 1255 wieder aufgebaute Wasser- burg war auch zentraler Anlaufpunkt für den Handel, der zwischen den umliegenden dörflichen Siedlungen geführt wurde, stand die Burg doch höchstwahrscheinlich an einer der wenigen Okerfurten. Diese stellte die Verbindung der damals bedeutenden Handelsplätze Minden, Leipzig und Magdeburg dar.

Im Jahr 1283 baute Heinrich Mirabilis die inzwischen erneut zerstörte ehemalige Wasserburg wieder auf, um eine solide Grenzbefestigung gegen das Bistum Hildes- heim zu haben. Zeitgleich wurde sie zeitweiliger Sitz des Alten Hauses der Welfen. Diese kann man heute als den Grundstock der heutigen Wolfenbütteler Kernstadt bezeichnen, insbesondere nachdem um 1500 durch den Bau von Dämmen, Wällen und Gräben die spätere „Dammfeste“ entstand (BEUERMANN 1970, S. 61). Zu- nächst wurde jedoch weiteres Bauland erschlossen, was aufgrund des sehr sumpfi- gen Untergrundes nur nach Osten möglich war. Nach und nach entstanden so z. B. Marienkapelle (1301), Longinuskapelle (1315) und Dammmühle (um 1320).

Grundlegend für die Entwicklung städtischen Lebens war die Inbesitznahme der Burg durch Herzog Heinrich der Friedfertige um 1432, welcher die ehemalige Wasserburg als ständigen Sitz des Mittleren Hauses Braunschweig, der welfischen Herzöge, be- stimmte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Idealplan für Wolfenbüttel

Quelle: SPECKLIN, DANIEL , S. 355)

Nach Fertigstellung der Dammfeste um 1500, wurde weiteres Land urbar gemacht, um das Gebiet weiter zu sichern. Nicht zu Unrecht, denn schon im Jahr 1542 wurde die Residenz des katholischen Herzogs Heinrich durch die vom Schmalkaldischen Bund zusammengefassten Protestanten belagert und schließlich eingenommen. Im- merhin 136 Jahre hatte dieses erste Kapitel her- zoglicher Herrschaft in Wolfenbüttel gedauert. Nachdem Herzog Heinrich d. J. im Jahr 1547 die Burg zurückerobert hatte, baute er den Damm nach italienischem Vorbild zur Festung aus (UPPENKAMP 2005, S. 40). Aus dieser Zeit stammt auch die Grundrissplanung Wolfenbüttels in Form eines regelmäßigen Fünfecks (siehe Abb. 1), die auch heute noch im Stadtbild abzulesen ist (THÖNE 1968, S. 52). Dieses konnte jedoch in seiner Exaktheit nicht umgesetzt werden, da das sumpfige Gebiet der Okerauen nur bedingt be- baubar war.

1574 lebte der herzogliche Konflikt mit der Stadt Braunschweig erneut auf und for- cierte die Befestigung der Festung weiter. Mittlerweile waren bis zum Ende der her- zoglichen Amtszeit 1568 innerhalb der Dammfeste etwa 100 Bürgerhäuser entstan- den, die vorwiegend von Handwerkern, Landsknechten und Vorwerksarbeitern be- wohnt wurden (OHNESORGE 1974, S. 38).

Das überwiegend noch erhaltene, heutige Stadtbild Wolfenbüttels entstand haupt- sächlich in der nun folgenden Epoche der Hochrenaissance, die die Herrschaft der beiden Herzöge Julius (1568-1589) und Heinrich Julius (1589-1613) umfasst (siehe Anhang). Herzog Julius war es schließlich auch, der dem Gebiet innerhalb der Fes- tungsanlagen den auch heute noch gebräuchlichen Namen „Heinrichstadt“ gab. An- dere Autoren wie z. B. OHNESORGE fassen den Höhepunkt der Bautätigkeit deut- lich breiter, nämlich von 1432-1753 (OHNESORGE 1974, S. 32f). Der größte Teil der Fachwerkhäuser und Monumentalbauten (Hauptkirche Beatae Mariae Virginis, Ko- misse) stammen aus der Zeit der Expansion zwischen 1585 – 1630 (BEUERMANN 1970, S. 65).

Abbildung 2: Plan der Festung Wolfenbüttel um 1626

Quelle: OHNESORGE, KLAUS-WALTHER 1974, Karte 2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Besonders intensiv war die Stadtausdehnung in den oben genannten Jahren, in de- nen z. B. in der Heinrichstadt die Zahl der Grundstücke um erstaunliche 530% an- stieg (BEUERMANN 1970, S. 69). Das Jahr 1606 ist der Punkt, an dem der Sied- lungsbereich und die Festungsanlage als Gesamtsiedlungsraum „Wolfenbüttel“ defi- niert wurden, da die Wohngebiete durch den Ausbau der Festungsstrukturen in den Wehrbereich mit einbezogen wurden (THÖNE 1968, S. 59). Dennoch blieb die Hein- richstadt zunächst ein eigenständiger Verwaltungsbezirk. Dies sollte sich erst we- sentlich später ändern. Die dominierende Struktur, die für Wolfenbüttel auch heute noch charakteristisch ist, ist schon auf der Karte der Festung von 1626 ersichtlich (Abb.2). Hier ist eine strenge Viergliederung der Stadt zu erkennen. Neben der stark befestigten Dammsiedlung (I.) und Heinrichstadt (II./III.) befinden sich mit dem Got- teslager (V.) und der Siedlung vor dem Mühlentore (VI.) zwei durch Wälle und Grä- ben geschützte Wohngebiete für die Bürger mittlerweile innerhalb des Festungsbe- reichs (siehe Abb. 8). Ziel dessen war es eine möglichst autarke, uneinnehmbare Festung zu schaffen (OHNESORGE 1974, S. 39).

Mittelpunkt der Anlage war zweifelsohne die Dammfestung (I.) mit ihrer Hofhaltung, dem Wirtschaftsbereich und dem gesamten Waffenarsenal. Die Heinrichstadt (II./III.) beherbergte zahlreiche Wohnungen sowie produzierendes Gewerbe. Mit dem Got- teslager (V.) plante der Herzog eine Handelsgroßstadt in Konkurrenz zu Braun- schweig, die der wirtschaftliche Knotenpunkt der Stadt werden sollte (BEUERMANN 1970, S. 70). Dahingegen hatte die Siedlung vor dem Mühlentore (VI.) mehr reprä- sentativen Charakter und galt als Erholungsgebiet der Obrigkeit. Vor allem im 17. Jahrhundert versuchten sich viele bekannte Architekten, unter ihnen z. B. auch Paul Francke, planerisch an zukünftigen Grundrissen der Wolfenbütteler Festung, insbe- sondere der Auguststadt, da in Folge des 30jährigen Krieges einige Um- und Wie- deraufbauten anstanden. Außerdem benötigte die Festung durch Zuzug weiterer Bürger ein größeres Siedlungsgebiet. Unter diesen Stadtplanern waren z. B. der her- zogliche Stadtbaumeister Johann Balthasar Lauterbach oder Cornelius v. d. Busch (Kommandant der Festung Wolfenbüttel und Ingenieur), die beide Vorschläge zur Optimierung des Entwurfes von 1626 machten (THÖNE 1968, S. 274f, S. 94).

Der 30-jährige Krieg hat selbstverständlich seine Spuren im Wolfenbütteler Stadtbild hinterlassen. So wurden nicht nur diverse Gebäude zerstört oder stark beschädigt, sondern er unterbrach das stetige Wachstum, welches die Stadt so lange ausge- zeichnet hatte. Auch hatten zahlreiche Überschwemmungen durch unzureichende Dammbefestigungen während des Krieges schwere Schäden an der Bausubstanz verursacht (OHNESORGE 1974, S. 50), die sogar bis in die heutige Zeit ihre Schä- den nach sich ziehen. Fast 30% der Gebäude war so schwer beschädigt worden, dass sie abgerissen werden mussten. Insbesondere hatten auch die Außenbezirke der Stadt gelitten, da dort stehende Gebäude, um ein freies Schussfeld zu haben, einfach abgerissen wurden. Gleichzeitig bedeutete dies aber auch, dass die alte Bausubstanz im Stadtzentrum weitestgehend erhalten geblieben war.

Das heutige, überwiegend noch erhaltene, Grundrissbild ist letztmals grundlegend in den ersten Jahrzehnten nach dem 30jährigen Krieg verändert worden. 1644 z. B. ließ der neue Herzog August der Jüngere einige Gebäude vor dem heutigen Schloss ab- reißen, um einen dem Residenzschloss angemessenen Vorplatz zu schaffen, der in seiner Form noch heute besteht. Auch in der Heinrichstadt gab es eine tief greifende Änderung. Hier übernahm das 1660 erbaute Herzogtor die Aufgabe des damals an der heutigen Trinitatiskirche gelegenen Kaisertores als zentralen Handelsweg Wol- fenbüttels (OHNESORGE 1974, S. 52f).

Im Jahr 1747 schließlich wurde das aus Heinrichstadt und dem Residenzbereich be- stehende Siedlungsgebiet einem gemeinsamen Rat unterstellt und ihm der Name Wolfenbüttel verliehen, so dass von diesem Zeitpunkt an offiziell von der Stadt Wol- fenbüttel gesprochen wurde.

Doch schon kurze Zeit später sollte Wolfenbüttel ein großer Bedeutungsverlust erei- len, denn Stück für Stück siedelte die fürstliche Familie samt Hofstaat nach Braun- schweig über, wobei das Jahr 1753 als offizielles Umzugsdatum genannt wird (AK- TIONSGEMEINSCHAFT ALTSTADT WOLFENBÜTTEL e. V. 2002, S. 19). Zwar blieb Wolfenbüttel der Status als zweite Residenz der welfischen Herzöge erhalten, dies konnte den Statusverlust der Stadt jedoch bei weitem nicht kompensieren. Dar- aus resultierte auch, dass wenig neue Gebäude gebaut wurden und vielmehr altes erhalten und nicht zu Gunsten von Neubauten zerstört wurde. Folglich war dieser Bedeutungsverlust für die Stadt damals zwar ein harter Schlag, ist aber heute dafür verantwortlich, dass so vieles an alter Bausubstanz die Jahre überdauert hat.

Die Bevölkerungszahlen gingen nach Abwanderung des Hofes innerhalb von 22 Jah- ren um 61% zurück (OHNESORGE 1974, S. 54). Es folgte eine lange Zeit der Stag- nation, weder änderten sich die Bevölkerungszahlen gravierend, noch war eine ü- bermäßige Bautätigkeit zu konstatieren.

Erst durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert gab es für die mittlerweile peri- pher liegende Stadt einen weiteren Entwicklungsanschub und einen deutlichen An- stieg der Bevölkerungszahlen, was bis Ende des 20. Jahrhunderts anhalten sollte. Zudem setzte verstärkt Bautätigkeit ein, denn zu Gunsten eines ebenen Siedlungs- raumes, der durch den Zuzug von Arbeitern nötig geworden war, wurden viele Wall- anlagen und Dämme abgetragen und neu bebaut (WESSEL 1970, S. 180).

Unterbrochen wurde die städtische Entwicklung dann von den beiden Weltkriegen, die zu kriegsbedingten Abwanderungen führten. Kurz vor Beginn des Zweiten Welt- krieges war die Bevölkerungszahl im Zuge der Errichtung der damaligen Reichswer- ke in Salzgitter (heute Salzgitter AG) im Jahr 1933 deutlich angestiegen, was die Be- deutung Wolfenbüttels als Wohnstadt noch einmal verstärkte. In den Jahren 1933 bis 1939 war daraufhin ein Bevölkerungszuwachs um gut 24% auf 24317 zu verzeich- nen.

Nachdem Wolfenbüttel im Zweiten Weltkrieg von Schäden überwiegend verschont geblieben war, erfolgten zahlreiche Eingemeindungen umliegender Dörfer, um weite- res Bauland zu erschließen. Dies lag darin begründet, dass zahlreiche, vor allem aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten stammende, Flüchtlinge in das Zonenrand- gebiet, in dem die Stadt nun lag, flohen.

Rund 10.000 Flüchtlinge waren dem Siedlungsgebiet zugeteilt worden und stellten die Stadtverwaltung vor die Aufgabe, für eben diese Menschen Wohnraum zur Ver- fügung zu stellen. Wirkliche Baumaßnahmen waren jedoch erst nach 1950 möglich, da vorher sowohl finanzielle Mittel als auch das notwendige Baumaterial äußerst knapp waren. Letztendlich finanziert wurde der Wiederaufbau über Kommunaldarle- hen und Gelder aus Bund und Ländern. Durch sehr günstige Baulandpreise konnte die Stadt Wolfenbüttel schnell Land im Südosten und Westen der Stadt erschließen (WESSEL 1970, S. 191f).

Nachdem die Wohnungsnot Mitte der 50er Jahre weitestgehend überwunden war, galt es die Infrastruktur der Stadt zu verbessern. Durch die Vielzahl neuer Wohnge- biete musste auch eine entsprechende Verkehrsanbindung gewährleistet werden. Ebenso fehlte es an Schulen, Krankenhäusern und Naherholungsmöglichkeiten für die Bürger. Insbesondere die Schulen hatten durch ihre Nutzung als Lazarette gelit- ten und mussten überwiegend grundsaniert werden. Folge dessen war unter ande- rem der Neubau des Schulzentrums an der Cranachstraße.

Nachdem diese kriegsbedingten Baumaßnahmen überwiegend abgeschlossen wa- ren, ging der Fokus der Stadtplaner mehr und mehr auf die Innenstadt, die aufgrund ihrer historischen Bausubstanz zum einen schützenswert, zum anderen aber auch dringend sanierungsbedürftig war. Dies rührte unter anderem daher, das viel Bauma- terial aus der alten Bausubstanz abgetragen worden war, um neue Bauten zu ermög- lichen. Zum einen musste nach dem Krieg versucht werden den Zustrom an Flücht- lingen mittels Neubauten und der damit verbundenen Schaffung von Wohnraum zu entsprechen. Zum anderen waren viele alte Gebäude in ihrer Fundamentstruktur durch die diversen Bombeneinschläge derart in ihrer Sicherheit herabgesetzt, dass eine umfassende Sanierung unabdingbar war, um weiterhin das Wohl der Bevölke- rung zu gewährleisten (STADT WOLFENBÜTTEL UND NEUE HEIMAT BREMEN 1980 S. 2f).

Gleichsam setzte sich auch in der Politik die Meinung durch, dass man der vermehr- ten Verwahrlosung der Innenstädte Herr werden müsse. Außerdem stellte die zu- nehmende Industrialisierung und Mechanisierung die Stadtplanung vor immer neue Aufgaben im Bezug auf Arbeitsvoraussetzungen, Wohnverhältnisse oder Bausub- stanz. Das 1971 verabschiedete Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) manifestier- te die Feststellung, dass Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen im öffentlichen Interesse liegen und deswegen auch durch öffentliche Mittel gefördert werden müs- sen. Von diesem Gesetz machte der Städtebau in Wolfenbüttel reichlich Gebrauch. Die finanziellen Mittel sollten unter anderem dazu dienen, städtebauliche Sanierun- gen an historischer Bausubstanz durchzuführen, die Gebäude in ihrer Struktur wei- testgehend zu erhalten, aber auch Modernisierungsaufträge durchzuführen, um den modernen Ansprüchen der Gesellschaft an die Gebäude gerecht zu werden. Ohne dieses Gesetz wäre eine umfassende Sanierung der in ganz Deutschland stark ver- nachlässigten Innenstädte überhaupt nicht möglich gewesen. Die Haushalte der betreffenden Bundesländer hätten einen derartigen monetären Aufwand nicht betrei- ben können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Denkmalgeschützte Häuser (rot markiert)

Quelle: MÖLLER, HANS-HERBERT 1983, S. 33

Und gerade in Wolfenbüttel sollte sich die Sanierung noch als wesentlich kostenin- tensiver darstellen, als man zunächst gedacht hatte. Denn hier muss- te die Sanierung kon- form zum Niedersäch- sischen Denkmalschutzgesetz (NDSchG) erfolgen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Typischer Fachwerkaufbau

Quelle: AKTIONSGEMEINSCHAFT ALTSTADT WOLFENBÜTTEL e. V. 2006, S. 28

Dieses Gesetz hält fest, dass das betref- fende Bundesland in öffentlichen Planungen und Durchführungen von Bauvorhaben (also auch bei umfassenden Stadtsanierungen) die Denkmalpflege und den Denkmal- schutz so einzubeziehen hat, dass die Kulturdenkmale erhalten und deren Umge- bung angemessen gestaltet wird (NDSchG § 2,3). Die jeweiligen Denkmäler einer Region sind in einem Verzeichnis gelistet, welches die staatliche Denkmalbehörde mit Hilfe der Gemeinden aufstellt und fortführt (DSchG § 4I). Betrachtet man Abb. 3, so stellt man fest, dass ein großer Teil der Gebäude der Wolfenbütteler Innenstadt unter Denkmalschutz steht (MÖLLER 1983, S. 31) und demnach nach dem NDSchG saniert werden muss. Grundsätzlich ausgeschlossen wird der Abriss denkmalge- schützter Bauten jedoch nicht. Möglich ist ein Abriss z. B. bei wirtschaftlicher Unzu- mutbarkeit oder bei einem übergeordneten öffentlichen Interesse. Auch von dieser Ausnahmeregelung wurde in Wolfenbüttel durchaus Gebrauch gemacht. Aber es be- steht hier die unmittelbare Verpflichtung einer genauen Untersuchung, bevor eine solche Maßnahme durchgeführt werden darf.

Nahezu genauso streng reglementiert sind bauliche Änderungen an Bau- denkmälern. Auch hier gelten als Recht- fertigungsgründe wissenschaftliche Er- forschung, öffentliches Interesse oder finanzielle Unzumutbarkeit, wenn man den Bau nach § 6 1,2 sanieren würde. Ebenso bedeutsam ist die Verpflichtung der Gemeinden der obersten Denkmal- behörde gegenüber, Baudenkmale wis- senschaftlich zu erforschen und der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu ma- chen.

Generell gilt, dass Denkmalschutz Län- dersache ist. Das heißt, dass der zu- ständige Minister und sein Ministerium (in Niedersachsen z. B. das Ministerium für Kultur und Wissenschaft) die oberste Instanz der Denkmalschutzbehörde dar- stellt. Da die früheren Bezirksregierungen mittlerweile aufgelöst wurden, ist der ü- berwiegende Teil der Aufgaben der Denkmalpflege der Kommune übertragen (in Wolfenbüttel u. a. in Form der Sanierungsstelle), das Ministerium führt jedoch die Fachaufsicht (NIEDERSÄCHSISCHER HEIMATBUND e. V. 2008, S. 21) und hat auch die abschließende Weisungsbefugnis.

Um die Komplexität altstädtischer Restaurationen kurz darzustellen, sei an dieser Stelle exemplarisch auf die Besonderheiten einer solchen Bausubstanz und deren Entstehung eingegangen, die in ihrer Form so nicht nur in Wolfenbüttel besteht.

Traditionell sind in Deutschland viele Städte mit alter Bausubstanz, so sie nicht durch die Weltkriege zerstört wurde, durch engen Fachwerkbau gekennzeichnet. Als reprä- sentative Beispiele kann man neben Wolfenbüttel auch Goslar, Heidelberg oder Göt- tingen nennen. Der Begriff „Fachwerk“ wird mittlerweile generalisierend für eine histo- rische Holzskelettbauweise verwendet (AKTIONSGEMEINSCHAFT ALTSTADT WOLFENBÜTTEL e. V. 2006, S. 16). Die Zwischenräume (Gefache) des Holzske- letts werden mit Lehm und Flechtwerk verfüllt. Die Struktur eines typischen Fach- werkbaus zeigt Abb. 4. Als Anstrich wurde im Spätmittelalter (1400-1550) vorwiegend auf schwarz zurückgegriffen, später auf leicht zu produzierende mineralische Farben wie z. B. rot, das durch Eisenoxid gewonnen wurde. Farbiger wird es in der Renais- sancezeit etwa ab 1600, in der das Rot verstärkt vorkommt und außerdem noch O- cker häufiger genutzt wird. Genau genommen wird die gesamte Fassadenfärbung komplexer und somit repräsentativer. Ebenso nehmen Ornamentierung und gemalte Arkaden oder Quader zu, zwischen Gefache und dem Holzskelett wird farblich deut- lich unterschieden. Nach dem 30-jährigen Krieg wurden die ehemals großen Hallen der Häuser teilweise aufgeteilt, um der wohnungssuchenden Bevölkerung ausrei- chend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Aufgrund wirtschaftlicher Not durch den Krieg wurde auch der Wohnungsbau weniger aufwendig gestaltet. Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert setzte sich in West- und Mitteleuropa das Verputzen des Fach- werks durch, wobei der Hinweis, dass dies dem Feuerschutz diene, wohl eher vorge- schoben war und dieser Stil doch vielmehr dem Geschmack der Zeit entsprach (AK- TIONSGEMEINSCHAFT ALTSTADT WOLFENBÜTTEL e. V., 2006, S. 22).

Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden viele Baustile aus den vorangegangenen Jahrhunderten entlehnt, abgewandelt und den Ansprüchen angepasst (Historismus). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich erstmals das Bestreben nach einem allgemeinen Denkmalschutz. Es manifestierte sich die Meinung, dass es im Interesse der Bürger liege, das gewachsene Stadtbild zu erhalten und es nicht durch eine zu- nehmende Anzahl historisch angelehnter Neubauten zu verschandeln. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges erlosch jedoch zunächst dieses Interesse wieder, in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg war das Geld ebenfalls zu knapp, um die alten Bausub- stanzen zu sanieren, nur einfache Putzbauten wurden in dieser Zeit geschaffen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte zunächst das Geld, um umfangreich zu sanieren. Viele Gebäude aus der Gründerzeit waren baufällig und wurden ohne große Wider- stände abgerissen, um Platz für Neubauten zu schaffen. Zudem wurden die hohen Kosten gescheut, die eine Sanierung mit sich bringt.

Dennoch setzte sich Anfang der 70er Jahre das Selbstverständnis durch, dass zu einer Kulturnation, als welche sich Deutschland versteht, auch das Bekenntnis zu den Zeugnissen der Geschichte gehöre (PESTEL 1981, S. 9). Aus dieser allgemei- nen Aussage entstand das schon beschriebene Denkmalschutzgesetz, welches in hohem Maße in Wolfenbüttel Anwendung findet.

Die enormen Kosten für altstädtische Sanierungen lassen sich anhand der alten Bau- substanz in Kombination mit den Bedingungen, die das NDSchG stellt, erklären. Bei der Sanierung eines Fachwerkhauses kommt es häufig, wie es auch in Wolfenbüttel vielfach der Fall war, zu einer kompletten Entkernung einzelner Geschosse, wenn diese durch Feuchtigkeit, frühere Brände oder einfach falsch verwendetes Material geschädigt sind. So ist Eichenholz, das als extrem witterungsbeständig und massiv gilt, auch nach mehreren hundert Jahren noch solide. Nadelhölzer jedoch können Feuchtigkeit weniger gut trotzen und sich verdrehen, so dass diese Stützbalken im Sanierungsfall komplett ausgetauscht werden müssen. Das kann im Einzelfall über 100 Balken pro Haus betragen (PELZ 2006, S. 88).

Genauso gefährlich wie teuer können instabile Fundamente sein. Oftmals wurde Bauschutt mit in den Untergrund eingearbeitet, so dass bei einer Entkernung und neuem Ausbau des Hauses das Fundament den neuen Belastungen nicht standhal- ten kann. Marode Sandsteinfundamente können ebenso zum Problem werden und werden zwangsläufig im Zuge einer Restaurierung erneuert (PELZ 2006, S. 90).

Zudem werden die Kosten durch das NDSchG noch weiter nach oben gedrückt, denn es verlangt eine möglichst genaue farbliche Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Zentral sind hier die Begriffe „Materialgerechtigkeit“ und „Werkstofftreue“. In Zeiten moderner Bauweisen sind diese Materialien selbstverständlich teurer als schnöder Zement. Ebenso kostenintensiv ist die Erforschung früherer Farbgebungen von Gebäuden – wissenschaftliche Recherche in Stadtarchiven ist hier unerlässlich (PESTEL 1981, S. 53).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Zeughaus Wolfenbüttel

Quelle: http://www.wikipedia.de/

Teilweise kann das NDSchG auch kontraproduktiv einer Sanierung entgegenwirken, insbesondere wenn das Gebäude wegen Nutzungsänderungen im Innenraum um- gestaltet werden soll. Denn eine Sanierung lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn im Anschluss daran eine angemessene Nutzung gesichert ist (NDSchG § 9). Dieses sicherzustellen ist nicht zuletzt Aufgabe der zuständigen Kommune (PESTEL 1981, S. 73). Generell gilt, dass die Denkmalsubstanz am ehesten geschützt wird, wenn eine ähnliche Nutzung wie beim Bau des Gebäudes angestrebt wird, da dann an der Bausubstanz wenig geändert werden muss, das NDSchG also nicht limitierend wirkt. Als positives Beispiel sei hier kurz das Wolfenbütteler Zeughaus genannt (Abb. 5). War es früher vorwiegend Lagerstätte für die Munition und Waffen der herzoglichen Soldaten, so ist es heute Lagerstätte vieler Bücher aus der angrenzenden Herzog- August-Bibliothek. Die praktische Nutzung als „Lagerhaus“ wurde demnach beibehal- ten, die Bausubstanz über die Jahrhunderte erhalten. Durch eben diese Nutzung konnten auch die hohen Sanierungskosten des Gebäudes gerechtfertigt werden. Gleichwohl Wolfenbüt-tel wie erwähnt von den Weltkriegen relativ verschont geblieben ist, setzte sich zu Be- ginn der 70er Jahre in Wolfenbüttel immer mehr die Meinung durch, dass eine um- fassende Stadtsanie- rung unumgänglich sei. Mit angeschoben durch nicht unerheblichen Druck aus der Bevölkerung, hatte der Rat der Stadt 1973 Vorbereitende Untersu- chungen für eine Stadtsanierung beschlossen, aus welchen eindeutig die Sanie- rungsbedürftigkeit Wolfenbüttels hervorging.

II. SANIERUNG IN WOLFENBÜTTEL – GRUNDLAGEN UND PLANUNG

1. Vorbereitende Untersuchungen

Um die oben beschriebene, gewachsene Altstadt Wolfenbüttels auch langfristig zu erhalten, war eine umfassende Altstadtsanierung notwendig. Diese Notwendigkeit ergab sich jedoch nicht nur aus Stadterhaltungs-, sondern vor allem aus gesell- schafts- und wirtschaftspolitischen Gründen. Grundsätzlich genügten gerade alte Städte von ihrer Struktur her nicht mehr den Anforderungen, die an sie gestellt wur- den und auch heute noch gestellt werden. Die technischen und sozialen Strukturen alter Städte müssen vielfach verändert werden, um dem heutigen Nutzungsprofil zu entsprechen. Handel und Gewerbe galt es zudem zu stärken und aus der Histori- schen Innenstadt heraus Impulse zur wirtschaftlichen Expansion zu geben (STADT WOLFENBÜTTEL UND NEUE HEIMAT BREMEN 1980, S. 2). Dies galt in hohem Maße auch für das Wolfenbüttel der 70er Jahre.

Diese Aufgabe zu bewältigen, erwies sich jedoch ohne finanzielle Hilfe sowohl des Landes Niedersachsen als auch des Bundes als unmöglich. Deswegen beschloss der Rat der Stadt Wolfenbüttel am 08.10.1973 Vorbereitende Untersuchungen ge- mäß § 4 Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) in Auftrag zu geben, um so an die nötigen Fördermittel des Landes und des Bundes zu gelangen (BÖS- MANN/MEHLDORN 1976, S. 9).

Selbstverständlich haben Vorbereitende Untersuchungen noch andere Ziele als die finanzielle Deckung der bevorstehenden Sanierungsvorstellungen. Vielmehr stellen diese Untersuchungen die Beurteilungsgrundlage zur Festlegung eines oder mehre- rer Untersuchungsgebiete (wie in diesem Falle) dar. Auch deswegen spalteten sich die Vorbereitenden Untersuchungen in Wolfenbüttel in mehrere Abschnitte auf.

Zunächst wurde, wie auch im StBauFG vorgeschrieben, eine Situationsanalyse durchgeführt, die den Nachweis der Sanierungsbedürftigkeit einzelner Gebiete erbringen sollte. Diese Aufgabe wurde am 27.08.1975 der Niedersächsischen Lan- desentwicklungsgesellschaft mbH (NILEG) übertragen, einer Tochtergesellschaft der damaligen Norddeutschen Landesbank (heute: Braunschweigsche Landessparkas- se). Hierbei wurde festgehalten, nicht nur auf die städtebauliche Lage zu achten, sondern auch die soziale und technische Infrastruktur mit einzubeziehen. Aus dieser Analyse ergab sich die Zielplanung, die die zentralen Ziele der zukünftigen Entwick- lung des Altstadtbereichs festlegt. Eine umfangreiche Arbeitsklausur, die am 03.10.1975 mit Mitgliedern des Bauausschusses, der NILEG und einem Untersu- chungsbeirat (gewählt durch die Bürgerschaft) definierte schließlich ein Arbeitspa- pier, welches die Ziele der Sanierung eindeutig beschrieb und förmlich festlegte. Eine umfangreiche Befragung aller Nutzungsberechtigten der betroffenen Bauten bezog diese in diese Voruntersuchungen mit ein. Das städtebauliche Konzept schließlich beinhaltete den Vorschlag des Sanierungsgebietes sowie städtebauliche Lösungen in Bezug auf Verkehr, Bebauung und Nutzung. Im August 1977 waren die Vorberei- tenden Untersuchungen abgeschlossen. Die NILEG legte daraufhin dar, dass städ- tebauliche Mängel und erhebliche bauliche Missstände vorlagen, die durch folgende Maßnahmen zu beseitigen seien (STADT WOLFENBÜTTEL, SANIERUNGSSTELLE 1988, S. 6):

- Gebäudesanierung zur Verbesserung der Wohnqualität
- Beseitigung von Überbauungen im Blockinnenbereich zur Ver- besserung des Wohnumfeldes
- Um- und Ausbau von Straßen und Plätzen zur Erhöhung der Att- raktivität der Innenstadt

Nach Zusammenführung dieser Ergebnisse der Vorbereitenden Untersuchungen mit den Ergebnissen der Arbeitsklausuren der Bau- und Planungsausschüsse und des Untersuchungsbeirates in einem Arbeitsbericht ergaben sich folgende Leitthesen für die Sanierung. Diese leitete der Vorsitzende des Ausschusses, Prof. Dr. Paul Raabe, mit den Worten „Der alten Stadt eine Zukunft [geben]“ (HÄMMERLI 2005, S. 16) ein:

- Erhaltung des Stadtbildes

Dieser Punkt war über alle politischen Lager hinweg unstrittig. Wolfenbüttel besitzt einen unermesslichen Wert für die europäische Kulturgeschichte. Wie in kaum einer anderen Stadt spiegelt sich in ihr das Stadtbild aus der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts. Außerdem ist die geplante Anlage der Stadt (Dammfestung, Heinrichstadt, Auguststadt, Juliusstadt) weitgehend erhalten geblieben, da der Hof nach Braun- schweig gezogen war und somit der Anschub für Modernisierungs- und Neubau- maßnahmen fehlte.

- Verbesserung der Wohnverhältnisse

Abbildung 6: Sanierungsgebiet „Historische Innenstadt“

Quelle: STADT WOLFENBÜTTEL UND NEUE HEIMAT BREMEN 1980, S. 4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Altstadt sollte zu einem Wohngebiet mit modernen, angemessen ausgestatteten Wohnungen werden. Denn die kostenintensive Sanierung kann nur angemessen le- gitimiert werden, wenn die ortsansässige Bevölkerung an den Wohnort gebunden wird, eine langfristige Nutzung also gesichert ist. Dafür ist eine Modernisierung der veralteten Gebäude unabdingbar, entsprechen doch z. B. die sanitären Einrichtun- gen vielfach nicht dem heute üblichen Standard. Ebenso wird eine Verbesserung des Wohnumfeldes, zum einen durch verkehrsberuhigte Zonen, zum anderen durch Blockentkernung, angestrebt. Grundsätzlich wurde auch die Schaffung eines leis- tungsfähigeren Verkehrsnetzes beschlossen, die aber nur im weiteren Sinne zur In- nenstadtsanierung zu zählen ist.

- Erhöhung der Attraktivität der Altstadtbereiche

Das Nutzungsgefüge gilt als entscheidender Faktor für die Attraktivität einer Altstadt, einem Entmischungsprozess gilt es hier entgegenzuwirken, die Mischung von Han- del, Gewerbe und Wohnen anzupeilen. Hierbei soll auch die Blockentkernung helfen, indem auf den frei werdenden Flächen behutsam eine Erweiterung von Geschäften erfolgen kann, ohne die Entkernung damit selbst in Frage zu stellen.

Zudem wird in dem Abschlussbericht festgehalten, dass die Sanierungsmaßnahmen verstärkt innerhalb der Altstadt durchgeführt werden sollen, dass diese sozusagen höchste Priorität genießt (BÖSMANN/MEHLDORN 1976, S. 13-17).

Bereits gut zwei Monate später, am 07.11.1977, beschloss der Rat der Stadt Wolfen- büttel die Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes „Histori- sche Altstadt“. Dieses bestand aus den drei Teilgebieten Heinrich-, Julius- und Au- guststadt (siehe Abb. 6) und war mit 52,5 Hektar eines der größten jemals festgeleg- ten Sanierungsgebiete (HUESKE 2005a, S. 15). Der dafür notwendige städtebauli- che Rahmenplan war mittlerweile erarbeitet worden und galt speziell in den Gebie- ten, in denen kein detaillierter Bebauungsplan vorlag, als Sanierungsgrundlage. Als Sanierungszeitrahmen waren zunächst zehn Jahre angesetzt und die Neue Heimat Niedersachsen wurde als Sanierungsträger und Treuhänder der Stadt beauftragt (HÄMMERLI 2005, S. 16). Der gegenüber ist die Stadt jedoch weisungsbefugt, auch wenn der Neuen Heimat Niedersachsen wesentliche Teilleistungen der Stadtsanie- rung übertragen worden sind (STADT WOLFENBÜTTEL UND NEUE HEIMAT BRE- MEN 1980, S. 8f).

Dazu gehören unter anderem:

- die Erarbeitung von Vorschlägen für die Vorbereitung und Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen
- Vorgespräche mit Mietern, Pächtern und Eigentümern über e- ventuelle Sanierungsmaßnahmen zu führen
- Verhandlungen in Bezug auf Grundstückserwerb
- die Durchführung eines Sozialplans
- beratende Funktion gegenüber der Stadt bezüglich der Finan- zierung der Sanierung zu übernehmen
- die Erstellung von Kosten- und Finanzierungsübersichten
- die Verwaltung des Sanierungsvermögens als Treuhänder
- die Partizipation an der Öffentlichkeitsarbeit

Abbildung 7: Vorbereitung einer Sanierungsmaßnahme - Überblick

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gemeinsam mit der Sanierungsstelle der Stadt Wolfenbüttel, der die hoheitlichen Aufgaben, die verwaltungsinterne Abstimmung sowie die stadtplanerischen Leistun- gen obliegen, und die die Stadt bei der Ausführung der Sanierung vertritt, wurde im Jahr 1978 mit der Sanierung begonnen (STADT WOLFENBÜTTEL, SANIERUNGS- STELLE 1988, S. 6f). Eine schematische Aufstellung der Vorbereitungsphase einer Sanierungsmaßnahme ist in Abb. 7 dargestellt und orientiert sich vorwiegend an BGB §136.

Herauszustellen ist auch, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der Wolfenbütte- ler Innenstadt und somit auch des Sanierungsgebietes „Historische Innenstadt“ denkmalgeschützt im Sinne der § 3 (2) und § 3 (3) NDSchG ist. Dies hatte in der Fol- ge auch drastische Auswirkungen auf die tatsächlichen Kosten der auszuführenden Sanierungsmaßnahmen (MÖLLER 1983, S. 32). Auf diese Tatsache wird in der Fol- ge noch näher eingegangen.

Abbildung 8: Durchführung einer Sanierungsmaßnahme - Überblick

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beschlossen wird die Vorbereitungsphase einer Stadtsanierung stets durch die Sa- nierungssatzung, die das StBauFG verpflichtend vorschreibt. Diese beschreibt exakt das Sanierungsgebiet und weist auf Sanierungsbedürftigkeit nach StBauFG hin.

Ebenso streng reglementiert wie die Vorbereitungsphase einer Stadtsanierung ist auch die Durchführungsphase, die in den § 146-148 BauGB detaillierter beschrieben wird (Überblick siehe Abb. 8). Die Durchführung selbst umfasst die Ordnungs- und Baumaßnahmen innerhalb des festgelegten Sanierungsgebietes. In § 146 ist zudem festgehalten, dass der Bedarfsträger seine Zustimmung zur Baumaßnahme erteilen muss, es sei denn, es liegt ein starkes öffentliches Interesse an der Baumaßnahme vor oder das Gebäude befindet sich in öffentlichem Besitz. Außerdem wird festgehal- ten, dass es durchaus möglich ist, dem Eigentümer des Sanierungsobjektes die Baumaßnahmen ganz oder teilweise selbst zu überlassen. Speziell diese Art der Sa- nierung findet in Wolfenbüttel häufig Anwendung, da die Sanierung großer Gebäude- komplexe allein von der Stadt nicht zu finanzieren ist.

Im Anschluss werden verschiedene Ordnungsmaßnahmen je nach Notwendigkeit durchgeführt. Dazu gehören die Bodenordnung und der mögliche Erwerb von Grundstücken, der Umzug von Betrieben oder Bürgern, die Freilegung von Flächen durch eventuellen Gebäudeabriss und sonstige Maßnahmen, die zur Durchführung der Bau- oder Sanierungsmaßnahme notwendig sind.

Die darauf folgenden Baumaßnahmen bleiben den jeweiligen Eigentümern überlas- sen, soweit diese die zügige, zweckmäßige Durchführung gewährleisten können. Für gegebenenfalls notwendige Ausgleichsflächen (z. B. bei Eingriffen in die Natur, Flusslenkungen, etc.) muss jedoch die Gemeinde einstehen. Für die Sanierung alt- städtischer Bausubstanz ist insbesondere der § 148, 2, 1 bedeutsam, der Moderni- sierung und Instandsetzung als Teil der Baumaßnahmen festschreibt. Je nach Art der Sanierung sind aber natürlich auch Neu- oder Ersatzbauten sowie der Bau von Gemeinbedarfs- oder Folgeeinrichtungen möglich. Ebenfalls ist durch das Gesetz die Verlagerung oder Änderung von Betrieben möglich.

Handelt es sich um ein gänzlich in Privatbesitz befindliches Objekt, so ist der Sanie- rungsablauf nochmals ein anderer. Folgende Verfahrensschritte laufen in der Regel zwischen Bauherrn und Stadt ab (MAIBOM 2005, S. 29; BGB §144):

Abbildung 9: Ablauf eines privaten Sanierungsverfahrens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

§ 154 BauGB hält zudem fest, dass ein Eigentümer eines sanierungsbedürftigen Ge- bäudes zu Ausgleichszahlungen verpflichtet ist, da sein Grundstück und die sich darauf befindende Immobilie durch die Baumaßnahme eine Wertsteigerung erfahren und er durch öffentliche Fördermittel bei dieser Wertsteigerung unterstützt wird. Gleichzeitig ist es aber das Recht des Eigentümers, den Betrag als Tilgungsdarlehen abzuzahlen. Die Gemeinde kann im öffentlichen Interesse oder in Fällen unverhält- nismäßiger Härte von diesen Ausgleichszahlungen absehen.

Den Abschluss einer Sanierungsmaßnahme bildet immer die Satzungsaufhebung, welche erfolgt, wenn entweder sämtliche Sanierungen durchgeführt worden sind o- der sich die Sanierung als undurchführbar erweist (§ 162 BauGB).

2. Sozialplan und Bürgerbefragung

Um den Vorgaben des StBauFG § 180 gerecht zu werden, musste sowohl ein Sozi- alplan erstellt, als auch eine Bürgerbefragung durchgeführt werden.

Der Erstellung des Sozialplans vorangestellt wurde eine Sozialstrukturanalyse. Aus dieser hofften die Stadtplaner Schlüsse ziehen zu können, inwiefern die Bewohner zu Eigenleistungen zu bewegen waren. Insgesamt erwies sich die Sozialstruktur als relativ intakt, lediglich in den sanierungsbedürftigen Bereichen der Kleinen Kirchstra- ße, der Krummen Straße und der Neuen Straße/Okerstraße gab es einen deutlich erhöhten Anteil schlecht situierter Bewohner. Einige Gebäude in besonders schlech- tem Allgemeinzustand wurden zudem nur von ausländischen Bewohnern akzeptiert. So konnte in den sanierungsbedürftigsten Wohnbereichen ein erhöhter Ausländeran- teil festgestellt werden. Gleichzeitig stellte die Sozialstrukturanalyse fest, dass dieje- nigen Bewohner, die Wohneigentum besaßen, bereits Reparaturmaßnahmen durch- geführt hatten, wenn auch nicht durchgreifend und nachhaltig. Dennoch war der Wille zur Verbesserung der Wohnqualität in der Bevölkerung zu erkennen und wurde durch die Sozialstrukturanalyse bestätigt (STADT WOLFENBÜTTEL 1977, S. 27).

Auf Basis der Erkenntnisse aus der Sozialstrukturanalyse wurde nun ein Sozialplan erstellt. Solche Pläne sind durch das StBauFG vorgeschrieben, da durch Sanie- rungsmaßnahmen starke Eingriffe in bestehende Strukturen und persönliche Ver- hältnisse durchgeführt werden. Mit Hilfe der Pläne sollen nachteilige Auswirkungen für die Bürger schon in der Planungsphase analysiert werden und Strategien zu de- ren Vermeidung oder zumindest Verminderung erstellt werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 94 Seiten

Details

Titel
Konzept und Umsetzung der Altstadtsanierung Wolfenbüttel
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Geographisches Institut)
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
94
Katalognummer
V128962
ISBN (eBook)
9783640348794
ISBN (Buch)
9783640348312
Dateigröße
5878 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Altstadt, Wolfenbüttel, Sanierung, Stadt, Planung, Bauleitplanung, Flächennutzungsplan
Arbeit zitieren
Andre Sperlich (Autor:in), 2009, Konzept und Umsetzung der Altstadtsanierung Wolfenbüttel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128962

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