Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Charlotte: Biographie und Brüche
3. Rosa von Praunheims „Ich bin meine eigene Frau“
3.1. Handlung
3.2. Konzeption des Films
4. Peter Süß`: „Ich bin meine eigene Frau“
5. Zur Wirkung von Film und Buch
6. Rosa von Praunheims „Charlotte in Schweden“
7. Doug Wrights „I`m my own wife“
8. Schluss
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
“Jede Geschichte lässt sich auf fünf Millionen verschiedene Arten erzählen”[1], heißt es. Diese Zahl, so übertrieben sie sein mag, drückt aus, dass Geschichten, auch wenn sie den gleichen Sachverhalt behandeln, sich eben nicht gleichen müssen. Wer erzählt wie und warum und aus welchem Kontext heraus?
Über Charlotte von Mahlsdorf wurden und werden viele Geschichten erzählt, deren Wahrheitsgehalt von einigen nicht bestritten, von anderen vollständig negiert wird. Sie selbst war eine große Geschichtenerzählerin. Gegenstand aller Geschichten von ihr und über sie war und ist sie selbst, ihr Leben, ihre Lebensmittelpunkt, das Gründerzeitmuseum in Berlin, Mahlsdorf, festgehalten und erhalten durch verschiedenste Medien. Rosa von Praunheim drehte zwei Filme, Peter Süß schrieb zwei Bücher, es gibt zwei Theaterstücke, in denen das Leben der Charlotte von Mahlsdorf auf der Bühne inszeniert wird. Hier deutet sich bereits die Doppelbödigkeit der Geschichten an. Es gibt stets zwei, so als bilde die eine das Korrektiv der anderen, als wäre die ambivalente Persönlichkeit dieses Menschen anders nicht greifbar, wenn sie überhaupt greifbar ist. Daneben finden sich weitere Bücher, Internetseiten, ein Hörbuch. Und auch Menschen, die Charlotte von Mahlsdorf mehr oder weniger gut kannten, erzählen ihre Geschichte(n). Sie alle zusammen bilden einen Flickenteppich der Persönlichkeit und des Lebens der Charlotte von Mahlsdorf, unübersichtlich und ambivalent, in der Schwebe zwischen Fiktion und Fakten.
In dieser Arbeit sollen einige dieser Werke, näher betrachtet werden, daraufhin befragt werden, wie und welches Bild sie von Charlotte von Mahlsdorf transportieren, in welchen Punkten sie sich möglicherweise gleichen, in welchen sie abweichen.
Besonderes Interesse gilt in diesem Zusammenhang den beiden Filmen, die Rosa von Praunheim über und mit Charlotte von Mahlsdorf drehte: „Ich bin meine eigene Frau“[2] und „Charlotte in Schweden“[3], der von Peter Süß herausgebrachten Autobiographie gleichen Titels[4] und dem Theaterstück Doug Wrights, das gleichsam diesen Titel trägt, wenn auch in der englischen Übersetzung „I am my own wife“[5]. Auch das Theaterstück von Peter Süß, das hier nicht weiter aufgegriffen wird, trägt den Titel „Ich bin meine eigene Frau“. Schon hier, anhand der Titel, zeigt sich die Tradierung der Geschichte dieses Lebens, eines Mythos, der so viele Menschen bis zum heutigen Tag fasziniert.
Ergänzt werden die Abschnitte durch Angaben aus dem 2004 erschienenen Buch „Charlotte von Mahlsdorf“ von Gabriele Brang, in dem ehemalige Weggefährten, Bekannte und Freunde Charlottes ihre persönlichen Erlebnisse mit ihr wiedergeben. Zwischen den einzelnen Abschnitten werden beständig Verbindungen aufgezeigt, da die Werke nicht unabhängig voneinander entstanden sind und demnach nicht unabhängig voneinander dargestellt werden können. Die Filme, die Autobiographie und das Theaterstück werden ihrem zeitlichen Erscheinen nach vorgestellt. Auf Rosa von Praunheims Film „Ich bin meine eigene Frau“, folgt die gleichnamige Autobiographie Peter Süß`, dann der zweite Film Rosa von Praunheims „Charlotte in Schweden“, anschließend das Theaterstück von Doug Wright „I am my own wife“.
Diese Arbeit hat nicht und kann nicht das Ziel haben, ein klar umrissenes Bild der Charlotte von Mahlsdorf zu zeichnen. Vielmehr soll die Flut an Informationen, die es zu dieser Person gibt, etwas geordnet und beleuchtet werden. Wie Charlotte wirklich war, wird sich niemand anmaßen können, zu behaupten. Wie man diese Person sieht und was man von ihren Geschichten zu halten hat, das muss jede/r für sich selbst herausfinden.
2. Charlotte: Biographie und Brüche
Charlotte von Mahlsdorf wird am 18. März 1928 als Lothar Berfelde und ältestes von drei Kindern in Berlin Mahlsdorf geboren, erlebt als Kind und Jugendliche den Zweiten Weltkrieg. Sie erschlägt in Kriegszeiten ihren Vater, von dem sie sagt, er sei ein gewalttätiger Mensch gewesen, der sie und ihre Familie mit dem Tod bedroht hätte. Mahlsdorf gehört nach dem Krieg zu der von den Soviets besetzten Zone, dem späteren Gebiet der ehemaligen DDR. Charlotte erlebt somit nach der Nazizeit die zweite Diktatur. Schon früh merkt sie, dass sie sich mehr als weibliches denn als männliches Wesen fühlt, ist Transvestit und homosexuell. Sie entwickelt ebenso zeitig eine Leidenschaft für Gründerzeitliches, das sie ihr Leben lang sammeln wird und dem sie ein Museum, das Gründerzeitmuseum in Mahlsdorf, einrichten wird. Nach der Wende wird ihr das Bundesverdienstkreuz unter anderem für diese Leistung verliehen. Zu Kontroversen um ihre Person kommt es kurze Zeit nach Veröffentlichung der Autobiographie und des ersten Praunheim-Films , als ihre Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) mit dem Decknamen Park, bekannt wird. Aus den Akten geht, so wird es von Personen gesagt, die die Akte studiert haben, hervor, dass sie ihren Sammlerfreund Alfred Kirchner an die Stasi verraten haben soll. Es wird ihr nahegelegt, das Bundesverdienstkreuz wieder abzugeben. Ungefähr zur gleichen Zeit wandert Charlotte mit dem lesbischen Pärchen, mit dem sie zusammenlebt und das sie später um ihr Geld bringen und verlassen wird, nach Schweden aus. Ihre Begründung für diesen Schritt ist der Überfall durch Neonazis auf ein Frühlingsfest auf dem Gelände des Museums ein paar Jahre zuvor. Ihr Museum verkauft sie an die Stadt Berlin. Ein Förderverein kümmert sich bald darauf um Museumsbetrieb und Instandhaltung des Gutshauses. Charlotte stirbt 2002 während eines Berlinbesuches an einem Herzinfarkt.
3. Rosa von Praunheims „Ich bin meine eigene Frau“
Die Handlung des Films wird gesondert aufgeführt, da er die Grundlage für die Autobiographie stellt und so im Wesentlichen zur Konstruktion der öffentlichen Figur Charlotte von Mahlsdorf beigetragen hat.
3.1. Handlung
„Ein Dokudram [sic!] über Charlotte von Mahsldorf, eines Ostberliner Transvestiten im Kampf für Toleranz. Der Film erzählt die unglaubliche Geschichte eines warmherzigen und sanftmütigen Menschen, der zu kämpfen versteht, wenn es um sein Leben als Transvestit geht und um sein Lebenswerk – das Gründerzeitmuseum in Mahlsdorf.“[6]
Der Film beginnt mit der S-Bahn-Fahrt des Darstellers der jungen Charlotte, Jens Taschner, ins verregnete Mahlsdorf. Unmittelbar nach der Einblendung des Bahnhofsschilds, folgt die Großaufnahme eines Wahlplakats der Republikaner, einer rechtsgerichteten Partei. Hier zeigt sich eine Parallele zu der Autobiographie, denn diese beginnt mit einem Rekurs auf den neonazistischen Überfall auf das lesbisch-schwule Fest, ein Vorfall, der von vielen als Auswanderungsgrund Charlottes` nach Schweden zitiert wird. Der Praunheim-Film endet – abgesehen von der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande - mit eben jenem Überfall, spannt folglich eine Klammer rechtsextremer Bedrohung und unterstützt so meines Erachtens die These von der Flucht vor der braunen Gefahr.
Der Weg führt den Darsteller – dessen Identität als Schauspieler den Zuschauern noch nicht klar ist – zum Gutshaus Charlotte von Mahlsdorfs, die ihren Gast mit Kopftuch und Kittelschürze begrüßt und ins Haus geleitet. Im Hintergrund ist die Stimme Charlottes zu hören, die erzählt wie sie die Güter, die das Haus beherbergt, zusammengetragen hat, während die Kamera diese Dinge und Charlotte beim Putzen zeigt. Die erste Einstellung, die Jens Taschner als junge Charlotte zeigt, tut dies dann auch beim Putzen der Möbel des Großonkels. In Ausschnitten wird nun Charlottes Jugendzeit wiedergegeben, beginnend mit dem Kriegsjahr 1942, der Anstellung beim Trödler Max Bier, dem brutalen Vater – einem Nazi, dem geliebten Großonkel Josef Brauner, der lesbischen Tante Luise, die, als sie ihn im Kleid überrascht, dem jungen Lothar erklärt, mit ihnen beiden hätte sich „die Natur einen Scherz erlaubt“[7] und ihn dazu anhält, Magnus Hirschfelds „Die Transvestiten“ sorgsam zu lesen und ihn in seinem Schwulsein bestärkt.
Kontrastiert werden durch die Worte Charlottes „das absolut Gute“ und „das absolut Böse“, die Mutter und der Großonkel im Gegensatz zum Vater. Im Film folgt auf die tolerante und freigeistige Tante, die, selbst in Herrenkleidung, mit Charlotte, im Kleid, über eine satte Wiese spaziert – wobei sich hier die Assoziation zu einem locus amoenus einstellt, mit dem brutalen Vater, der den Jugendlichen in Mädchenkleidung und Puppen überrascht und daraufhin verprügelt. Einem Vater, der um ein Haar die Mutter erschossen hätte. Es folgt die Nacht des Vatermords, Lothar erschlägt seinen Vater. Der Film entschuldigt die Tat, versucht zumindest Rechtfertigungen zu liefern, die dargestellte Brutalität des Vaters mag als solche gelten, ebenso wie die Worte der Tante, die dem Jugendlichen einschärft, dass nun er nach dem Tod des Großonkels die Familie beschützen müsse. So jedenfalls erzählt es die Stimme, Charlottes Stimme, aus dem Off. Dazu kommt die durch den Vater ausgesprochene Todesdrohung seiner Familie und ihm gegenüber – während dieser, im Dunkeln ist nur ein Teil seines Gesichts beleuchtet, gleichzeitig das personifizierte Böse darstellt. Anschließend ist die Charlotte zur Entstehungszeit des Films zu sehen, die unter einem Bild stehend, auf dem die Swastika auf einer Armbinde erkennbar ist – ein, wie später zu sehen ist, Portrait Hitlers – nochmals sagt, sie erschlug den Vater, um ihre Familie zu retten. Hier findet sich das Symbol der Bedrohung, der Charlotte ausgesetzt war, nochmals gesteigert, gilt Hitler doch als das Fleisch gewordene Böse.
Der Film fragt nicht, was die Tat für psychische Spuren hinterlassen hat. Fraglich ist, ob Charlotte darüber Auskunft gegeben hätte. Es folgen die Tage des Endkampfs. Lothar, in den Wirren der letzten Kriegstage früher aus dem Jugendgefängnis entlassen, irrt durch die zerbombte Stadt, wird von einem Wehrmachtsoffizier vor dem Erschießen gerettet.
Dann folgt ein Bruch. Ichgola Andogyn übernimmt den Part der nun älteren Charlotte im Jahr 1946. Der nun folgende Teil dreht sich vorrangig um Charlottes Sexualität und beginnt mit dem, zum Zitat gewordenen Ausspruch, „ich bin sozusagen meine eigene Frau“[8].
Etwas herausgerissen aus dem Zusammenhang wirkt die Szene, in der von den Transvestitenbällen um die Jahrhundertwende erzählt wird. Sie spielt im Schloß Friedrichsfelde, das Charlotte vor dem Verfall gerettet haben will. Sie wird im Anschluss verständlicher, denn Herrenreiter von Zitzenau berichtet von den sexuellen Praktiken und Gepflogenheiten unter den Kadetten und Offizieren „seinerzeit“[9] in Potsdam. Von Praunheim lässt so die Geschichte der homosexuellen Männer, der Transvestiten der Jahrhundertwende und der Folgezeit mit einfließen. „Aus Viktor wurde Viktoria“[10] – eine Anspielung auf den UFA-Tonfilm Viktor und Viktoria aus dem Jahr 1933 und das US-Remake mit Julie Andrews von 1982. Es folgt eine Szene in Ellis Bier-Bar und die Erwähnung der Mulakritze, ehemalige Zille-Kneipen und Szenelokale, in denen queeres Publikum zu Zeiten des Paragraphen 175 verkehrte. Hier vermischen sich die Geschichte der Charlotte von Mahlsdorf, ihrer sexuellen Vorlieben und die Geschichte der queeren Szene Berlins vor dem Mauerbau. So auch danach, wenn Charlotte auf der Klappe ihre Liebschaften kennenlernt, weil es sonst keine Möglichkeit gibt, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten.
Es folgt ein erneuter Bruch. Charlotte – die „reale“ Charlotte - führt Besucher/innen durch das Museum und erzählt dessen und ihre Geschichte, sagt, sie hätte das abrissreife Haus „fast im Alleingang“[11] restauriert, eine Behauptung, die als solche entlarvt wird, wie die zahlreichen Erzählungen der Menschen, die Charlotte in dieser Sache unterstützen, zeigen. Praunheim hat dies unhinterfragt übernommen. Innerhalb der Museumsführung erzählt der Film durch Charlottes Worte aus ihrem Leben, ihrer Arbeit im Märkischen Museum und der Repressalien durch die SED und den „Verbrecherstaat, die DDR“[12], ähnlich wie es in den heutigen Führungen im Gründerzeitmuseum der Fall ist. Die Führung endet im Film wie auch heute im Museum mit der Mulakritze.[13]
[...]
[1] Jochen Vogt mit Verweis auf Henry James in Vogt, Jochen, Aspekte erzählender Prosa: eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie, 8., durchges. und aktualis. Aufl., WV-Studium Bd. 145 (Opladen, Westdeutscher Verlag: 1998), S. 41.
[2] Ich bin meine eigene Frau“, ein Film von Rosa von Praunheim, Deutschland 1992, Rosa von
Praunheim Film, erhältlich u.a. unter www.rosavonpraunheim.de und im Schwulen Museum Berlin.
[3] „Charlotte in Schweden“, ein Film von Rosa von Praunheim, Deutschland 2002, Rosa von Praunheim Film.
[4] von Mahlsdorf, Charlotte (Autorin) / Süß, Peter (Hrsg.), Ich bin meine eigene Frau, ein
Leben, 2., Auflage (St. Gallen / Berlin / São Paulo, Edition diá: 1992).
[5] Wright, Doug, I`m my own wife: studies for a ply about the life of Charlotte von Mahlsdorf: a play (New York, Faber and Faber: 2004).
[6] Cover-Rückseite der DVD. Auf dieser DVD befindet sich auch der zweite Film „Charlotte in
Schweden“.
[7] „Ich bin meine eigene Frau“ (DVD), so auch in der Autobiographie.
[8] „Ich bin meine eigene Frau“ (DVD).
[9] ebd.
[10] ebd.
[11] „Ich bin meine eigene Frau“ (DVD). Vgl. hierzu die zahlreichen Aussagen in Brang, Gabriele (2204), beispielsweise auf S. 58.
[12] ebd.
[13] Eine Altberliner Kneipeneinrichtung, aus der ehemaligen Mulakritze.