Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
1. INDUSTRIE 4.0
2. KLASSISCHER TAYLORISMUS
3. DIGITALER TAYLORISMUS UND DIE KONTROLLPOTENZIALE DIGITALISIERTER ARBEIT
4. VORAUSSETZUNGEN „DIGITAYLORISIERTER“ ARBEIT
5. DIGITALER TAYLORISMUS IM ONLINEVERSANDHANDEL - STABIL GENUG FÜR DIE ZUKUNFT?
6. FAZIT
LITERATUR:
Einleitung
Wirft man einen Blick in den Wirtschaftsteil jeglicher Zeitungen, stößt man immer wieder auf Schlagzeilen wie: „Ein Drittel aller Jobs durch Digitalisierung bedroht“ (Wilk 2021) oder „Arbeitsmarkt: Bis zu elf Millionen Arbeitsplätze: Kollege Computer könnte ein Drittel der Jobs übernehmen.“ (Specht 2021).
Eines der mittlerweile medial aufgeblasensten Themen im Bereich der Digitalisierung schmückt nicht mehr lediglich das Titelblatt unseriöser Boulevardzeitungen. Das Thema Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung ist in der breiten öffentlichen Diskussion längst ein Begriff. Gemeint ist damit der Verlust vieler Arbeitsplätze durch neue digitale Technologien. Mit dieser Annahme wird eine schon fast dystopische Zukunftshypothese aufgestellt, die eine bedrohliche Transformation der Arbeit prophezeit, in der die menschliche Arbeitskraft durch Maschinen und neue Technologien ersetzt wird.
In welcher Art und Weise diese Prognose eintreffen wird, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nur mutmaßen. Die Auswirkungen dieser Transformation entstehen nicht von heute auf morgen, sondern sind über einen langfristigen Zeitraum zu betrachten. Allerdings stellt sich in die Frage, ob schon heute Auswirkungen digitaler Technologien in der Arbeitsorganisation zu erkennen sind.
Das Augenmerk dieser Hausarbeit soll nicht darin liegen, einen spekulativen Blick auf die Strukturveränderung des zukünftigen Arbeitsmarkts zu werfen und Hypothesen aufzustellen, wie sich Arbeit in Zukunft grundlegend transformieren könnte. Vielmehr soll ein Beitrag über ein mögliches Phänomen, das durch die Digitalisierung der Arbeitswelt entstehen könnte bzw. schon entstanden ist, dargestellt werden.
Die Hausarbeit soll die besondere Ambivalenz zwischen digitalen Technologien und den daraus resultierenden Kontrollpotenzialen darstellen. Darauf aufbauend soll die konkrete Fragestellung diskutiert werden, ob durch das Voranschreiten der Digitalisierung in der Arbeitswelt und den daraus resultierenden Kontrollpotenzialen ein neuer digitaler Taylorismus entstanden ist.
Der Aufbau der Arbeit organisiert sich dabei folgendermaßen. Zuerst wird die Thematik „Industrie 4.0“ beschrieben. Neben der Begriffsdefinition soll dieses Kapitel die Ambivalenz zwischen Technisierung bzw. Digitalisierung und den daraus resultierenden arbeitssoziologischen Kontroversen näherbringen. Die nächsten beiden Kapitel dienen dazu, eine Idee über die theoretischen Aspekte des klassischen- und digitalen Taylorismus, zu erlangen. Außerdem wird die Kontroverse, inwieweit Kontrollpotenziale durch die Digitalisierung entstehen und genutzt werden, vertiefend diskutiert. Das anschließende Kapitel: „Voraussetzungen „digitaylorisierter“ Arbeit“ zeigt die Strukturen, die für das Durchsetzen eines digitalen Taylorismus notwendig sind, auf. Bevor in dem abschließenden Fazit diskutiert wird, inwieweit ein neuer digitaler Taylorismus vorhanden ist und wie sich dieser zukünftig entwickeln könnte, soll durch das Kapitel „Digitaler Taylorismus im Onlineversandhandel - Stabil genug für die Zukunft?“, die Grundlage für die Diskussion geschaffen werden.
1. Industrie 4.0
Die Industrie gilt in Deutschland als Motor für Stabilität, Wohlstand und das Wachstum der Volkswirtschaft. Der Begriff der digitalisierten Arbeitswelt fällt oftmals im Zusammenhang mit dem Begriff „Industrie 4.0“.
Bisher fehlt noch eine klare Definition. Steven (2018: 13) und Ittermann et al. (2015: 34) sind sich aber einig, dass sich „Industrie 4.0“ durch einen verstärkten Technologie- und Digitalisierungseinsatz, zur Steigerung der industriellen Produktion, kennzeichnet. Steven (2018:13) hebt zudem die enge Verknüpfung zwischen realen und virtuellen Daten hervor. Er fügt hinzu, dass durch die neuen digitalen Möglichkeiten ein fundamentaler Paradigmenwechsel in der Durchführung der Wertschöpfungsprozesse zu erwarten ist (ebd.: 15).
Das „4.0“ bezieht sich auf die vierte industrielle Revolution. Die Basis für diese Revolution bildeten die drei vorherigen industriellen Revolutionen. So entwickelte sich die Arbeitsstruktur, seit der ersten industriellen Revolution, mit der Einführung mechanischer Produktionsanlagen mithilfe von Dampfkraft, Ende des 18. Jahrhunderts, immer wieder neu. Das Voranschreiten arbeitsteiliger Massenproduktion, maßgeblich zu begründen durch den Gewinn elektrischer Energie, spiegelt die Charakteristik der zweiten industrielle Revolution wider. Die dritte industrielle Revolution ist durch den Einsatz von Elektronik und IT zu begründen, was zu einer weiteren Produktionsautomatisierung geführt hat (ebd.: 19).
Diese Entwicklungen bilden die Basis für die vierte industrielle Revolution. Wie bereits beschrieben, ist Nutzung der Digitalisierung ein wesentliches Kennzeichen der „Industrie 4.0“. Die technologischen Veränderungen zeigen sich insbesondere bei den Abläufen in der Produktionsfertigung und Logistik. So entstehen beispielsweise Möglichkeiten, Produktionsanlagen und Werkzeuge durch Chips und Sensoren miteinander zu verbinden oder virtuelle Netzwerke zu integrieren, die eine datengestützte online Überwachung zulassen (ebd. 22).
Zieht man einen Vergleich zu den vorherigen industriellen Revolutionen wird deutlich, dass sich die „Industrie 4.0“ nicht auf einzelne Bestandteile des Fertigungsprozesses beschränkt, sondern sich auf die gesamte inner- und zwischenbetriebliche Wertschöpfungskette auswirkt (vgl. Nicolai & Schuster 2018: 18).
Das Thema „Industrie 4.0“, führt in der Arbeits- und Wirtschaftssoziologie zu immer neuen Zukunftshypothesen und Diskussionen. In diesem Zusammenhang spitzen sich die Erwartungen, bzw. Befürchtungen immer weiter zu. Während sich auf der Seite der Optimisten und Befürworter idealisierende Zukunftshypothesen durchsetzen, zeigt der Trend bei vielen pessimistischen Beobachtern eher in die entgegengesetzte Richtung. Zwei geeignete Beispiele für diese Trends zeigen sich zum einen in der Diskussion darüber, ob durch die Technisierung viele neue Beschäftigungen geschaffen werden oder ob es gegenteilig zu enormen Substitutionseffekten führt. Zum anderen in der Diskussion darüber, ob die Technisierung zu neuen Freiheiten innerhalb des Arbeitsprozesses führt oder verschärften Anweisungs- und Kontrollstrukturen entstehen (vgl. Ittermann & Niehaus 2015: 40). Im weiteren Verlauf dieser Hausarbeit wird besonders auf die zuletzt genannten Themen eingegangen.
In diesem Zusammenhang soll im späteren Verlauf dieser Arbeit auf die Perspektiven der Beschäftigten mit ihrem unterschiedlichen Arbeits- und Leistungsniveau eingegangen werden. Weil die Untersuchung über die Veränderung der Qualifikationsanforderungen, durch „Industrie 4.0“, den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, soll konkret untersucht werden, welche Arbeiten von digitalisierten Arbeitskontrollen besonders bedroht sind oder zukünftig bedroht sein könnten. Bevor sich allerdings dieser Frage gewidmet werden kann, ist es notwendig herauszufinden was unter Taylorismus zu verstehen ist und inwieweit ein neuer Taylorismus durch den digitalen Fortschritt zu erwarten ist.
2. Klassischer Taylorismus
In diesem Teil soll es darum gehen zu klären, was unter „Taylorismus“ im Allgemeinen zu verstehen ist. Darauf aufbauend wird der Begriff des digitalen Taylorismus illustriert. Das Ziel ist es, die Merkmale des Taylorismus bzw. seiner Formen aufzuzeigen, um herauszufinden, ob ein Aufstreben dieser Strukturen durch einen neuen digitalen und technologischen Schub zu erwarten ist.
Der Begriff des Taylorismus leitet sich von dem Namen seines amerikanischen Erfinders, dem Arbeitswissenschaftler Frederick Winslow Taylor (1856-1915), ab. Taylorismus ist ein Sammelbegriff für betriebliche Rationalisierungsmaßnahmen und ein Synonym für extreme Arbeitsteilung (Marrs 2018: 479). Seine Hochzeiten erlebt der Taylorismus zwischen den 1940er und 1980er Jahren. Aktuell gilt der Taylorismus durch die voranschreitende Humanisierung und den technischen Fortschritt als überwunden.
Seinen Charakter zeigt der Taylorismus in der übertriebenen Orientierung an Leistung und der stark repetitiven, in Einzelvollzügen zerlegten, standardisierten Arbeit. Aus der Perspektive der Arbeiterinnen zeigt der Taylorismus seine unterdrückende Seite. Das ist unter anderem durch das Fehlen von Ermessensfreiheiten und intelligenten Arbeitsinhalten zu begründen. Gleichzeitig wird dadurch die notwendige Bedingung für eine intensive und einheitliche Produktion gebildet (vgl. Bonazzi 2014: 25). Die Erhöhung der Produktion und Leistungsfähigkeit der Arbeiterinnen und Maschinen bildet eines der Hauptziele des Taylorismus. Dieses Ziel soll durch die Zentralisierung und Rationalisierung von Weisungsbefugnissen innerhalb eines Unternehmens und durch eine vollkommene Transparenz der Kosten, Abläufe, Arbeitszeiten und -methoden erreicht werden (ebd.: 26).
Bonazzi (2014: 27-29) zitiert in seinem Beitrag Nelson (1975) der den Taylorismus als eine „Herrschaft der Vorarbeiter“ beschreibt. Der Grund liegt in der hierarchischen Struktur des Taylorismus. Bonazzi beschreibt die Struktur folgendermaßen: „Die gesamte Leitung des Produktionsprozesses wurde faktisch an mittlere Positionen in der Hierarchie überantwortet, die zumeist von Arbeitern besetzt wurden, während sich das Management darauf konzentrierte den Produktionsumfang extern auszuhandeln“ (ebd.: 30).
Diese Struktur führte dazu, dass den Vorarbeiterinnen Macht und Verantwortung in drei grundlegenden Bereichen zukam. Zunächst ist er/sie für die Produktionszahlen und Produktionsmethoden verantwortlich. Außerdem ermittelt er/sie die Arbeitskosten und die Arbeitsqualität der Arbeiterinnen und schließlich ist er/sie für die Anstellung und Kündigung der Arbeitskräfte verantwortlich. Insbesondere der letzte Bereich ist oftmals von Willkür und Korruption geprägt (vgl. ebd. 30).
Die Entwicklungen, die den Taylorismus in dieser Art und Weise vorangetrieben haben, sieht Bonazzi (2014: 27) unter anderem im technisch- und wissenschaftlichen Fortschritt, dem Größenwachstum von Industrieanalgen, dem Angebot für unqualifizierter, aber mobiler Arbeitskräfte und der Wahrnehmung eines expansiven Marktpotentials begründet.
Die Arbeitsbedingungen in Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten größtenteils positiv gewandelt. Insbesondere Arbeitnehmerinnen verfügen aktuell über Rechts- und Interessensvertretungen in Form von Gewerkschaften, die in den 1940er bis 1980er Jahren, in diesem Umfang nicht vorstellbar gewesen wären.
Nichtsdestotrotz zeigen einige Unternehmen, insbesondere riesige global Player, ausbeutende, kontrollierende und streng gewinnorientierte Rationalisierungsstrategien auf. Der neue technische Fortschritt in Form der Digitalisierung findet sich in weiten Teilen der Wirtschaft wieder und bietet Möglichkeiten weiterer Rationalisierung. Lutz (1992) legt nahe, dass eine breite Schicht der Arbeitskräfte durch die massive Verbreitung des Computers am Arbeitsplatz, von einem neuen computergestützten Taylorismus betroffen sein könnte oder sogar schon betroffen ist (vgl. ebd. 25).
In diesem Zusammenhang fällt häufig der Begriff des digitalen Taylorismus. Digitale Kontrollpotenziale, die durch die Digitalisierung von Arbeit entstehen, sind fest mit der Idee eines neuen digitalen Taylorismus verwoben. Aus diesem Grund findet die Erläuterung des digitalen Tay- lorismus unter besonderer Berücksichtigung der Kontrollpotenziale digitalisierter Arbeit statt.
3. Digitaler Taylorismus und die Kontrollpotenziale digitalisierter Arbeit
Das Voranschreiten der Digitalisierung ermöglicht es, die klassischen tayloristischen Prinzipien zu expansivieren und zu intensivieren. Durch die computergestützte Arbeitsweise können komplexe Tätigkeiten in einfache Aufgaben zerlegt werden. In diesem Zusammenhang kommt es häufig zu dem Vergleich mit einem „digitalen Fließband“.
Hinzukommt, dass sich tayloristische Prinzipien auf bisher nicht betroffene Berufsgruppen und Branchen übertragen lassen, weil beispielsweise diese Berufe zur Zeit des klassischen Taylo- rismus nicht existierten. Der Grund liegt in dem Strukturwandel von Arbeit und den erweiterten Kontrollmöglichkeiten. So erstreckt sich die Nutzung und Auswertung von arbeits- und personenbezogenen Daten auf jegliche Tätigkeits- und Qualifikationstypen, unabhängig von dem jeweiligen Status und kognitiven Niveau der Arbeiterinnen (vgl. Hirsch-Kreinsen 2020: 64). Betriebliche Kontrollen egal ob sie digital gestützt sind oder nicht, dienen häufig dazu, die Interessen der Arbeitgeberinnen durchzusetzen. Betrachtet man den Kontrollbegriff im Spannungsfeld des kapitalismusspezifischen Transformationsprozesses wird deutlich, dass die Interessen der Arbeitgeberinnen den Interessen der Arbeitnehmerinnen gegenüberstehen. Während die Arbeitgeberinnen eine möglichst hohe Arbeitsleistung aus der gekauften Arbeitskraft gewinnen wollen, zeigen sich die primären Ziele der Arbeitnehmer:innen in der Erhaltung ihrer Arbeitskraft und der Sicherung einer guten Lohn- und Leistungsrelation, sowie der Vermeidung von Belastungen und Disqualifizierungen (Marrs 2018: 474).
Eine besondere Ausweitung und Intensivierung zeigt der digitale Taylorismus, gegenüber der klassischen Variante, in den Möglichkeiten der engmaschigen Kontrolle von Arbeitsabläufen. Die neuen Möglichkeiten digitaler Kontrolle bilden den Grund dafür, weshalb in diesem Zusammenhang von Neotaylorismus die Rede ist.
Diese neuen Möglichkeiten zeigen sich in den digitalen Instrumenten, die den Arbeitgeberinnen durch den technischen Fortschritt zur Verfügung stehen. So ist die Nutzung von Prozess- und Arbeitsdaten zur Leistungskontrolle und Überwachung von Mitarbeiterinnen eigentlich kein neues technisches Instrument. Die weitreichenden systematischen Möglichkeiten der digitalen Datenerfassung und Auswertung haben allerdings dazu geführt, dass dieser Prozess auf einem neuen, höheren Erfassungsniveau stattfindet.
Digitale Assistenzsysteme ermöglichen es, eine größere Menge an Daten, als in der Vergangenheit, zu generieren und diese Daten anonymisiert, aber personenbezogen, zu rekonstruieren. Wie bereits dargestellt, begrenzt sich dieser Prozess nicht lediglich auf ein Arbeitsfeld, sondern ist prinzipiell auf alle Tätigkeits- und Qualifikationsniveaus, unabhängig von Funktion und Status der Arbeiterinnen, übertragbar (vgl. Apt et al. 2016: 47).
Der Einsatz digitaler Endgeräte verdeutlicht das Interesse an Daten und die daraus resultierenden Kontrollpotenziale. So führen Werkstattsteuerungssysteme, Tablets oder Wearables zweifelsohne zu einer Vereinfachung der Arbeit. Gleichzeitig eröffnen sie Kontrollpotenziale, indem das System detaillierte Informationen über Arbeitsinhalte und Arbeitsgeschwindigkeit lie- fert.-Neben der Dokumentation der geleisteten Arbeit werden in vielen Fällen anfallende Standort- und Bewegungsdaten der Arbeiterinnen dokumentiert und im Anschluss weiterverarbeitet (vgl. Faklenberg 2018: 65).
Diese Praktiken sind längst keine Theorie mehr. Am Beispiel von Amazon sollen mögliche Kontrollpraktiken konkretisiert werden. Berichterstattungen des ARD-Journals Panorama, von Oktober 2020, formulieren den Vorwurf, dass die Leistung der Mitarbeiterinnen in den Logistikzentren des globalen Onlineversandhandels Amazon permanent überwacht und kontrolliert werden. Die Ermittlung relevanter Arbeitsdaten erfolgt durch softwareverbundene Assistenzsysteme in Form von Wearables. Durch die Software können die Vorarbeiterinnen sekundengenau sehen, wenn Mitarbeiter:innen für wenige Minuten eine Pause machen (vgl. Fridrich & Jolmes 2020).
Recherchen der Gewerkschaft Verdi bestätigen diese Bedingungen in den Versandzentren Amazons. Verdi beschreibt den Arbeitsablauf als strikt, arbeitsteilig und hoch technisiert. So räumen Arbeiterinnen die Waren mithilfe eines Handscanners nach dem Chaos-Prinzip in die Regale ein (Stower), wieder andere entnehmen die Waren den Regalen (Picker), bringen sie dann zu denen, die sie verpacken (Packer), woraufhin andere die Pakete in Lastwagen von externen Zustellfirmen verladen (Dock oder Ship), die schließlich die Waren zu den Kundinnen bringen.“ (vgl. Apicella 2016: 15). Jeder dieser kleinteiligen Arbeitsprozesse, wird dokumentiert und kann im Anschluss digital nachverfolgt werden.
Verdi bestätigt zudem die besondere Rolle des/der Vorarbeiterin innerhalb der vertikal organisierten Hierarchie. In Einzelgesprächen wird zwischen den Arbeiter:innen und den Vorarbei- ter:innen über die individuelle Leistung gesprochen. Hier werden die Arbeiterinnen auf ihre Arbeitsdefizite, die durch den Algorithmus erfasst wurden, hingewiesen.
Führt man die Idee der Wearables weiter, wäre neben der Lokalisierung und Kontrolle von Bewegung auch die Messung von Körperfunktionen vorstellbar. Digitale Geräte sind in der Lage, anfallende Leistungs- und Bewegungsdaten aufzuzeichnen und ein individuelles Leistungsprofil in Echtzeit zu erstellen.
Natürlich lassen sich die Kontrollpraktiken, die in diesem Fall am Beispiel von Amazon dargestellt wurden, nicht pauschalisieren Falkenberg (2018) hält in seinen Forschungsergebnissen allerdings einige Aspekte fest, die alle Unternehmen gemeinsam haben.
So führt die Nutzung von Assistenzsystemen zu einer weiteren Standardisierung und Verdichtung kleinteiliger Arbeit. Konkret werden den Arbeiterinnen lediglich die nötigsten Informationen vorgegeben und explizite Anweisungen angezeigt. Die Arbeit wird durch diesen Prozess restriktiver und weiter taylorisiert (vgl. Falkenber 2018: 66). Weil den Arbeiterinnen durch die Assistenzsystem ein schnelleres und störungsfreieres Arbeiten ermöglicht wird, legitimiert sich die Dokumentation der Arbeitsweise durch die Akzeptanz der Beschäftigten (vgl. Evers et al. 2018: 18ff.).
Neben den Kontrollmöglichkeiten stellt Falkenberg allerdings auch fest, dass in vielen Betrieben wenig Interesse an der Aufzeichnung und Systematisierung von Leistungsdaten zu Kontrollzwecken besteht. Der Grund liegt in der Annahme, dass der ökonomische Nutzen dieser weitreichenden Kontrollen unklar bleibt und arbeitspolitische Konflikte gescheut werden.
Diese Annahme stimmt mit der Meinung überein, die sich in weiten Teilen der Wirtschaft durchgesetzt hat. So bestätigt Jeahrling die These, dass sich in der Personalführung ein gewisses Maß an Handlungs- und Entscheidungsspielräumen für Mitarbeiterinnen, besser eignet als eine exakte Vorstrukturierung und Fremdkontrolle durch das Unternehmen.
Jeahrlings Sichtweise beschreibt allerdings einen Standpunkt, der die Möglichkeiten des oben beschriebenen Technologieschubs noch nicht beinhaltet. In diesem Fall bezieht sie Stellung zu unvollständigen, fehlerhaften und zeitlich verzögerten Möglichkeiten der Prozesskontrolle. Durch die neuen digitalen Technologien ist es nun allerdings möglich, diese Unzulänglichkeiten zu überwinden (vgl. Jeahrling 2019: 3).
Detlef Gerst (2019) stellt diese Erkenntnisse und den Wandel der technologisch bedingten Kontrollpotentiale instruktiv dar: „Das Verhältnis von Beschäftigten und Aufsichtspersonal war in der Vergangenheit von weiten Spielräumen innerhalb des Kontrollverhältnisses geprägt. Die Vorgesetzten waren darauf angewiesen, ihre Beschäftigten dahingehend zu motivieren, ihre Leistung freiwillig zu korrigieren. Das Kontrollverhältnis der Vergangenheit war persönlich und von Vertrauen geprägt. Technologisch bedingt ist das Vertrauensverhältnis unpersönlich geworden und die Handlungsspielräume der Beschäftigten können durch Algorithmen überwacht werden. Zwar verfügen die Beschäftigten nach wie vor über Spielräume, der Algorithmus überprüft aber, wie die Beschäftigten ihren Spielraum konkret nutzen und ob dies den Interessen und Zielen des Unternehmens entspricht“ (vgl. Eisenmann & Ortmann 2019: 123ff.).
Dieses Kapitel hat aufgezeigt, dass die digitalisierte Arbeitsweise ein hohes Maß an Kontrollpotenzialen mit sich bringt. Betriebliche Kontrollen werden oftmals mit den Zielen und Interessen der Unternehmensführung an Gewinnmaximierung, begründet. Hier stellt sich die Frage, ob Arbeitskontrollen der einzige Weg sind, um Gewinne zu maximieren oder ob ein liberalisierter Umgang zielführender ist.
In diesem Zusammenhang steht die Aussage von Jeahrling, viele Betriebe seien auf die beschriebenen digitalen Kontrollmöglichkeiten nicht angewiesen, da der ökonomische Gewinn durch diese Kontrollen widersprüchlich sei, den Erfahrungsberichten der Arbeiterinnen über die Arbeitsbedingungen bei Amazon, gegenüber.
Im Weiteren wird diese Kontroverse weiter vertieft. Nun soll herausgefunden werden, ob sich Kontrollen auf jedes Arbeitsfeld gleichwirkend übertragen lassen oder inwieweit zwischen verschiedenen Arbeitsstrukturen differenziert werden muss. Es wird explizit auf die Frage eingegangen, wie sich Arbeiten bei denen digitale Kontrollmöglichkeiten genutzt werden, von den Arbeiten unterscheiden bei denen Digitalisierung augenscheinlich zu mehr Autonomie führt.
4. Voraussetzungen „digitaylorisierter“ Arbeit
Die bisherige Auseinandersetzung mit dem digitalen Taylorismus verdeutlicht die These, dass digitale Technologien eine bislang nicht realisierbare Optimierung von Taylors Prinzipien der Arbeitsvereinfachung und Arbeitskontrolle erlauben (vgl. Hirsch-Kreinsen 2017: 25). Aber gilt diese Annahme für jeden Arbeitsbereich? Oder anders gefragt, welche Strukturen müssen Betriebe und Berufe haben, um dem Anforderungsprofil digitalisierter Kontrolle gerecht zu werden?
Voraussetzung ist, dass die Betriebe ein hohes Einsatzniveau digitaler Technologien aufweisen müssen (vgl. Eisenmann & Ortmann 2019: 111). Ohne den Einsatz von Soft- und Hardware, Sensor- und Kommunikationstechnologien und weiteren technischen Assistenzsystemen, ist die Dokumentation spezifischer Arbeitsdaten in ausreichendem Maß nicht möglich.
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