Die zunehmende globale Vernetzung und die damit verbundenen Herausforderungen auf transnationaler Ebene haben in den letzten Jahren nicht zuletzt in Europa zu einem sicherheitspolitischen Umdenken im Hinblick auf neue Bedrohungsszenarien geführt, welches sich in der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) vom 12. Dezember 2003 niederschlägt. „Durch die zunehmende Öffnung der Grenzen seit dem Ende des Kalten Krieges ist ein Umfeld entstanden, in dem interne und externe Sicherheitsaspekte nicht mehr voneinander zu trennen sind.“ In diesem Zusammenhang stellt die ESS unter anderem fest, dass „[d]ie Energieabhängigkeit [...] Europa in besonderem Maße Anlass zur Besorgnis [gibt]. Europa ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur der Welt. Unser derzeitiger Energieverbrauch wird zu etwa 50 % durch Einfuhren gedeckt. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil ca. 70 % erreicht haben. Die Energieeinfuhren stammen zum größten Teil aus der Golfregion, aus Russland und aus Nordafrika.“ Die Erkenntnis begrenzter Ressourcen und der daraus resultierende Wettlauf um die Sicherung des Energiebedarfs der europäischen Volkswirtschaften sind heute Themen von höchster Brisanz.
Etwa ein Viertel der Öl- und Gasimporte der Europäischen Union kommen aus Russland, was das Land auf diesem Gebiet zum wichtigsten Handelspartner der EU macht. Deshalb liegt der Fokus dieser Arbeit auf dem Energielieferanten Russland. Spätestens seit dem russisch-ukrainischen Gasstreit wird die Zuverlässigkeit des Energielieferanten Russland in der Europäischen Union stark bezweifelt. Eine verbreitete Ansicht ist, dass die EU in hohem Maße von diesem Erzeugerland abhängig sei und dass diese Abhängigkeit die europäischen Staaten daran hindere, politische und soziale Defizite beim russischen Partner anzusprechen. Dabei wird oft vergessen, dass auch die Russische Föderation, etwa im Hinblick auf Öl- und Gasförderung, Transport und Export stark auf den europäischen Partner angewiesen ist.
Die zentrale Frage der vorliegenden Arbeit ist, ob eine völlige europäische Dependenz in energiewirtschaftlicher Hinsicht die Verhandlungsposition der Union gegenüber Russland deutlich einschränkt oder ob zwischen beiden Partnern lediglich ein symmetrisches, interdependentes Verhältnis besteht.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Bestimmung des energiewirtschaftlichen Verhältnisses EU - Russland
- 1. Die Interdependenztheorie nach Keohane und Nye
- 1.1 Entwicklung der Interdependenztheorien
- 1.2 Messbarkeit von Interdependenz
- 2. Energiepolitik der Europäischen Union
- 3.1 Fehlende energiepolitische Kompetenzen der Gemeinschaft
- 3.2 Der Energieaktionsplan 2007-2009
- 3.3 Energiepolitik im Vertrag von Lissabon
- 3.4 Beurteilung des Status quo europäischer Energiepolitik
- 4. Die Beziehungen zwischen der EU und Russland - Hindernisse und Realisierung der Stabilität
- 4.1 Das PKA als langjährige vertragliche Grundlage
- 4.2 Unzureichende Institutionalisierung der energiepolitischen Beziehungen
- 5. Russland als Energieexporteur
- 5.1 Russisches Öl und Gas
- 5.2 Alternative Koalitionen
- 5.3 Diversifizierung der Abnehmer
- 5.4 Russlands Bedürfnis nach Auslandsinvestitionen
- 5.5 Bewertung der Möglichkeiten und Grenzen russischer Energiepolitik
- 6. Aktuelle Energiesituation der EU
- 6.1 Der Energiemix der Europäischen Union
- 6.2 Die Energielieferanten der Europäischen Union
- 6.3 Bewertung der Energiesituation der EU
- 7. Alternativen zu Öl und Gas aus Russland
- 7.1 Diversifizierung des Energiemix
- 7.1.1 Kernenergie
- 7.1.2 Kohle
- 7.1.3 Biokraftstoffe
- 7.1.4 Weitere erneuerbare Energieträger
- 7.2 Diversifizierung der Lieferanten und Transportwege
- 7.2.1 Die BTC-Pipeline
- 27.2.2 Das Nabucco-Projekt
- 7.3 Bewertung der Alternativen zu Öl und Gas
- III. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Abhängigkeitsbeziehung zwischen der Europäischen Union und Russland im Bereich der Energieversorgung. Das Ziel ist es, herauszufinden, ob die EU in hohem Maße von Russland abhängig ist und ob diese Abhängigkeit die Verhandlungsposition der Union gegenüber Russland einschränkt.
- Die Interdependenztheorie nach Keohane und Nye
- Die Energiepolitik der Europäischen Union
- Die Beziehungen zwischen der EU und Russland
- Russlands Rolle als Energieexporteur
- Die aktuelle Energiesituation der EU und mögliche Alternativen zu russischen Energielieferanten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Bedeutung der Energieversorgung im Kontext der Europäischen Sicherheitsstrategie und stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Abhängigkeit der EU von Russland im Bereich der Energie.
Kapitel II beschäftigt sich mit der Interdependenztheorie von Keohane und Nye und deren Anwendbarkeit auf das energiewirtschaftliche Verhältnis zwischen der EU und Russland. Die Kapitel analysieren die energiepolitischen Kompetenzen der EU, das russisch-europäische Verhältnis und die Ressourcen Russlands als Energielieferant.
Kapitel III behandelt die aktuelle Energiesituation der Europäischen Union sowie die Möglichkeiten zur Diversifizierung des Energiemix und der Lieferanten, um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Energiepolitik, Interdependenz, Europäische Union, Russland, Energiemix, Diversifizierung, Abhängigkeit, Energieversorgung.
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- Martina Markert (Autor), 2008, Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung , Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129030