Verfassungspatriotismus bei Sternberger und Habermas


Hausarbeit, 2020

13 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

Inhalt

Einführung

Eine neue Hoffnung für den Patriotismus

Der doppelte Boden des Patriotismus

Gegenüberstellung

Schlussbetrachtung

Quellenverzeichnis

Einführung

Mit großer Spannung erwarten die Bürger der USA und der Rest der Welt die Wahlen zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika am 3. November. Dort wird sich nämlich nicht nur entscheiden, in welche Richtung sich die Supernation für die nächsten 4 Jahre entwickeln wird. Mit der Wahl des neuen Präsidenten geht es um die Demokratie in den USA – so lautet der gemeinsame Konsens, der in die Medienlandschaft und den Köpfen der Bürger eingezogen ist.1 Nicht zuletzt aufgrund der ausschreitenden Bedrohung durch die Covid-19-Pandemie und der B lack- L ives- M atter Bewegung scheint die Demokratie in den USA mehr denn je auf eine harte Probe gestellt zu sein. Gerade in solch einem Land, welches von einer Verfassungskultur durchzogen und geprägt ist, wie Melanie Muller es in ihrem Forschungsbeitrag benennt, sorgt es für Bedenken. In ihrer Arbeit untersucht sie, inwiefern die aktuelle Polarisierung in den USA und Deutschland sich vergleichen lässt und eine Herausforderung für den Verfassungspatriotismus darstellen kann.

Auch in Deutschland verzeichnet sich eine gewisse wachsende Unruhe seitens der Bevölkerung. Eine selbst ernannte Gruppe namens „Reichsbewegung“ hat es sich zum Ziel gemacht, bestehende Grundgesetze abzuschaffen und eine neue Verfassung zu gründen, heißt es zahlreichen Medienberichten zufolge.2

Umso wichtiger erscheint es in solchen Zeiten, sich den Begriff des Verfassungspatriotismus noch einmal zu vergegenwärtigen, um die bestehenden Konflikte ausgiebig analysieren und reflektieren zu können. Dazu sollen die Theorien und Begriffsbestimmungen von den beiden einflussreichsten Vertretern Dolf Sternberger und Jürgen Habermas miteinander verglichen werden. Es wird sich dabei herausstellen, dass der ursprüngliche Gedanke Sternbergers sich auch in Habermas wiederfindet und um einiges erweitert wird.

Eine neue Hoffnung für den Patriotismus

Die Idee eines Verfassungspatriotismus erlangte durch Dolf Sternbergers theoretische Pionierarbeit erstmals eine materielle Form. Dieses Politikmodell erarbeitete er in zahlreichen Schriften aus, wie in Vaterlandsliebe (1949), Vaterländische Gesinnung (1959) oder Staatsfreundschaft (1963). Die wohl zentralsten und ausführlichsten unter ihnen bilden allerdings Das Vaterland (1959) und Verfassungspatriotismus: Rede bei der 25-Jahr-Feier der »Akademie für Politische Bildung« (1982), in der er sein Verständnis vom Verfassungspatriotismus ausdrückt.

Sein „geschichtliches und humanes“3 Ziel, wie es Richard von Weizsäcker in seiner Rede nannte, war es dem verwundeten Nationalgefühl der Deutschen ein neues Licht zu schenken. Ein geteiltes Deutschland in DDR und BRD schien identitätslos und orientierungslos zu sein. Ein Gefühl von Patriotismus oder gar Nationalismus war dank historischer Umstände einfach undenkbar. Somit musste ein gemeinsamer Punkt gefunden werden, mit dem die kollektive Identität der Deutschen materiell gefasst werden konnte. Dieser Punkt der Vereinigung war die Verfassung – nicht als „juristisches Dokument“, sondern als „lebende Verfassung“. Dolf Sternberger drückt das folgendermaßen aus: „Wir leben in einer ganzen Verfassung, in einem ganzen Verfassungsstaat, und das ist selbst eine Art von Vaterland.“4 Sternbergers Begriff bezieht sich also auf die rechtsstaatlich verfasste Republik und nicht auf die völkische Nation als solche.

Die Menschen konnten sich also wieder patriotisch fühlen, in dem sie einen Patriotismus zur Verfassung entwickelten, zu ihrem eigentlichen Vaterland. Diese Form von Patriotismus ist schließlich auch diejenige, die zu ihrem Wesen kongruent ist. Schließlich war der Patriotismus älter als der Nationalismus oder die nationalstaatliche Organisation Europas; er hat „durchaus etwas mit Staat und Verfassung zu tun.“5

Das Wesen des Verfassungspatriotismus ' setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Zum einen aus den faktischen politischen Institutionen, zum anderen aus der aktiven Teilhabe der Staatsbürger. Gesellschaftliche Organisationen schützen und garantieren die Rechte der Bürger, auf der anderen Seite müssen die Bürger die Verfassung leben – durch sie und mit ihr. Sie müssen ihren Unmut äußern, wenn sie ihn fühlen. Sternberger erläutert den beidseitigen Charakter der Verfassung, denn „wir nehmen auf allerlei Art an ihr teil, nicht nur leidend, auch tätig.“6 Diese Art der Unzufriedenheit „mindert nicht die Treue“7, sie fördert den Staat und bestätigt sie zugleich, sie wird geradezu zu einer patriotischen Pflicht eines jeden Einzelnen. Allerdings gibt es bekanntermaßen auch solche Unzufriedenheiten, die nicht „maßvoll“ geäußert werden und demnach nicht staatssichernd sind. Gegen solche Feinde muss die Verfassung verteidigt werden, ein Angriff auf sie gleicht einem Angriff auf die Freiheit, die der demokratische Rechtsstaat zu wahren garantiert. Freiheit kann nicht ohne Verfassung existieren. Recht und Freiheit sind die Fundamente der Verfassung, auf welche Sternberger glaubt, wieder von Neuem aufbauen zu können.8

Nun stellt sich die Frage, wie ein solcher Staat sich konkretisiert. Sternbergers Ansicht nach gibt es zwei Gruppen: Regierte und Regierende – Wählende und Gewählte. Für ihn ist diese wechselseitige Beziehung notwendig in einer Demokratie. Sternberger betont die Wichtigkeit eines Mehrparteiensystems, für die es auf den Wähler ankommt. Diese Art der Regierung könnte der „Demokratie Abtrag [tun], nicht aber der Verfassung.“9 Nur durch die Wahlgewalt der Bürger könne das demokratische Verfassungselement ständig aktualisiert werden. Die Demokratie kann nämlich nur im Ganzen einer Verfassung stehen und Element dessen sein, sie sollte aber nicht als Synonym der Verfassung verstanden werden, wie es im Westen geworden ist. Eine solche Regierung muss ihre politisch moralischen Werte, die sie vermittelt, auch praktizieren, um somit letztlich eine Bindung der Bürger an ihre Ordnung zu festigen. Grundrechte allein können nicht einziger Bestandteil einer Demokratie sein. Eine Verfassung, die versuchen würde, ihre Demokratie allein aufgrund von Grundrechten zu statuieren, „lieferte die Gesellschaft vielmehr der absoluten Anarchie aus.“10 Ein steter politischer Betrieb erfüllt sich durch Gesetze und eine Verankerung der Grundrechte in der Verfassung, denn dieses wiederum „heißt in moderner Sprache: die Verfassung.“11

Wichtig in Sternbergers Augen war es vor allem, den Begriff des Patriotismus zur Maxime zu machen. Dazu musste dieses ältere Verständnis einer Reihe von Veränderungen durchlaufen: „Wir werden das kriegerische Motiv, wir werden die altrömische Attitüde streichen, den Heroismus reduzieren.“12 Nur solch ein neues Verständnis von Patriotismus, wie er jetzt von der Verfassung repräsentiert wird, kann solche Gefühle wie Loyalität, Anhänglichkeit, Zuneigung erwecken – Gefühle, die das Vaterland so dringend nötig hat.

Der doppelte Boden des Patriotismus

Jürgen Habermas' Verständnis des Verfassungspatriotismus bildete sich zusammen mit dem berühmten Historikerstreit von 1986. In diesem ging es um die Historisierung des Holocaust und damit zugleich um dessen Rolle für ein identitätsstiftendes Nationalgefühl der Bürger und das Selbstverständnis der Bundesrepublik.

Bereits in der Entstehung seines Verständnisses für einen Verfassungspatriotismus lässt sich ein grundlegender Unterschied zu dem von Sternberger erkennen. Habermas' Vorstellung eines Verfassungspatriotismus ' schließt die deutsche Geschichte und die Werte des Landes als Ursprung für die Einheit der Bürger mit ein. Im Gegensatz zu Sternberger, setzt er sich mit der deutschen Vergangenheit kritisch auseinander und versucht dadurch eine gemeinsame Plattform für den öffentlichen Diskurs zu ermöglichen. Ein solcher Patriotismus zielt auf „die Bedingungen des Zusammenlebens und der Kommunikation zwischen verschiedenen, gleichberechtigt koexistierenden Lebensformen – im Innern wie nach außen“ ab.13 Die Grundlage für eine politische Kultur kann nur ein Verfassungspatriotismus bilden, der sich jeglichem nationalen Gehalt stellt.

Nation als solche bedeutet für Habermas nicht eine im Sinne von Abstammungsgemeinschaft, sondern in der Praxis von Bürgern, die ihrer republikanischen Gesinnung folgen, durch die Ausübung ihrer demokratischen Teilnahme- und Kommunikationsrechte. Ethnisch-kulturelle Gemeinsamkeiten waren nicht das, was eine Nation ausmachten, noch waren sie identitätsstiftend in Habermas' Augen.

Daran knüpft auch die starke universalistische Komponente an, mit der Habermas seinen Verfassungspatriotismus versieht. Seiner Auffassung nach sollte sich der Verfassungspatriotismus nicht auf die faktisch existierenden Institutionen richten, sondern vielmehr auf die universalistischen Prinzipien unserer Verfassung. Diese Prinzipien „weisen über das Ensemble der jeweils geltenden Gesetze hinaus“14 wie Habermas erläutert, sie fungieren als normativer Leitfaden unserer Gesetze. Daraus folgt ein normativer „Überschuss des Grundgesetzes“. Seine Idee der „Doppelbödigkeit des demokratischen Verfassungsstaates“, die seinem Verfassungspatriotismus zugrunde liegt, erschließt sich im Folgenden. Die grundlegenden Verfassungsprinzipien sind nämlich nicht vollständig, sie weisen in Abhängigkeit der jeweiligen historischen Umstände in unseren faktischen politischen Institutionen über sie hinaus. Habermas betont dabei abermals die Unterscheidung zwischen den grundlegenden Prinzipien unserer Verfassung und den Institutionen, die von ihr legitimiert werden.

[...]


1 Vgl.https://www.fr.de/meinung/gastbeitraege/trump-verschaerft-spaltung-die-us-wahl-entscheidet-ueber-das-schicksal-des-landes-90041739.html (Stand 11.09.2020)

2 Vgl. https://www.tagesschau.de/investigativ/reichsbewegung-corona-101.html (Stand 16.04.2020) Vgl. https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/querdenker-beklagen-besatzungsrecht-als-naechstes-moechten-sie-das-grundgesetz-abschaffen/26145162.html (Stand 01.09.2020)

3 Sternberger, Dolf: Verfassungspatriotismus. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990, S. 7.

4 Sternberger, Dolf: „Verfassungspatriotismus“, in: Ders.: Verfassungspatriotismus. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990, S. 13.

5 Sternberger, Dolf: „Verfassungspatriotismus. Rede bei der 25-Jahr-Feier der Akademie für politische Bildung“, in: Ders.: Verfassungspatriotismus. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990, S. 20.

6 Sternberger, Dolf: „Verfassungspatriotismus“, in: Ders.: Verfassungspatriotismus. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990, S. 14.

7 Ibid. S. 16.

8 Sternberger, Dolf: „Verfassungspatriotismus. Rede bei der 25-Jahr-Feier der Akademie für politische Bildung“, in: Ders.: Verfassungspatriotismus. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1990, S. 34.

9 Ibid. S. 28.

10 Ibid. S. 26.

11 Ibid. S. 24.

12 Ibid. S. 24.

13 Habermas, Jürgen. Geschichtsbewußtsein und posttraditionale Identität. Die Westorientierung der Bundesrepublik, in: Eine Art Schadensentwicklung. Kleine Politische Schriften VI. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1987, S . 173.

14 Habermas, Jürgen: „Über den doppelten Boden des demokratischen Rechtsstaates“, in: Ders.: Eine Art Schadensabwicklung. Kleine Politische Schriften VI. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1987, S. 20

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Verfassungspatriotismus bei Sternberger und Habermas
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Philosophische Fakultät / Philosophisches Institut)
Veranstaltung
Verfassungspatriotismus, Grundkonsens, Leitkultur – Zu den moralischen Grundlagen der Demokratie
Note
2,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
13
Katalognummer
V1307692
ISBN (Buch)
9783346782809
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verfassungspatriotismus, Grundkonsens, Leitkultur, Demokratie, Moralische Leitlinien der Demokratie, Moral, Sternberger, Habermas, Patriotismus, Doppelbödigkeit des Patriotismus, Doppelter Boden des Patriotismus, Politische Philosophie, Nationale Identität, Rechtsstaat
Arbeit zitieren
Christopher Cerra (Autor:in), 2020, Verfassungspatriotismus bei Sternberger und Habermas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1307692

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