Analyse und Interpretation des Theatertextes "Iphigenie Königskind" (1989) von Pauline Mol


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

I. Paraphrase und Leseeindruck

II. Charaktere - Analyse der dramatis personae

III. Werkimmanente Interpretation – Erkenntnisthese

IV. Textaufbau und Sprache

V. Hintergrund, Verweise und Themen

VI. Zur Autorin und zur Entstehung des Stücks

VII. Hermeneutische Interpretation

Quellenangaben

0. Einleitung

Die Geschichte der jungen Iphigenie ist in der Version des klassischen griechischen Dichters Euripides den meisten Erwachsenen zumindest aus der Schulzeit bekannt. Die holländische Autorin Pauline Mol hat mit „Iphigenie Königskind“ (1989) eine moderne Version des Stückes für Kinder geschaffen, empfohlen hat sie den Stoff für Erwachsene und Kinder ab zehn Jahren.

In meiner Hausarbeit bin ich für meine Untersuchung nach folgendem Schema vorgegangen:

I. Paraphrase und Leseeindruck
II. Charaktere – Analyse der dramatis personae
III. Werkimmanente Interpretation – Erkenntnisthese
IV. Textaufbau und Sprache
V. Hintergrund, Verweise und Themen
VI. Zur Autorin und zur Entstehung des Stücks
VII. Hermeneutische Interpretation

I. Paraphrase und Leseeindruck

In ihrer Bearbeitung hat Pauline Mol inhaltlich kaum Veränderungen vorgenommen: Iphigenie ist glücklich, denn sie soll ihren Vater Agamemnon besuchen. Grund dafür ist, so glauben sie und ihre Mutter Klytämestra, dass dieser einen zukünftigen Ehemann für seine Tochter gefunden hat. Die griechische Flotte unter Heerführer Agamemnon ist inzwischen auf dem Weg nach Troja. Agamemnon will die Entführung der Frau seines Bruders Menelaos, der schönen Helena, rächen und Helena zurückholen. Der geplante Krieg kann aber nicht beginnen, denn die Griechen sitzen wegen anhaltender Windstille auf Aulis fest. Um die Götter günstig zu stimmen verlangt Menelaos von Agamemnon, dass dieser seine Tochter Iphigenie auf dem Altar der Göttin Artemis opfert. Obwohl es dem Vater sehr schwer fällt, schickt er unter dem Vorwand der Heirat nach seiner Tochter. Agamemnon plagen jedoch Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung. Als er beschließt, seine Tochter nicht zu opfern, ist es schon zu spät: Iphigenie und ihre Mutter haben das Lager bereits erreicht. Die Soldaten sind ungeduldig und wollen endlich in den Krieg ziehen. Agamemnon ist schließlich zu schwach für einen Rückschritt. Seine Ehefrau Klytämestra fleht ihn an das Ganze zu überdenken und der junge Krieger Achilles – Iphigenies vorgeblicher zukünftiger Ehemann – will Iphigenie gegen das ganze Heer verteidigen. Iphigenie jedoch akzeptiert ihren Opfertod. Sie glaubt, dass sie es ihren Eltern schuldig ist, die immer das Beste für sie gewollt haben. Sie rechtfertigt die Entscheidung der Eltern und opfert ihr Leben aus Liebe und Dankbarkeit für die Ziele ihrer Eltern.[1] Gerettet wird sie durch die Göttin Artemis, die Menschen bekommen davon jedoch nichts mit.

Mols Stück ist bewegend und spannend; auch wenn man den Ausgang der Vorlage bereits kennt. Die Erwachsenenwelt wirkt teils sehr befremdlich, zunächst ist auch unnachvollziehbar warum Iphigenie sich opfert.

II. Charaktere - Analyse der dramatis personae

Bei ihren Charakteren und deren Zeichnung hat Pauline Mol ihren eigenen Stil sehr durchscheinen lassen. Am bedeutsamsten ist ihre Ergänzung der Figur Iphigenie, die sie in das heranwachsende Mädchen Iphigenie und „das Kind“ aufspaltet. Iphigenie ist die Hauptfigur des Stückes, durch sie kommt auch die Handlung in Gang, denn ihre Existenz sorgt dafür, dass ihr Vater vor der Entscheidung steht eine Tochter zu opfern. Das Kind ist neben erklärender Instanz für das Publikum auch ein Teil der Hauptfigur. Diese Spaltung der Figur der Iphigenie symbolisiert auch eine Zerrissenheit des Mädchens. Erklärt wird dies im Stück nicht, die Rechtfertigung der Existenz des Kindes wird gar heruntergespielt. Das Kind sagt:

meine Rolle ist nicht geschrieben
ich weiß nicht, wie das kommt
aber das macht nichts.
Ich bin trotzdem da.[2]

Die Zuschauer sehen zwei Figuren: Iphigenie und das Kind. Auf der Bühne selbst sieht aber nur Iphigenie das Kind, alle anderen Figuren nehmen dessen Existenz nicht wahr. Das Kind symbolisiert den Teil Iphigenies, der sich der Welt der Erwachsenen nicht anpasst, der Widerstand bietet. Es zeigt die Gefühle und auch das Unbewusste, dass sich im Seelenleben Iphigenies abspielt. Das Kind wirkt als „Mittler unverfälschten Wissens und dechiffriert die Scheinwahrheiten der Eltern“[3]. Iphigenie ist der Teil der Gesamtfigur, der sich den Erwartungen der Erwachsenen anpasst und sich ihren Wünschen beugt. Sie lässt sich unterdrücken, nimmt den Wahn ihrer Eltern in Schutz und opfert sich aus Liebe für sie. Im Laufe des Stücks nimmt sie immer mehr die Ideen und Ansichten ihrer Eltern an. „Immer wieder sucht sie bei sich die Schuld für den Streit der Eltern, übernimmt Verantwortung für deren Glück.“[4] Im Laufe des Stücks wird Iphigenie immer mehr Teil der Erwachsenenwelt, sie stellt nichts in Frage und ordnet sich unter. Die Differenz/Diskrepanz zwischen den Figuren Iphigenie und Kind ist bedeutsam für das Stück und die Beziehung der beiden zueinander prägt den Spannungsbogen des Theaterstücks. Die beiden behandeln einander sehr vertraut, das Verhältnis scheint zu Anfang sehr innig zu sein, es wird im Verlauf des Stücks schlechter, bis sich die beiden gegen Ende des Stücks fast vollkommen entfremdet haben. Grund dafür ist, dass das Kind die Fragen stellt, die Iphigenie nicht wagt zu stellen. Es konfrontiert Iphigenie mit Dingen, die ihr unangenehm sind, deshalb weist Iphigenie es ab. Durch diesen Kontrast wird klar: Das Kind bleibt seinen Gefühlen treu, Iphigenie hingegen verliert sich selbst. Um in der Welt der Erwachsenen akzeptiert zu werden und in sie zu passen lässt Iphigenie das Kind und damit einen Teil von sich selbst hinter sich. Im Laufe diese Prozesses wird das Kind „krank“[5] ; umso mehr sich Kind und Iphigenie entfremden, umso schlechter wird der gesundheitliche Zustand des Kindes. Am Ende des Stücks haben sich Kind und Iphigenie voneinander gelöst und die frühere Bindung zwischen den beiden scheint völlig durchtrennt. Diese Trennung muss jedoch nicht endgültig sein, denn am Ende sagt das Kind:

und nun warte ich
und wenn es siebentausendsechsundachtzig hundert
Millionen und achtundneunzig zehn dauert
das macht nichts
ich warte einfach
ich sterbe ja doch nicht
und eines abends oder eines morgens
und dann findet sie mich wieder
ich weiß nicht woher ich das weiß
aber ich bin ganz sicher.
[6]

Das Kind ist auch Erzähler der Geschichte, ihm zur Seite steht Iphigenie als Freundin, Spielkameradin und Gesprächspartnerin. Die Figur des Kindes steht außerhalb der Handlung, bedeutsam wird die Figur erst als das Kind sich kritisch gegen Iphigenie stellt. Es scheitert jedoch, denn Iphigenie weist jede Kritik an den Eltern und deren Entscheidungen und Maßstäben ab.

Mol zeichnet die Erwachsenenfiguren sehr kritisch: Die Eltern Iphigenies und ihr Onkel Menelaos sind selbstbezogen und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Die Ehe der Eltern ist nicht harmonisch, aber sie nehmen bei ihren Streitereien noch so viel Rücksicht auf ihre Tochter, dass sie sich auf Englisch beschimpfen – eine Sprache, die Iphigenie nicht versteht[7]. Klytämestra, ihre Mutter, weiß zunächst nichts von den Plänen des Vaters Iphigenie zu opfern, aber auch sie verhält sich seltsam. Ihre Reaktion auf das Erwachsenwerden der Tochter ist irritierend, so legt sie beispielsweise Iphigenies Begeisterung für das Heer des Vaters als (sexuelles) Interesse an den jungen Männern aus. Sie ist keine liebevolle Mutter, sondern eher die „zickig-frustrierte Ehefrau“[8].

Der Vater flüchtet vor seiner Tochter, um sich nicht mit seiner Entscheidung und dem Schicksal, dem er sie aussetzt, auseinander setzen zu müssen.

Agamemnon: Ich arbeite, Kindchen. Ich bin der König und muß mich um die Geschäfte kümmern.[9]

Agamemnon wirkt fahl und eitel – und gefühllos. Wenn ihn auch Gewissensbisse plagen, rückt er nicht von seiner vorher getroffenen Entscheidung ab. Zu wichtig ist ihm, was das Volk denkt. Schließlich vergisst er selbst nicht einmal eine Träne für seine Tochter, sondern gebietet dem Sklaven für ihn zu weinen. Agamemnon glaubt zu wissen, wer den Tod seiner Tochter will und wem er sich beugt:

Menelaos: Wer zwingt dich?

Agamemnon: Die Masse.

Griechenland selbst.[10]

Agamemnons Bruder Menelaos sieht sich selbst als Hauptgeschädigten und im Mittelpunkt der Handlung und glaubt deshalb auch Agamemnon zur Verantwortung ziehen zu können beziehungsweise ihn für seine Ziele verplanen zu können.

Menelaos: Ich habe die Rolle des Menelaos.

Die Geschichte dreht sich hauptsächlich um mich.[11]

Es scheint ihm bei der „Wiederbeschaffung“ seiner Frau vor allem darum zu gehen, seinen Ruf wieder herzustellen und sich für die Schmach zu rächen, die ihm angetan wurde. Von großer Liebe zu seiner Frau spricht er nicht. Außerdem betrachtet er es nahezu als selbstverständlich von seinem Bruder zu verlangen dessen Tochter zu opfern. Schließlich sieht jedoch sogar er ein, wie sinnlos und grausam seine Forderung ist:

Menelaos: diesmal gebe ich nach […]

Wir gehen zu weit […]

dein Kind, das müssen wir behalten.[12]

Der junge Soldat Achilles will Iphigenie heldenmutig retten, agiert jedoch eher orientierungslos und „tapsig wie ein Kind in den Schuhen eines Erwachsenen.“[13] Genau wie Iphigenie ist er noch zu jung, um die Welt der Erwachsenen voll und ganz zu verstehen. Er will als Held anerkannt werden, ordnet sich aber genau wie Iphigenie dem vermeintlichen Heiratsabkommen und den Wünschen der Erwachsenen unter. Selbst seine Rettungspläne sind unausgegoren und zeugen mehr von Übereifer, als dass sie einen Hoffnungsschimmer erkennen lassen.

Der alte Mann – im Skript auch als „Sklave“ bezeichnet – spielt eine untergeordnete Rolle. An Bedeutung gewinnt er als negativer Spiegel Agamemnons, der die Seite des Herrschers verkörpern soll, die Agamemnon selbst fehlt: das Herz und das Gefühl. Deutlich wird dies als Agamemnon ihm befiehlt für ihn zu weinen, weil er selbst nicht in der Lage dazu ist.

[...]


[1] In der Euripides-Fassung will das Mädchen aus patriotischen Gründen in den Tod gehen: für Hellas als Befreierin Griechenlands vor der Bedrohung durch die Barbaren.

[2] Iphigenie Königskind, Seite 6.

[3] Der Sklave weint. In: Frankfurter Rundschau, n.p.

[4] Ebd.

[5] Iphigenie Königskind, Seite 47.

[6] Iphigenie Königskind , Seite 64.

[7] Iphigenie Königskind , Seite 30.

[8] Das Drama des folgsamen Kindes. In: Applaus, n.p.

[9] Iphigenie Königskind , Seite 20.

[10] Iphigenie Königskind., Seite 26.

[11] Ebd., Seite 3.

[12] Ebd., Seite 25.

[13] Ein Kreidekreis als Auge des Orkans. In: Rotenburger Rundschau, n.p.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Analyse und Interpretation des Theatertextes "Iphigenie Königskind" (1989) von Pauline Mol
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V129706
ISBN (eBook)
9783640362783
ISBN (Buch)
9783640363148
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pauline Mol
Arbeit zitieren
Magistra Artium Katharina Kullmer (Autor:in), 2007, Analyse und Interpretation des Theatertextes "Iphigenie Königskind" (1989) von Pauline Mol, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129706

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