Ziel dieser Arbeit ist es, sowohl dominante Diskurse und wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf "left behind places" zu untersuchen und zusammenzubringen als auch in der Literatur genannte politische Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Ein in vielen westlichen Industrieländern wachsender Zuspruch für rechtspopulistische Parteien sowie eine Verfestigung von räumlichen Ungleichheiten, zeigt die Aktualität der Debatte auf. Vor diesem Hintergrund ist es entsprechend relevant, den wissenschaftlichen Diskurs um den "left behind places"-Begriff auf thematische Weise zusammenzufassen. Hierbei wird hauptsächlich auf englischsprachige Literatur zurückgegriffen. Der Diskurs wird im Hinblick auf sogenannte westliche Industrieländer und in enger Verbindung zu dem Phänomen der "geographies of discontent" untersucht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
3. Fazit und Diskussion
4. Literaturverzeichnis
Einleitung:
„A more nuanced understanding of political change can be acquired by recognising varieties of ,left-behindedness‘, from shrinking areas with largely older, white working class populations to areas characterised by highly insecure employment and the most economically deprived, urban environments.“ (FURLoNG 2019: 3).
Die wirtschaftliche Entwicklung in vielen westlichen Industrieländern zeichnet sich seit 1980 durch einen Anstieg von räumlichen Disparitäten aus (KEMENY, sToRPER 2020: 3), wobei es Gewinner- und Verliererregionen gibt.
Für Verliererregionen, die in der Literatur häufig als altindustriell, peripher und wirtschaftlich schwach beschrieben werden, hat sich der Begriff der „left behind places“ etabliert, der im Zusammenhang mit dem Brexit-Votum in Großbritannien 2016 Einzug in den wissenschaftlichen Diskurs fand. Die räumliche Aufteilung in kosmopolitische Zentren auf der einen seite und „left behind places“ auf der anderen seite wird in der wissenschaftlichen Debatte entsprechend häufig mit dem Wahlverhalten der in einer Region lebenden Bevölkerung in Verbindung gebracht. Ein wirtschaftliches „Abgehängtsein“ von Regionen wird mit einem hohen stimmenanteil für rechtspopulistische und EU-kritische Parteien verknüpft. Der Begriff der „geographies of discontent“ ist demgemäß eng mit der Debatte um „left behind places“ verbunden.
Es stellt also eine unzutreffende Vereinfachung dar, wenn das „left behind places“- Phänomen ausschließlich auf die ökonomische situation, Raumausstattung und Rura- lität einer Region zurückgeführt wird. Häufig handelt es sich hierbei um Regionen, die sich durch ein Gefühl der Unzufriedenheit basierend auf wahrgenommenen Ungleichheiten auszeichnen. Menschen fühlen sich relational zu anderen Regionen oder zu einem Zustand in der Vergangenheit abgehängt. Negative Emotionen, die hierbei zunächst als Ausdruck individueller Unzufriedenheit verstanden werden müssen, können in einer kollektiven, räumlich aggregierten Unzufriedenheit resultieren, die dann zu „revenge voting“ (LARssoN et al 2021: 585) führen kann. Es gibt eine breite Überschneidung zwischen dem Gefühl und dem wirtschaftlichen Zustand des „Abgehängtseins“. Diese Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität von „left behind places“ macht die Definition und operationalisierung des Begriffes schwierig.
Ein in vielen westlichen Industrieländern wachsender Zuspruch für rechtspopulistische Parteien (INGLEHART, NoRRIs 2016: 6) sowie eine Verfestigung von räumlichen Ungleichheiten, zeigt die Aktualität der Debatte auf. Vor diesem Hintergrund ist es entsprechend relevant, den wissenschaftlichen Diskurs um den „left behind places“-
Begriff auf thematische Weise zusammenzufassen. Hierbei wird hauptsächlich auf englischsprachige Literatur zurückgegriffen. Der Diskurs wird im Hinblick auf sogenannte westliche Industrieländer und in enger Verbindung zu dem Phänomen der „geographies of discontent“ untersucht. Ziel ist es, sowohl dominante Diskurse und wissenschaftliche Erkenntnisse diesbezüglich zu untersuchen und zusammenzubringen als auch in der Literatur genannte politische Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Hauptteil:
Bei dem Begriff des „Abgehängtseins“, handelt es sich um keine wissenschaftliche Kategorie, weswegen auch keine allgemeingültige Definition vorliegt (DEPPIsCH 2019: 1). Entsprechend ist es schwierig, eine geeignete operationalisierung für den Raumtyp „left behind places“ zu finden (MACKINNoN et al. 2022: 41) und auch in der Literatur werden Definitionsprobleme thematisiert (z.B. FURLoNG 2019: 11). Im Allgemeinen werden unter dem Begriff „left behind places“ aber vor allem altin- dutrielle sowie ländliche Regionen zusammengefasst (MACKINNoN ET AL. 2022: s. 40), deren Wirtschaftskraft hinter der Wirtschaftskraft der Gesamtnation zurückge- blieben ist. Einige Merkmale, mit denen der Begriff der „left behind places“ in der Literatur belegt wird, sind eine hohe Arbeitslosenrate, eine geringe Wirtschaftskraft, ein häufig geringer Urbanisierungsgrad, ein verhältnismäßig niedriges Durch- schnittseinkommen (LENZI, PERUCCA 2021: 420), sowie eine selektive Abwanderung junger und gut ausgebildeter Menschen. Dabei wird der Begriff nicht nur durch harte ökonomische Faktoren definiert, vielmehr handelt es sich um ein multidimensionales Konzept (MACKINNoN et al. 2022: 41). so hat der Begriff auch eine emotionale und subjektive Komponente, die über das Wirtschaftliche hinausgeht (MIGGELBRINK 2020: 70): Menschen in „left behind places“ sind unzufrieden mit ihrer Lebenssitua- tion und fühlen sich von Politiker*Innen unterrepräsentiert (MACKINNoN et al 2022: 44). Diese individuelle Unzufriedenheit ist hierbei oft nicht signifikant mit der Ent- wicklung des Bruttoinlandsproduktes verbunden (LENZI, PERUCCA 2021: 430), wes- halb ausschließlich wachstumsorientierte Untersuchungen von „left behind places“ zu kurz greifen. Zwischen der emotionalen und der wirtschaftlichen Dimension von „left behind places“ gibt es allerdings große, interdependente Überschneidungen. so haben Menschen in Regionen in verhältnismäßig schlechter wirtschaftlicher Position eher das Gefühl, dass ihre stimmen politisch nicht zählen (sPRUYT et al 2016: 336). Dies kann sich im Wahlverhalten manifestieren (DI MATTEo, MARIoTTI 2020: 384),
weswegen der Begriff der „left behind places“ in der wissenschaftlichen Debatte bei Wahlen häufig im zusammenhang mit der räumlichen Stimmenverteilung für rechtspopulistische und EU-kritische Parteien untersucht wird. Für die hierbei beobachteten räumlichen Unterschiede hat sich der Begriff „geographies of discontent“ etabliert (vgl. RUYTER et al 2021).
Dass das „left behind places“-Phänomen und die „geographies of discontent“ relational verbunden sind, wird auch dadurch verdeutlicht, dass über „left behind places“ erstmalig im zusammenhang mit den räumlichen Unterschieden in der Stimmenverteilung für und gegen den Brexit 2016 in Großbritannien diskutiert wurde (LARRSON et al 2021: 585). In Großbritannien haben überproportional viele Menschen für den Brexit gestimmt, die in Regionen leben, die sich durch langanhaltenden wirtschaftlichen Niedergang, ein niedriges Bildungsniveau sowie wenige lokale Arbeitsmöglichkeiten auszeichnen (DIJKSTRA et al 2020: 737), Eigenschaften, die häufig auch als Indikatoren für „left behind places“ genannt werden.
Hierbei spielen auch persönliche Merkmale eine Rolle: Generell werden Individuen, die populistische Parteien wählen idealtypisch als weiß, alt, männlich und mit niedrigem Bildungsabschluss charakterisiert (FURLONG 2019: 2). Es handelt sich um soziale Gruppen, die durch kollektive Gefühle der Unsicherheit geeint sind und die das Gefühl haben, dass politische „Eliten“ ihre Ängste nicht angemessen adressieren (GOODWIN, HEATH 2016: 331).
Die prominenteste wissenschaftliche Arbeit über den zusammenhang zwischen „left behind places“ und einem hohen Stimmenanteil für rechtspopulistische Parteien stammt von Rodrigeez-Pose (2018), der die räumlich konzentrierte Zustimmung für rechtspopulistische Parteien als die Rache der „places that don't matter“ bewertet (Rodriguez-Pose 2018). Demnach profitieren nicht alle Regionen gleichsam von den Erfolgen der Globalisierung. Vielmehr werden einige, ökonomisch benachteiligte, meist dünn besiedelte Regionen „abgehängt“. sie zeichnen sich durch eine verhältnismäßig hohe Armut und durch wirtschaftlichen Verfall aus. Erfolg populistischer Kräfte ist dementsprechend auf räumlicher und nicht auf individueller Ebene zu verstehen (KoEPPEN et al 2020: 224). Der langanhaltende Verlust ökonomischer Wirtschaftskraft ist hierbei für die Ausbildung von „geographies of discontent“ entscheidend (DIJKsTRA et al 2019: 747f).
„In recent years the places that ,don't matter‘ have increasingly used the ballot box [.] to rebel against the feeling of being left behind; against the feeling of lacking opportunities and future prospects.“ (RODR^GUEZ-POSE 2018: 190).
Auch in anderen Arbeiten wird konstatiert, dass Individuen oder Gemeinschaften, die von wirtschaftlichen Transformationen abgehängt werden, ihre Unzufriedenheit oftmals in Form von Unterstützung für populistische Kräfte audrücken (LENzI, PERUC- CA 2021: 419), die sich als Profiteure von ortsbezogenen Unzufriedenheiten erwiesen haben (MCKAY et al 2021: 11).
Ein hoher Stimmenanteil für rechtspopulistische und EU-kritische Parteien wird entsprechend an vielen Stellen als Indikator für „left behind places“ genutzt. Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Wenn das Wahlverhalten als Definitionsmerkmal für „left behind places“ genutzt wird, dann wird die Aussage, dass „left behind places“ den Anstieg von populistischem Wahlverhalten verursacht haben immer richtig erscheinen. Es handelt sich um eine tautologische Aussage (FURLONG 2019: 3). Entsprechend gibt es auch Ansätze, wie den Ansatz von MCKAY, JENNINGS, und STOKER (2021), die Gefühle der Unzufriedenheit explizit messen, anstatt hierfür implizit das Wahlverhalten heranzuziehen (MCKAY et al 2021: 2).
In der wissenschaftlichen Debatte herrscht dennoch Einigkeit darüber, dass individuelle Unzufriedenheit sich insbesondere in „left behind places“ räumlich aggregieren und in einer ortsbezogenen, kollektiven Unzufriedenheit resultieren kann.
Drei der Gründe, die auf räumlicher Ebene zu politischer Unzufriedenheit beitragen können, sind Relationalität, Identitätsverlust, sowie räumlich-geographische Charakteristika:
1. Relationalität:
An vielen Stellen wird in der Literatur der Aspekt der Relationalität als wichtiger Faktor für die Ausprägung von „geographies of discontent“ hervorgehoben. Es gibt einen signifikanten zusammenhang zwischen der sozialen Ungleichheit im Land und den Einstellungen gegenüber „der Politik“. Wenn die Ungleichheiten innerhalb eines Landes höher sind, ist auch die Unzufriedenheit mit der Politik höher (DROSTE 2021: 295). Dies gilt jedoch nur für westliche Industrieländer, für Länder mit vergleichsweise höheren sozioökonomischen Disparitäten (z.B. Namibia), lässt sich dieser zusammenhang nicht feststellen (BRAUN, FATKE 2017: 16).
Vor allem der Kontext ist für den Grad der politischen Unzufriedenheit in westlichen Industrieländern entscheidend: MCCANN (2020) führt den hohen zuspruch für den Brexit in Großbritannien darauf zurück, dass die interregionale Ungleichheit hier verglichen mit anderen OECD-Ländern sehr hoch ist. Ungleiche Regionen liegen hier auch räumlich extrem nah beieinander, wenn man den Vergleich mit anderen oECD-Ländern, wie spanien, Italien oder der UsA zieht (MCCANN 2020: 263). Passend hierzu konstatieren auch LARssoN, ÖNER und sIELKER (2021), dass „being left behind“ ein Gefühl ist, dass insbesondere in Regionen entsteht, die von ökonomisch prosperierenden Regionen in der Nachbarschaft überschattet werden (LARssoN et al 2021: 597). Interaktion zwischen Regionen könnten hier entscheidende Faktoren sein. Wenn die eigene situation also im Vergleich zu anderen Regionen oder der Gesamtnation als deutlich schlechter wahrgenommen wird, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Menschen sich abgehängt fühlen.
„People who see a much worse situation in their local economy than nationally will tend to want to displace the responsibility from the community itself and are likely to indict the government (or the political system) instead.“ (MCKAY 2019: 8).
Die These, dass ein Anstieg von sozialen Ungleichheiten zu einem Anstieg von politischer Unzufriedenheit führen kann, wird auch von der relativen Deprivationstheorie unterstützt, die besagt, dass Individuen dazu tendieren, rechtspopulistische Akteure zu wählen, wenn sie sich relativ zu anderen Regionen und zur Gesamtnation vom ökonomischen und politischen system unfair behandelt fühlen (FURLoNG 2019: 3). Auch ein Vergleich mit sich selbst zu früheren, scheinbar besseren Zeitpunkten kann nach diesem Konzept in dem Gefühl münden, nicht das zu haben, was man verdient (vgl. sMITH et al 2012). Die subjektive Wahrnehmung der eigenen situation ist hierbei wichtiger als die tatsächlichen ökonomischen Konditionen. “[W]hat arouses popular opposition is not inequality per se, but perceived unfairness” (RoDRIK 2018).
2. Identitätsverlust:
Ein weiterer bestimmender Faktor, der zu einem Gefühl von „Abgehängtsein“ führen kann, ist Indentitätsverlust. ULRICH-sCHAD und DUNCAN (2018) haben anhand der UsA festgestellt, dass es ganz verschiedene ländliche Raumtypen gibt. „Revenge voting“ ist ein Phänomen, dass insbesondere in den sogenannten „transition areas“ auffällig ist, die auf Landwirtschaft, verarbeitendes Gewerbe oder andere Industrien spezialisiert waren, die im Zuge der Globalisierung großflächig verschwanden. Der Wegfall lokaler Arbeitsmöglichkeiten führte zur Abwanderung zahlreicher junger Menschen (ULRICH-sCHAD, DUNCAN 2018: 62) und der Verlust identitätsstiftender Industrien führte zu Gefühlen von ökonomischer Unsicherheit und Identitätsverlust, was dann wiederum in einem Vertrauensverlust gegenüber etablierten politischen Kräften resultierte.
Der Verlust von Identitäts-Kontinuität kann zu einer starken individuellen Unzufriedenheit führen, wie IYER und JETTEN (2011) in ihrer Untersuchung zu Nostalgiegefühlen diagnostizieren: Wenn eine Diskontinuität zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart besteht, kann das dazu führen, dass Individuen sich Möglichkeiten, die sich ihnen in der Gegenwart bieten, verschließen (IYER, JETTEN 2011: 107). „Being reminded of what is left behind may only amplify a sense of loss, thus making it difficult to successfully navigate challenges in the present context.“ (IYER, JETTEN 2011: 101).
Schnelle, ortsbezogene Veränderungen, egal ob wirtschaftlich, sozial oder kulturell, sowie der Verlust von identitätsstiftenden Merkmalen einer Region können entsprechend zu räumlich aggregierter Unsicherheit und Unzufriedenheit führen.
Dies gilt beispielweise auch für Regionen der ehemaligen DDR in Deutschland, wo überproportional viele Menschen rechtspopulistisch wählen (SCHRÖDER 2018: 6): Für viele Ostdeutsche war die Wendeerfahrung eine zeit von Verlusterfahrungen, Verunsicherungen und arbeitsbiografischen Brüchen (MIGGELBRINK 2020: 76). Auch die einst stark industriell geprägte Stadt Stoke-on-Trent in England, in der überproportional viele Menschen für den Brexit wählten, kann exemplarisch angeführt werden. Stoke-on-Trent „has a proud past that its people very much regard as their own history“ (MATTINSON 2020: 61). Durch Deindustrialisierung, ökonomischen Strukturwandel und sozialen Wandel entstehen räumlich aggregierte Gefühle des Verlustes, insbesondere unter älteren Einwohner*Innen (MACKINNON et al 2022: 51f). Generell lässt sich festhalten, dass ökonomische Unsicherheit als Verstärker für den wachsenden zuspruch populistischer Parteien fungiert (INGLEHART, NORRIS 2016: 2). Das Wahlverhalten kann hier entsprechend als Antwort auf den Verlust interpretiert werden, denn aus individueller Unzufriedenheit kann, wenn sie unadressiert bleibt, kollektive, politische Unzufriedenheit werden, die sich in Form von „revenge voting“ manifestiert (LENzI, PERUCCA: 441).
3. Räumliche Charakteristika
In der räumlich Stimmenverteilung für rechtspopulistische Parteien lässt sich in vielen Ländern ein Stadt-Land-Gefälle erkennnen. In den USA beispielsweise, wurde Donald Trump überproportional in ruralen Regionen gewählt, während Nicht- Trump-Wähler sich eher in großen Städten konzentrierten (DIJKSTRA et al 2020: 744). Untersuchungen zeigen auch, dass sich in den USA Bewohner aus ländlichen Regionen eher gesellschaftlich marginalisiert und von Stadtbewohner*Innen miss- verstanden fühlen (MCKAY et al 2021: 5), was erneut die emotionale Komponente des „left behind places“-Phänomen hervorhebt.
„The rural groups [.] feel a deep antipathy toward urban residents whom they perceive as working less hard and benefiting more from government policies.“ (CRAMER 2016, 210). Auch in Frankreich lässt sich im Hinblick auf „geographies of discontent“ eine stadt-Land-Teilung erkennen (FURLoNG 2019: 3) und in Großbritannien sprach man nach der Brexitwahl vom „Left Behind Britain“ und meinte damit Regionen, die in starkem Kontrast zu prosperierenden städten Englands (vor allem London) standen (sYKEs 2018: 148).
Eine weitere Erklärung für diese Unterschiede ist das Gefühl der Landbewoh- ner*Innen, von Politiker*Innen nicht repräsentiert zu werden, das aus einer wahrgenommenen ideologischen, aber auch räumlichen Trennung zwischen „den Menschen in meiner Region“ und den „politischen Eliten irgendwoanders“ erwächst (HUIJs- MANs 2022: 7). Das Vertrauen in politische Institutionen wächst, wenn sich politische Einrichtungen in räumlicher Nähe befinden, denn wenn „die Politik“ sich in direkter Nachbarschaft befindet, dann wird ihr von Landbewohner*Innen mehr Wissen über die eigene Lebensrealität zugeschrieben (MCKAY et al 2021: 11).
Natürlich spielen im Hinblick auf Zufriedenheit und Vertrauen in politische Ent- scheidungsträger*Innen aber auch harte ökonomische Faktoren eine Rolle: Wirtschaftliche stagnation, ein niedriges Einkommen und begrenzte wirtschaftliche und persönliche Perspektiven können Gefühle der Unzufriedenheit verstärken (DIJKsTRA et al 2019: 743).
obwohl es in vielen Ländern Unterschiede in Zufriedenheit und Wahlverhalten zwischen stadt- und Land-Bewohner*Innen gibt, ist es zu einfach, von einer binären Zweiteilung zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um einen Gradienten, wobei Kontextfaktoren eine wichtige Rolle spielen (RUYTER et al 2021: 389). Ländliche Raumtypen können im Hinblick auf ökonomische Entwicklung sowie kulturelle und politische Mentalität ganz unterschiedlich charakterisiert werden (ULRICH-sCHAD, DUNCAN 2018: 61). Altindustrielle städte beispielsweise sind mitunter mehr von ökonomischem Niedergang betroffen als ländliche Regionen in räumlicher Nähe von prosperierenden städten. Die zentral-periphere Dimension von „left behind places“ muss entsprechend ebenfalls mitberücksichtigt werden (HUIJsMANs 2022: 4). so nimmt die individuelle Unzufriedenheit mit der Nähe zu großen städten ab. Ruralität ist demnach also nicht per se eine Quelle für Unzufriedenheit, der Grad der regionalen Urbanisierung allerdings in vielen Fällen schon (LENZI, PERUCCA 2021: 435).
Sowohl das Stadt-Land-Gefälle als auch das Zentrum-Peripherie-Gefälle spielen bei der Analyse von „geographies of discontent“ eine Rolle. Letztendlich muss jedoch für jede einzelne Region der Kontext berücksichtigt werden.
Ein für die eigene Region schlecht ausfallender Vergleich mit anderen Regionen, kollektive Verlusterfahrungen und weitere räumliche Charakteristike, wie ein geringer Urbanisierungsgrad, können zu einem Gefühl von „being left behind“ und zu einem Misstrauen gegenüber etablierten Politiker*Innen führen.
Passend hierzu führt HUIJSMANS (2022) am Beispiel der Niederlande das Konzept des „place resentment“ ein. „Place resentment“ kann hierbei als das kollektive Gefühl verstanden werden, dass die eigene Region von Politiker*Innen ignoriert wird (HUIJSMANS 2022: 1). Dieses Gefühl erwächst aus einer Identifikation mit der eigenen lokalen Gemeinschaft, sowie der Wahrnehmung räumlicher Ungerechtigkeit (HUIJSMANS 2022: 4). Gruppenidentifikation und damit verbundene Gefühle kollektiver Benachteiligung sind hierbei entscheidend (KOEPPEN et al 2020: 237). Das Resultat ist eine räumlich verankerten Unzufriedenheit, die sich im politischen Wahlverhalten ausdrücken kann. Raum fungiert hier also als Linse, durch die Menschen Politik wahrnehmen und interpretieren (CRAMER 2016: 12). Auch auf räumlicher Ebene gilt: “Populist political parties use populism to [...] give voice to groups that feel unrepresented.” (MUDDE, KALTWASSER 2017: 51).
Es ist Ziel aller politischer Ebenen, Ungleichheiten abzubauen und Menschen aller Regionen möglichst gleiche Perspektiven zu sichern. So ist es erklärtes Ziel des EU- Parlamentes “to reduc[e] disparities between the levels of development of the various regions [.].” (European Council 2020). Auch wenn es Untersuchungen gibt, die zeigen, dass EU-Finanzierung helfen kann, inter- und intraregionale Ungleichheiten abzubauen (LANG et al 2021: 32), macht die Persistenz von räumlicher Ungleichheit und das Erstarken populistischer Parteien insbesondere in den „left behind places“ deutlich, dass politische Maßnahmen bislang unzureichend sind.
Politik hat in den letzten Jahrzehnten zu wenig räumlich gedacht (Rodriguez-Pose 2018: 2001) und wenn doch, dann wurden nach den Motto: “urban density provides the clearest path from poverty to prosperity” (GLAEsER 2011: 1), in der Vergangenheit städte gegenüber ländlichen Regionen durch politische Maßnahmen bevorzugt. städtische Regionen wurden gegenüber häufig ruralen „left behind places“ vorgezo- gen, da ihnen am meisten Entwicklungspotential zugeschrieben wird (MACKINNON et al 2022: 39).
Autor*Innen sind sich im Wesentlichen darüber einig, dass es für die Zukunft eine „place-sensitive“, also eine raumsensitive Politik braucht, um sowohl ökonomischen Niedergang als auch subjektive Gefühle der Unzufriedenheit in „left behind places“ zu adressieren (vgl. MARTIN et al 2021). „Place-sensitive policies [.] may thus be the best policy option to confront the economic decline, weak human resources and low employment opportunities that are at the base of the geography of EU discontent.“ (DIJKSTRA et al 2020: 751). Hierbei können sowohl regionale Attraktivität als auch Lebensqualität gesteigert werden (DI MATTEO, MARIOTTI 2020: 386), indem Kontext und Heterogenität verschiedener Regionstypen berücksichtigt werden und indem Politiker*Innen zeigen, dass sie sich ehrlich für die Regionen interessieren, die als „abgehängt“ beschrieben werden (HUIJSMANS 2022: 19). „Left behind places“ und „left behind people“ müssen hierbei gleichermaßen berücksichtigt werden, um sowohl intraregionale als auch interregionale Unterschiede zu abzubauen (LANG et al 2021: 32). Die regionale Politik spielt bei der Adressierung der lokalen Bevölkerung eine zentrale Rolle (RUYTER et al. 2021: 388), weshalb auch die Dezentralisierung politischer Macht und Institutionen als möglicherweise wirksame politische Maßnahme diskutiert wird (MARTIN et al 2021: 102; MCKAY 2021: 11). Eine raumsensitive Politik sollte hierbei sinnvoll mit „bottom-up“-Ansätzen verbunden werden, die lokale Akteure aktiv einbeziehen (MARTIN et al 2021: 101f). Dies könnte auch zu einem positives Gefühl von Selbstwirksamkeit unter lokalen Akteuren beitragen (Rodriguez-Pose 2018: 206).
BUTZIN und FLÖGEL (2022) heben am Beispiel der Ruhr-Industrie in Deutschland hervor, dass „left behind places“ darüber hinaus neue wirtschaftliche Impulse brauchen, die zu einer neuen, positiven Identität beitragen und ortsbezogene Identitätsverluste kompensieren können (BUTzIN, FLÖGEL 2022: 5).
Fazit und Diskussion:
Es lässt sich zusammenfassen, dass “left behind places“ sich oft durch vergleichsweise niedrige Wirtschaftskraft, ortsbezogene Verlusterfahrungen und einen (idealtypisch) geringen Urbanitätsgrad auszeichnen. Die damit einhergehende individuelle Frustration und Unzufriedenheit kann in einer kollektiven Frustration und Unzufriedenheit resultieren, die sich in Form von zuspruch für populistische Parteien ausdrücken kann. “Extremist movements [...] appeal to the disgruntled and psychologically homeless, to the personal failures, the socially isolated, the economically insecure, the uneducated, unsophisticated, and the authoritarian persons.” (MUDDE 2015).
Es ist davon auszugehen, dass „left behind places“ in der Zukunft im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs weiter an Bedeutung gewinnen werden. Nicht zuletzt ökonomische Krisen, wie die Corona-Pandemie erweisen sich weltweit als Verstärker von sozioökonomischen und räumlichen Ungleichheiten (LEYSHON 2021: 687) und bergen so das gefährliche Potential zu einem Gefühl von „Abgehängtsein“ auf räumlicher Ebene beizutragen.
Der Politik der Zukunft wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in zahlreichen Industrieländern die schwierige Aufgabe zuteil, sowohl ökonomische Ungleichheiten abzubauen als auch mit raumsensitiven Maßnahmen räumlich aggregierter Frustration entgegenzutreten. Dies erscheint insbesondere in Zeiten von gegenwärtiger ökonomischer Krise durch länderübergreifende Inflation, sowie vor dem Hintergrund der in Zukunft zunehmenden ökonomischen Schäden durch die Klimakrise relevant.
Wegweisend für zukünftige wissenschaftiche Untersuchungen hingegen, werden zahlreiche Forschungslücken und offene Fragen bezogen auf den „left behind places“-Begriff sein: Was sind die Ursachen und Folgen unterschiedlicher ökonomischer Entwicklung? Was ist vor diesem Hintergrund gemeint, wenn von „levelling up“ gesprochen wird? (LEYSHON 2021: 1686). Welchen Einfluss hat interregionale Interaktion auf das Gefühl des „Abgehängtseins“? (LARSSON et al 2021: 598). Welche Faktoren begünsigen auf einer Mikroebene die Unterstützung von rechtspopulistischen Parteien? (KOEPPEN et al 2020: 238). Welche alternativen Zugänge und Indikatoren neben der Wahl für rechtspopulistische Parteien lassen sich für das Gefühl des „Abgehängtseins“ heranziehen? Welche Rolle spielt eine rurale Identitätszugehörigkeit in den „geographies of discontent“? (ULRICH-SCHAD, DUNCAN 2018: 76). Dies sind nur einige der Fragen, die in der Literatur aufgeworfen werden.
Abschließend lässt sich konstatieren, dass es sich bei „left behind places“ um mehrdimensionale und komplexe Raumtypen handelt, die sich nur aus einer Verbindung von emotionalen und ökonomischen Merkmalen heraus verstehen lassen. Bezüglich Definition und Operationalisierung von „left behind places“ gibt es in der wissenschaftlichen Debatte entsprechend keine Einigkeit.
Literaturverzeichnis:
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Häufig gestellte Fragen
Was sind "Left Behind Places"?
"Left behind places" sind Regionen, oft altindustriell oder ländlich, deren wirtschaftliche Leistung hinter dem nationalen Durchschnitt zurückbleibt. Sie sind durch hohe Arbeitslosigkeit, geringe Wirtschaftskraft, niedrigen Urbanisierungsgrad, niedriges Durchschnittseinkommen und Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen gekennzeichnet. Es handelt sich um ein multidimensionales Konzept mit einer subjektiven Komponente: Bewohner sind unzufrieden und fühlen sich politisch unterrepräsentiert.
Was sind "Geographies of Discontent"?
"Geographies of Discontent" beschreibt räumliche Unterschiede im Wahlverhalten, insbesondere die überproportionale Unterstützung rechtspopulistischer und EU-kritischer Parteien in bestimmten Regionen. Es ist eng mit dem Konzept der "left behind places" verbunden.
Welche Faktoren tragen zu "Geographies of Discontent" bei?
Mehrere Faktoren tragen bei:
- Relationalität: Wahrgenommene Ungleichheit im Vergleich zu anderen Regionen und zur Gesamtnation.
- Identitätsverlust: Der Verlust traditioneller Industrien, Arbeitsplätze und kultureller Identität.
- Räumliche Charakteristika: Ein Stadt-Land-Gefälle, bei dem Bewohner ländlicher Regionen sich marginalisiert und von Politikern nicht repräsentiert fühlen.
Welche Rolle spielt die Relationalität bei der Entstehung von "Geographies of Discontent"?
Der Vergleich der eigenen wirtschaftlichen Situation mit anderen Regionen und dem nationalen Durchschnitt ist entscheidend. Wenn die eigene Situation als deutlich schlechter wahrgenommen wird, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Menschen sich abgehängt fühlen und unzufrieden mit der Politik sind. Interregionale Ungleichheit, insbesondere wenn ungleiche Regionen räumlich nahe beieinander liegen, verstärkt diese Gefühle.
Wie trägt Identitätsverlust zu "Geographies of Discontent" bei?
Der Wegfall von identitätsstiftenden Industrien und Arbeitsplätzen, oft in Folge von Globalisierung, führt zu Abwanderung, wirtschaftlicher Unsicherheit und Identitätsverlust. Dies wiederum resultiert in einem Vertrauensverlust gegenüber etablierten politischen Kräften und kann zu "revenge voting" führen.
Welche Rolle spielt die räumliche Trennung (Stadt-Land-Gefälle) bei "Geographies of Discontent"?
In vielen Ländern ist eine Kluft zwischen Stadt und Land in der politischen Präferenz zu erkennen, wobei ländliche Gebiete oft rechtspopulistische Parteien unterstützen. Bewohner ländlicher Regionen fühlen sich oft gesellschaftlich marginalisiert und von Stadtbewohnern missverstanden. Sie nehmen eine ideologische und räumliche Trennung zwischen sich und den "politischen Eliten" wahr, was zu Misstrauen führt.
Was kann gegen die Entstehung von "Geographies of Discontent" getan werden?
Es braucht eine "place-sensitive" Politik, die sowohl ökonomischen Niedergang als auch subjektive Gefühle der Unzufriedenheit in "left behind places" adressiert. Dies beinhaltet die Berücksichtigung des Kontexts und der Heterogenität verschiedener Regionstypen, die Einbeziehung lokaler Akteure und die Dezentralisierung politischer Macht. Es bedarf neuer wirtschaftlicher Impulse, die zu einer positiven Identität beitragen und ortsbezogene Identitätsverluste kompensieren können.
Was ist "Place Resentment"?
"Place resentment" ist das kollektive Gefühl, dass die eigene Region von Politikern ignoriert wird. Es erwächst aus einer Identifikation mit der eigenen lokalen Gemeinschaft und der Wahrnehmung räumlicher Ungerechtigkeit. Dieses Gefühl kann sich im politischen Wahlverhalten ausdrücken, Raum fungiert hier als Linse, durch die Menschen Politik wahrnehmen und interpretieren.
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- Jana Boltersdorf (Author), 2022, Der Zusammenhang von "Left behind places" und "Geographies of discontent", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1307714