Die neue Stadt - Wie ist diese Gesellschaft zu retten?

Erich Fromm und seine Voraussagen: Haben oder Sein?


Textbook, 2009

48 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Biographisches

1. Die große Verheißung
1.1. Der Zeitgeist des 18.- und 19. Jahrhunderts
1.2. Das Ende der Illusion
1.3. Die Entwicklung der Haben-Struktur

2. Fromms Marxistische Verwendung Freudscher Gedanken

3. Die Kunst des Lebens: HABEN oder SEIN als letzte Wertung menschlicher Wirklichkeit
3.1. Charakterologische Begriffe
3.1.1. Sünde und Vergebung
3.1.2. Vergnügen
3.1.3. Freude
3.1.4. Leben und Tod
3.1.5. Hier und jetzt / Vergangenheit und Zukunft

4. Fromms Menschenbild

5. Die vaterlose Gesellschaft

6. Religion

7. Thesen über Fromms humanistisches Ideal

8. Religion, Charakter, Gesellschaft

Literatur

Neu-Bearbeitung folgender Arbeit

Fachhochschule Düsseldorf

Fachbereich Sozialpädagogik

Fachgebiet: Sozialphilosophie

Sommersemester 1993

-Hauptseminar-

Thema: Erich Fromm

-Haben oder Sein-

vorgelegt von:

Antje Di Bella

4. Studiensemester

Juni 1993

Benotung 1,0

ergänzt im Mai 2009

Vorwort

Diese Arbeit wurde vor vielen Jahren von mir gefertigt, ist aber heute so populär wie nie zuvor. Die Voraussagen sind eingetroffen, könnte man sagen. Daher habe ich mich entschlossen, diesen Text neu zu verlegen.

Schon 1976 hat Erich Fromm in seinem Werk: „Haben oder Sein“, die Fakten nicht nur, aus ihrer Geschichte her, genial, sehr interessant und vielschichtig, erkannt, erläutert und populär verständlich veröffentlicht, sondern auch allzu wahr vorausgesagt.

Deshalb ist es wichtig sich dieses großen Sozialwissenschaftlers und -Philosophen zu erinnern.

Er begriff den Grund unserer Misere, er sah die Entwicklung des Haben-Charakters aus dem Grundbedürfnis des Menschen nach Sicherheit und Anerkennung, die aber auch sehr schnell zu Herrsch-sucht und Machtgier führten und damit zur Vergöttlichung des Besitzes und des Geldes.

Er sah die Klassengesellschaft, die darauf gründet und den sado-masochistischen Haben-Charakter hervorbrachte.

„Wofür brauchen Menschen soviel Geld“, sagte neulich Alice Schwarzer in einer Talk Show, als man über die raffgierigen Spitzenmanager sprach, die unsere heutige Wirtschaftskrise verur-sachten. „Sie können doch auch nicht mehr als essen und sich kleiden?“

Es ist die Gier nach Ansehen und Macht und die Verdrängung des Sterbenmüssens, denn schließlich können auch sie nichts mitnehmen.

Fromm fand den Ausweg in einem Bewusstsein, dass sich dem „Seins-Modus“ zuwenden muss, um ein wirklich erfülltes Leben zu finden.

In diesem Buch wird sein Werk in komprimierter Form erörtert und auf den Punkt gebracht.

Antje Di Bella, Autorin, Mai 2009, Ratingen

Biographisches

Das Einzelkind Erich Fromm wurde am 13.März 1900 in Frankfurt/ Main geboren. Sein Vater entstammte einer bekannten Talmud-Gelehrtenfamilie. Seine Mutter spielte zweifellos die dominierendere Rolle.

Fromm besuchte in Frankfurt das Gymnasium, hatte intensiven Kontakt zum Rabbiner Nenemia Nobel und war Mitinitiator des jüdischen „Lehrhauses“.

1918 machte Fromm das Abitur. Er studierte zunächst Jura, aber ab 1919 in Heidelberg Soziologie, Philosophie und Psychologie.

Über seine erste Frau machte er die Bekanntschaft mit der Psycho-analyse Freuds. Lehranalysen in München und Berlin ergänzten seine Ausbildung zum Psychoanalytiker. Fromm praktizierte über fünfzig Jahre lang, bis kurz vor seinem Tod, 1980, als Psycho-therapeut.

1930 wurde Fromm Mitglied des Institutes für Sozialforschung. Horkheimer machte ihn per Lebensvertrag zum Zuständigen für alle Fragen der Psychologie und Sozialpsychologie in der „Frankfurter Schule“.

Mit dem Institut emigrierte er 1934 nach den USA.

1938 kündigte er seinen Vertrag, nachdem Adorno ins Institut gekommen war.

In den acht Jahren Mitgliedschaft entwickelte Fromm einen eigenen Ansatz sozialpsychologischer Denkweise, untersuchte den autoritären Charakter deutscher Mitarbeiter und Angestellter, lieferte die wichtigsten Gedanken zu „Autorität und Familie“ und war - in diesen Jahren - der „produktivste Kopf“ der „Frankfurter Schule“. (Leo Löwental).

1941 erschien sein erstes Buch „Die Furcht vor der Freiheit“.

Eine Krankheit von Fromms zweiter Frau führte ihn 1949 nach Mexiko, wo sie starb.

Fromm blieb in Mexiko und heiratete nochmals. Die liebende Beziehung zu seiner Frau Annis war für ihn der Beweis dafür, dass nur eine liebende Bezogenheit zu anderen, zu sich und zur Welt, eine Antwort auf die Fragen des Lebens zu geben vermag.

Das Bemühen um die optimale Entfaltung der dem Menschen eigenen Kräfte der Vernunft, der Liebe und der Kreativität gehört für Fromm zum wissenschaftlichen Denken, ebenso, wie zur therapeutischen Arbeit. Wo gesellschaftliche Kräfte eine solche Entwicklung hemmen, gehören zur liebenden Existenz auch Gesellschaftskritik und der gesellschaftliche Veränderungswille.

Hier hat Fromm die Tradition der jüdischen Propheten fortgesetzt.

Karl Marx und Sigmund Freud sind sicher als die wichtigsten Wegbegleiter für Fromms eigenes Denken anzusehen.

In Fromms Begriff des „Gesellschaftscharakters“ werden beide vereint. Die Entdeckung des „gesellschaftlichen Menschen“ bei Marx und die Entdeckung des „unbewussten Menschen“ bei Freud werden zusammengebracht.

Fromm fand im Gesellschaftscharakter jenen „Ort“ im Menschen, wo sich die unbewussten Haltungen finden lassen, die jeder Mensch mit den gesellschaftlichen Gruppen teilt, in denen er lebt. So erklärt Fromm das psychische Geschehen, nicht triebtheoretisch, sondern sozialpsychologisch, ohne den analytischen Ansatz beim Unbewussten aufzugeben.

Einleitung

1974 erarbeitete Fromm bei einer Untersuchung eine Ergebnis, dass die Libido-Theorie Freuds in Frage stellte. Er fand zwei Existenzweisen, die sich widerstrebten und machte sie am Gesellschaftscharakter des Menschen fest. Er nannte sie den „nicht produktiven und den produktiven Charakter“ oder den „Haben-modus und den Seinsmodus“.

Sein Verständnis des Aufgabenbereiches der Psychoanalyse ist der Art, dass diese gesellschaftsveranwortlich arbeiten sollte. „Psychoanalyse kann es nur als Sozialpsychologie geben, Psycho-therapie ist immer auch Gesellschaftskritik und Gesellschafts-veränderung unter der humanistischen Perspektive, dass dem Menschen mit Vernunft, Liebe und Kreativitätspotenzen zueigen sind, die ihren Ursprung in ihm selbst haben und die ihre Energie von den psychischen Bedürfnissen des Menschen erhalten.“

Aus diesem Grunde schrieb er seine Bücher in einer allgemein verständlichen und warmherzigen Sprache, so wie das hier zu beschreibende Buch: „Haben oder Sein“.

In der Darstellung Erich Fromms steht die Existenzweise des Habens für die Übel der gegenwärtigen Zivilisation, die des Seins aber für die Möglichkeit eines erfüllten, nicht entfremdeten Lebens.

Haben oder Sein? Diese Frage wurde der gemeinsame Nenner seines wissenschaftlichen und religiösen Humanismus, den er in benanntem Buch ausführlich beschreibt.

Die Forschungstätigkeit bezog sich bei Fromm auf die Synthese verschiedener Einsichten und Wissenschaftszweige.

„Ich wollte die Gesetze, die das Leben beherrschen und die Gesetze der Gesellschaft, d.h. der Menschen, in ihrem <<gesellschaftlichen Dasein>> beurteilen.“

Seit 1967 wendete sich das Interesse Erich Fromms vor allen Dingen zwei Fragenkomplexen zu, nämlich

- ob der Mensch wieder Herr seiner Produkte werden kann oder an einer übertechnisierten Industriewelt zugrunde geht,
- dem Problem von Möglichkeiten und Wirklichkeiten eines Verfallsyndroms des einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit.

Mit der Alternative Haben oder Sein verknüpfte Fromm zwei grundsätzliche Ausrichtungen menschlicher Existenz mit einer Fülle von Einsichten in die Psyche des Einzelnen und der Gesellschaft mit ihren Traditionen, mit der theiistischen Religion und bedeutenden Denkergebnissen der Geschichte.

Da Fromm Denkansätze in philosophischer und soziologischer Art und Weise auf Marx zurückzuführen sind, möchte ich zunächst versuchen die Wurzeln zu beleuchten, die im 18.- und 19. Jahrhundert liegen.

1. Die große Verheißung

Die Französische Revolution ist der Vorläufer einer anderen, weit herrlicheren Revolution, die die letzte sein wird.

Gracchus Barbeuf

(Manifest der Gleichen, 1796)

1.1. Der Zeitgeist des 18.- und 19. Jahrhunderts

ist die Pluralität revolutionärer Ideen zur Neuorientierung und Neuwerdung der Weltordnung.

Thesen:

Die Zeit wird kommen, wo die Sonne nur eine Welt freier Menschen bescheint, die keinen Herren außer ihrer Zukunft anerkennen, wo Tyrannen und Sklaven, Priester und ihre dummen, scheinheiligen Werkzeuge nur noch in der Geschichte oder auf der Bühne existieren.

Condorcet

Statt dessen versuchen die herrschenden Klassen jede soziale Veränderung aufzuhalten, sie führen ein müßiges und verschwen-derisches Leben, hemmen auch den wirtschaftlichen Fortschritt in Form von möglichen technischen Erfindungen , die bei richtiger Entwicklung unbegrenzte Fülle schaffen und durch deren wissen-schaftliche Verteilung rasch Glück und Wohlstand der Menschheit für alle Zeiten gewährleistet würden.

Saint-Simon

Alle bisherigen Klassenkämpfe sind ein Ergebnis des Warenmangels in der Welt gewesen, die Entdeckung neuer mechanischer Produktionsverfahren aber, die die Welt mit Gütern überfluten, würde, ohne rechtzeitige Einschränkung, zu einem Klassenkampf führen, vor dem alle vergangenen Konflikte verblassen würden.

- Konkurrenzkampf der Kapitalisten,
- Senkung der Löhne,
- Erhöhung der Arbeitsstunden,
- zahlreiche akute Wirtschaftskrisen,
- soziales und politisches Chaos,
- künstliche Armut durch
- das Anwachsen der Güter,

Niedertrampeln der Menschenrechte.

Das Recht der Kapitalansammlung und der Besitz von Produktionsmitteln muss staatlich verboten werden.

Simondi

Der Mensch ist frei geboren, aber überall liegt er in Ketten.

Rousseau

Das Wahre ist das Ganze, das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen.

Hegel

Die treibende Kraft der Geschichte ist nicht geistiger Natur, sondern die „Stimme der materiellen Umstände“ zu einer gegebenen Zeit.

Feuerbach

Der Mensch ist, was er isst.

Die Menschengeschichte ist die Geschichte des entscheidenden Einflusses der physischen Umwelt auf den Menschen der Gesell-schaft, folglich vermag die Kenntnis physischer Gesetze den Menschen allein zum Herren dieser Kräfte zu machen, indem sie ihn befähigt, sein Leben diesen bewusst anzupassen.

Feuerbach

Das einzig mögliche Gebiet, in dem wir dieses Prinzip geschicht-licher Bewegung suchen können, muss der wissenschaftlichen, d.h. Der empirischen Untersuchung offen stehen. Und da die zu erklärenden die des sozialen Lebens sind, muss die Erklärung irgendwie in der Natur der gesellschaftlichen Umwelt liegen, in deren Zusammenhängen der Mensch sein Leben verbringt,- mithin in jenem Gewebe private rund öffentlicher Beziehungen, deren Bedingungen der Einzelne schafft,..., deren Gesamtheit Hegel die bürgerliche Gesellschaft nennt.

Marx

Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt, ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

Marx

Entfremdung tritt ein, wenn etwas, das geschaffen wurde , um menschlichen Bedürfnissen zu dienen, ein Eigenleben annimmt und vom Menschen nicht mehr als etwas von ihm zur Befriedigung eines vielleicht längst erloschenen Bedürfnisses Geschaffenes, sondern als ein objektives Gesetz oder eine Einrichtung angesehen wird, die ewig rechtmäßige Autorität besitzt – wie etwa die Naturgesetze für die Wissenschaftler und Laien oder wie die Kirche für die Gläubigen.

nach Marx

Entfremdung kann erst ein Ende finden, wenn die letzte Klasse – das Proletariat- das Bürgertum nieder gerungen hat; die Ideen, welche dieser Sieg hervor bringt, werden selbsttätig der Ausdruck der gesamten Menschheit und eine Wohltat für diese sein.

Keine Institution und kein Gedanke , die auf einer Verfälschung des Charakters irgend eines Teils des Menschengeschlechtes beruhen und so zu seiner Unterdrückung führen oder diese zum Ausdruck bringen, haben eine Chance zu überleben.

Der Kapitalismus, unter dem bestimmte Menschen - nämlich die Arbeiter - wie leblose Gegenstände eingekauft und verkauft werden, ist offensichtlich ein System, das die Wahrheit verzerrt und die Geschichte Klasseninteressenten unterzuordnen sucht, was eine Ungerechtigkeit ist. Daher ist er offensichtlich dazu bestimmt, von der sich zusammenballenden Macht seiner aufgebrachten Opfer verdrängt zu werden.

Alles Elend ist das Produkt der Entfremdung, der Ausschließung dieser oder jener Menschenschicht von harmonisch gemeinsamer Zusammenarbeit durch die vom Klassenkampf geschaffenen unvermeidlichen Schranken und Lügen.

Marx

Die wirklich Befreiung der Deutschen wird zwangsläufig die Befreiung der gesamten europäischen Gesellschaft aus politischer und wirtschaftlicher Unterdrückung nach sich ziehen.

Marx

1.2. Das Ende der Illusion

„ Die große Verheißung unbegrenzten Fortschritts – die Aussicht auf Unterwerfung der Natur und auf materiellen Überfluss, auf das größtmögliche Glück“...“ und auf persönliche Freiheit - das war es, was die Hoffnung und den Glauben von Generationen seit Beginn des Indus-triezeitalters aufrecht erhielt.“

„Von der Ersetzung der menschlichen und tierischen Körperkraft durch mechanische und später nukleare Energie bis zur Ablösung des menschlichen Verstandes durch die Computer, bestärkte uns der industrielle Fortschritt in dem Glauben, auf dem Weg zu unbegrenzter Produktion und damit auch zu unbegrenztem Konsum zu sein, durch die Technik allmächtig und durch die Wissenschaft allwissend zu werden.“

Wir glaubten immer mehr der Schöpfung „Herr“ zu werden, sie mit den Bausteinen der Natur ausgestattet, neu bestimmen zu können (zu dürfen?).

Seit den Sechziger Jahren bewegt die Gesellschaft in den Industrie-ländern ein neues Gefühl von Freiheit.

Die Ketten der Herrschaft wurden gesprengt.

Wohlstand für die Mittel- und Oberschicht verleitet zu der Illusion, -immer mehr, immer größer, immer schöner-, er brächte eines Tages das schrankenlose Glück.

„Diese Trias von unbegrenzter Produktion, absoluter Freiheit und uneingeschränktem Glück bildete den Kern der neuen „Fortschritts-religion“.

Wenn man die Thesen und Ideologien der Denker des 18.- und 19. Jahrhunderts liest ist festzustellen, dass die Negativprognosen wohl eintrafen. Aber das uneingeschränkte Glück, für alle Zeit, gewährleistet durch unbegrenzte Fülle, laut Saint-Simon, stellte sich nicht ein.

„Man muss sich dieser großen Verheißung und die phantastischen materiellen und geistigen Leistungen des Industriezeitalters vor Augen halten, um das Trauma zu verstehen, das die beginnende Einsicht in das Ausbleiben ihrer Erfüllung heute auslöst.

Immer mehr Menschen werden sich folgender Tatsachen bewusst:

- dass Glück und größtmögliches Vergnügen nicht aus der uneingeschränkten Befriedigung ihrer Wünsche resultieren und nicht zu „ Wohl-Sein“ führen;
- dass der Traum, unabhängig Herr über unser Leben zu sein, mit unserer Kenntnis endet, dass wir alle zu Rädern in der bürokratischen Maschine geworden sind;
- dass unsere Gedanken , Gefühle und unser Geschmack durch den Industrie- und Staatsapparat manipuliert werden, der die Massenmedien beherrscht;
- dass der wachsende wirtschaftliche Fortschritt auf die reichen Nationen beschränkt blieb und der Abstand zwischen ihnen und den armen Nationen immer größer geworden ist;
- dass der technische Fortschritt sowohl ökologische Gefahren als auch die Gefahr eines Atomkrieges mit sich brachte, die jede für sich oder beide zusammen jeglicher Zivilisation und vielleicht sogar jedem Leben ein Ende bereiten.“

Wagen wir die Dinge zu sehen, wie sie sind. Es hat sich ereignet, dass der Mensch ein „Übermensch“ geworden ist... Er bringt die übermenschliche Vernünftigkeit, die dem Besitz übermenschlicher Macht entsprechen sollte, nicht auf... Damit wird nun vollends offenbar, was man sich vorher nicht recht eingestehen wollte, dass der Übermensch mit dem Zunehmen seiner Macht zugleich immer mehr zum armseligen Menschen wird... Was uns aber eigentlich zu Bewusst-sein komme sollte und schon lange vorher hätte kommen sollen, ist dies, dass wir als Übermenschen „Unmenschen“ geworden sind.“

Um mit Marx zu sprechen, so wurde die Maschine geschaffen, um den Menschen zu entlasten, doch die ganze Welt ist heute von Maschinen abhängig.

„ Die Durchdringung der Gesellschaft durch den Einsatz von Computern in fast allen Bereichen hat seit den Sechziger Jahren unseres Jahr-hunderts zu einer qualitativen Veränderung des Kapitalismus geführt.“

„Ökonomisches Nutzdenken dringt in ehemals „zwecklose Bereiche“ ein: Kunst, Theater, Musik“, Sport, „Wissenschaft und Religion.

Die Verbindung von Technik, die zum Selbstzweck wurde, und Managerkapitalismus spaltet die Gesellschaft.

Das Diktat der Bilanzierungen, Effizienzen und Politik zerschneidet die sozialen Bezüge zwischen den Entscheidenden und Arbeitenden. Der Markt entscheidet über den Wert des Individuums. Unter dem Zwang seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, übernimmt das bedeutungs-los gewordene Individuum das Tauschprinzip, denn besitzorien-tiertes Haben, also totes Eigentum, bedeutet Macht, Einfluss und Anerkennung auf dem Markt. Diese Ver-Tauschung innerer Charakterorientierungen stabilisiert zumindest oberflächlich das Selbstwertgefühl.

Da die existentielle Besitzstruktur einer Zwiebel ohne Kern gleicht, wird der Mensch zu einem Bündel von Begierden, das mit seinen unbegrenzten Konsumwünschen die innere Leere zu überdecken sucht.

Zwar bedeutet der „freie Markt“ auch eine gewisse Befreiung von verkrusteten, autoritären Strukturen. Diese wird jedoch durch folgende Unsicherheit erkauft:

Arbeitslosigkeit und Enteignung durch Inflation.

Die Befreiung von überholten Zwängen bei gleichzeitiger Bedrohung durch anonyme Marktmacht machen das Individuum bereit zur „Teamarbeit“, zum Strukturieren als Rad im Getriebe einer „gesunden Wirtschaft“- zu Ungunsten des eigenen Wohl-Seins.

„So entwickelt sich im Wechselspiel zwischen ökonomischen Beding-ungen und psychischen Momenten die Haben-Struktur der Gesell-schaft, die auf den Prinzipien Privateigentums, Profit und Macht beruht.“

Das „Warum“ sich die Verheißung nicht erfüllte „liegt neben den systemimmanenten ökonomischen Widersprüchen innerhalb des Industriealismus an den beiden wichtigsten psychologischen Prämissen, dem System selbst, nämlich

- dass das Ziel des Lebens „Glück“, d.h. ein Maximum an Lust sei, worunter man die Befriedigung aller Wünsche und Bedürfnisse, die ein Mensch haben kann, versteht, und
- dass Egoismus, Selbstsucht und Habgier-(Eigenschaften, die das System fördern muss, um existieren zu können)- zu Harmonie und Frieden führen.“

1.3. Die Entwicklung der Haben-Struktur

Der Gesellschaft sieht Fromm in der Parallelität zur Festigung des Privateigentums.

So beruht das Eigentum ursprünglich zweifellos auf dem existentiellen Wunsch, selbsttätig zu sein und sich aus der primären Bindung, aus der Umklammerung durch die Natur, zu befreien.“

Die Freiheit des produzierenden wirtschaftlichen Handelns diente der Individuation, der Personwerdung des Menschen, war mithin ein Akt der Vernunft.

Das Haben von Dingen, die man besitzen konnte, verschaffte Sicher-heit vor Hunger, Armut und sozialer Abhängigkeit, stand im Dienste des physischen, biologischen Überlebens, das auch heute nicht überall gewährleistet ist.

Allzu schnell aber entwickelte sich in patriarchalen Kulturen eine Ideologie zum Schutz des Eigentums.

Und mit der Macht des Besitzes entwickelte sich auch die Macht über den Menschen.

Für die Nichtpotenten, Nichtbesitzenden wurde der Individuations-prozess gestoppt. Der Selbstbestimmungsprozess wurde negiert. Die konformistische Unterwerfung an den potenten Mächtigen wurde zur einzigen Möglichkeit, die eigene Machtlosigkeit zu ertragen um wenigstens sekundär - auf Umwegen- bedeutend zu werden.

Fromm sieht die ersten Ansätze zur Entwicklung der Haben-Struktur in der Jungsteinzeitlichen Revolution, in der aus Jägern und Sammlern Ackerbauern und Viehzüchter wurden...

Die Ungleichheit der Arbeitseinteilung schlug sich dergestalt schließlich in der Ungleichheit des Besitzes nieder.

In den Städten, die sich in den Hochkulturen zuerst ausbildeten, führte die straffe Organisation zu einer strengen Teilung der Bevölkerung, so dass sich Klassen von einander schieden.

Der soziale Prozess der Klassenspaltung war eng verwoben mit der Aneignung und Organisation neuer Techniken, wie zum Beispiel mit der Entwicklung der Keramikproduktion, der Eisenerzverhüttung und verbesserter Agrartechnologie.

Auch der Tauschhandel und die religiösen Kulte verfestigten diesen Trend, der infolge von wirtschaftlicher und staatlicher Autorität dem Patriarchat zum Durchbruch verhalf.

Der Krieg- als eine Folge der Besitz-Macht-Struktur- zeigte die sadistische und nekrophile Komponente dieser Entwicklung auf.

Diese patriarchalen Herrschaftsstrukturen haben sich für Fromm erst wieder in der Renaissance und Reformation in Europa grundsätzlich verändert.

Die Befreiung von den alten Weltbildern und Ordnungsvorstellungen (Gilde, Zunft) förderte den Individuationsprozess, was jedoch mit dem Zerbrechen alter primärer Sicherheiten und steigender „Isolation“ bezahlt werden musste.

Als Ausweg aus dieser Verunsicherung bot sich die Unterwerfung unter den anonymen Markt an.

Das Geld, genauer, das Handelskapital, konnte sich als überpersön-liche Macht an die Stelle „Gottes“ festsetzen.

Die Angst vor der feindlichen Welt des Marktes und dem Konkurrenz-kampf legte es jedoch nahe, die Gnade eines Gottes zu suchen, dessen Wohlwollen am wirtschaftlichen Erfolg ablesbar und durch eine asketische Arbeitsmoral als „gottgefälliges Werk“ zu erringen war.

Männliche Macht konnte sich zur Zeit der Renaissance in Gestalt des draufgängerischen Einzelgängers (Principe, Handelsherr), des Eigentums und der staatlichen Gewalt versichern.

Den politisch Ohnmächtigen blieb nur die Möglichkeit, ihre gesell-schaftliche Machtlosigkeit durch repressives Verhalten in der Familie zu kompensieren.

Vielfach bestand die einzige „Macht des Bürgers“ der Renaissance darin, seiner Familie seinen Willen aufzuzwingen. Dieses autoritäre Verhalten wurde von den Kindern verinnerlicht.

Die Gewalt des Ausbeuters fand somit in der Psyche der Individuen einen geeigneten Nährboden, die Ausbeutung des Schwächeren durch den Stärkeren galt als „natürlich“.

Der Kreislauf der Ausbeutung, der Männer, Frauen und Kinder erfasste, war in Gang gesetzt, denn die Schwächsten, die Kinder, gaben das erlernte Verhalten als Erwachsene weiter.

Die weitere technische und gesellschaftliche Entwicklung in Form der industriellen Revolution und der Computerisierung hat die grundsätz-iche Habens-Struktur fortgeführt, zugleich jedoch die Autorität des Mannes anonymisiert und in die Macht der bürokra-tischen Megamaschine überführt.

Hierbei wirkte die Familie als „Agentur der Gesellschaft“, indem sie unmerklich den Willen des Menschen gesellschaftlich funktional formte.

Die Anpassung des kindlichen Sozialcharakters an die Zivilisations-schablone geschieht nach wie vor durch das Einprägen von Orien-tierungsmustern des Habens.

Irrationale Autoritäten und symbiotische Mutterbindungen gewähr-leisten die Leistungsfähigkeit des „Normalen“.

Kindliche Spontanität und Entfaltung werden tendenziell verunmög-licht.

Fromm sieht die psychischen Folgen der Haben-Struktur mit maxi-maler ökonomischer Effizienz, Produktionsmaximierung und maxi-malem Konsum in den Symptomen eines schrankenlosen Egoismus und Luststrebens (Hedonismus). Dass hierin auch Elemente des „autoritären Charakters“ enthalten sind, erkennt Fromm an der Absonderung und Diskriminierung von Minderheiten und Randgruppen.

Die irrationale Autorität, der man sich nicht erwehren kann, wird auf andere Gruppen verschoben. Das Ohnmachtsgefühl wird aggressiv gewendet und sekundär befriedigt.

Es handelt sich jedoch um eine Fluchttendenz, die in der Angst ihren Ursprung hat.

Gegen das Leiden in der Identitätskrise bietet der Persönlichkeits-markt eine Vielzahl konsumtiver Scheinlösungen an.

Der Versuch, die Langeweile mit Zeiteinsparungen und Zeittotschla-gen zu begegnen, muss jedoch scheitern, weil die Angst vor dem Tod, dem Ende der individuellen Zeit, verdrängt werden muss.

2. Fromms Marxistische Verwendung Freudscher Gedanken

hatte eine Erklärung zum Ergebnis, die von einer Klassengesell-schaft sprach, die Elend und Unrecht ewige Dauer zu verheißen schien.

„Im Machtgefälle der Klassengesellschaft – so Fromms zentrale, Freuds klassentheoretisch zugespitzte Gedanken – wiederholt sich für die Beherrschten die infantile Situation. Sie erleben die Herrschenden als die Mächtigen, Starken, Anerkannten, gegen die sich aufzulehnen vergeblich, deren Schutz und Wohlwollen durch Unterwerfung und Liebe zu erlangen, vernünftig scheint.

Die Gottesidee fördert die Bereitschaft, sich noch als Erwachsener Vaterfiguren zu unterwerfen und die Herrschenden in einem verklärten Licht zu sehen.“

Fromm macht Ernst mit der Marxistischen Auffassung, dass das Sein das Bewusstsein bestimme.

„ Er erklärt, der Protestantismus stehe am Beginn einer gesellschaftlichen Epoche, die eine aktive Haltung der Massen zulasse – im Gegensatz zur passiv -infantilen des Mittelalters -, in dem der Katholizismus mit der „verhüllten Rückkehr zur Religion der großen Mutter“ den vollends infantilisierten Massen die Phantasiebefriedigung des von der „Mutter geliebten Säuglings" geboten habe (das Christusdogma,91).“

Man könnte daraus schließen, dass Fromm in den Marxistischen und sozialistischen Anschauungen eine moderne Entsprechung zu den revolutionären, religiösen Vorstellungen der ersten Christen sah.

„Das quasi neurotische Verhalten der Massen, das ein adäquates Reagieren auf aktuelle, reale, wenn auch schädliche Lebensbeding-ungen ist, wird sich also nicht durch die „Veränderung und Beseitigung eben jener Lebensbedingungen „heilen lassen.“... Die materielle Geschichtsauffassung wurde auf diese Weise uneinge-standen ad absurdum geführt. Es wurde demonstriert, dass das fugendichte Funktionieren der Gesellschaft eine Umwälzung der Lebensbedingungen nicht zulasse und dann gesagt, dass nur die Umwälzung der Lebensbedingungen das Verhalten der Massen ändern könne. Aber auch eine solche Veränderung der Lebens-bedingungen würde bloß zu einem ideologischen Überbau führen, der den „ökonomische- soziale Unterbau notwendig machte.“

Bei solchen Ansichten war die Entwicklung eines „Messianischen Humanismus“ gegeben, der einen Ausweg aus der endlosen Verkettung von Sein und Bewusstsein bot. Fromm, von der Erreichbarkeit eines erfüllten Lebens überzeugt, fand dafür ein Konzept.

3. Die Kunst des Lebens: HABEN oder SEIN als letzte Wertung menschlicher Wirklichkeit

Thesen:

Die Existenzweise des Habens steht für die Übel der gegenwärtigen Zivilisation.

Die heutige Gesellschaft ist vom Modus des Habenwollens bestimmt.

Die Existenzweise des Seins steht für die Möglichkeit eines erfüllten Lebens, das nicht entfremdet ist.

3.1. Charakterologische Begriffe

Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betrachtungsweise des Menschen stehen bei Erich Fromm zwei Weisen des sozialpsychologisch umfassend zu verstehenden Begriffes „Charakter“.

Fromm erklärt, der Charakter sei strukturiert, d.h. er hat, je nach Prägung, eine bestimmte Eigenart, die sich als Orientierung des Charakters idealtypisch fassen und im Hinblick auf seine Funktionalität bzw. Dysfunktionalität, für die Entfaltung des Systems Mensch qualifizieren lässt.

Prinzipiell erkannte Fromm zwei Charaktersyndromen

- den biophilen, ausgerichtet am Wachstum bzw. Leben,
- den nekrophilen, orientiert am Verfall bzw. Tod.

Jedes menschliche Denken, Fühlen und Handeln geschieht entweder in der Weise des Habens oder des Seins.

Diese Alternative ist ein Schlüssel zum Verständnis menschlicher Wirklichkeit überhaupt, und zwar auch der religiösen und ethischen, so dass hier Humanismus und religiöses Ethos sich vereinigen.

Haben oder Sein sind keine Orientierungen, so fand Fromm heraus, sondern Modi der Erfahrung, Modi menschlicher Existenz, die den Charakterorientierungen vorausgehen.

Die Haben-Sein-Alternative gilt für jede Wirklichkeit, zu der der Mensch in Beziehung treten kann.

Der einfachste Zugang zum Verständnis dessen, was Erich Fromm mit dem Haben-Modus meint, ist der über das Verständnis des Privateigentums.

Im Modus des Habens kommt es nur auf Besitzerwerb an und auf das uneingeschränkte Recht, diesen Besitz zu behalten und über ihn zu verfügen.

Alles ist inbegriffen: Kinder, Ehepartner, Kranke, Behinderte, Unwissende, Tugenden und Werte, Ehre, Ansehen, Image, Mut, Gesundheit, Schönheit, alles will und muss man haben.

Überzeugungen religiöser, weltanschaulicher und politischer Art werden wie ein Besitz erworben und hartnäckig verteidigt; Wahrheit und Recht wollen in Besitz genommen werden, notfalls durch Prozesse oder Krieg.

Das Recht auf Liebe durch die Heirat ist Inbesitznahme.

Für das Verlangen nach Besitz und gleichzeitig nach Wirkmächtigkeit ist die Feststellung:„ Ich“ (Subjekt) habe „O“ (Objekt) – als eine Bestimmung im Subjekt-Objekt-Bezug: „Ich bin, was ich habe!“,- kennzeichnend.

[...]

Excerpt out of 48 pages

Details

Title
Die neue Stadt - Wie ist diese Gesellschaft zu retten?
Subtitle
Erich Fromm und seine Voraussagen: Haben oder Sein?
Author
Year
2009
Pages
48
Catalog Number
V131060
ISBN (eBook)
9783640346462
ISBN (Book)
9783640346660
File size
632 KB
Language
German
Notes
Zugrunde liegt diesem Buch meine Hausarbeit, die ich 1993 bei der FH Düsseldorf im Fach Sozialphilosophie schrieb und die mit der Note 1,0 bewertet wurde. Neulich fiel mir dieser Text wieder in die Hände und beim Lesen bemerkte ich, wie aktuell und wichtig er in dieser Zeit ist, so dass ich ihn neu bearbeitete und mit meinem, in den letzten zehn Jahren gereiftem, Denken ergänzte.
Keywords
Wirtschaftskrise, Sozialphilosophie, Christliche Religion, Lebenssinn, Liebe für eine neue Gesellschaft, Die neue Stadt, erfüllt von Liebe, Sein oder Haben, Die Sünde im Seins-Modus ist die Trennung, Erich Fromm, Gottesbild und Menschenbild, Gesellschaftsveränderung
Quote paper
Dipl.Soz.päd. Antje-Marianne Di Bella (Author), 2009, Die neue Stadt - Wie ist diese Gesellschaft zu retten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131060

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