Das barocke Leben in der Spannung zwischen "memento mori" und "carpe diem"


Term Paper (Advanced seminar), 2006

56 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Das Barock
1.1 Der Begriff Barock
1.2 Der geschichtliche Hintergrund des Barocks
1.3 Das Weltbild im Barock
1.4 Das Sterben im Barock
1.5 Der Totentanz
1.6 Die Embleme

2 Die Barockmalerei
2.1 Das Stilleben
2.2 Vanitas-Symbolik im Stilleben
2.3 Fortuna
2.4 Vanitas-Stilleben
2.5 Gedeckte Tisch-Stilleben, Mahlzeiten-Stilleben
2.6 Blumen-Stilleben

3 Die Barockdichtung
3.1 Vanitas-Gedanke in der Barockdichtung
3.2 Neuorientierung in der deutschen Dichtung
3.3 Sprachgesellscha en
3.4 Die Lyrik im Barock
3.5 Das Theater im Barock
3.6 Der Roman im Barock

4 Die Barockmusik
4.1 Der Vanitas-Gedanke in der Barockmusik
4.2 Neuerungen in der Barockmusik
4.3 Die Oper im Barock
4.4 Claudio Monteverdi
4.5 Georg Friedrich Händel
4.6 Johann Sebastian Bach

Einleitung

Das Barock gilt als Zeitalter von Macht und Repräsentation. Auf den ersten Blick kennzeichnen pure Lebensfreude und überschwenglicher Weltgenuß diese Epoche. Erst auf den zweiten Blick zeigen sich deutlich Zweifel am irdischen Dasein, überall sind Zeichen von Tod und Jenseitsgedanken zu sehen und zu spüren. Die adlige Gesellscha sprüht nur so vor Leben einerseits, andererseits beschä igt man sich viel mit dem Tod und seiner eigenen Sterblichkeit. Die Einstel- lungen widersprechen sich völlig und scheinen sich zunächst auszuschließen. Geht das eine Verhalten aus dem anderen hervor, das Leben sehr bewußt zu genießen, es auszukosten in dem Bewußtsein, daß es endlich und vergänglich ist?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1 Vanitas-Motiv aus dem 18. Jhd.: Hinter der Maske der Schönheit, lauert der Tod

Die folgende Betrachtung soll diesem Phänomen auf den Grund gehen und anhand einiger Beispiele herausstellen, wie es zu diesem Widerstreit von Lebensfreude und Beschä igung mit dem Todesgedanken kam und wo es seinen Ursprung hat.

Welches Weltbild ha en die Menschen im Zeitalter des Barock? Glaubten sie an ein Leben nach dem Tod, an Fegefeuer, Hölle oder das jüngste Gericht? Welche Rolle spielte der Tod im Leben jedes einzelnen und in welchen Bereichen wurde das Thema Tod und Sterben besonders aufge- griffen- und warum dort? Trat das Phänomen in bestimmten Ländern besonders stark auf? Was ist der sog. „Vanitas-Gedanke“ und wie und wo äußerte er sich? Die Aufforderung „memento mori“ schwang überall mit. Was bedeutete sie genau und wie wirkte sie sich auf das Leben der Menschen aus?

In vielen Bereichen, wie der Mode und Architektur, herrschte Hochsaison. Die Menschen übertrump en sich, in prunkvolle Kleider gehüllt, auf rauschenden Festen in reichen Prachtbauten. Die Oper hielt Einzug in das gesellscha liche Leben, prunkvoll und grandios inszeniert. Doch die Geschichten aus der antiken Mythologie wie „Orpheus und Euridike“, wunderschön, herzzerreißend beginnend und tragisch endend, zeigten dem Zuschauer letztlich wieder seine eigene Schwäche und Sterblichkeit auf. In der Malerei begegnen ähnliche Phänomene, wunderschöne Stilleben mit kostbaren Gegenständen auf den reichgedeckten Tischen, gespickt mit Symbolen und Metaphern von Tod und Verderben. Auch in der Lyrik bestimmte das Thema des Todes die Zeilen und ermahnte den Leser stets an seine Endlichkeit zu denken.

1. Das Barock

1.1 Der Begriff Barock

Der Begriff Barock leitet sich von dem portugiesischen Wort „barocco“ ab, was soviel heißt wie „unregelmäßig“ und „seltsam geformt“1. Häufig wird „perola barocca“ mit unregelmäßiger Perle übersetzt. Barock als Kunstrichtung folgte auf die Renaissance und den Manierismus, er verbreitete sich ab der zweiten Häl e des 16. Jahrhunderts von Italien aus und überschwemmte Europa, ab 1600/1620 bis 1770/80, wobei die Zeit ab 1730 als Rokoko bezeichnet wird.

Im Zeitalter von Rationalismus und Au lärung war der Barock-Begriff stets negativ besetzt und stellte das Abweichende vom Standard dar. Die Formenvielfalt in ihrer extremen und o über- triebenen Art wurde als bizarr und seltsam empfunden. Erst in der zweiten Häl e des 19. Jahr- hunderts wurde der Barock-Begriff aus stilgeschichtlicher Sicht anerkannt und aufgewertet. Er war besonders von den zwei Kunsthistorikern Cornelius Gurli 2 und Heinrich Wölfflin 3 „ als eine der Renaissance gleichwertige Form künstlerischen Ausdrucks rehabilitiert worden “ 4. Der Schweizer Kunsthistoriker Wölfflin entwickelte 1915 in seinem Hauptwerk „ Kunstgeschichtliche Grundbe- griffe “ über den Vergleich von Werken der Renaissance mit Werken des Barocks fünf begriffliche Gegensatzpaare, mit denen er den Stil von Kunstwerken definieren wollte: Linear - Malerisch, Fläche - Tiefe, Geschlossen - Offen, Einheit - Vielheit, Klarheit - Unklarheit/Bewegtheit.

Sein Barock-Begriff wurde akzeptiert und manifestierte sich auch bald in den Werken der Musik, Kultur- und Literaturhistoriker. So übertrug z.B. der Literaturhistoriker Fritz Strich (1882-1963) den Begriff auf die Barockliteratur5. Auch später wurde der Begriff Barock wieder aufgegriffen. Wenn dynamische, schwungvolle Formen auf formlose strenge Stilphasen folgten, bezeichnete man diese als barock: Als Beispiel gelten das spätrömische Barock6. Gegen Ende des 17. Jahrhun- derts tauchten die Ornamente und Verzierungen des Barocks besonders auf Möbeln auf.

Andere Forscher stützten sich auf die religiösen Aspekte, etwa was den Umgang mit dem Tod betri , um den Kunststil Barock zu definieren.

1.2 Der geschichtliche Hintergrund des Barocks

Um das im Barock gespaltene Weltbild der Menschen zu verstehen, muß man sich zunächst den historischen Hintergrund und das damalige Weltgeschehen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert bewußt machen. Die Reformation, d.h. die Abspaltung der Protestanten von der katholischen Kirche, und die Gegenreformation führten in Deutschland zum Dreißigjährigen Krieg (1618-48) und so kam es zu einem regelrechten Krä emessen der Großmächte um das Gleichgewicht in Europa. Dadurch geriet der Hauptschauplatz Deutschland auf einen wirtscha lichen und kul- turellen Tiefpunkt. Das Land war zerrü et und nur knapp ein Dri el der deutschen Bevölkerung ha e den Krieg überlebt. Zusätzlich wurden viele der Überlebenden durch Krankheiten und Seuchen, allen voran die Pest, dahingera .

Aufgrund der verzweifelten Lage im eigenen Land orientierten sich die deutschen Fürsten an Frankreich, dem Zentrum absolutistischer Macht und Repräsentation. Von dort übernahm man den Gedanken einer von Go gewollten Ordnung, geregelt durch einen von Go gewollten alleinigen Herrscher zur Disziplinierung des Volkes (Go esgnadentum). Er regierte losgelöst von den Gesetzen „ legibus absolutus “ und hob die Anfänge einer Gewaltenteilung in Exekutive, Legis- lative und Judikative zu seinen Gunsten auf und vereinigte alle Gewalten in seiner Person. Der Absolutismus basierte o auf der Koalition des Königs mit dem Bürgertum zur Zähmung des Geburtsadels. Die Macht lag nun nicht mehr beim Adel, sondern mehr beim “selbstbewußten aristokratischen Mann“ (höfische Beamte, Offiziere, Würdenträger); er übernahm die Gesell- scha sführung und präsentierte sein neues Selbstbewußtsein in allen Lebensbereichen in form- vollendeter Weise.

So kam es auch in Deutschland zum Territorialabsolutismus, d.h. Territorialfürsten versuchten, sich immer mehr Rechte zu verschaffen. Der Staat nahm immer mehr Einfluß auf das wirtscha - liche und gesellscha liche Leben in allen Bereichen, also auch in der Bildung, Erziehung und Kirche. Innere Konflikte, wie Bauernkriege, Juden- und Hexenverfolgung erschwerten zusätzlich die Lage im deutschen Reiche7.

Ludwig der XIV. (1638-1715), absoluter Alleinherrscher über Frankreich wurde zum großen Vor- bild in Europa. Er ließ seiner Vorstellung entsprechend Künstler einstellen und Au ragsarbei- ten ausführen, wodurch der sog. „ Louis-quatorze-Stil “ geprägt wurde 8. Die Kunst wurde zur öffentlichen Angelegenheit gemacht und zu Repräsentationszwecken eingesetzt, zur Demons- tration und Bestätigung des Machtanspruches. In der Baubranche herrschte ein regelrechter Boom: Barockschlösser und Kirchen wurden nach französischem Vorbild (besonders Versailles) in den deutschen Territorialstaaten errichtet (zum Beispiel Schloß Nymphenburg in München). Versailles stand als Sinnbild für die Macht und Bedeutung seines Besitzers. In dem Schloß und seinen riesigen Gartenanlagen fand das höfische Leben in grandiosen Formen sta

1.3 Das Weltbild im Barock

Angesichts solcher Fakten läßt sich bereits der Zwiespalt der barocken Gesellscha erahnen. So war sie einerseits geprägt von enormer Machtfülle und entsprechender Repräsentation der Fürsten, andererseits von Armut großer Bevölkerungsschichten angesichts der vielen Abgaben, Kriege und Seuchen. Wenn der Mensch dem Tod in Form von Krieg oder Pest gerade noch ent- kommen war, lebte er einerseits in einem ständigen Todesbewußtsein, andererseits in einem daraus resultierenden extremen Hunger nach Leben. Der barocke Mensch fühlte sich nicht mehr wie in der Renaissance in einem in sich geschlossenen und einheitlichen Weltbild geborgen, es wurde gesprengt durch die neuen physikalischen, mathematischen und astronomischen Ent- deckungen. Aus der Erkenntnis, daß die Erde eine Kugel und nicht eine Scheibe ist (Kopernikus 9 ), ergaben sich völlig neue Perspektiven für den Menschen in damaliger Zeit. Das Weltall, und „was die Welt zusammenhält“ wurden erforscht, es ist der „ Beginn einer analytischen Naturfor- schung auf dem Hintergrund einer Gesamtschau, deren Spitze Go ist: Galilei, Kepler, Newton. “ 10 Galilei (1564-1642) bekam Probleme bei der Verteidigung der kopernikanischen These von einem heli- ozentrischen System, in dem die Erde um die Sonne als Mi elpunkt kreist11. Schon Kepler (1571- 1630) ha e zuvor versucht, das Prinzip der Bewegung der Himmelskörper herauszufinden, und damit eine Basis für Newtons Theorien geschaffen. Isaac Newton (1643-1727), schon wegen seiner Allongeperücke12 als Barockmensch erkennbar, Experte auf den Gebieten der Mathematik, Phy- sik und Astronomie, entdeckte, daß das Sonnenlicht aus Spektralfarben besteht, und stellte das Gravitationsgesetz auf, welches bisher unbekannte Phänomene erklärte, wie Ebbe und Flut.

Das Leben der Menschen im Barock basierte wie in der Zeit zuvor und später noch auf einer von Go gewollten Ordnung. Jedem Menschen war eine für ihn bestimmte Rolle im Leben zu gedacht. Sowohl dem Be ler, als auch dem König war ein Platz in der Welt zugeteilt. Um zu ver- hindern, Spielball des Schicksals zu werden und nur von Fortuna und Go es Gnade abhängig zu sein, gab es vereinzelte Versuche des barocken Menschen, seiner Lebenssituation Herr zu werden. Als Ausgangspunkt aller Erkenntnis wurde das Selbstbewußtsein zum Mi elpunkt des Denkens: „ cogito ergo sum - ich denke, also bin ich “. Diese Philosophie wurde von Ren é Descartes (1596-1650)13 formuliert, der damit dem Geist mehr Bedeutung verlieh als der Materie. Dem Menschen gelang es, das Äußere und Wahrnehmbare sehr wohl zu beeinflussen und zu formen: in Bereichen wie der Mode, Kunst, Musik und besonders der Architektur übertraf der Mensch sich selbst. Nach Außen hin herrschte vollkommene Einheit, und doch war der Mensch innerlich zerrissen, in dem ständigen Bewußtsein, sein Leben nicht bis in alle Ewigkeit weiterführen zu können. Seine eigene Sterblichkeit und den Tod aufzuhalten war er nicht im Stande. Das Innere re ete sich nach Außen in das Wahrnehmbare und Repräsentative.

Daher floß in allen Bereichen das Thema der Vergänglichkeit o unterschwellig, aber unweigerlich mit ein und läßt sich auch unter noch so großer Pracht und Herrlichkeit nicht verbergen. So wurde der Mensch stets auch in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, in der Kunst, Musik und Literatur an seine Sterblichkeit erinnert und ermahnt, das Leben, die Vorstufe des Todes, nach besten Vorsätzen zu gestalten.

1.4 Das Sterben im Barock

Das Thema „Tod“ beschä igte seit jeher die Menschheit und läßt sich in jeder Kultur von der Vorzeit ausgehend bis zur Gegenwart nachweisen. Während Tiere erst kurz vor ihrem Tod ihr Ableben zu erahnen scheinen, ist der Mensch das einzige Wesen, das sich längerfristig reflektierend seiner eigenen Sterblichkeit bewußt ist. Und gerade diese Gewißheit des eigenen Todes prägte den Menschen des barocken Zeitalters nachhaltig und so intensiv, daß er sich schon zu Lebzeiten immer wieder mit dem Thema des Sterbens auseinandersetzte.

Aufgrund der Spaltung Europas durch die Reformation in zwei Lager, das der Katholiken und Protestanten, ent- standen auch differenzierte Blickwinkel in Bezug auf den Tod. Für alle Beteiligten war es aber wichtig, sich auf das eigene Sterben oder den Tod eines Familienmitgliedes durch Gespräche, Lieder und Gebete gut vorzubereiten. Demnach galt es als Ideal, im Kreise der Familie zu ster- ben. Alle Familienmitglieder mitsamt Geistlichen, ver- sammelt vor dem Totenbe , inszenierten den Tod als familiäres Ereignis. Mehr als in früheren Epochen ver- trauten die Angehörigen, besonders die Katholischen darauf, daß es eine irgendwie geartete Brücke zwischen Lebenden und Toten gebe. So sollten verlorene Seelen, die sich versündigt ha en, aus dem Fegefeuer durch Al- mosen, Gebete und Opfer gere et werden können. Die Darstellung des Ablaßkaufes ist auf vielen Kupferstichen zu entdecken: Abraham a Sancta Clara 14 setzte einen Engel mit einem Beutel voller Geld zur Ablösung einer Seele aus dem Fegefeuer beeindruckend in Szene:

Abb.2 Abraham a Sancta Clara,

Kupferstich: Ablaßkauf aus dem Fegefeuer

Die Reformation zielte darauf ab, allmählich entstandene Mißbräuche, wie das Erkaufen eines Ablasses der Sünden, und den Glauben an die Existenz des Fegefeuers zu kritisieren. Die Rolle der Kirche beim Sterben verlor an Bedeutung, und überschwängliche Trauer sowie die Inszenierung des Begräbnisses mit Pomp wurden abgelehnt.

Doch in allen Konfessionen herrschte eine Ideal- vorstellung des guten Sterbens vor, die sich in sog. Sterbebüchlein nach der Erfindung des Buchdruckes weit verbreitete. Diese Sterbebüchlein, auch artes moriendi 15 genannt, sollten sowohl Geistliche und als auch Laien unterstützen, sich am Sterbebe ange- messen zu verhalten. Die Aufgabe der Mönche war es, die Gläubigen an das Thema Tod heranzuführen und sie durch zahlreiche Bilder, Illustrationen und Stiche, die entweder als Vorbild oder zur Abschrek- kung dienten, zu disziplinieren. So beschrieb der Autor Romeyn de Hooghe (1645-1708) in seinem- Handbuch, was passieren würde, sollte einer der Angehörigen bei der Krankenwache einschlafen:

dann dringe der Teufel heimlich in das Sterbezimmer ein, um dem Sterbenden Glaubenszweifel einzureden 16.

Abb.3 Kupferstich: guter Tod

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Mi el der Abschreckung erwiesen sich als äußerst effektiv, da in Bildern und Texten eine Reihe von Vanitas-Motiven, Allegorien und Emblemen au auchten, die dem Tod ein erschreckendes Ge- sicht verliehen. Francis Bacon 17 formulierte zu dieser Thematik einen sehr treffenden Satz: „ Die Menschen fürchten sich vor dem Tod, sowie Kinder sich fürchten ins Dunkel zu gehen. “ 18 Das als eitel empfundene Leben wird als Vorstufe des Todes verstanden, dessen Ein- treten sich der Mensch, als einziger Sicherheit, in seinem Leben gewiß sein kann.

Abb.4 Kupferstich: schlechter Tod

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.5 Der Totentanz

Die aus dem Spätmi elalter bekannte Darstellung des personifizierten Todes, der die Menschen zum Tanz auf- fordert, erhielt Einzug in die barocke Bilderwelt in Form von Totentänzen. Mit diesen Darstellungen sollte dem Menschen bewußt gemacht werden, daß der Zeitpunkt des Sterbens o unerwartet eintri . Aufgrund der Un- sicherheit über die „ hora mortis “ (Sterbestunde), appel- lierte die katholische Kirche an jeden Einzelnen, sein Leben so zu führen, daß er dem Tod jederzeit guten Gewissens gegenübertreten konnte19. Eine solche Auf- forderung konnte keiner, ganz gleich welchen Ranges oder Standes, im Gegensatz zum Gesellscha stanz ab- lehnen. Der Tod unterscheidet nicht zwischen arm und reich, trotzdem läßt er eine gewisse Gerechtigkeit wal- ten, indem er dem Armen o gütiger gegenübertri als dem Reichen. Die geistlichen und weltlichen Standes- personen, deren sozialer Stand anhand der Kleidung und bestimmter Gegenstände erkennbar waren, wurden o in Reigenform oder in einer Tanzhaltung dargestellt.

Abb.5 Kupferstich nach Michael Rentz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Totentänze wurden auf Kirchen- und Friedhofsmauern, in Kapellen, Kreuzgängen und Beinhäu- sern dargestellt. An solchen Orten sollten die Angehörigen an die eigene Sterblichkeit erinnert und zu einer moralischen Lebensführung aufgefordert werden. Das Interesse der barocken Ge- sellscha an den Darstellungen von Totentänzen, die durch den gesteigerten Buchdruck auch unter das einfache Volk gebracht wurden, läßt sich mit der Unruhe und Unsicherheit des dreißig- jährigen Krieges und dem wiederholten Wüten der Pest erklären und findet sich als dankbares Motiv in zahlreichen Bereichen der Skulptur, Malerei, in Kupferstichen, in der Musik und Literatur wieder:

Der Hofprediger Abraham a Sancta Clara stellte als Oberhaupt der Totenbruderscha von St.-

Augustin eine Chronik über die Pestepidemie 1679 in einem 400 Seiten starken Buch zusammen, versehen mit acht beeindruckenden Kupferstichen, in denen er den „Tanz des Todes“ schilderte. Ein weiterer Zyklus von Totentänzen befand sich in der Loretokapelle in der Wiener Ho irche, die Abraham a Sancta Clara nach eigenen Entwürfen anfertigen ließ.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.6 Bleibacher Totentanz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.7 Bleibacher Totentanz, Fresko

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.8 Baseler Totentanz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.9 Totentanz, Kupferstiche

Der „ Baseler Totentanz “ von 1440 geht auf das Pestjahr 1439 zurück und befindet sich auf der Innenseite der 58 Meter langen Friedhofsmauer des Dominikanerklosters, die 1,50 Meter großen Figuren bildeten 37 Paare, die sta der üblichen 24 Standesvertreter normale Bürger zeigen.

Der Au raggeber des „ Bleibacher Totentanzes “ war vermutlich Johann Martin Schill, der als Kaplan des Waldkircher Sti es tätig war. Er ließ von einem unbekannten Künstler den Totentanz aus 34 Bildern in Öl im hölzernen Gewölbe des Beinhauses des Sti es anfertigen. Auffällig sind seine Mimik und Gestik des personifizierten Todes, mit der er dem Sterbenden gegenübertri . Einmal erscheint er fast gütig, ein anderes Mal gemein und zynisch. Ein weiteres Beispiel sind die Holzschni e von Holbein dem Jüngeren „ imagines mortis “ (1524), der den ernsten Darstellungen einen sozial- und gesellscha skritischen Charakter verleiht21, indem er den Reichen als bestechlich und den Armen als rechtschaffen darstellt und den Tod dem Richter seinen Richterstab fortnehmen läßt. Er stellt die Personen in einen realen Raum und nicht mehr vor einen neutralen Hintergrund dar. Die übliche Zweipaarung hebt er ebenfalls auf und stellt Szenen dar, in denen der Tod den Menschen im Alltag gegenübertri oder sich unbemerkt unter eine Gruppe mischt. Holbein betont das Diesseits und empfindet den Tod als natürliches Ende des Lebens.

Die Darstellungen des Totentanzes inspirieren bis heute die Künstler, die das Thema mit neuen Mi eln zu interpretieren und auf unsere Gesellscha zu übertragen versuchen. So schuf der Künstler Hap Grieshaber 22 1985 eine Neuinterpretation des Baselers Totentanzes in farbigen Holzschni en, in denen der Tod, Personen verschiedener Ränge, zum Tanz auffordert.

Abb.10 Hap Grieshaber, Totentanz-Basel

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Euker, Johannes (Hrsg.); Kunstlexikon; Frankfurt a. M.; Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co.; 1995; S.31

2 Gurli , Cornelius; * 1850; † 1938; deutscher Architekt und Kunsthistoriker, sächsischer Denkmalpfleger (Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler im Königreich Sachsen)

3 Wölfflin, Heinrich; *1864 in Winterthur; † 1945 in Zürich

4 Herzog Anton Ulrich Museum (Hrsg.): „Europäische Malerei des Barock, aus dem Nationalmuseum Warschau“; Limbach; Druckerei und Verlagshaus Braunschweig; 1988; S.19/20

5 <h p://www.fo-net.de/Schularten/Fachgymnasium/Aspekte/Texte/Epochen/Barock/haup eil_ barock.html> Hartmann, P.W.: „Barock- Das große Kunstlexikon von P.W. Hartmann“;

6 <www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_920.html>

7 Mende, Claudio: „Barock“; <h p://www.literaturwelt.com/epochen/barock.html> Hartmann, P.W.: „Barock- Das große Kunstlexikon von P.W. Hartmann“

8 <www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_920.html>

9 Kopernikus, Nicolaus; * 1473 in Thorn; † 1543; Astronom

10 Grabert, W.: „Geschichte der deutschen Literatur“; Bayrischer Schulbuch-Verlag; 1957; S. 109

11 Institut für Kommunikation und Kultur IKK: „Naturwissenscha und Technik im Zeitalter des Barock“; 2005; <h p://www.unikk.ch.pages/technik_text.htm>

12 Allongeperü>

13 Grabert, W.: „Geschichte der deutschen Literatur“; Bayrischer Schulbuch-Verlag; 1957; S.108

14 Abraham a Sancta Clara; * 1644; † 1709

15 Artes moriendi: die Kunst zu Sterben; parapluie 1997-2005: „Tod und Jenseits“; <h p://parapluie.de/archiv/sprung/tod/>

16 Wunderlich, Uli; Totentanzvereinigung: „Lebendiger Tod -Todesbilder im Barock“; <h p://www.totentanz-online.de/veranstaltungen/lebendiger-tod-text.htm>; letzte Aktualisierung: 05.01.2003

17 Bacon, Francis; * 1561 in London; † 1626 in London; englischer Philosoph

18 parapluie 1997-2005: „Tod und Jenseits“; <h p://parapluie.de/archiv/sprung/tod/>

19 Bloch, Michael: „Der Tod und sein Bild im 16. Jahrhundert; <h p://www.sfn.uni-muenchen.de/forschung/koerper/bkarb_de.html>

20 Wilhelm Weismann (1900-1980); <h p://www.vdkc.de/wtb/wtjbrges.htm>

21 Euker, Johannes (Hrsg.);Kunstlexikon; Frankfurt a. M.; Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co.; 1995; S. 339

22 Grieshaber, Hap: „Totentanz von Basel“; Harenberg; 1985; Einleitung

Excerpt out of 56 pages

Details

Title
Das barocke Leben in der Spannung zwischen "memento mori" und "carpe diem"
College
University of Applied Sciences Bielefeld
Grade
1,0
Author
Year
2006
Pages
56
Catalog Number
V129354
ISBN (eBook)
9783640356638
ISBN (Book)
9783668150195
File size
18659 KB
Language
German
Keywords
Leben, Spannung, Memento mori, carpe diem, Barock, Tod
Quote paper
Julia Heiduk (Author), 2006, Das barocke Leben in der Spannung zwischen "memento mori" und "carpe diem", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129354

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