Klassische Entwicklungstheorien im kritisch-systematischen Überblick


Term Paper (Advanced seminar), 2008

20 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

A. Einführung in die Entwicklungstheorien

B. Exogene Theorien
I. Marxistischer Ansatz
II. Neokoloniale Dependenztheorie

C. Endogene Theorien
III. Stufentheorie nach Rostow
IV. Dualismustheorie

Resümee und Schluss

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Produktionsweise – der Zusammenhang zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen

Abbildung 2: Vergleich traditionellem mit modernem Sektor

Einleitung

Jede Nation strebt nach Wohlstand. Diesen zu vermehren stellt die Grundlage der Ökonomie dar. Doch kann es dabei keinen einheitlichen Ansatz geben – jedes Land entwickelt anders. Diese Arbeit beschäftigt sich mit verschiedenen theoretischen Ansätze zur Erörterung des Fragenkomplexes, warum entwickelt sich das eine Land während des Wachstums im Nachbarland stagniert?

Nicht erst seit Karl Marx, beschäftigen sich Ökonomen – aber auch Philosophen, Soziologe oder Politologen – mit verschiedenen entwicklungstheoretischen Ansätzen. Insbesondere mit dem Beginn des Kalten Krieges, d.h. der Aufteilung der Welt in zwei Blöcke und einer sog. „Dritten Welt“, sowie dem Ende des Kolonialismus in den 1950er Jahren, etablierte sich ein entwicklungspolitischer Diskurs in der Wissenschaft, zur Findung der „richtigen“ Strategie, um effektiv das Wachstum in den sog. „Entwicklungsländern“[1] zu fördern. Die in diesem Prozess entstandenen Theorien bildeten die Grundlage für die westliche Entwicklungshilfe.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit den „klassischen“ Entwicklungstheorien. Ziel ist es, eine Einführung in die Thematik der Entwicklungstheorien zu geben sowie exemplarisch einige Theorien wiederzugeben und diese kritisch zu bewerten. Um festzustellen, was Entwicklungstheorien im Allgemeinen und „Klassische“ im Besonderen charakterisiert, folgt zunächst in Teil A eine definitorische Einführung in diesen Sachverhalt. Darauf aufbauend wird in den Kapiteln B bzw. C exemplarisch Entwicklungstheorien mit exogener bzw. endogener Ursache herausgearbeitet. Aufgrund der Komplexibilität und der Anzahl der verschiedenen Entwicklungstheorien, kann nur eine kleine Auswahl an Theorien betrachtet und erläutert werden. Der Fokus wurde deshalb auf den jeweils bedeutendsten endogenen und exogenen Theorien gelegt.

Aufgegriffen werden als Beispiele für die exogenen Theorien: der Marxistische Ansatz sowie die darauf fußende Dependenztheorie. Beide benennen die Abhängigkeit unterentwickelter Länder von den Industrieländern als Hauptursache für fehlende Entwicklung. Die Stufentheorie, welche (basierend auf Marx) eine stufenartige Entwicklung für jedes Land annimmt, sowie die Dualismustheorie, welche parallel in einem Land vorhandene ineffektiv agierende Wirtschaftszweige für Unterentwicklung verantwortlich macht, werden als Vertreter der endogenen Theorien betrachtet.

Aufgrund der Vielzahl an Entwicklungstheorien und der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung solcher in „klassische“, stand eine große Anzahl an Literatur zur Bearbeitung dieses Themas zur Verfügung. Diese Arbeit basiert jedoch im Wesentlichen auf Standartlehrbüchern, wie etwa „Economic Development“ von Michael Todaro und Stephen Smith[2] oder „Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer“ von Hans-Rimbert Hemmer.[3] Nützliche Hinweise auf zukünftige Entwicklungen in diesem Feld lieferte Reinold Thiele mit seiner Zusammenfassung von Artikel der Zeitschrift „Entwicklung und Zusammenarbeit“ in dem Buch „Neue Aufsätze zur Entwicklungstheorie“.[4] Erwähnenswert ist auch das Helmut Walter Buch „Wachstums- und Entwicklungstheorie“, welches nicht nur einen guten Überblick über die Entwicklungstheorie im Allgemeinen liefert, sondern auch sehr anschaulich die Stufentheorien nach Marx und Rostow darstellt, erläutert und kommentiert.[5]

A. Einführung in die Entwicklungstheorien

Die Praxis brauche die Theorie, so wie gleichzeitig die Theorie die Annäherung an die Praxis braucht (zumindest wenn sie sich als verifizierbar erweisen wolle), so die Meinung von Franz Nuscheler. Erfolgsversprechende Strategien seien nur zu entwickeln, wenn die praktischen Erfahrungen richtig interpretiert und erforderlichenfalls korrigiert werden. Entwicklungstheorien seien daher, nach Meinung Nuschelers essentiell, um der entwicklungspolitischen Wirklichkeit zu begegnen.[6] Der Zweck von Theorien im Allgemeinen braucht nicht näher erläutert zu werden, ohne eine durchdachte Planung wird jedes Vorhaben langfristig scheitern. So ist es auch in der Entwicklungspolitik. Doch wie wird der Begriff „Entwicklungstheorie“ definiert? Eine umfassende Definition für diesen Begriff lieferte Ulrich Menzel:

„Ich verstehe unter Entwicklungstheorien Aussagen, mit deren Hilfe (…) begründet werden kann, warum es in den Industriegesellschaften Westeuropas, Nordamerikas und Ostasiens zu Wirtschaftswachstum, Industrialisierung, sozialer Differenzierung und Mobilisierung, mentalem Wandel, Demokratisierung und Umverteilung gekommen ist, bzw. warum in dem übrigen Teil der Welt diese Prozesse ausbleiben, nur unvollständig realisiert werden oder lediglich eine Karikatur dieses Prozesses zu beobachten ist.“[7]

Menzel stellt an dieser Stelle die extremen Gegensätze in den Entwicklungen der verschiedenen Erdteile dar. Er verlangt von einer Entwicklungstheorie, dass sie „gesamtgesellschaftliche, welthistorische Prozesse des wirtschaftlichen und sozialen Wandels erklärt und verständlich macht.“[8] Im Umkehrschluss wären, nach Ansicht von Reinold Thiele, Entwicklungstheorien als „gescheitert“ einzustufen, wenn diesen – nachdem sie zur Anwendung kamen – nachgewiesen werden könne, dass sie keine überzeigenden oder stichhaltigen Erklärungen für Entwicklung oder Unterentwicklung liefern könnten.[9]

Der Begriff der „klassischen“ Entwicklungstheorien kann nur mit Mühen definiert werden. Vielfach wird dieser Begriff für Theorien, die im Zeitraum des Kalten Krieges aufgestellt wurden, verwendet. Es gibt in der Wissenschaft auch keine einheitliche Definition, inwiefern „klassische“ Entwicklungstheorien von den nichtklassischen Theorien abgegrenzt werden können.

So sprechen etwa Todaro und Smith von vier „klassischen“ Entwicklungstheorien: von dem „linear-stages-of-growth model“ (Stufentheorie), von der „theories and patterns of structural change“, von der „international-dependence resolution“ (Dependenztheorie) und von der „neoclassical, free-market counterrevolution“ (neoklassisch oder neoliberale Theorie).[10]

Diese vier Entwicklungstheorien ordnen Todaro und Smith in einen historischen Kontext. In den 1950er und 1960er Jahren sahen die Ökonomen, nach Ansicht von Todaro und Smith, den Entwicklungsprozess als eine aufeinander Folge von Entwicklungsstufen, welche jedes Land einmal passieren müsse.[11]

In den 1970er Jahren sollen sich, nach Meinung der beiden Ökonomen, zwei konkurrierende Theorien etabliert haben. Zum Einen die „theories and patterns of structural change“, welche die Annahme vertritt, dass unterentwickelte Länder zunächst gewisse strukturelle interne Maßnahmen umsetzen müssen bevor sie sich entwickeln können. Und zum anderen die Dependenztheorie, welche argumentiert, dass die unterentwickelten Länder in einer Abhängigkeit zu den Industrieländern stehen, aus welcher sie sich nicht selbst befreien können.[12]

In den darauf folgenden Jahrzehnten etablierte sich die neoklassische oder neoliberale Theorie. Inhärent bei diesem Ansatz ist der liberale Gedanke, wonach „zu viel Staat“ die Wirtschaft schädige. Deshalb müsse in den unterentwickelten Ländern freie Märkte etabliert und die Privatisierung von ineffektiven Staatsbetrieben fokussiert werden.[13]

Dass die Einordnung dieser vier Theorien unter dem Begriff „klassische Entwicklungstheorien“ nicht immer der Meinung anderer Autoren widerspiegelt, zeigt die Auflistung von Thiele, der sieben, z.T. sehr unterschiedliche Theorien als „klassisch“ benennt: die „Modernisierungstheorie“, welche davon ausgeht, dass die LDCs lediglich die Entwicklung der Industriestaaten nachahmen müssten, die „Dependenztheorie“ und das „Modell der Entwicklung durch zentrale staatliche Planung“, also dem realen Sozialismus. Des Weiteren das „neoliberale Modell“, welches die Entfesslung der Märkte als zentralen Ausgangspunkt für Wachstumsschübe ansieht sowie das „Gänseflug-Modell“, das eine kaskadenartige Entwicklung der ostasiatischen Länder auf Basis staatlich gelenkter Privatwirtschaft voraussagt. Und schließlich das „Konzept der kulturellen Bedingtheit von Entwicklung“, welches soziale und kulturelle Aspekte in als Initiator der Entwicklung ansieht und das „Konzept nachhaltiger Entwicklung“: eine nachhaltige langfristige Entwicklung kann nur gelingen, wenn sie sich der Ressourcenknappheit anpasst.[14]

Nachfolgend werden exemplarisch vier der bedeutendsten theoretischen Entwicklungsansätze, systematisch in exogene und endogene Theorien unterteilt, betrachtet.

B. Exogene Theorien

Exogene Theorien sind solche Theorien, bei denen die Ursache für die Unterentwicklung als von Außen bedingt angenommen wird. Es wird also vermutet, dass die LDCs für ihre Unterentwicklung kaum Eigenschuld trifft. Karl Marx war einer der ersten Theoretiker, welcher die Entwicklung verschiedener unterentwickelter Länder auf eine Abhängigkeit zu den weiterentwickelten Ländern, den damaligen Kolonialländer, zurückführte. Auf Marx Analyse, u.a. auf seine Theorie der Entwicklungsstadien, wurden etliche Entwicklungstheorien aufgebaut: sowohl die Dependenztheorie (Kapital II.), als auch die Stufentheorie von Rostow (Kapitel III.). Aus diesem Grund, muss der Marxistische Ansatz als Grundlage für eine jede wissenschaftliche Bearbeitung von Entwicklungstheorie angesehen werden. Dieser sowie die angesprochene Dependenztheorie werden im folgenden Unterkapitel vorgestellt.

I. Marxistischer Ansatz

Die Schriften von Karl Marx beeinflussten die Entwicklungstheoretiker wohl am nachhaltigsten: Sowohl Rostows Stufentheorie, wie auch die Dependenztheorien nehmen die Gedanken Marx auf, entwickelten sie weiter und führen sie z.T. in andere Richtungen. Die Marxsche Entwicklungstheorie wird von vielen Akademikern als die umfassendste und in sich geschlossenste Entwicklungstheorie bezeichnet. Marx interpretierte ausgehend von den Pfeilern der Dialektik[15] und des Historischen Materialismus[16] die Entwicklungsgeschichte als eine Abfolge von erfolgreichen Versuchen des Menschen die von der Natur in den Weg gelegten materiellen Widerstände aufzuheben.[17]

Nach Marx Auffassung stellt die Gesellschaft einen sich ständig entwickelnden Organismus dar. In diesem dominieren die materiellen Produktionsbeziehungen – die sog. „Produktionsweise“. Für Marx stellt die Produktionsweise der materiellen Güter den Faktor dar, welcher die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt. Die Produktionsweise bezeichnet das jeweilige Verhältnis von „Produktionskräften“ zu den „Produktionsverhältnissen“. Wobei der Begriff „Produktionskräfte“ den Stand der Fähigkeiten und technische Hilfsmittel, welcher sich Menschen bedienen können bezeichnet,[18] und der Begriff „Produktionsverhältnis“ sich das Produktionseigentum und deren Aneignung durch den Menschen ausdrückt.[19]

Nach Marxs Auffassung gibt es in jeder Gesellschaft verschieden „Klassen“. Eine davon – die herrschende Klasse – konnte sich immer mehr aneignen als sie eigentlich selbst produzieren konnte. Folglich müssen die anderen Klassen der Gesellschaft zur Befriedigung der herrschenden Klasse unterdrückt werden – dieser Gegensatz führt zu einem „Klassenkampf“. Dieser Kampf wird zum entscheidenden Katalysator für die gesellschaftliche Entwicklung.[20] Hemmer fasst Marx Geschichts- und Gesellschaftsauffassung folgendermaßen zusammen:

[...]


[1] Entwicklungsländer werden folgt mit LDC (less developed countries) abgekürzt.

[2] Todaro, Michael P. / Smith, Stephen C. (2003): Economic Development. Pearson, London.

[3] Hemmer, Hans-Rimbert (1988): Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer – Eine Einführung. Verlag Franz Vahlen, München.

[4] Thiele, Reinold E. (Hrsg.) (1999a): Neue Ansätze zur Entwicklungstheorie. Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung, Bonn.

[5] Walter, Helmut (1983): Wachstums- und Entwicklungstheorie. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart.

[6] Vgl. Nuscheler, Franz (1992): Warum brauchen wir Entwicklungstheorien? In: Thiele, Reinold E.: Neue Ansätze zur Entwicklungstheorie. Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung, 1999, S. 392.

[7] Menzel, Ulrich (1992): 40 Jahre Entwicklungsstrategie = 40 Jahre Wachstumsstrategie. In: Nohlen, Dieter / Nuscheler (Hrsg.): Handbuch der dritten Welt, Bd. 1; S. 140.

[8] Vgl. Thiele, Reinhold E. (1999b): Einleitung – Zur Neubewertung der Entwicklungstheorie. In: Thiele, Reinold E.: Neue Ansätze zur Entwicklungstheorie. Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung; S. 9-34 (1999), S. 10.

[9] Thiele (1999b), S. 10.

[10] Vgl. Todaro/Smith (2003), S. 104 ff.

[11] Vgl. ebd., S. 108 ff.

[12] Vgl. Todaro/Smith (2003), S. 115ff.

[13] Vgl. ebd., S. 119 ff.

[14] Vgl. Thiele (1999b), S. 11ff.

[15] Die Dialektik ist der „Kampf der als These und Antithese bezeichneten Gegensätze innerhalb der Materie. Dieser Kampf wird durch die Synthese überwunden, (…).“ Siehe Hemmer (1988), S. 96.

[16] Im Historischen Materialismus bestimmen die ökonomischen Prozesse die Gesellschaft und somit auch die Geschichte.

[17] Vgl. Walter (1983), S. 135ff.

[18] Vgl. Walter (1983), S. 136.

[19] Vgl. ebd., S. 135.

[20] Vgl. ebd., S. 136.

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Details

Title
Klassische Entwicklungstheorien im kritisch-systematischen Überblick
College
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg  (Institut für Wirtschaftswissenschaft)
Course
Volkswirtschaftliches Hauptseminar: Außenwirtschaft
Grade
2,0
Author
Year
2008
Pages
20
Catalog Number
V131099
ISBN (eBook)
9783640371693
ISBN (Book)
9783640371921
File size
494 KB
Language
German
Keywords
Klassische, Entwicklungstheorien
Quote paper
Daniel M. Rother (Author), 2008, Klassische Entwicklungstheorien im kritisch-systematischen Überblick, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131099

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