Süskinds Figur ist ein (Anti-)Held, der sich im verwirrenden Gestrüpp seiner Nervenfasern und Seelenfäden verheddert, heillos und ungeheilt. Er streift als vereinsamter, mehr oder minder psychotischer Sonderling durchs Leben.
Psychologen sprechen von ´Beeinträchtigungswahn`, von einer Beeinträchtigung der Wahrnehmung, bei der die Mitwelt als feindlich erlebt wird. Die Reaktion solcher Individuen ist entweder der Totalrückzug auf eine Art ´innere Lebensinsel` oder ein verborgener, verbissen - aggressiver Feldzug gegen die Welt der anderen.
Süskinds zu kurz gekommener Held sucht Halt, Anerkennung und letztlich doch nur dies: die Liebe der anderen. Je mehr sie von der Unmöglichkeit dieser Liebe überzeugt sind, desto unerbittlicher, auch gegen sich selbst, ergeben sie sich ihrem Perfektionsdrang, der sich an ausgesuchte Zustände bindet, wie der penibel ´erarbeitete` Zustand absoluter Ereignislosigkeit im minimalisierten Lebenswinkel.
In diesen Fixierungen verdinglicht sich das existenzielle Defizitgefühl: Lebensuntüchtigkeit, Liebesunfähigkeit und das Ausgestoßensein.
Aber „seine sichere Insel in der unsicheren Welt“ suchen das nicht die meisten, was immer sie dafür halten? Hassen nicht die meisten jene Ereignisse, die das innere Gleichgewicht erschüttern und die äußere Lebensordnung durcheinanderbringen? Unsicherheit und Angst sind aber nicht auf der Ebene der Vernunft zu Hause – sondern im Irrationalen. Wenn man die Erzählung als Gleichnis für die selbstverschuldete oder auferlegte Isoliertheit des Menschen, für die Verlassenheit, die mit hilflosen Kulissen kaschiert wird, empfindet, so wird klar, dass diese schon beim Auftauchen einer Taube umfallen können. Dass aus dem jüdischen Jungen Jonathan Noel ein menschenscheuer Sonderling geworden ist, hat aber auch seine bösen Gründe.
Die Erzählung „Die Taube“ ist zwar ein symbolisch überhöht, nichtsdestotrotz sehr realistisch und kein Märchen. Ihr märchenhafter Ausklang indessen nimmt ihr versöhnlerisch die traurige, harte Schärfe, die das Werk über weite Strecken so auszeichnet.
Süskind selbst hat einmal über sich gesagt: „ Auch ich verbringe den größten Teil meines Lebens in immer kleiner werdenden Zimmern, die mir zu verlassen immer schwerer fällt. Ich hoffe aber, eines Tages ein Zimmerchen zu finden, das so klein ist und mich so eng umschließt, daß es sich beim Verlassen von selbst mitnimmt.“ (1981)
Inhaltsverzeichnis
- Biographie
- Aufbau
- Inhalt
- Die Katastrophe
- Der autoritätshörige Jonathan
- Die Limousine des Direktors
- Ein aberwitziges Loch in der Hose
- Schreckliche Angst vor der Taube
- Die Taube hat alles zerstört
- Das einsame Henkersmahl
- Die Erlösung durch ein Gewitter
- Sprache und Stil
- Psychologische Analyse
- Feste Werte
- Schmerz und Angst
- Verwirrte Psyche
- Die Taube und ihre Auswirkungen
- Selbsthass
- Der Sarg
- Das Gewitter
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Erzählung „Die Taube“ von Patrick Süskind beleuchtet die Psyche eines Mannes, Jonathan Noel, der sein Leben in einem strikten Ordnungsschema lebt und durch ein traumatisches Erlebnis mit einer Taube in eine tiefe existenzielle Krise stürzt. Der Autor schildert die Auswirkungen dieser Begegnung auf Jonathans Gedanken, Gefühle und Verhalten, die ihn letztendlich zur Selbstzerstörung treiben.
- Die Auswirkungen von Trauma und Angst auf die menschliche Psyche
- Der Wunsch nach Ordnung und Kontrolle im Angesicht der Unsicherheit
- Die Suche nach Sinn und Bedeutung im Leben
- Die Abgründe der menschlichen Verzweiflung
- Die befreiende Kraft der Natur und die Überwindung von Trauma
Zusammenfassung der Kapitel
Der Text beginnt mit einer kurzen Vorschau auf die Begegnung mit der Taube und deren Auswirkungen auf Jonathan Noel. Es folgt eine Rückblende auf seine Vergangenheit, die von frühen Traumata und der Flucht in eine isolierte Existenz geprägt ist. Jonathan lebt ein streng geregeltes Leben als Wachmann einer Bank und versucht, jegliche Unvorhersehbarkeit aus seinem Dasein zu verbannen.
Doch die Begegnung mit der Taube, die ihm unerklärliche Angst und Verzweiflung einflößt, bringt seine geordnete Welt ins Wanken. Jonathan gerät in Panik, sein Leben erscheint ihm sinnlos, und er verstrickt sich in eine Reihe von seltsamen und peinlichen Handlungen, die seine innere Zerrissenheit und Verzweiflung widerspiegeln.
Am Ende des Tages findet Jonathan Zuflucht in einer kleinen Pension. Während er sich auf seinen Selbstmord vorbereitet, wird er von einem Gewitter überrascht, das ihn an seine Kindheit und die Zeit vor dem Krieg erinnert. Die Naturgewalt befreit ihn von seinen Ängsten und der Selbstzerstörung, und die Taube verschwindet, zusammen mit all seinen Ängsten.
Schlüsselwörter
Die Erzählung „Die Taube“ ist geprägt von zentralen Themen wie Trauma, Angst, Ordnung, Kontrolle, Sinnfindung, Verzweiflung und Überwindung. Der Text beleuchtet die menschliche Psyche und ihre Abgründe, sowie die Auswirkungen traumatischer Erlebnisse auf das Leben eines Menschen. Der Autor verwendet eine eigenwillige und poetische Sprache, um Jonathans Gefühlswelt nachzuempfinden und die Leser in seine innere Zerrissenheit und Verzweiflung einzustimmen.
- Arbeit zitieren
- M.A. Saskia Dams (Autor:in), 2000, Zu: Patrick Süskind - "Die Taube", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1303