Was passiert, wenn andersartige Wesen und Figuren ihre Räume verlassen, Grenzen überschreiten und ihre Andersartigkeit an andere Orte tragen? Wie wirkt sich ihre Andersartigkeit auf die Figur-Raum-Beziehung aus? Diesen Fragen geht diese Arbeit anhand des Nibelungenlieds nach.
Das Nibelungenlied kündigt eine Erzählung von Helden und deren Kämpfen, großen Mühen, Festen und Tränen an. Jedoch wird mit keinem Wort erwähnt, dass es sich um eine Protagonistin, nämlich Kriemhild, handelt, die im Mittelpunkt der Erzählung steht - ein Umstand der für die mittelalterliche Dichtung neuartig scheint. Und selbst diese Schilderung greift für die Thematik des Nibelungenliedes zu kurz.
Teuflische Frauen, bärtige Zwerge, starke Riesen, weise und schöne Meerfrauen, unverwundbare, übermütige Helden und mythische Drachen haben ihren Platz im Nibelungenlied gefunden. Besondere Zuschreibungen brandmarken und kennzeichnen sie als andersartige Wesen. Andersartigkeit wird im Nibelungenlied zur Moralisierung und Wertung des höfischen und nicht höfischen Verhaltens verwendet.
Mythische Wesen, sowie aus Menschen und Tieren zusammengefügte Geschöpfe, dienten dazu, Laster und Tugenden begreifbar und inhaltlich vorstellbar zu machen. In der höfischen Literatur kennzeichnen Fremdheitserfahrungen mit mythisch- animalischen Kreaturen diese als sozial untergeordnete Wesen. Die Kluft zwischen höfischer und mythischer Welt ist durch die andersartigen Figuren im Nibelungenlied spürbar, wobei der höfischen Welt zweifellos ein höherer Stellenwert zugemessen wird. Diese formiert sich recht deutlich aus verschiedenen Orten, die im Nibelungenlied mehr oder weniger ausführlich beschrieben sind.
Die Andersartigen stellen keine homogene Gruppe dar. Sie setzen sich aus mythischen Wesen (Zwerge, Riesen, Drachen, Meerfrauen) und solchen, die als ’Mischwesen‘ aus einem menschlichen und einem nicht- menschlichen mythischen Teil bezeichnet werden können, zusammen. Siegfried und Brünhild können den Mischwesen zugeordnet werden und Kriemhild partizipiert zwar nicht an der mythischen Welt, fällt aber dennoch als rachsüchtige "valandinne" aus der ihr zugedachten Frauenrolle heraus.
Gemein ist diesen Figuren, dass sie nicht in das normative Ordnungsgeflecht des höfischen Personenverbandes hineinpassen und folglich als störend und andersartig auffallen. Gekoppelt ist ihre störende Andersartigkeit an die Räume, in denen sie sich bewegen.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Intersektionalität
- Grundlagen und Ursprung der Theorie
- Die Frage nach den Kategorien
- Historische Intersektionalitätsforschung
- Lost in space - Die Rahmenkategorie Raum
- Raum in den Kultur- und Sozialwissenschaften.
- Zusammenführung Intersektionalität und Raum.
- Methodologische Schlussfolgerungen
- Historisierung der Kategorien
- Class
- Gender
- Sexuality und minne
- Körper, Disability und Fremdheitserfahrungen
- Störungen in der Figur-Raum-Konzeption
- Siegfried - Der störende Held
- Brünhild - Die bezwungene Kriegerin
- Kriemhild - Die rachsüchtige vâlandinne
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Figur-Raum-Konzeption im Nibelungenlied unter dem Blickwinkel der Intersektionalität. Ziel ist es, die Ausgrenzungsstrategien aufzudecken, die den "Andersartigen" Figuren im Werk die Partizipation an der höfischen Welt verwehren.
- Die Rolle von Raum in der Konstruktion von Andersartigkeit
- Die Verbindung von Intersektionalität und Raum im mittelalterlichen Kontext
- Die Darstellung von Figuren wie Siegfried, Brünhild und Kriemhild als "störende" Elemente
- Die Auswirkungen von Grenzüberschreitungen und Mobilität auf die Figur-Raum-Beziehung
- Die Bedeutung von Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Sexualität und Disability im Nibelungenlied
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in das Thema ein und stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Rolle von Raum in der Konstruktion von Andersartigkeit im Nibelungenlied vor. Das zweite Kapitel bietet einen umfassenden Überblick über die Intersektionalitätstheorie, ihre Grundlagen und ihre Anwendung in der historischen Forschung. Im dritten Kapitel wird die Bedeutung von Raum im Kontext der Kultur- und Sozialwissenschaften analysiert und seine Verbindung zur Intersektionalität hergestellt.
Kapitel 4 widmet sich der Historisierung verschiedener Kategorien, die in der Intersektionalitätsforschung relevant sind, wie Class, Gender, Sexuality und Disability. Kapitel 5 schließlich untersucht detailliert die "störende" Andersartigkeit der Figuren Siegfried, Brünhild und Kriemhild im Hinblick auf ihre räumliche Bewegung und soziale Positionierung.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Intersektionalität, Raum, Andersartigkeit, Figur-Raum-Konzeption, Nibelungenlied, Geschlecht, Klasse, Sexualität, Disability, Mythen, Literatur, Kulturwissenschaften, Mittelalter, Ausgrenzung, Grenzüberschreitung, Mobilität.
- Citation du texte
- Lara Schmidt (Auteur), 2014, Intersektionale Räume im Nibelungenlied. Störungen in der Figur-Raum-Konzeption der Andersartigen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1302155