Sequenzbeschränkungen der spanischen Klitika


Thesis (M.A.), 1999

103 Pages, Grade: sehr gut


Excerpt


Inhalt

1. EINLEITUNG
1.1 THEORETISCHER RAHMEN
1.2 BEGRIFFSKLÄRUNGEN
1.3 ENTWICKLUNG DER SPANISCHEN KLITISCHEN PRONOMINA
1.3.1 LATEIN UND SPANISCH
1.3.1.1 Pronomina der 1. und 2. Person
1.3.1.2 Pronomina der 3. Person
1.3.1.3 Stellung der Klitika
1.3.2 SPANISCHE KLITIKA IM MITTELALTER
1.4 KLITISCHE PRONOMINA IM HEUTIGEN SPANISCH
1.4.1 DAS INVENTAR
1.4.1.1 Pronomina der 1./2. Person
1.4.1.2 Pronomina der 3. Person
1.4.1.2.1 Leísmo, laísmo, loísmo
1.4.2 KLITIKA ALS BÜNDEL MORPHOLOGISCHER MERKMALE
1.4.3 FUNKTIONEN DER KLITIKA
1.4.3.1 Klitika und Argumente
1.4.3.1.1 Subjekt
1.4.3.1.2 Objekte
1.4.3.1.2.1 Direktes Objekt
1.4.3.1.2.2 Indirektes Objekt
1.4.3.2 Andere Funktionen
1.4.3.2.1 Inhärente Klitika
1.4.3.2.2 Adressor-Klitika
1.5 EIGENSCHAFTEN VON KLITIKA
1.5.1 AFFIX - KLITIKON - WORT
1.5.2 KLITIKA ALS ‘OBJEKTIVE KONJUGATION’
1.5.3 ARGUMENTE GEGEN DEN FLEXIONSAFFIXSTATUS SPANISCHER KLITIKA

2. KLITIKA IM CLUSTER
2.1 DATENLAGE
2.2 BISHERIGE LÖSUNGSANSÄTZE
2.2.1 SYNTAKTISCHE DERIVATIONEN
2.2.1.1 Phrasenstrukturregeln
2.2.1.2 Klitika in neueren syntaktischen Ansätzen
2.2.2 OBERFLÄCHENFILTER FÜR CLITIC CLUSTER
2.2.3 MORPHOLOGISCHE TEMPLATES
2.3 KLITIKA IN DER OPTIMALITY THEORY
2.3.1 WARUM ERSCHEINEN ÜBERHAUPT KLITIKA?
2.3.2 FAITHFULNESS
2.3.2.1 Klitisches Inventar - Constraint-System
2.3.3 EXKURS 1: LEÍSMO UND LAÍSMO
2.3.4 LINEARE ABFOLGE DER KLITIKA
2.3.4.1 Align-Left
2.3.4.1.1 Zwei dritte Personen
2.3.4.1.2 Das Problem mit se
2.3.4.2 Align-Right
2.3.5 EXKURS 2: ME SE-DIALEKTE
2.3.6 KOMBINATIONSBESCHRÄNKUNGEN
2.3.6.1 Spanische se-Ellipse
2.3.6.2 Weitere Konsequenzen aus Antihomophony (* XX)
2.3.6.3 Die ‘spurious se’-Regel
2.3.6.3.1 Zweiersequenzen
2.3.6.3.2 Dreiersequenzen
2.3.6.4 Der * me lui / I-II Constraint
2.3.6.4.1 * I-II-Beschränkungen
2.3.6.4.2 * me-lui-Beschränkungen
2.3.7 EXKURS 3: FLOATING GENDER AND NUMBER
2.4 ZUSAMMENFASSUNG

3. SCHLUSSBEMERKUNG

4. ANHANG
4.1 ABKÜRZUNGEN
4.2 CONSTRAINTS
4.3 KORPUS
4.4 LITERATUR

1 Einleitung

Gegenstand dieser Arbeit ist das Verhalten spanischer klitischer Pronomina in klitischen Sequenzen.

Die Betrachtung von Klitika ist in verschiedener Hinsicht interessant und kom- plex. Klitika stehen am Schnittpunkt verschiedener sprachlicher Module, was eine eindeutige Erklärung der beobachtbaren Phänomene ausschließlich innerhalb eines Moduls nahezu unmöglich macht.

Dazu kommt, daß mit dem Begriff „Klitikon“ zwar bestimmte Eigenschaften as- soziiert werden, aber die klitischen Elemente verschiedener Sprachen durchaus un- terschiedliches syntaktisches, morphologisches und phonologisches Verhalten zei- gen. Die Klasse der Klitika - wenn es sie überhaupt gibt - ist nicht homogen.

In der Untersuchung der klitischen Pronomina des heutigen Spanisch soll heraus- gearbeitet werden, welche Erklärungen sich für die Tatsache anbieten, daß sie in ihrer Kombinierbarkeit und ihrer Positionierung dermaßen deutlich von ihren nicht- klitischen Entsprechungen abweichen. Regionale und soziale Unterschiede können nicht erschöpfend diskutiert werden; da aber gerade im Bereich der Klitika große Unterschiede sowohl im aktiven Gebrauch als auch in der passiven Beurteilung von Sequenzen bestehen, fließt dieser Punkt natürlich mit ein. Sofern nicht explizit auf eine bestimmte Variante hingewiesen wird, orientiere ich mich an einem „Standard- Castellano“, das die laut Quellen von den meisten Sprechern akzeptierten Sequenzen umfassen soll. Es geht mir hierbei aber nicht darum, einen kompletten Überblick zu erstellen, wie das System einer speziellen Variante aufgebaut sein muß. Vielmehr soll gezeigt werden, daß eine Lösung für die angesprochenen Probleme möglich ist, und wie diese Lösung in speziellen Fällen aussehen kann.

Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Zuerst wird der theoretische Rahmen abge- steckt und der Begriff „Klitikon“ eingeführt. In einem zweiten Schritt wird kurz die sprachhistorische Entwicklung dieser Pronomina skizziert und das Inventar des heu- tigen Spanisch vorgestellt. Anhand der hiermit assoziierten Eigenschaften soll dann überprüft werden, was den Klitikstatus der betreffenden spanischen Pronomina aus- macht.

Die eigentliche Analyse befaßt sich mit der Kombination und Abfolge mehrerer klitischer Pronomina. In klitischen Sequenzen zeigen sich eine Reihe von Beschrän- kungen und Modifikationen, die auf den ersten Blick willkürlich erscheinen. Auch hierfür gibt es unterschiedliche Lösungsvorschläge, die überprüft, verglichen und bewertet werden sollen. Es wird dabei deutlich werden, daß klitische Sequenzen nicht mit Modellen erfaßbar sind, die sich auf ein einzelnes sprachliches Modul be- schränken. Vielmehr scheint die Abfolge der spanischen Klitika durch ihre morpho- logischen Eigenschaften festgelegt zu sein, während ihre Kombinationsmöglichkei- ten durch Syntax und Phonologie bedingt werden. Traditionelle serielle Ansätze können diesem Umstand nicht hinreichend Rechnung tragen. Optimality Theory (Prince/Smolensky 1993) legt eine parallele Betrachtung der Bedingungen verschie- dener sprachlicher Module zugrunde und bietet damit eine Alternative. Dementspre- chend wird besonders auf die Vorschläge von Grimshaw (1997) und Gerlach (1998, 1999) eingegangen, die in diesem Rahmen verschiedene Aspekte der Klitiksequen- zen in den romanischen Sprachen diskutieren.

Auch wenn das Spanische im Mittelpunkt steht, werden Daten aus anderen Spra- chen zum Vergleich herangezogen. In der Diskussion um die romanischen Klitika wurde schon früher ein Vergleich mit Objektkongruenzsprachen vorgenommen (Heger 1966, Llorente/Mondéjar 1972, 1974 u.a.). Das Ungarische bietet sich hier als eine Möglichkeit an, auch wenn es nur Kongruenz mit dem direkten Objekt morphologisch realisieren kann.

Das Hauptaugenmerk liegt auf der grundsätzlichen Kombinierbarkeit von pro- nominalen Klitika; es soll keine Aussage über statistische Häufigkeiten bestimmter Sequenzen gemacht werden.

Im alltäglichen Gebrauch treten Kombinationen mit mehr als zwei Klitika relativ selten auf. Deshalb habe ich keine Daten aus der Spontansprache erhoben, sondern stütze mich auf die (meist konstruierten) Beispiele aus der angegebenen Literatur. Sie sind ergänzt durch Daten, die in Anlehnung an Perlmutter (1970, 1971), Bastida (1976), Strozer (1976) und Bonet (1991) durch Übersetzung aus dem Deutschen entstanden sind. Diese selbsterhobenen Daten sollen nicht in allen Einzelheiten dis- kutiert werden; eine orthographische Transkription der auf Kasette aufgezeichneten Übersetzungsvorschläge findet sich aber der Vollständigkeit halber im Anhang.

Als geduldige Informandinnen dienten mir dabei eine zweisprachige Kolumbia- nerin, die in Bogotá aufgewachsen ist und seit ihrem 13. Lebensjahr in Deutschland lebt (M1); und eine Spanierin aus Albacete, die ebenfalls zur Zeit in Hamburg wohnt (M2). Die vorgegebenen deutschen Sätze sollten in erster Linie dazu dienen, eine bestimmte Situation und einen bestimmten Konstruktionstyp vorzugeben. Beide Sprecherinnen wurden gebeten, die Sätze möglichst in der Art wiederzugeben, wie sie normalerweise sprechen würden. Zum Teil machten sie noch weitere Anmerkun- gen zu Alternativen, in manchen Fällen habe ich um Beurteilungen bestimmter Se- quenzen gebeten. In beiden Fällen ist ein gewisser Einfluß durch das Deutsche nicht auszuschließen. Zu berücksichtigen sind ebenfalls Schwierigkeiten mit der deutschen Version mancher spanischer Konstruktionen, für die ich verantwortlich bin, sowie Performanzfaktoren von Seiten der Informandinnen. Mit der Übertragung der Beispielsätze vom Deutschen ins Spanische waren sie vor zum Teil recht knifflige Aufgaben gestellt.

1.1 Theoretischer Rahmen

Es sind verschiedene Versuche unternommen worden, Klitika und Klitiksequen- zen mit Phrasenstrukturregeln oder im Rahmen der X’-Syntax zu erfassen. Zu nen- nen sind hier unter anderen die Analysen von Hadlich (1975), Strozer (1976), Kayne (1977, 1991), Groos (1980), Jaeggli (1982, 1986), Murphy Armstrong (1989), Laenzlinger (1993) und Uriagereka (1995). Allen ist gemeinsam, daß sie die Abfolge der Klitika und deren Kombinationsmöglichkeiten nicht ohne zusätzliche Bedingun- gen erklären können. Murphy Armstrong (1989) geht sogar so weit, daß sie einen Filter à la Perlmutter (1971) annimmt, der die Klitiksequenzen nachträglich über- prüft und gegebenenfalls als ungrammatisch ausschließt. Fast immer wird eine Ab- leitung in mehreren Schritten angenommen.

Die vorliegende Arbeit bewegt sich im Rahmen der Prinzipien- und Parame- tertheorie, vor allem soll die Idee einer allen Sprachen zugrundeliegenden Univer- salgrammatik beibehalten werden. Klitika werden sich innerhalb dieses Rahmens entweder als syntaktische Phrasen (XPn) oder, was im Spanischen wahrscheinlicher ist, als Köpfe (XO) herausstellen. Wie alle sprachlichen Einheiten haben sie einen Lexikoneintrag, in dem neben phonologischen und syntaktischen Eigenschaften auch morphologische und semantische Charakteristika verzeichnet sind. Im Sinne einer Minimierung der Lexikoneinträge folge ich Bonet (1991, 1995a), Grimshaw (1997) und Gerlach (1998, 1999), die die Klitika als für manche Merkmale unterspezifiziert auffassen. Dadurch wird die Verwendung eines Klitikon in verschiedenen Kontexten ermöglicht. Statt z.B. für die erste oder zweite Person jeweils ein Akkusativ- und ein Dativklitikon anzunehmen, gehe ich davon aus, daß diese Klitika für keinen (Objekt-)Kasus spezifiziert sind.

Spanische Klitika sind häufig, wenn auch nicht immer, mit Argumentpositionen von Verben assoziiert. In diesem Fall greifen verschiedene syntaktische Prinzipien, die das Auftreten und die Interpretation von Argumenten kontrollieren (vgl. Chomsky 1965, 1981, 1986, 1996 u.a.). Sequenzen, die schon aus diesen Gründen unakzeptabel sind, stellen kein spezielles Problem der Klitiksequenzen dar und sol- len deshalb hier ausgeklammert werden.

Traditionelle Ansätze kämpfen, wie oben angedeutet, mit der Schwierigkeit, daß Klitiksequenzen nicht ohne Rückgriff auf Sonderbedingungen, Filter oder morpho- logische Templates (Bonet 1991, 1995a, 1995b) zu erfassen sind. Das eigentliche Problem besteht dabei in der Definition eines Bereiches und spezieller Prozesse, die ausschließlich auf die Klitika bezogen sind. Das wirft natürlich die Frage nach Uni- versalität und Lernbarkeit auf.

Mit seriellen Ansätzen, in denen ein bestimmter Input die Anwendung einer Regel auslöst, um Wohlgeformtheitsbedingungen zu erfüllen, sind Klitiksequenzen nicht befriedigend zu behandeln. Optimality Theory (Prince/Smolensky 1993, McCarthy/Prince 1994, 1995) bietet einen alternativen Ansatz, der zwar auf ‘traditionellen’ Prinzipien- und Parameter-Modellen basiert, aber eine parallele Verarbeitung und einen gesonderten Status der Wohlgeformtheitsbedingungen einführt. Anders als in den bisherigen Ansätzen stehen nicht mehr die Inputbedingungen für die Anwendung einer Regel im Vordergrund, sondern der Output, der die Wohlgeformtheitsbedingungen oder Constraints in einer bestimmten Weise erfüllen muß. Damit kommt den Constraints selbst eine Schlüsselrolle zu.

Constraints in der Optimality Theory unterscheiden sich grundlegend von den traditionellen Wohlgeformtheitsbedingungen in vier Punkten:

(i) Sie sind universal; kein Constraint soll einzelsprachlich konzipiert sein.
(ii) Sie sind sprachspezifisch hierarchisiert; anstelle getrennter Syntax-, Mor- phologie- und Phonologie-Module übernimmt die Constrainthierarchie die Auswahl des aktuellen Outputs.
(iii) Sie sind nicht absolut formuliert, sondern können verletzt werden. Dies ge- schieht, wenn ein Konflikt zwischen verschiedenen Constraints entsteht.
(iv) Sie werden parallel betrachtet, es findet also keine schrittweise Anwendung verschiedener Prozesse statt.

Ein optimaler Output muß demnach nicht ‘perfekt’ sein, sondern bei der Evalua- tion durch die Constrainthierarchie nur besser als alle anderen möglichen Output- kandidaten abschneiden. Schneiden mehrere Kandidaten in bezug auf einen domi- nanten Constraint gleich ab, fällt die Entscheidung auf der nächsttieferen Ebene, auf der sie sich unterscheiden.

Für die Erzeugung der Outputkandidaten ist Gen (erator) zuständig. Diese Funk- tion ordnet einem Input alle potentiell möglichen Outputs zu, theoretisch unter Be- rücksichtigung aller vorstellbaren Auslassungen, Hinzufügungen, Umstellungen und Ersetzungen. Es können auch solche Kandidaten erzeugt werden, die dermaßen stark vom Input abweichen, daß sie sofort als nicht optimal erkannt werden können. Dem- entsprechend werden in der Diskussion nur die am ehesten erfolgversprechenden Kandidaten aus der Output-Menge und die im konkreten Fall relevanten Constraints berücksichtigt.

Constrainthierarchien werden in Tableaux dargestellt. Ein hierarchisch dominan- ter (höher eingestufter) Constraint steht links von den dominierten Constraints, un- terschiedliche Ebenen in der Hierarchie sind durch durchgezogene Linien zwischen den Constraints angedeutet. Eine gepunktete Linie bedeutet, daß eine Hierarchisie- rung irrelevant ist. Der optimale Output wird mit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] angezeigt, die Verletzung eines Constraint mit *. Ein Ausrufungszeichen zeigt eine fatale Verletzung eines Con- straints an, der Output-Kandidat scheidet damit endgültig aus der Evaluation aus. Felder, die in diesem Sinne nicht mehr ausschlaggebend sind, werden des besseren Überblicks wegen zumeist schattiert.

(1) Beispiel: Constraints A, B, C, D; Kandidaten X, Y, Z.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Hierarchie ist A >> B, C >> D. Kandidat X ist aus dem Rennen, weil er den höchsten Constraint (A) im Gegensatz zu Y und Z verletzt. Y verletzt B, aber nicht C; Z verletzt C, aber nicht B. Da beide Constraints auf einer hierarchischen Stufe stehen, fällt die Entscheidung durch Constraint D, den Y zweimal, Z aber nur einmal verletzt. Damit ist Z der optimale Output, obwohl er mehr Constraints verletzt als X. Aus stilistischen Gründen benutze ich anstelle des englischen Terminus Con- straint zuweilen die deutschen Begriffe Beschränkung oder Bedingung.

In manchen Tableaux wird gezeigt werden, daß sich unter einer angenommenen Hierarchisierung nicht der tatsächliche Output, sondern ein anderer Kandidat als optimal durchsetzt. In solchen Fällen habe ich den ‘falschen’ optimalen Kandidat mit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] bezeichnet und den aktuellen Output in Fettdruck hervorgehoben.

1.2 Begriffsklärungen

Die hier verwendeten Bezeichnungen Klitikon und Klitisierung sind aus dem alt- griechischen (en) klinein abgeleitet, was ‘(sich) neigen, (an)lehnen’ bedeutet. Erst im Strukturalismus begann sich Klitisierung bzw. Klise als Oberbegriff zu Enklise und Proklise durchzusetzen (Wanner 1987:23, Kaiser 1992:16).

In den meisten spanischen Grammatiken wird der Begriff Klitikon bzw. clítico nicht benutzt. Statt dessen finden sich Bezeichnungen wie pronombres átonos, pro- nombres pro/enclíticos, pronombres conjuntivos, pronombres inacentuados oder sin acento, die in ihrem Gebrauch von Grammatik zu Grammatik variieren. Mit diesen Bezeichnungen wird auf eine auffällige Eigenschaft klitischer Elemente angespielt: sie tragen meistens keinen Wortakzent, sondern hängen von einem anderen akzen- tuierten Wort ab. Im Abschnitt 1.5 wird noch ausführlicher auf die Zuverlässigkeit solcher und anderer Charakteristika eingegangen.

Klitische Bindung bezeichnet die Relation zwischen einem Klitikon und dem Wort, an das es sich anlehnt. Dieser ‘Binder’ wird in der Literatur als Stützwort, Partner (Kaiser 1992) oder auch Gastgeber (Gerlach 1999), engl. host (Zwicky 1985) bezeichnet. Die Bindung kann proklitisch (vor dem Stützwort) oder enklitisch (hinter dem Stützwort) erfolgen, für Sprachen wie das Portugiesische wird auch endo- oder mesoklitische Bindung (innerhalb des Stützwortes) angenommen. Klitika können offensichtlich genau wie Affixe vor, hinter oder innerhalb ihres Binders auf- treten1.

Zwicky/Pullum (1983) unterscheiden zwei Typen von Klitika. Als simple clitics werden die lediglich morphophonologisch reduzierten Varianten von nicht-klitischen (freien) Formen bezeichnet. Sie erscheinen in der kanonischen Position ihrer freien Entsprechungen. Special clitics sind dagegen Klitika, deren Form nicht ohne weite- res aus entsprechenden freien Formen abgeleitet werden können oder die keine freien Formen als Entsprechungen haben. Sie stehen nicht in der kanonischen Posi- tion ihrer freien Entsprechungen, sondern nehmen im Satz eine besondere Position ein, haben eine ‘spezielle Syntax’. Zu dieser Gruppe werden auch die Klitika der romanischen Sprachen gezählt.

1.3 Entwicklung der spanischen klitischen Pronomina

1.3.1 Latein und Spanisch

Die romanischen Pronomina haben sich aus den lateinischen Personal- und De- monstrativpronomina entwickelt.

1.3.1.1 Pronomina der 1. und 2. Person

Aus den lateinischen Nominativpronomina ego (1sg) und tu (2sg) entwickelten sich die tonischen (nicht-klitischen) spanischen Subjektspronomina yo (1sg) und (2sg). Aus den lateinischen Dativpronomina mihi und tibi entstanden die ebenfalls tonischen spanischen Objektpronomina und ti. Die spanischen klitischen Prono- mina me und te lassen sich dagegen auf die lateinischen Akkusativpronomina me und te zurückführen. An die Stelle der lateinischen Kasusunterscheidung ist damit die Unterscheidung von tonischen und klitischen Pronomina getreten.

Im Plural wurden aus den lateinischen Nominativ- und Akkusativpronomina nos (1pl) und vos (2pl) die spanischen tonischen Pronomina nos, nosotros und vos, vo- sotros sowie die klitischen Pronomina nos und os (ursprünglich vos).

1.3.1.2 Pronomina der 3. Person

Das Lateinische verfügte nicht über Personalpronomina für die dritte Person. Statt dessen dienten die Demonstrativpronomina als Ausgangsbasis:

Aus den Nominativen ille (masc, sg), illa (fem, sg), illud (ntr, sg) entwickelten sich die spanischen tonischen Pronomina él, ella, ello, aus den Akkusativen illos (masc/ntr, pl), illas (fem, pl) die tonischen Pronomina ellos und ellas sowie die Kli- tika los und las. Aus den Akkusativen illum / illud (masc/ntr, sg) und illam entstanden die Klitika lo und la, aus den Dativen illi (masc/fem/ntr, sg) und illis (masc/fem/ntr, pl) die klitischen Pronomina le und les.

Die definiten Artikel des Spanischen sind ebenfalls auf diese lateinischen De- monstrativpronomina zurückzuführen (Alcina Franch/Blecua 1979:603, Wanner 1987:90, Posner 1996:167).

1.3.1.3 Stellung der Klitika

Auch im Lateinischen gab es klitische Elemente. Dazu gehörten Pronomina, Partikeln, das kopulative Verb esse und einige Verbformen. Während sich die klitischen Partikeln bevorzugt enklitisch an die erste Konstituente im Satz banden, konnten Pronomina auch tonisch gebraucht werden und unterlagen weniger starken positionellen Beschränkungen.

Die bevorzugte präverbale Position für lateinische klitische Pronomina war zu- nächst eine Konsequenz aus der lateinischen SOV-Wortfolge. Anders als in den heu- tigen romanischen Sprachen brauchten diese pronominalen Klitika nicht adjazent zum Verb zu stehen.

Die romanischen Sprachen entwickelten eine SVO-Wortfolge, damit erschienen Pronomina auch postverbal neben der nach wie vor existierenden präverbalen Posi- tionierung (Murphy Armstrong 1989).

Laut Wanner (1987) sind sowohl die lateinischen als auch die romanischen kliti- schen Pronomina ursprünglich volle Nominalphrasen gewesen. Durch den Kontakt zum Verb verloren sie ihren DP-Status und wurden zu nicht nur phonologisch, son- dern auch morphosyntaktisch abhängigen Klitika. Ob dieser Übergang dem späten Lateinischen zugeordnet wird oder den frühen romanischen Sprachen, hängt wesent- lich davon ab, auf welchen Zeitpunkt die Loslösung der heutigen romanischen Spra- chen vom gemeinsamen Vorläufer datiert wird.

1.3.2 Spanische Klitika im Mittelalter

Rivero (1986a, b) analysiert die Klitika des mittelalterlichen Spanischen als volle Nominalphrasen, die sich enklitisch an die erste Konstituente im Satz binden. Die Bindung ist rein phonologisch, die syntaktische Kategorie des Stützwortes irrelevant.

Als Argumente für ihre Hypothese führt sie an, daß die mittelalterlichen Klitika nicht adjazent zum Verb stehen müssen, sondern durch andere Konstituenten von ihm getrennt werden können.

Die häufigsten Elemente zwischen dem Verb und dem Klitikon sind die Nega- tionspartikel non und Subjektpronomina. Im heutigen Spanisch blockiert die Nega- tion die Klitikbewegung. Unter der Voraussetzung, daß Negation einen funktionalen Kopf darstellt, wird dieses als ein Indiz für den XO-Status heutiger Klitika gewertet.

Klitikanhebung geschieht im mittelalterlichen Spanischen wie jede Bewegung von Phrasen. Mittelalterliche Klitika lassen sich genauso extrahieren wie normale Objekt-DPn.

1.4 Klitische Pronomina im heutigen Spanisch

Das heutige Spanisch kennt sowohl klitische als auch nicht-klitische Pronomina. Während die freien Formen in der Funktion als Subjekt, (in)direktem Objekt oder in Verbindung mit Präpositionen gebraucht werden können, treten die klitischen Pro- nomina vorwiegend als Objekte oder in speziellen Funktionen auf. Mit Präpositionen können sie nicht gebraucht werden, auch als Subjekt treten sie, abgesehen vom ‘unpersönlichen’ se, nicht auf2.

1.4.1 Das Inventar

1.4.1.1 Pronomina der 1./2. Person

Die Formen sind me / nos für die 1. Person (Singular/Plural) und te / os für die 2. Person. Sie werden als Formen für Dativ und Akkusativ sowie als Reflexivpronomen gebraucht.

Diese Klitika referieren wie ihre nicht-klitischen Entsprechungen auf Personen, ausgenommen sind natürlich metaphorische Verwendungen. Anders als Klitika und Pronomina der 3. Person sind sie in ihrer Referenz von der Sprecherperspektive ab- hängig.

Bei Alcina Franch/Blecua (1979) findet sich die Bezeichnung pronombres perso- nales de mención directa für Pronomina der 1. und 2. Person. Da sie auf anwesende Personen referieren, sind Genusmarkierungen aus dem Kontext erschließbar und damit redundant (Alcina Franch/Blecua 1979:599).

1.4.1.2 Pronomina der 3. Person

Ihre Formen lauten lo / los, la / las, le / les und se.

Lo (s) und la (s) werden standardgemäß als Akkusativ Maskulinum3 bzw. Femi- ninum, le (s) als Dativ für alle Genera aufgefaßt. Alcina Franch/Blecua (1979:603) bezeichnen sie als pronombres personales de mención indirecta. Ihre Referenz auf nicht in der Sprechersituation anwesende Entitäten motiviert den größeren Formen- reichtum gegenüber den Pronomina der 1. und 2. Person.

Se tritt als Form für Reflexivpronomina der 3. Person Singular und Plural in allen Kasus und Genera auf. Daneben ersetzt es Dativ- le (s) in Verbindungen mit Akkusa- tivklitika der 3. Person oder wird als ‘unpersönliches se ’ (se imp(ersonal)) gebraucht. In diesem letzten Fall wird se als nicht weiter bestimmtes menschliches Subjekt inter- pretiert, ähnlich dem französischen on oder dem deutschen man. Abgesehen von dieser Interpretation als se imp können Klitika der 3. Person sowohl auf Personen als auch auf Sachen referieren.

Lediglich die freien Pronomina él und ella beziehen sich in der Funktion des di- rekten oder indirekten Objekts ausschließlich auf Personen. Nur in Verbindung mit Präpositionen können sie auch auf Sachen referieren; für diesen Fall gibt es im Spa- nischen keine klitische Alternative.

Für Höflichkeitsformen werden im Spanischen die tonischen Pronomina usted und ustedes gebraucht, sie entsprechen Singular und Plural der 3. Person. Auch bei den klitischen Formen wird auf die 3. Person zurückgegriffen. In der Analyse der klitischen Sequenzen spielt dieser Punkt keine entscheidende Rolle.

[...]


1 Im Rahmen der Optimality Theory werden Infixe als Prä- oder Suffixe analysiert, die aus Gründen der Silbenstruktur ‘innerhalb’ des Stammes auftreten. Parallel dazu können auch Mesoklitika als En- oder Proklitika betrachtet werden (vgl. v.d. Leeuw (1995) für das Portugiesische).

2 Spanisch ist eine Nullsubjekt-Sprache; Subjektpositionen brauchen nicht mit overten DPn besetzt zu sein. Laut Kaisers (1992) Analyse trifft dies auch auf das Französische zu, wenn die Subjektklitika als Kongruenzmorpheme betrachtet werden. Im Spanischen kann jedoch, anders als im Französischen, die reguläre Verbflexion Person und Numerus des Subjekts hinreichend identifizieren.

3 Auch wenn Neutrum bei Substantiven nicht vorkommt, gibt es neutrale Pronomina (ello, esto, aquello), die auf abstrakte Konzepte verweisen. Da die overte Genusmarkierung der klitischen Pro- nomina nur ‘feminin’ und ‘nicht feminin’ unterscheidet, ist diese binäre Unterscheidung im folgenden

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Details

Title
Sequenzbeschränkungen der spanischen Klitika
College
University of Hamburg
Grade
sehr gut
Author
Year
1999
Pages
103
Catalog Number
V129832
ISBN (eBook)
9783640352883
ISBN (Book)
9783640352999
File size
1252 KB
Language
German
Notes
Diese Arbeit wurde 1999 eingereicht und ist deshalb in der damals gültigen Orthographie verfasst.
Keywords
Sequenzbeschränkungen, Klitika
Quote paper
Imme Kuchenbrandt (Author), 1999, Sequenzbeschränkungen der spanischen Klitika, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129832

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