"Denn ohne Stress keine Evolution. Auch nicht im Theater"

Das Phänomen Regietheater erklärt anhand Cole Porters Musical 'Kiss me Kate' in einer Inszenierung von Barrie Kosky


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Hauptteil
1. Funktionen des Theaters in der westlichen Gesellschaft
2. Inszenierung – Regie - Aufführung
2.1 Was ist Regie? Was ist Regietheater?
2.2 Geschichte der Theaterregie
3. Relation von Werk und Inszenierung
3.1 Regietheater vs. Werktreue und Urheberrecht
3.2 Wie weit darf eine Inszenierung gehen?
4. Regietheater im Spannungsfeld
5. Cole Porters MusicalKiss me Katein einer Neuinszenierung
5.1 Kiss me Kate als Adaption der Widerspenstigen Zähmung
5.2 Beschreibung der Neuinszenierung als Regietheater

III Fazit

Literaturverzeichnis

I Einleitung

„[...] ab wann empfinden wir eine Inszenierung, die vielleicht mit radikalen Kürzungen, Umschreibungen, Fremdtexten und Medienwechseln arbeitet, als Etikettenschwindel – und wann als gelungene, herausfordernde oder gar großartige (Neu-)Entdeckung eines Stückes?“1

Dies soll die Ausgangsfrage dieser Arbeit sein. Die Debatte über das Regietheater bringt unvermeidlich eine Auseinandersetzung mit dem Thema Werktreue mit sich. Es scheint als würden diese beiden Begriffe in absoluter Rivalität zu einander stehen und niemals mit einander vereinbar sein. Es heißt dem Regisseur fehle es an Respekt vor dem literarischen Text, denn er kürzt ihn, schreibt ihn um und interpretiert ihn auf seine eigene Art und Weise. Er zeigt nur wenig Verständnis für die eigentlichen Intentionen des Autors und versucht den ursprünglich historischen Stoff durch zeitgenössische Elemente und eine Neuübersetzung der Sprache in die Gegenwart zu tradieren und dadurch zu aktualisieren. Dies sind die Vorwürfe, die man den heutigen Regisseuren des Regietheaters macht, doch was ist eigentlich Regietheater? Und was ist Regie? (siehe Kapitel 2) Bevor diese Fragen beantwortet werden sollen, wird ein kurzer Überblick über die Funktion der Kunst und des Theaters insbesondere in unserer westlichen Gesellschaft gegeben (siehe Kapitel 1). Danach folgt ein Abriss der Geschichte der Theaterregie, denn der Begriff und die zugehörigen Aufgaben des Regisseurs sind erst wenige Jahrzehnte alt. In der heutigen Theatertradition scheint die Relation von Werk und Inszenierung nicht unproblematisch. Viele Inszenierungen werden als „Ekeltheater“ mit möglichst viel Blut, Gewalt, Fäkalien, Obszönitäten, Sex und Nacktheit auf der Bühne verschrien.2 Es stellt sich also die Frage wie weit darf eine Inszenierung gehen? Wie nah ist die Inszenierung noch an dem originalen Werk dran und wie sieht es mit dem Urheberrecht aus? (siehe Kapitel 3) Regietheater steht in einem absoluten Spannungsfeld, denn die Meinungen darüber könnten verschiedener nicht sein (siehe Kapitel 4). Regietheater polarisiert, so auch die Inszenierung des MusicalsKiss me Katevon Barrie Kosky an der Komischen Oper, Berlin im Mai 2008. Diese Inszenierung, eine Adaption von ShakespearesDer Widerspenstigen Zähmung(ca. 1593/94),3 überträgt die Geschichte des Mädchens was sich nicht bändigen lässt jedoch in ein ganz neues Milieu. Anhand einer Analyse der stilistischen Merkmale dieser Inszenierung sollen die Vor- sowie die Nachteile des Regietheaters erläutert werden (siehe Kapitel 5). Abschließend folgt ein Fazit.

II Hauptteil

1. Funktionen des Theaters in der westlichen Gesellschaft

Theater, Musik, Kunst und Literatur sind und waren schon immer das Spiegelbild gesellschaftlicher Sachverhalte. Ihre Inhalte sind stets auf die Wirklichkeit bezogen oder stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Der eigentliche Kunstbegriff wird durch vier verschiedene Pole beeinflusst: den Auftraggeber, den Künstler, den Vermittler und das Publikum.4 Dieser Einfluss der vier Pole war im Laufe der Geschichte nicht immer gleich stark, sondern hat sich verlagert. Vor allem die empirische Kunstsoziologie setzt sich mit dem Thema auseinander wie man systematisch soziale Entstehungsbedingungen eines Werkes, Vermittlungsformen, Aneignungsweisen und Wirkungen untersuchen kann. Dabei wird insbesondere auf die Produktion, die Distribution, die künstlerische Sozialisation und die Rezeption eingegangen.5 Die Wechselwirkungen zwischen den sozialen Funktionen von Kunst, in unserem Falle Theater, gesellschaftlichem Wandel, theatralischer Tätigkeit und den Veränderungen der theatralen Praxis, die mitunter historisch bedingt sind werden untersucht. Vorab ist zu sagen, dass sich gerade auf Grund gesellschaftlicher Veränderungen Vermittlungsformen, Aneignungsweisen und Wirkungen des Theaters weiterentwickeln. Dieser Aspekt ist eigentlich einleuchtend und besonders wichtig um deutlich zu machen, dass auch das Regietheater eine angemessene Form der Bühnenpraxis ist, die einfach den Fortschritt der heutigen Zeit widerspiegelt.

Nun ist das Theater in seiner Kunstform eine besondere Alternative, denn es erprobt das menschliche Leben und führt es dem Publikum vor Augen. Es präsentiert positive sowie negative (alltägliche) Ereignisse und Emotionen mit denen sich meist jeder auf eine Art identifizieren kann.

„Theater kann Gesellschaft mit sich selbst in Übereinstimmung bringen oder mit einer anderen Wahrheit konfrontieren.“6

Theater kann also als moralische, politische oder aber auch als nichtssagende Anstalt bezeichnet werden. Es hat eine informative, erzieherische und eine unterhaltende Funktion. Es ist aber auch Massenkommunikationsmittel. Sobald man sich vor ein Publikum stellt und „Geschichten“ erzählt, verbreitet man diese auch und trägt sie an die Öffentlichkeit. Man kann also das Theater durchaus als Kommunikationsmedium bzw. als ein Mittel des sozialen Kampfes nutzen, da es der Formung und Erziehung der Massen aber auch der Umgestaltung der Gesellschaft dienen kann. Theater sowie Kunst im allgemeinen befriedigen Bedürfnisse, wecken sie jedoch auch. Es soll Emotionen auslösen und durch das (Wieder-) Erkennen einen identifikatorischen Prozess bewirken. Zudem erfüllt es die Aufgabe des Unterhaltens. Der Zuschauer wird je nachdem in fremde Welten versetzt werden und kann durch die theatrale Ästhetik berührt und glücklich gemacht werden. Garaventa zitiert Silbermann, der sagt:

„Theater wird erfahren als sozialer Luxus, moralische Anstalt, autonome Erfahrung, Flucht aus der Wirklichkeit, als geistiger Ort, als formalistische Schönheit, als rein ästhetischer Vorgang.“7

Es erfüllt also verschiedenste Aufgaben in der Gesellschaft. Der ästhetische Vorgang, wie Silbermann das Theater unter anderem bezeichnet, ist jedoch abhängig vom jeweiligen Betrachter. Das Regietheater spielt mit den uns bekannten Seh- und Hörgewohnheiten und stellt diese auf die Probe. Wie genau das aussehen kann, wird in Kapitel 5 anhand des BeispielsKiss me Katein einer Inszenierung von Barrie Kosky ausführlicher behandelt. Zunächst aber stellt sich die Frage: Was ist eigentlich Regietheater?

2. Inszenierung – Regie - Aufführung

2.1 Was ist Regie? Was ist Regietheater?

Bereits im Alten Athen wurde zur Einstudierung der Tragödien für die Dionysien eine Person benötigt, die die Verantwortung für die Aufführungen tragen sollte. Die Vorbereitungen für diese Festspiele zogen sich über mehrere Monate hin und beinhalteten die Verfassung des Textes sowie das Einstudieren mit den Chorälen und Schauspielern.

Schon damals gab es also jemanden, der die Regie (frz. régie„verantwortliche Leitung“; lat. regere„regieren“)8 führte und für die gesamte Organisation einer Aufführung verantwortlich war. Im Allgemeinen Theaterlexikon von 1846 werden die Aufgaben eines Regisseurs als das Ordnen des Personals und Materials zum Ganzen der Darstellung einer dramatischen Dichtung beschrieben.9 Damals galten diese Aufgaben noch nicht als künstlerische Tätigkeiten. Heute ist jedoch sicher, dass ein Regisseur nicht nur sein Handwerk kennen und gewisse Fähigkeiten mitbringen muss, sondern dass er auch spezielle Kenntnisse wie z.B. über historische Baustile und Kostüme haben sollte. Die Inszenierung an sich entwickelte sich allmählig als eine eigenständige Kunstform. Dieser Wandel wurde erst durch die Avantgarde-Bewegungen zwischen 1900-1930 möglich, als das Theater zu einer eigenständigen und von der Literaturform unabhängigen Kunstform deklariert wurde. Als Gestalter dieses Kunstwerks galt der Regisseur und dies ist auch heute noch der Fall. Er bestimmt welche theatralischen Elemente wann, wo und wie lange auf der Bühne vor dem Publikum sichtbar gemacht werden und wann diese Elemente wieder verschwinden sollen. Hierbei ist wichtig, das man zwischen Inszenierung und Aufführung unterscheidet, denn erst die Aufführung vor einem Publikum, dessen Wahrnehmung und die darauf folgenden Reaktionen lassen letztendlich die Aufführung entstehen. Nicht selten unterscheiden sich die Ereignisse während einer Aufführung von denen die eine Inszenierung ursprünglich beabsichtigt hat. Ein Regisseur kann also nur Vorgaben für eine Aufführung liefern; deren tatsächlicher Verlauf ist allerdings während des Ereignisses weder festleg- oder vorhersagbar, noch ist es möglich sie zu kontrollieren. Diese Eigenschaften macht sich das Regietheater zu nutze, weiß es doch zu provozieren und unerwartete Elemente auf die Bühne zu bringen. Der Begriff Regietheater ist in den 1970er Jahren in der Theaterkritik entstanden und bezeichnet eine Inszenierung bei der der Regisseur die ursprünglichen Intentionen des Dramatikers (im Musiktheater auch des Komponisten) „verletzt“, indem er zu viele eigene Ideen umsetzt. Regietheater soll jedoch kein neuer Gattungsbegriff sein, trägt er doch eine negative Konnotation mit sich und ist folglich zu wenig neutral. Des Weiteren wird er für Regisseure verschiedenster Stilrichtungen gebraucht und ist deshalb nicht genau definierbar. Dennoch gibt es Eigenschaften die dem Regietheater zuzuschreiben sind. Ein Regisseur orientiert sich mehr oder weniger frei an einer Textvorlage und stellt einen Gegenwartsbezug her. Eine Inszenierung bietet Freiraum auszuprobieren, für Interpretation und Improvisation. Der Wandel der Regiekonzeptionen hat seinen Ursprung in Theaterauffassungen, die durch gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst wurden. In dieser Arbeit wird der Begriff Regietheater also im Sinne einer Regiearbeit benutzt, die ein literarisches Werk bezüglich seiner gesellschaftlichen Kontexte interpretiert und somit aktualisiert. Auch Guido Hiss ist der Ansicht, dass Regietheater nicht etwas „Fixiertes“ sein kann, denn jede Aufzeichnung ist eine Übersetzung in ein anderes Medium.10 Viele Regisseure, die die großen Klassiker inszenieren, kommen oftmals aus fremden Bereichen wie dem Film oder der bildenden Kunst und nutzen diese Qualitäten um einem Werk einen neuen, anderen, gegebenenfalls moderneren Charakter zu geben. Die Semiotik ermöglicht es einen Text vielerlei zu deuten. Die Mehrdeutigkeit der eingesetzten theatralen Zeichen und Symbole bietet gleichzeitig verschiedene Bedeutungsebenen.

„[...] in dem Moment, wo man in einer Inszenierung einen Schuh einsetzt, der nichts als ein Schuh ist, hat das keine Komplexität. Diese entsteht erst, wenn der Betrachter dem Schuh eine weitere Bedeutung verleihen kann. Es geht also darum, dass man als Regisseur verschiedene Bedeutungsebenen schafft. Das ist der Kern des Regietheaters.“11

Das heutige Regietheater arbeitet verstärkt mit multimedialen Mitteln wie Videoclips, Musikeinspielungen oder Bildprojektionen. Dadurch wird auch der Zuschauer zu einer neuen Art des Sehens gebracht anhand derer er sich anders mit dem Bühnengeschehen auseinandersetzen muss. Ihm selbst wird also eine neue, bedeutende Rolle zugeschrieben. Es steht dem Zuschauer offen anhand von Gesten, Mimik und Zwischenrufen das Bühnengeschehen direkt zu kommentieren. Die heutige junge Generation ist durchaus offener für das Phänomen Regietheater. Sie ist zunehmend daran gewöhnt und hat eine veränderte, ästhetische Erfahrung als andere Generationen.

[...]


1 Gutjahr 2008:5

2 Gutjahr 2008:15

3 Suerbaum 2006:91

4 Garaventa 2006:23

5 Garaventa 2006:23

6 Garaventa 2006:43

7 Garaventa 2006:45

8 http://de.wikipedia.org/wiki/Regie (11.3.2009 11:01h)

9 Fischer-Lichte 2005:147

10 Garaventa 2006:20

11 Briegleb 2006:99 In: Gutjahr, O. (Hrsg.) Regietheater! Wie sich über Inszenierungen streiten lässt.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
"Denn ohne Stress keine Evolution. Auch nicht im Theater"
Untertitel
Das Phänomen Regietheater erklärt anhand Cole Porters Musical 'Kiss me Kate' in einer Inszenierung von Barrie Kosky
Hochschule
Universität Bayreuth
Veranstaltung
Shakespeare Inszenierungen und Adaptionen
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V131006
ISBN (eBook)
9783640370238
ISBN (Buch)
9783640369850
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Denn, Stress, Evolution, Auch, Theater, Phänomen, Regietheater, Cole, Porters, Musical, Kiss, Kate, Inszenierung, Barrie, Kosky
Arbeit zitieren
Anne-Kathrin Wilde (Autor:in), 2009, "Denn ohne Stress keine Evolution. Auch nicht im Theater", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131006

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