Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Mikroanalyse
2.1 Einordnung der Comicserie „The Walking Dead“
2.2 Aufbau, Struktur
2.3 Stil und Farbe
2.4 Medienspezifische Mikroanalyse der seriellen Narration
3 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Robert Kirkmans Comicserie „The Walking Dead“ gehört gegenwärtig „zu den meistgelobten und erfolgreichsten US-Independent-Serien der letzten Jahre!“1 Die Comics erfreuen sich großer Beliebtheit, fanden Einzug in die Serienlandschaft der Film- und Computerspielindustrie und wurden zudem in viele weitere Medien adaptiert.
Die vorliegende Arbeit thematisiert die erzähltechnischen Mittel der Comicserie „The Walking Dead“, die für die Leserbindung und große Adaption der Serie mitverantwortlich sind. Der Definition nach, die Julia Abel und Christian Klein aufstellen, handelt es sich bei dem Comic „The Walking Dead“ um einen Horrorcomic, denn die Protagonisten befinden sich in der für den Leser bekannten, realen Welt und treffen auf etwas Widernatürliches, was von den Figuren als Gefahr wahrgenommen wird. Kennzeichen dieses Genres ist, das es „beim Leser Angst, Schrecken oder Grauen“2 hervorruft. Robert Kirkman hingegen fordert vom Rezipienten, die Serie nicht dem ihr zugeteilten Genre zuzuordnen oder sie darauf zu beschränken. Auf der Discours-Ebene wird durch verschiedene Techniken der seriellen Narration und mittels Tony Moores Darstellung, also beispielsweise durch Komposition, Ansicht und Perspektive, Spannung aufgebaut. Diese Mittel zu analysieren gilt als vordergründiges Ziel der vorliegenden Arbeit. Die Histoire-Ebene des Horrorcomics, die Julia Abel und Christian Klein in ihrer Definition beschreiben und wovon sich Kirkman, laut seiner im Prolog gemachten Aussagen, abzugrenzen versucht, da seine Serie inhaltlich mehr sei, ist nicht Schwerpunkt der Betrachtung. Analysiert werden die textimmanenten Elemente die Spannung erzeugen, nicht das „Spannungsempfinden“3 des Rezipienten, denn „während Spannungsempfinden etwas rezeptions-subjektivistisches ist, lassen sich Spannungsaufbau und Spannungserzeugung nachvollziehen.“4 Bei der formalen Analyse der Comicserie richte ich mich im Besonderen nach den Forschungserkenntnissen und Begriffsdefinitionen Vincent Fröhlichs, die er in seiner Monografie „Der Cliffhänger und die serielle Narration“ erarbeitet hat. Dem Cliffhanger wird von Fröhlich eine große Rolle zugeschrieben, denn er dient als Erzählmittel für die Spannungserzeugung, die beim Rezipienten durch die Technik der Unterbrechung eines Makrotextes, beziehungsweise die gezielte Teilung eines Handlungsstrangs, den „Rezeptionsimpuls“ der Wiederaufnahme des Mediums aufrecht erhält.5 Außerdem wird dem Leser ein „Quasibedürfnis“6 nach Auflösung suggeriert, das Raum zur eigenen Imagination über den Fortgang der Geschichte schafft.7 Fröhlich differenziert zwischen „Erzähltypen“ und „Erzählformen“ des Cliffhangers und nimmt zudem eigene „Kategorisierungen“ vor, mit denen der Cliffhanger weiter bestimmt werden kann. Anhand dieser Unterscheidungen lassen sich auch die Unterbrechungsmomente des Comics „The Walking Dead“ untersuchen. Jakob F. Dittmar bietet mit seinem Werk „Comic-Analyse“ ebenfalls entscheidende Analysewerkzeuge an.
Die Arbeit konzentriert sich auf den ersten Band (#Issue 1-6) und damit auf den Anfang der Erzählung, da sich daran gut erkennen lässt, wie Kirkman seinen Comic konstruiert und Erzählunterbrechungen einsetzt um den Rezipienten erstmalig in die Diegese einzuführen. Eine Besonderheit, die es zu analysieren gilt, ergibt sich aus der wandelnden Erzähltechnik, die sich aus der Anzahl an Handlungsträgern ergibt.
2 Mikroanalyse
2.1 Einordnung der Comicserie „The Walking Dead“
Im zweiten Teil seiner Monografie beschäftigt sich Fröhlich mit der seriellen Narration und versucht sich mittels einer Gegenüberstellung komplementärer Begrifflichkeiten an deren konkreten Bestimmung und dem Ermitteln ihrer Beziehung zum Cliffhanger. Hierbei schlägt er eine aus dem Kontext der Fernsehwissenschaft entlehnte Unterscheidung der Erzählprinzipien zur Einordnung der Mikrotexte vor und betont die Relevanz dieser Differenzierung, trotz oftmals unklarer und sich vermischender Grenzen, denn der Cliffhanger, mit seiner phasenbildenden, seriellen Struktur, könne ausschließlich der Erzähltechnik der Fortsetzungsnarration zugeordnet werden.8 Für die textimmanente, formale Analyse der Erzähltechniken von „The Walking Dead“ ist daher zunächst die Zuordnung des Mikrotextes hin „zum Pol der episodischen Wiederholung oder zum Pol der Fortsetzung“9 vorzunehmen.
„The Walking Dead“ ist eindeutig der Fortsetzungsnarration zuzuordnen. Die Figuren durchleben in dem Horrorcomic immer neue Herausforderungen und treffen auf verschiedene Widersacher, denn nicht nur die Zombies, sondern auch die Lebenden werden zur Gefahr. Daher lässt sich sagen, dass das einzig episodenähnliche der Serie, in Anlehnung an den zyklischen Tagesverlauf der stetige Kampf ums Überleben, Tag für Tag, ist. Nur auf diese Art durchläuft die Serie teilweise episodenähnliche Elemente in den Handlungssträngen. Wenn es darum geht, eine sichere Unterkunft zu suchen und für das Überleben zu sorgen, tritt teilweise eine alltägliche Routine ein. Trotzdem wäre eine Auslassung einer der Mikrotexte undenkbar. Sie würde den Leseverlauf erheblich stören, denn die „seriellen Erzählungen behandeln einen Teil der größeren, zusammenhängenden und fortschreitenden Geschichte.“10 Die einzelnen Texte dienen damit der Verflechtung der Handlung und potenzieren die Spannung. Durch die fortsetzende Handlung wird dem Rezipienten, anders als bei der episodischen und abgeschlossenen Narration, ein offener Handlungsstrang suggeriert, der allenfalls durch vorausdeutende Erzähltechniken vorweggenommen oder in eine Richtung gelenkt wird.
2.2 Aufbau, Struktur
Die einzelnen Ausgaben von „The Walking Dead“ sind in verschiedenen Formen gefasst und veröffentlicht worden. Die Taschenbuchform umfasst je sechs Ausgaben und gehört zu den ersten Kollektionen der Serie11. Die Struktur der Ausgaben weist eine gewisse Gleichförmigkeit auf, denn sie umfassen jeweils rund zweiundzwanzig Seiten, enden teilweise mit Cliffhangern oder anderen erzähltechnischen Unterbrechungen und potenzieren sich, mittels zusammenlaufender Handlungsereignisse, in ihrer Spannung. Für die Analyse der Comicserie beschränke ich mich auf die ersten sechs Ausgaben - die auch in Taschenbuchform gesammelt herausgegeben werden. Ich behandle die Mikrotexte als seriell publizierte Teile, als Mikrotexte die in ihrer Addition Kapitel bilden, welche auf einen kleinen Entscheidungskampf hinauslaufen.12
Indem sich diese Arbeit auf den ersten Band „Days Gone Bye“, also auf den Beginn der Erzählung konzentriert, kann sichtbar gemacht werden, inwiefern der Autor erstmalig Spannung in seiner Serie erzeugt und wie diese Spannung aufrechterhalten wird. Gerade zu Beginn lässt sich gut herausarbeiten, wie sowohl Protagonist, als auch Rezipient unverhofft in die Welt der lebenden Toten eingeführt werden und wie die Erzähltechnik sich im Hinblick auf die zunehmende Zahl an Handlungsträgern verändert, beispielsweise in der Erzählperspektive. Zunächst muss der Protagonist Rick sich allein in der veränderten Welt zurechtfinden. Der Erzähler begleitet die Figur und ließe sich erzähltheoretisch mit dem heterodiegetischen, am Geschehen „unbeteiligten Erzähler“13 vergleichen. Die Erzählunterbrechungen knüpfen direkt, in Form eines Interruptionspunktes, an den vorherigen Handlungsstrang an. Daraus ergibt sich, dass der Rezipient nur eine kurze spannungssteigernde Unterbrechung erfährt, die aber durch die direkte Wiederaufnahme des Handlungsstrangs schnell wieder an Wirkung verliert.14 Später im Camp nimmt der Erzähler Wechsel in der Perspektive vor und die Handlungsstränge werden durch eine „parallelisierte Interruptionsspanne“15 unterbrochen.
Bei der parallelisierten und verzögerten Interruptionsspanne soll der Rezipient vor allem hingehalten werden beziehungsweise es werden weitere spannungssteigernde Handlungsstränge eingeschoben. So potenziert sich unter Umständen die Wirkung des Cliffhangers.16
2.3 Stil und Farbe
Ein wesentlicher Untersuchungsaspekt des Comics ist sein Stil. Dieser sowie die Farbgebung tragen zur Atmosphäre der Erzählung bei und lässt sich oftmals mit einem Genre in Verbindung oder Abgrenzung bringen.17 „Die Wirkungen von Situationen, Figuren, Stimmungen und Handlungsabläufen werden durch die Nutzung gestalterischer Möglichkeiten bestimmt.“18
Kirkmans Comic ist in Schwarz-Weiß gehalten. Ein Grund für die klassische Darstellung könnte eine Orientierung an den ersten klassischen Zombiefilmen wie beispielsweise „Die Nacht der Lebenden Toten“ in Abgrenzung zu modernen Geschichten, die „the splatter feats of gore and violence with goofy characters and tongue in cheek antics“19 präsentieren, sein. Die Schwarz-WeißDarstellung ermöglicht dem Autor große Variation in der Kontrastierung und schafft auch eine Reduzierung auf den Aspekt der Transparenz.
Der Comic „The Walking Dead“ ist größtenteils frei von Restriktionen in der Erzählmontage, vielmehr erfordert er für den narrativen Spannungsaufbau und Ausdruck gewisse stilistische Abwechslungen und Überraschungsmomente.20 Das gilt beispielsweise für die Panelformate in Anlehnung an die Filmtradition. Im DIN A5 Format des Comichefts „The Walking Dead“ wechseln sich alle möglichen Panelgrößen und -formate ab. Es gibt in dem Comic einheitliche Seiten, die viele Panels in einem gleichbleibenden Format mit konstanten Panelgrößen erhalten. Diese Anordnung der Panels nennt Dittmar „das konventionelle Blatt“21. Es erinnert an die klassischen Bildergeschichten und sorgt für eine Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit.22 Auch Sequenzen mit Variationen in Größe und Format finden sich in „The Walking Dead“. Diese nennt Dittmar das „rhetorische Blatt“. Hier bekommt „jedes Ereignis, Objekt und jede Handlung innerhalb der Bildergeschichte [...] soviel Raum, wie es braucht, um wirken zu können.“23 Der Zeichner benutzt Splash-Pages evidenter Weise zur Hervorhebung oder als Verweis auf Wendepunkte in der Handlung, beispielsweise wenn der Protagonist allein in einem Krankenhaus in einer veränderten Welt aufwacht (Vgl. Seite 8) oder gezwungen ist in unmittelbarer, ungeschützter Nähe der Gefahr seinen Weg zu Fuß fortzusetzen (Vgl. S. 32). Die formatfüllende Gestaltung dient aber auch dazu, dem Rezipienten einen Überblick zu verschaffen und ihm den Schrecken oder die Ausweglosigkeit in einem gefahrensituativen Moment zu suggerieren. Auf Seite 40 reitet Rick Grimes in die Stadt, unwissend was ihn erwarten wird und trifft auf eine ihn umrundende Gruppe Zombies. Die Zombies werden in diesem Format vom Künstler nur schematisch gezeichnet um deren Masse und Menge hervorzuheben. In Abgrenzung dazu sind die kommenden vier Seiten sehr detailgetreu und das Panel ausfüllend illustriert. Das Format wird auch ähnlich der Filmtechnik als Einstieg in eine Ausgabe genutzt (Vgl. S. 75). Angrenzend an die oben genannte Splash-Page wird Rick auf Seite 41 in vier Panels - die parallel im Breitformat angeordnet sind - von Zombies eingekreist und vom Pferd geworfen. In dieser Visualisierung findet eine Zeitdehnung statt, bei der der Protagonist und sein emotionaler Zustand in den Vordergrund gerückt werden. Der Zeichner arbeitet stark mit Kontrasten. Die Zeit wird gedehnt, was durch die kontrastive Zeitraffung auf der kommenden Doppelseite hervorgehoben wird. Hier erfolgt eine Aktion auf die andere, jedes Panel beschreibt eine neue Handlung und das sorgt für zusätzliche Spannung, die der Auslassung von wesentlicher Handlung geschuldet ist. Dem Rezipienten wird die Situation entweder aus der Sicht des Protagonisten gezeigt oder ihm wird die agierende Figur aus der Erzählerperspektive eines beobachtenden Erzählers dargestellt. Die Detailtreue hebt die Brutalität und Gefahr der Situation besonders in den Fokus des Lesers. Das wird besonders auf Seite 43 deutlich, wo die Zombies die Innereien des Pferdes fressen. Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Reize dient die wechselnde Panelanordnung und Formatierung. Die Parallelmontage der Panelanordnung wird auch als Ausgang und Einleitung in eine Ausgabe benutzt (Vgl. S. 96 und 97).
Die Rahmen und Grundraster nach denen sich Bildgröße und Seiteneinteilung richten sind „eine der Grundbedingungen für dessen Wirkung.“24 Kirkman benutzt größtenteils klare Abgrenzungen seiner Bilder. Andernfalls steht ein Panel im Hintergrund und die übrigen werden ringsum sortiert. Das Grundraster ist zumeist weiß, in seltenen Fällen finden sich aber auch schwarze. Das ist unabhängig von Tag und Nacht und dient vermutlich dem Ausgleich an Kontrasten auf der Seite. Auffällig in seinem Comic ist zusätzlich die Hervorhebung wichtiger Objekte und Handlungsträger. Carl wird vom Zeichner gegen Ende anhand einer weißen Umrandung seiner Konturen betont. Der Zeichner benutzt einen linearen Stil.25 In der Masse der Ereignisse bedarf es an dieser Stelle einer Hervorhebung. Im Besonderen da das Geschehen parallel illustriert ist. Seite 135 wird die weinende Lori von den Mitgliedern des Camps umringt. Die Situation nimmt etwa zweidrittel des Panels ein. Der Rezipient wird nur durch Carls Hervorhebung auf ihn aufmerksam.
[...]
1 Vgl. unter: http://www.cross-cult.de/titel/comic-the-walking-dead-1-gute-alte-zeit.html [06.02.18].
2 Comics und Graphic Novels. Eine Einführung, hgg. v. Abel, Julia/Klein, Christian, Stuttgart 2016, S.212.
3 Fröhlich, Vincent: Der Cliffhanger und die serielle Narration. Analyse einer transmedialen Erzähltechnik, Bielefeld 2015, S.71.
4 Ebd., S.71.
5 Vgl. Fröhlich, Vorüberlegungen, S.82-89.
6 Ebd., S.68.
7 Vgl. Ebd., S.79.
8 Vgl. Fröhlich, Fortsetzungsnarration, S.65.
9 Fröhlich, Fortsetzungsnarration, S.64f.
10 Vgl. Ebd., S.61.
11 Ergänzend angemerkt: Es gibt außerdem eine „Deluxe-Hardcover-Form“ mit vierundzwanzig Ausgaben, eine Fassung in gebundener Form mit zwölf Ausgaben und seit 2010 das sogenannte „Compendium“ welches achtundvierzig Ausgaben beinhaltet. Diese Ausgaben sind für die Analyse nicht relevant. Vgl. The Walking Dead unter: https://www.comics.org/series/15174/ [26.02.2018].
12 Die Ausgaben gliedern sich in dem Heft wie folgt: Ausgabe eins ist von Seite sieben bis einschließlich Seite 30. Die 2. Ausgabe ist von Seite 31 bis Seite 52. Der nächste Mikrotext umfasst Seite 53 bis 74. Ausgabe 4 beginnt auf Seite 75 und geht bis Seite 96. Der letzte Mikrotext geht von Seite 97 bis zum Ende.
13 Martinez/Scheffel, Stellung des Erzählers zum Geschehen, S.85.
14 Vgl. Fröhlich, Erzähltypen, S.585-590.
15 Fröhlich, Kategorisierungen, S.125.
16 Vgl. ebd., S.126.
17 Vgl. Dittmar, Jakob F.: Comic-Analyse, 2., überarbeitete Auflage, Konstanz 2011, S.155-170.
18 Dittmar, Stil und Farbe, S.155.
19 Kirkman, Robert: The Walking Dead. Days Gone Bye, 25 Bände, Berkeley 2013, Bd.1. S.4.
20 Dittmar, Stil und Farbe, S.156.
21 Dittmar, Konstruktion der Narration, S. 124.
22 Vgl. Ebd.
23 Vgl. Ebd.
24 Dittmar, Stil und Farbe, S.158.
25 So beschreibt Dittmar den Stil, der in Abgrenzung zum malerischen Stil steht. Hierbei werden Objekte und Figuren klar von ihrer Umwelt abgegrenzt und nicht künstlerisch mit ihr vereint. Vgl. Dittmar, Stil und Farbe, S. 155-170.