Deliberative- und radikaldemokratische Sprachspiele

Chantal Mouffes Kritik am Diskursmodell von Jürgen Habermas


Dossier / Travail, 2007

28 Pages, Note: gut


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einführung

Erstes Kapitel
Demokratie, Pluralismus und ihre Paradoxa

Zweites Kapitel
Staatsbürgerschaft

Drittes Kapitel
Das deliberative Modell der Demokratie
Das deliberative Modell nach Seyla Benhabib

Viertes Kapitel
Chantal Mouffe und Ludwig Wittgenstein
Lebensformen

Fünftes Kapitel
Wittgenstein und Staatsbürgerschaft
Konzepte der Regelbefolgung
Staatsbürgerschaft als agonaler Prozess

Sechstes Kapitel
Kritik am Ansatz Mouffes
Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Einführung

In der Vorbemerkung seines Werkes über die „Geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“[1] erkennt Carl Schmitt, dass das Charakteristikum der politischen Diskussion, nämlich das Argument im eigentlichen Sinne, im Begriff ist zu verschwinden.[2]

Für Schmitt war der „heutige Parlamentarismus“ derjenige der frühen zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der sich in einem Deutschland abspielte, das sich nach einer Niederlage im noch nicht allzu fernen ersten Weltkrieg neu definieren musste, und dessen politischer Kurs innerhalb der kommenden Jahre noch lange nicht festgelegt sein sollte.

Die Lage des Parlamentarismus, argumentiert Schmitt weiter, sei deshalb so kritisch weil sich in der modernen Massendemokratie die öffentliche Diskussion zu einer leeren Formalität entwickelt habe.[3]

Parteien etwa, seien in diesem Kontext soziale oder wirtschaftliche Machtgruppen, welche nur danach trachteten auf der Ebene des größten gemeinsamen Vorteils Kompromisse zu schließen und Koalitionen zu bilden. Schmitt spricht in diesem Zusammenhang dem modernen Parlamentarismus die Fähigkeit ab, politische Eliten zu garantieren.[4]

Mitunter zieht Schmitt aus den verschiedenen Betrachtungen des Parlaments den Schluss, dass es notwendig ist, zwischen Liberalismus und Demokratie klar zu unterscheiden, will man einen genauen Blick auf die moderne Massendemokratie werfen. Bei Schmitt gehört der reine Parlamentarismus eben zum Liberalismus, nicht zur Demokratie.[5]

Denn eine „wirkliche Demokratie“, eine im Verständnis des Grundgesetzes, behandelt nicht nur Gleiches gleich, sondern auch Ungleiches ungleich. Zu diesem Aspekt eines Prinzips, das den heutigen Leser an dessen noch immerwährende Gültigkeit im aktuellen (deutschen) Staat erinnert, erwähnt Schmitt an dieser Stelle die Türkei, deren Staatswesen sich seiner Zeit in einem Zustand befand, der von Umbruch und „Modernisierung“ gekennzeichnet war.

Tatsächlich aber war die Exklusion verschiedener Minderheiten (seien es die von Schmitt erwähnten ausgesiedelten Angehörigen des griechischen Volkes, oder andere- im Übrigen nicht islamische- Minderheiten) nicht nur maßgeblich für den Aufbau einer Demokratie, sondern für die Konstituierung der neuen türkischen Nation in einem rein türkischen Staat, den es vorher nie gegeben hatte. Die türkische Demokratie konnte nur unter dem starken westlichen Einfluss, dem sich der neugegründete Staat geöffnet hatte und der gleichzeitgen Erschaffung eines neuen Konzepts vom „Türkentum“ entwickeln. Beides waren Neuheiten in der damaligen islamischen Welt.

Eine Demokratie aber kann demzufolge einen Teil der Bevölkerung ausschließen und besteht trotzdem weiterhin als eine solche. In der Lehre Chantal Mouffes ist diese Tatsache sogar ein notwendiges Kriterium für eine funktionierende, lebendige Demokratie.

Demokratie erfordert zunächst also eine Form von Gleichheit, eine gewisse Homogenität einer an der Demokratie teilhabenden Gruppe. Chantal Mouffe argumentiert unter Bezugnahme auf Schmitt weiter, diese Gruppe müsse folglich an einer gemeinsamen Substanz teilhaben.[6]

Was diese „Substanz“ ausmacht, wie sie im Rahmen der weiteren Entwicklung der Gesellschaften zu verstehen ist, wird im Weiteren ein Aspekt dieser Arbeit sein. Dabei soll der Begriff der „modernen Demokratie“ besonders unter der Betrachtung stehen, wie sie Chantal Mouffe beschreibt, und welche Argumentationslinien sie dabei vertritt. Hauptgegenstand dieser Betrachtung ist Mouffes Bezug auf den Philosophen Ludwig Wittgenstein und eine daraus folgende Konsequenz für politische Leitlinien einer demokratischen Gesellschaft.

Im Vorfeld soll ferner Mouffes Anspruch an Konzepte einer radikalen Demokratie eine Rolle spielen. Hierbei geht es um verschiedene Aspekte einer pluralistischen Gesellschaft und welche Rolle die (Staats)bürgerschaft dabei spielt.

Innerhalb dieser Thematik spielen weitere Denkmodelle eine Rolle, wobei hierbei dasjenige von Jürgen Habermas im Vordergrund steht. Habermas entwickelt ein Konzept von deliberativer Demokratie innerhalb seines Diskursmodells.[7]

Habermas sieht die Notwendigkeit eines „Diskursbegriffes der Demokratie“, allerdings unter der ebenso notwendigen Betrachtung der Komplexität moderner Gesellschaften.7

Er geht dabei von einer „Vermutung der Vernünftigkeit“ aus, weshalb er bezüglich politischer Willensbildung den Begriff der Deliberation einführt.[8]

Die Konzeption von Jürgen Habermas spielen an einigen Stellen eine Rolle, etwa wenn es darum geht, die von Carl Schmitt angestoßene Unterscheidung zwischen Demokratie und Liberalismus genauer darzustellen, bzw. innerhalb der Auffassung Chantal Mouffes wiederzugeben.

Erstes Kapitel

Demokratie, Pluralismus und ihre Paradoxa

Für Chantal Mouffe ergibt sich aus Schmitts Text ein demokratisches Paradox. Nach diesem schließen sich Demokratie und Liberalismus als lebensfähige Staatsform aus.[9]

Schmitt unterscheidet im Falle der für beide Formen letztendlich wichtigen Gleichheit zwischen einem liberalen und einem demokratischen Gleichheitsbegriff.

Ersterer besagt das jeder Mensch jedem anderem per se gleichgestellt ist. Der demokratische Begriff von Gleichheit unterscheidet jedoch zwischen Menschen die zur Gruppe des Volkes, des Demos gehören und zieht somit eine Trennlinie zwischen ihnen und denjenigen, welche nicht Teil dieser Gruppe sind.[10]

Die liberale Auffassung ist für Mouffe eine leere, letztlich nichts aussagende Form von Gleichheit, denn ohne ihr Gegenstück, ohne ihre Negation ist sie „reine Abstraktion“.[11]

Der demokratische Gleichheitsbegriff bei Schmitt sei ein politischer, denn er enthalte und gewährleiste die Möglichkeit einer Unterscheidung.[12]

Innerhalb dieser Argumentation wird deutlich, dass es sich bei dem Volksbegriff nicht um eine politisch-rechtlich abstrakte Gruppe wie etwa „die Menschheit“ handeln kann, sondern dass von einem Staatsvolk die Rede ist. Das Problem der „Menschheit“, und daraus resultierend der Menschenrechte liegt auf der Hand, weil letztere nicht allgemein garantiert werden können und in der Realität der Staatenpraxis nicht einmal einheitlich definiert sind, bzw. das Verständnis der Definition divergiert.

Nach völkerrechtlichem Verständnis sind Menschenrechte keine unmittelbaren Rechte, d.h. sie können von Individuen, sprich die sie betreffenden Menschen, im Allgemeinen überhaupt nicht wahrgenommen, geschweige denn eingeklagt werden. Abweichungen existieren hier auf regionaler Ebene, wie etwa auf Grundlage der EMRK. Doch selbst dort wird am Beispiel einiger Staaten, gegen welche sich die meisten Beschwerden über Verletzung der Menschenrechte richten deutlich, wie hilflos ein Konzept ist, dass nicht auf der Basis einer gemeinsamen Substanz, in diesem Fall auch einer gemeinsamen Überzeugung fußt.

Hier helfen scheinbar auch keine gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen, welche in geradezu idealistischer Manier eine Art Weltgesellschaft schaffen sollten, in der staatliche Grenzen keine Bedeutung mehr haben.

Demokratie kommt nicht aus ohne einen Trennungsprozess zwischen mindestens zwei Gruppen, schafft folglich ein Verhältnis von Inklusion und Exklusion.

Für ein deliberatives Demokratieverständnis ist diese Tatsache sicherlich ebenso nachvollziehbar, jedoch wird sie umgangen indem man versucht, die sich abzeichnenden gesellschaftlichen Grenzen[13] durch ein allgemeines Verständnis von Pluralismus wegzudenken.[14]

Bevor wir dazu übergehen, das Modell eines deliberativen Verständnis von Demokratie und gleichsam Chantal Mouffes Kritik daran näher zu betrachten, möchte ich an dieser Stelle auf die Problematik des Pluralismusbegriff eingehen, welche in die gleiche Richtung führt, wie sie Mouffe für die Ambivalenz zwischen Demokratie uns Liberalismus darstellt, und daraus schließlich verschiedene Konzepte und Bedeutung von Staatsbürgerschaft aufzeichnen.

Letztere sind wichtig für das Verständnis von Mouffes Argumentation auf der Basis Wittgensteins.

Pluralismus birgt zunächst einen Zwiespalt in sich, der sich zwischen einer Vielzahl von verschiedensten Werten und einer gleichzeitigen Leere derselben aufzeigt. Die Gefahr an dieser Stelle ist, dass die politische Sphäre inmitten ihrer Pluralität ein konkretes Ziel verliert.14

In Bezug auf den Pluralismus können drei Paradoxa unterschieden werden.[15] Das erste ergibt sich aus der Koexistenz unterschiedlicher Gruppen, Individuen und Werten innerhalb einer Gesellschaft, welchen nicht ultimative Pluralität zugestanden werden kann, weil dies zu einer Substitution der Ordnung letztlich durch Gewalt und Chaos führen würde.[16]

Das Problem liegt bei dem Versuch der Verallgemeinerung innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft. Allgemeine Interessen kollidieren mit allgemeinen Werten, weshalb zwischen beiden ein Gleichgewicht aufrechterhalten werden muss. Marcil-Lacoste führt diesen Punkt an hand eines zweiten Paradoxons ein, welches sich ergibt weil der Anspruch auf Selbstregulation der Gesellschaft eigentlich eine Art Ungleichgewicht der partizipierenden Gruppen erfordert.[17]

So verwandelt sich die soziale Selbstregulation schließlich in ein Verhältnis, in dem eine best- stimmte Gruppe (oder mehrere bestimmte Gruppen) die Oberhand haben und eine Machtelite, sei es auch eine demokratische, bilden.[18]

Weiterhin kann sich das Individuum nicht an einer pluralistischen Werteordnung orientieren, welche es dazu zwingen würde, sämtliche Vorstellungen in irgendeiner Weise zu verarbeiten um eine Grundlage für soziale oder politische Meinungs- und Willensbildung zu haben. Pluralismus kann auf dieses Weise kein ethisches Prinzip für den einzelnen sein, sondern nur eine formale Ordnung für eine Gruppe. Voraussetzung für politische Handlungsfähigkeit ist hierbei der Konsens zwischen den Beteiligten.

Ein drittes Paradox leitet sich aus der Beziehung von Pluralität und Gleichheit bzw. Gleichberechtigung her. Was es insgesamt zu vermeiden gilt, ist das Pluralismus letztendlich zu einem Nullsummenspiel zwischen allen Beteiligten wird, die sich innerhalb unterschiedlicher Werte und dem Anspruch einer gleichmäßigen Partizipation aller ihrer eigentlichen Zielsetzung nicht mehr klar bewusst sind. Diese Zielsetzung muss in einer gemeinsamen Vorstellung bestimmter Werte wurzeln und darf nicht hinter reinen Interessen zurückbleiben. Das ist der Punkt, an dem Chantal Mouffe den politischen Agonismus einsetzt, den fairen Kampf unter politischen Gegnern, im Gegensatz zur antagonistischen Feindbeziehung. Der Gegner ist ein legitimer Feind, mit welchem konfligierende Interessen auf der Ebene einer gemeinsamen demokratischen Basis ausgetauscht werden. Mouffe spricht von einem agonalen Pluralismus[19] der die Existenzbedingung der Demokratien ausmacht.[20]

Um dieses Modell von Gegenteiligen Meinungen abzugrenzen ist es zunächst notwendig zu klären, welche Konzepte des Pluralismus aus Sicht der Bürgerschaft gelten können, und in welcher Form diese Bürgerschaft existiert. Wenn wir von Staatsbürgerschaft reden stellt sich in der heutigen Zeit die Frage, wie weit dieser Begriff reichen kann, um die Identität des Individuums in seiner Beziehung zur Gruppe zu definieren. Denn in der Gruppe besteht für den einzelnen die Möglichkeit, durch Angleichung gewisser Interessen in Form eines Konsenses sich selbst zu integrieren und an der Entscheidungsbildung teilzuhaben. Allgemeine Interessen von Gruppierungen resultieren letztendlich in synergetisch und konsensual zusammengefügten Partikularinteressen. Die Frage ist nun auch, auf welcher Ebene diese Interessen miteinander konfligieren, auf niedriger, nächster Ebene oder auf der durch internationale Interessen geschaffenen globalen.

Zweites Kapitel

Staatsbürgerschaft

Eine ähnliche Entwicklung hat es in der Geschichte gegeben, nämlich im unterschiedlichen Verständnis von Bürgerschaft innerhalb der frühen griechischen Stadtstaaten und den späteren großen Staaten, in welchen das Konzept von Repräsentation und Korporation verfolgt wurde.

Die persönlichen Ansprüche des Individuums an ein pluralistisches Verständnis werden durch die Form der politischen Repräsentation eingeschränkt. Das korporatistische Modell mündet in eine Aggregation verschiedener Interessen.

Die moderne Auffassung von Bürgerschaft ist eine Staatsbürgerschaft: Die dem Individuum zugestandenen Rechte ergeben sich real nicht aus naturrechtlichen Obligationen sondern sind mit der Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen verknüpft, welches jene Rechte garantieren kann. Allgemeiner werdende Konzepte, die den Bürger als soziales Wesen erkennen und sich nicht in erster Linie auf die politische Zugehörigkeit, also die staatsbürgerliche Rolle beziehen, müssen trotzdem diese Elemente mit in ihre Denkart aufnehmen. Denn der Rechtsstaat ist ebenso Garant für ein funktionierendes soziales Gefüge, in das er über verschiedene Funktionen einzugreifen vermag. Bürgerschaft im sozialen Sinne ist also ein Zusammenkommen spezifischer gesellschaftlicher Rollen, die sich im privaten, im beruflichen und im wirtschaftlichen Kontinuum bewegen.[21]

Hierdurch ist es dem Individuum möglich, in den Status der Bürgerschaft zu gelangen, was im allgemeinen heute in einem fließenden Übergang zwischen verschiedenen Lebensphasen geschieht, ohne das man sich um das Statut „Bürger“ quasi bewerben müsste. Trotzdem bleibt im Hintergrund der These der Exklusion bestimmter Gruppen die Frage nach einer spezifischen Unterscheidung zwischen Staatsbürgerschaft, die man in den Staaten des europäischen Raumes üblicherweise durch ein ius sanguinis erwirbt, also gleichermaßen „in die Wiege“ gelegt bekommt, und dem rein sozialen Verständnis von Bürgerschaft, das zwar mit dem politischen logischer- und notwendiger Weise koexistiert, jedoch durch Ausschluss von gewissen Elementen sozialen Zusammenseins eingeschränkt werden kann.

Gleichermaßen ist es natürlich auch möglich, eine Exklusion durch staatliche Maßnahmen zu erreichen, etwa gesetzlich, durch die Neudefinition einer Angelegenheit, deren Befürworter auf diese Weise illegalisiert werden können, was den Staat befugt gegen diese vorzugehen.

Das Bindeglied zwischen Bürger- und Staatsbürgerschaft könnte im Falle der aktiven politischen Partizipation, (nicht der sowieso vorhandenen Grundrechte, wie etwa des allgemeinen Wahlrechts) die Möglichkeit des Bürgers sein, seine Rolle so einzusetzen, das er darin seine Interessen artikulieren kann, sprich die Fähigkeit der „politischen Kompetenz“.[22]

Zum einem konstituiert sich Bürgerschaft aus der Fähigkeit seine Interessen bestmöglich zu vertreten, und diejenigen Individuen, welche dies am besten können werden als die „besten Bürger“ in Hinblick auf ihre Zusammenarbeit mit und in der Gesellschaft betrachtet.[23]

Wenn es um die symbolischen Elemente geht ist es möglicherweise besser von Bürgerschaft in ihrem sozialen Kontext zu sprechen. Es handelt sich hierbei um typische, eher immaterielle Dinge, wie gewisse Freiheiten, Möglichkeiten etc., die sich aus einer erfolgreichen Teilnahme an der Gesellschaft ergeben können. Sozialen Erwartungen kann durch eine Steigerung des finanziellen Einkommens besser standgehalten werden. Das Verständnis von Mobilität verändert sich und bekommt eine andere Geltung.

Ein weiter interessanter Nebeneffekt sozial- wirtschaftlicher Kooperation, die schließlich zu einer Ausweitung des Kapitals zumindest auf einige involvierte Gruppen führt, ist die Eingliederung weiter Gruppen in die Gemeinschaft der konsumorientiert Handelnden. Das bedeutet folglich eine Expansion der Pluralität und teilweise eine Erweiterung des Pluralismus an sich, indem Minderheiten an oder in die Gesellschaft eingebunden werden. Nicht auf einer politischen, aber auf einer wirtschaftlichen Ebene, solange sie Kaufkraft bedeuten.[24]

Wir sehen also, dass Pluralismus innerhalb der Bürger-Gesellschaften floriert und auf verschiedener Weise Ausbreitung findet und haben es demzufolge auch mit einem Pluralismus in kultureller Hinsicht zu tun.

Eine Einschränkung von staatlicher Seite garantiert ein Fortbestehen dieser Tradition, ansonsten liefe die Diskussion über Werteverschiedenheit innerhalb der Werteverschiedenheit wirklich auf ein Nullsummenspiel hinaus, in dem sich die angestrebten Freiheiten auflösen oder überhaupt nicht mehr war genommen werden könnten, weil der Raum, den Freiheit benötigt, und der ein geschützter Raum sein muss, gar nicht existent wäre.

Entscheidungen im Interesse aller scheinen daher zumindest nicht zur gleichen Zeit möglich. Anders sieht dies aus, wenn man von einer Gleichheit aller ausgeht, die sich auf eine allgemeine Rationalität gründet und daher in der Lage sein soll jede Gruppe in den Entscheidungsprozess zu integrieren.

Drittes Kapitel

Das deliberative Modell der Demokratie

In ihrer Kritik an der deliberativen Demokratie bezieht sich Chantal Mouffe in erster Linie auf das Diskursmodell nach Jürgen Habermas, welches hier hauptsächlich untersucht werden soll.

Dieses ist nach Habermas, wie bereits erwähnt, notwendig um die Frage nach einer legitimen politischen Ordnung zu beantworten. Moderne Demokratie ist für Habermas zunächst einmal eine Staatsform, die sich auf klassische Ideen der Aufklärung gründet, insbesondere auf die Lehre Immanuel Kants und Jean Jacques Rousseaus. Demokratie ist demnach eine Form der vernünftigen Selbstbestimmung.[25]

Ausgangspunkt der Habermasschen Analyse ist der Gegensatz zwischen liberaler und republikanischer Theorie und Staatsführung.[26]

Analysiert werden die Grundrechte des Einzelnen, sowohl Freiheit- als auch Gleichheitsrechte. Beide sollen schließlich aus einer gemeinsamen Wurzel heraus erklärt werden.27 Zunächst geht es darum, dass sich der Bürger vergegenwärtigen muss welche Rechte er sich und anderen zuzugestehen hat, um ein Zusammenleben einerseits zu ermöglichen, andererseits es zu legitimieren.

Habermas unterscheidet zwischen Normen moralischer und Normen rechtlicher Natur. Erstere begründet er mit über die sich aus der Vernunft ergebenden Morallehre nach Kant durch kategorische Imperative.[27]

Rechtsnormen ergeben sich aus einem Demokratieprinzip. Sie ergänzen die Moralprinzipien der Gesellschaft und müssen daher mit ihnen übereinstimmen. Da sie allerdings in verschiedenen Prozessen entstanden sind, besitzen sie eine eigene abgegrenzte Form. Moralprinzipien sind universell gültig, weil sie sich direkt aus der menschlichen Ratio speisen und als solche keinem weiteren Diskurs unterworfen sind.[28]

Die Prozesse, in denen demokratische Prinzipien entwickelt werden verwenden nicht lediglich moralische Gründe diese Prinzipien einzusetzen, sondern hinter ihrer Entwicklung stehen mehrere Aspekte von Zielen und Interessen.

Die Rechtsform ist folglich das Resultat, welches sich aus gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen ergibt, bzw. „vorgefunden“ wird.[29]

Für Habermas gilt es, den angesprochenen Gegensatz zwischen Liberalismus und Republikanismus zu überwinden.[30]

Bürger müssen sowohl aktiv Autoren des rechts, als auch in der Rolle von Rechtspersonen Adressaten desselben sein.[31]

Hieraus entsteht die gemeinsame Wurzel, die von Habermas gefordert wird. Sinn des ganzen soll sein, dass die Autonomie der Bürger in sozialer und politischer Hinsicht nicht eingeschränkt wird, und dass dieselbe Autonomie nicht bloß zum Zwecke einer Gesetzgebung instrumentalisiert wird. Worauf Habermas an dieser Stelle hinaus will, ist ein harmonisches Zusammenspiel, das den Bürger als politisches Wesen in einer Doppelrolle sieht, der seine Gesetzte selbst zu schaffen und zu verantworten in der Lage ist und diese letztlich annimmt.

In der weiteren Betrachtung wird deutlich, dass es sich dabei ebenfalls um Gruppen von Bürgern handeln muss. Diejenigen nämlich, die ihr Zusammenleben legitim regeln wollen sind auf die Beachtung dreier Grundrechte angewiesen.[32]

Das sind zum ersten das größtmöglichste Maß an subjektiver Handlungsfreiheit, Rechte auf Mitgliedschaft in einer Rechtsgemeinschaft und das Recht zur Einklagbarkeit von Rechten.[33]

Diese Rechte, zu welchen noch das recht auf Chancengleichheit kommt, sind als absolut zu betrachten, während alle sozialen Rechte relativ begründet sind, weil sie in Bezug auf die erste Gruppe von Rechten diese materiell möglich machen.

Demokratische Partizipation ist bei Habermas einer der Schwerpunkte des Rechtsstaats. Ein weiterer zu beachtender Faktor in seiner Argumentation ist der Begriff der Macht. Habermas unterscheidet zwischen kommunikativer, politischer, administrativer und sozialer Macht.

Kommunikative Macht lehnt er an die Definition von Hannah Arendt an, nach welcher diese Art von Macht die ist, welche das Recht überhaupt legitimiert. Dies ist unter der Vorraussetzung eines in zwangloser Kommunikation gebildeten politischen Willens der Fall.[34]

Es handelt sich hierbei um eine Macht aus der Übereinstimmung. Kommunikative Macht soll sich über das Medium des Rechtsstaates in administrative Macht transformieren.[35]

Bei Habermas soll die demokratische Willensbildung nicht primär als ein Wetteifern um poli-

tische Macht verstanden werden. Worum es zentral geht, ist die Deliberation aufgrund der

Vermutung von Vernunft.[36] Sie soll Themen der gesellschaftlichen Problematik aufspüren und zusammenfügen. Die aus der Diskussion entstandenen Aspekte und Perspektiven werden dann zum Gegenstand politischer Entscheidung.

[...]


[1] Schmitt, Carlo: Die Geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 1985.

[2] Schmitt, 1985, S. 11.

[3] Ibid, S. 10.

[4] Ibid. S. 8.

[5] Ibid. S. 13.

[6] Mouffe,Chantal in: Weibel, Žižek (Hg.), S. 76.

[7] Forst, Rainer in: Brocker, Manfred (Hg.), 2007 S. 766.

[8] Ibid. S. 766

[9] Ibid. S. 76.

[10] Mouffe, 75 f.

[11] Mouffe, 75 f.

[12] Mouffe, S.77.

[13] Ibid. S. 77.

[14] Es handelt sich um politische, d.h. nicht statische sondern flexible Grenzen.

[15] Marcil-Lacoste, Louise, in: Mouffe (Hg.), 1995, S. 130 f.

[16] ibid. S. 130 ff.

[17] ibid. S. 132 f.

[18] ibid. S. 134.

[19] Mouffe, S. 88.

[20] Ibid. S. 81.

[21] Leca, Jean, in: Mouffe (Hg), 1995, S. 17.

[22] Leca, S. 18.

[23] ibid. S. 20.

[24] vgl. Koppert, S. 23 f.

[25] Forst, 2007, S. 759 f.

[26] ibid. S. 760.

[27] Ibid.

[28] Ibid, S. 761.

[29] ibid. S. 762.

[30] Forst, 2007, S. 762.

[31] ibid. S.762.

[32] ibid. S. 762.

[33] vgl. Habermas, 1992, S. 383.

[34] vgl. ibid. S. 390 f.

[35] vgl. ibid. S. 391 ff.

[36] vgl. Habermas, 1992, S.

Fin de l'extrait de 28 pages

Résumé des informations

Titre
Deliberative- und radikaldemokratische Sprachspiele
Sous-titre
Chantal Mouffes Kritik am Diskursmodell von Jürgen Habermas
Université
Free University of Berlin  (Otto Suhr Institut für Politikwissenschaft)
Cours
Hauptseminar
Note
gut
Auteur
Année
2007
Pages
28
N° de catalogue
V131058
ISBN (ebook)
9783640370351
ISBN (Livre)
9783640369966
Taille d'un fichier
522 KB
Langue
allemand
Annotations
Erweiterte und Überarbeitete Fassung einer Hausarbeit aus dem Sommersemster 2007.
Mots clés
Deliberative-, Sprachspiele, Chantal, Mouffes, Kritik, Diskursmodell, Jürgen, Habermas
Citation du texte
Christopher Plato (Auteur), 2007, Deliberative- und radikaldemokratische Sprachspiele, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131058

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Titre: Deliberative- und radikaldemokratische Sprachspiele



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