Nachkriegsschicksal in Ernst Tollers "Hinkemann"

Der Protagonist als entfremdetes Individuum in einer gewandelten modernen Gesellschaft


Trabajo Escrito, 2005

12 Páginas, Calificación: A


Extracto


Bastian Heinsohn

Nachkriegsschicksal in Ernst Tollers Hinkemann:

Der Protagonist als entfremdetes Individuum in einer gewandelten modernen Gesellschaft

In seinem Stück Hinkemann (1921/1922) zeigt Ernst Toller anhand seines Protagonisten Eugen Hinkemann ein für die frühe Weimarer Republik typisches Schicksal eines Kriegsheimkehrers, der nicht nur das Trauma des Kriegserlebnisses bewältigen, sondern auch in einer stark veränderten Nachkriegsgesellschaft seinen neuen Platz suchen muss. Die Gesellschaft der Weimarer Republik bietet jedoch keine Integrationsmöglichkeit an und lässt den Kriegsheimkehrer unweigerlich resignierend, entfremdet, hilflos und als Außenseiter zurück. Die Zeit zwischen 1918 und 1933 lässt sich in drei unterschiedliche Phasen einteilen[1], der Krisenjahre von 1918 bis 1924, der Zeit der Stabilisierung, wirtschaftlicher Prosperität und politischer Entspannung zwischen 1924 und 1929 (auch die „Goldenen Zwanziger“ genannt) und schließlich der erneuten Krisenjahre als Folge der weltweiten Wirtschaftskrise, in der Arbeitslosigkeit und aufkommende Gewalt das Bild der Weimarer Republik prägte. Dieser Essay bezieht sich auf die frühen Jahre der Weimarer Republik und untersucht die Struktur der Gesellschaft, an der Hinkemann zugrunde geht, das Phänomen der abgeschwächten männliche Subjektivität in dieser Nachkriegsgesellschaft und das gewandelte Gesellschaftsbild von der nur wenige Jahre zuvor propagierten Gemeinschaft/Kameradschaft hin zu einer zersplitterten Gesellschaft, die das Individuum vereinzelt zurücklässt. Ferner untersuche ich daraus resultierende Schwäche und Machtlosigkeit der Gesellschaft, die Toller veranlasst haben muss, zum ersten Mal resignierend ein Theaterstück nicht aus politischer Motivation schreiben und als Appell an die Stärke der Gemeinschaft innerhalb Arbeiterschicht zu richten, wie Toller es mit seinen früheren Theaterstücken, seinen Essays, Reden und politischem Handeln getan hat.

„Was war das für ein Mann vor dem Krieg! Das blühende Leben! Aber heute... nur noch grübeln kennt er. Er hadert mit Gott und hadert mit den Menschen.“(12) Mit diesen Worten beschreibt Grete den Wandel ihres Mannes Eugen Hinkemann. Was ist passiert? Hinkemann ist durch die Kriegserlebnisse physisch und mental beeinträchtigt: Traumatisiert und durch eine erlittene Schussverletzung zeugungsunfähig geworden ist er aus dem Krieg zurückgekehrt. Seine Entfremdung von den Mitmenschen ist das Resultat seiner sehr deutlichen Personifizierung dieser Kriegsvergangenheit. Die Nachkriegsgesellschaft, insbesondere in der Frühzeit der Weimarer Republik, ist bestrebt, die Erinnerungen an den Krieg und die damit verbundene Kriegsschuld zu unterdrücken. Hinkemann ist Opfer einer gewandelten Gesellschaft, die für ihn als Kriegsheimkehrer und Kriegskrüppel keine Integrationsmöglichkeit bietet. Diese neue Gesellschaft ist kapitalistisch- und leistungsorientiert. Der Budenbesitzer hat diesen Wandel bereits verinnerlicht und: „Dann müssen Sie auch sehen, dass kein Mensch mehr an Krieg denkt. Mit Kriegsgreuel-Panoptikum verdienen Sie heute keine zehn Pfennig mehr. Aus! Jetzt ist Kultur Trumpf in Europa! Hunderprozentig kann man dran verdienen!“(36) Diese neue Gegenwart bietet keinen Raum für Leidende und Opfer, wie Hinkemann selbst erkennt: „Ein Kranker hat hier nichts zu suchen auf dieser Erde, so wie sie da eingerichtet ist“(52). Profit und Nutzen sind bestimmende Merkmale des Zeitgeists der frühen 1920er, und so gilt das Individuum nur soviel, wie es der Gesellschaft nützt: Für Hinkemann bleibt nur die Rolle des erniedrigten Kriegsversehrten. Vom Budenbesitzer zu einer „Nummer“(35) degradiert wird er Zielscheibe von Hohn und Spott seiner Mitmenschen. Der Budenbesitzer ist die „gesellschaftliche Komplentärfigur“(Rothstein, 158) zum Individuum Hinkemann. Toller benutzt die Figur des Budenbesitzers als Personifizierung dieser neuen Ordnung während Hinkemann stellvertretend für das entfremdete Indivduum steht, wie es Toller in der Nachkriegsgesellschaft sieht. In der Gegenúberstellung der beiden Figuren Budenbesitzer und Hinkemann spiegelt Toller das Verhältnis zwischen Mensch und Gesellschaft an, das insbesondere durch Erniedrigung und Ausnutzung gekennzeichnet ist. Die Gesellschaft, die Toller hier entwirft, bietet dem Individuum kein Mitleid an. Diese Gesellschaft stellt jedoch nicht bloß eine Gemeinschaft dar, die den nutzlosen Einzelnen abweist, sondern ist eine von Zersplitterung und Individualisierung geprägte Gesellschaft: „ ‚Jemeinschaft’ – ‚Wird nicht mehr fabriziert. Hat sich als unrentabel erwiesen’“(40 ff.) heißt es im Hinkemann. Zwischen dem Individuum und der Gesellschaft gibt es keine nennenswerten Berührungspunkte, wie Hinkemann anklagend wie folgt formuliert: „Doch was sehen wir voneinander? Da sitzt du und da sitz ich. Ich sehe dich. Wie sehe ich dich? Ein paar Handgriffe sehe ich und ein paar Worte höre ich. Das ist alles... Nichts sehen wir voneinander... nichts wissen wir voneinander“(29). Hierin verbirgt sich Tollers Kritik an der Gesellschaft, der er vorwirft, träge und entzweit zu sein. Das zeigt sich am deutlichsten an den Arbeitern in der Wirtschaft, die trotz ihrer gemeinsamen Klassenzugehörigkeit unterschiedliche politische Auffassungen vertreten und sich teilweise mit der bestehenden Gesellschaftsordnung arrangiert haben. Obwohl Toller seine Figuren in dieser Szene ausreichend zu Wort kommen laesst, hebt ihr phrasenhafter und parodistischer Charakter die Zerstrittenheit, Trägheit und darausfolgernd die substanzielle Schwäche der Arbeiterklasse hervor. Uneinigkeit und Vereinzelung können keine politische Revolution oder Agitation auslösen. Begriffe wie Gemeinschaft und Solidarität werden in Tollers Darstellung des Proletariats sowie in dem Verhältnis zwischen Hinkemann und dem Budenbesitzer deutlich parodiert.

[...]


[1] Vgl. hierzu Gays Periodisierung in: Gay, Peter: Weimar Culture – The Outsider as Insider, p. 120

Final del extracto de 12 páginas

Detalles

Título
Nachkriegsschicksal in Ernst Tollers "Hinkemann"
Subtítulo
Der Protagonist als entfremdetes Individuum in einer gewandelten modernen Gesellschaft
Universidad
California State University, East Bay  (German Department)
Curso
Weimar Culture
Calificación
A
Autor
Año
2005
Páginas
12
No. de catálogo
V129850
ISBN (Ebook)
9783640366163
ISBN (Libro)
9783640365968
Tamaño de fichero
453 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Nachkriegsschicksal, Ernst, Tollers, Hinkemann, Protagonist, Individuum, Gesellschaft
Citar trabajo
M.A. Bastian Heinsohn (Autor), 2005, Nachkriegsschicksal in Ernst Tollers "Hinkemann", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129850

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