Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bildung und soziale Ungleichheit
2.1 Begriffliche Klärungen
2.2 Bildungsungerechtigkeit und Bildungsungleichheit
2.3 Aspekte der bildungsbezogenen sozialen Benachteiligung
3. Erklärungsmodelle für das Zustandekommen von Bildungsungleichheiten
3.1 Schichtspezifische Sozialisation innerhalb der Gesellschaft
3.2 Institutionelle Diskriminierung
3.3 Ungleichheitsverstärkende Effekte innerhalb des Bildungssystems
4. Bildungsbenachteiligung am Beispiel von Migrantenkindern
4.1 Zur Bedeutung des Migrationshintergrunds
4.2 Zahlen und Daten zum Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshinter grund innerhalb des deutschen Bildungssystems
5. Stationen der Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern
5.1 Vorschulische Bildung
5.2 Sitzenbleiber und Klassenwiederholer
5.3 Ursachen für migrationsspezifische Bildungsbenachteiligung
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Problem der Gerechtigkeit ist ein altes und begleitet die abendländische Philosophie seit ihrem Beginn. Das Problem der Bildungsgerechtigkeit und der sozialen Ungleichheit dagegen ist neu und wird erst seit Anbeginn des 20. Jahrhunderts öffentlich diskutiert. In den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde der Begriff der „Chancengleichheit“ zu einem festen Bestandteil der politischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Resultate der ersten PISA-Studien im Jahr 2000 wurde der Begriff der „Bildungsgerechtigkeit“ populär, der bis heute ein zentraler Bestandteil des politischen Diskurses geworden ist. In der öffentlichen Wahrnehmung besteht der allgemeine Konsens, dass das deutsche Bildungssystem „ungerecht“ sei. Diese Sichtweise kann durch vielfältige Beobachtungen aller Art hinreichend belegt werden. So lassen sich statistische Datenerhebungen und gezielte Einzelbeobachtungen anführen, und man kann ebenso die Strukturen des deutschen Schulsystems unter dem Gerechtigkeitsaspekt dazu kritisch untersuchen. Die PISA-Studie hat für diese Problematik maßgebliche Zahlen geliefert und immer wieder Disparitäten aufgezeigt, vor allem im Hinblick auf soziale Herkunftsverhältnisse.1 Ein noch immer prominenter und noch nicht vergessener Vorläuferbegriff der Bildungsgerechtigkeit ist die „Chancengleichheit“. Sie stellte das Leitmotiv der bildungspolitischen Debatten der westlichen Gesellschaften seit den 1960er Jahren dar. Damit hat die „Chancengleichheit“ eine politisch gestaltende Kraft entwickelt und eine maßgebliche Rolle bei der Formierung der Bildungseinrichtungen angenommen. Unter Fachleuten war die Konzeption als solches aber eher umstritten, weil der verwendete Terminus der Chancengleichheit als sachlich unscharf eingestuft wurde; jedoch ging von diesem Terminus eine mächtige politische Sprengkraft hervor. Zu guter Letzt musste das Konzept der „Chancengleichheit“ der Konzeption der „Bildungsgerechtigkeit“ weichen.2 Die wesentlichen Neuerungen der deutschen Bildungspolitik der letzten Dekaden wurden vom Gedanken der „Bildungsgerechtigkeit“ getragen, die deutlich einem sozialen und moralischen Duktus folgen und dadurch wahrscheinlich einen Teil ihres Erfolges verdanken. In der vorliegenden Hausarbeit wird nun der Versuch unternommen, die Problematik der Bildungsgerechtigkeit bzw. der darin enthaltenen Termini von Bildungsbenachteiligung und sozialer Ungleichheiten - die es de facto im deutschen Bildungssystem gibt - an einem ausgewählten aktuellen Beispiel von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufzuzeigen. Dazu muss man zuerst die Begriffe von Bildungsbenachteiligung und sozia- ler Ungleichheit näher erläutern und definieren, und deren Zustandekommen hinterfragen. Hierzu ist eine nähere Betrachtung der Begabungsunterschiede, der schichtspezifischen sozialen Einbettung und der ungerechtigkeitsfördernden Institutionen von Nöten, die diese ungleichheitsfördernden Effekte im Bildungswesen der BRD bei Migrantenkinder begünstigen. Im Anschluss daran werden für die Bearbeitung des Themas Zahlen und Daten herangezogen sowie die Stationen der sozialen Ungleichheit auf dem Bildungsweg der Migrantenkinder untersucht. Den Schluss der Hausarbeit bildet ein abschließendes Fazit mit einem Ausblick auf etwaige zukünftige Handlungsoptionen und Reformvorschläge, die dieser Bildungsbenachteiligung von Kinder mit Migrationshintergrund erfolgreich entgegenwirken können. Um der Hausarbeit ein wissenschaftliches Fundament zu geben, wird dazu auf Literatur des neueren Forschungsstandes zurückgegriffen. Den Leitfaden der Arbeit bildet das 2012 erschienene Werk von Anna Brake und Peter Büchner, die in ihrer Arbeit das deutsche Bildungswesen zu Bildung und sozialer Ungleichheit untersuchten.3
2. Bildung und soziale Ungleichheit
2.1 Begriffliche Klärungen
Wenn von Bildung und sozialer Ungleichheit die Rede ist und somit ein gewisses Grundverständnis dieses Zusammenhangs besteht, bedarf es trotzdem einer weiteren Präzisierung dieses Begriffsverständnisses. Es stellt sich sofort die Frage, unter welchen Bedingungen Bildungsunterschiede zu Bildungsungleichheiten werden und damit das Gebot der Bildungsgerechtigkeit verletzen. Es wäre also zu klären, mit welchen Formen ungleiche Bildungsteilhabe als soziale Bildungsbenachteiligung einhergeht. Es zeigt sich, dass Bildungsungerechtigkeit viele Gesichter haben kann. Nicht alle Bildungsunterschiede werden sich als Ausdruck von Bildungsungerechtigkeit oder als Quelle der sozialen Benachteiligung erweisen.4 Um es allgemeiner zu formulieren: zeigt doch ungleiche Bildung eine ungleiche Ausstattung von sozialem und kulturellem Kapital auf, deren Erwerb unter verschiedenen Bedingungen erfolgt und eine ungleiche soziale Anerkennung erfahren kann.5 Ähnliche Probleme treten im Bereich der sozialen Herkunft auf. Hier werden ebenfalls ver- schiedene Bezeichnungen verwendet, die allesamt etwas Verschiedenes meinen. Sehr häufig finden die eher im Diffusen verbleibenden Sammelkategorien „soziale Lage“ oder „soziale Herkunft“ Gebrauch, deren Kriterien zur Bestimmung aber nicht genauer erklärt sind. Dasselbe gilt auch für den Begriff des sogenannten „bildungsfernen Milieus“, welcher durchaus Fragen aufwirft. Diese Begrifflichkeit macht nur dann Sinn, wenn bestimmte Formen der Bildung als Bezugspunkt angenommen werden und von dort aus bestimmt wird, wie nah oder fern eine entsprechende Person zu dieser Bildung sich positionieren lässt.6 Es ist also von großer Bedeutung, sorgfältig mit Begriffen umzugehen und wenn möglich genau zu definieren, was jeweils gemeint ist, wenn von den Begriffen der Bildungsgerechtigkeit, Bildungsbenachteiligung und Chancengleichheit die Rede ist.7
2.2 Bildungsungerechtigkeit und Bildungsungleichheit
In der öffentlich geführten Debatte stößt man häufig auf den Begriff der „sozial bedingten Bildungsungleichheiten“. Durch den bewusst verwendeten Plural soll darauf hingewiesen werden, dass die zu beobachtenden Ungleichheiten mit unterschiedlichen Dimensionen von sozialer Herkunft, Geschlecht oder auch ethnischer Zugehörigkeit zusammen einhergehen. Ist hier die Rede von Bildungsungleichheiten, wird zunächst einmal darauf verwiesen, dass sich Personen in bildungsrelevanten Fragen nach sozialer oder ethnischer Herkunft und nach ihrem Geschlecht unterscheiden bzw. ungleich sind. Dies wirft die Frage auf, ob jede Form einer solchen Ungleichheit deshalb schon notwendigerweise eine Bildungsungerechtigkeit darstellt.8 Auf abstrakter Ebene könnte man konstatieren, dass „das Leben ungerecht sei“, weil einige - ohne eigenes Zutun - aus einem familiären Umfeld entstammen, welches schon im Vorhinein vorteilhafte Ausgangsbedingungen bereitstellt, während hingegen Personen mit anderen Bildungsbiographien, die deutlich negativere familiäre Grundvoraussetzungen aufweisen (z. B. arbeitslose Elternteile oder Alkoholkonsum), versuchen müssen ihr Leben zu verwirklichen. Dieser „Ungerechtigkeit des Alltags“ steht eine Gesellschaft in Teilen hilflos gegenüber. Es könnte nun eine Utopie einer ge- rechteren Gesellschaft dem gegenüber gestellt werden, in der sämtliche schichtspezifische Unterschiede wegfallen und die damit zu einem Ausgangspunkt aller ungleichen Lebensverhältnisse werden könnte. Da aber mit einem solchen Zustand in absehbarer Zeit nicht zu kalkulieren ist, zentrieren sich die bildungspolitischen Maßnahmen zur Herstellung gerechterer Bildungsverteilung zunächst darauf, die ungleichheitsfördernden Auswirkungen der sozialen Heterogenität im Hinblick auf Bildungsbeteiligung und Bildungserfolg zu verringern.9 Mit kostenlosen Angeboten in der vorschulischen Sprachförderung für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund oder der Bereitstellung von finanziellen Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen des Ausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) könnten beispielsweise kompensatorische Umgänge genannt werden, soziale Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft zu reduzieren.10 Aus dieser Betrachtungsweise wird also die Frage nach Bildungsgerechtigkeit daran bemessen, inwiefern institutionelle Maßnahmen in der Lage sind, unterschiedliche kulturelle und soziale Ausgangsbedingungen, mit denen Kinder im Bildungssystem in Kontakt treten, kompensierend anzugleichen, so dass bei ihrem Eintritt zumindest eine annähernde Chancengleichheit ermöglicht werden kann. Folglich orientiert sich Bildungsgerechtigkeit also nicht an der Vorstellung einer formalen Bildungsgleichheit im Sinne von „Förderungsgleichheit“, sondern am Gedanken der Bedarfsgerechtigkeit, die dem Duktus der Herstellung von bildungsbezogener Chancengleichheit gerecht wird und die disparaten Ausgangssituationen weitgehend verhindern soll.11
2.3 Aspekte der bildungsbezogenen sozialen Benachteiligung
Seit dem Jahr 1965 gibt es zwar Angaben zu Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, die in der offiziellen Bildungsstatistik berücksichtigt werden;12 es ist jedoch nicht einfach, Datenreihen über die letzten vierzig Jahre zusammenzutragen. In der einschlägigen Fachliteratur stößt man immer wieder auf unterschiedliche Angaben zu solchen Datenerhebungen. Ein Grund für diese auftretenden Differenzen liegt unter anderem darin, dass verschiedene Schultypen und -formen nicht immer berücksichtigt werden, dies gilt insbesondere für den berufsbildenden Bereich, wenn dieser mit einbezogen wurde.13 Im Hinblick auf den Bildungserfolg bleibt festzuhalten, dass ausländische Kinder heutzutage zwar bildungserfolgreicher sind, sie aber dennoch im Vergleich zur deutschen Gruppe weiterhin zu den Bildungsbenachteiligten gehören.14 Die Gründe für die Bildungsbenachteiligung beziehungsweise Bildungserfolg für Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund sind sehr vielfältig: Die Bildungsbiographien der Eltern, der Verlauf des Migrationsprozesses, die Sicherheit des Aufenthaltsstatus, die soziale Herkunft und der Sozialstatus im Aufnahmeland, das Umfeld, in welchem die Familie lebt, aber eben auch die Schule selbst und damit die Bildungspolitik. Entgegen der noch immer in der breiten Öffentlichkeit vorherrschenden Auffassung, die Ursachen hauptsächlich auf Seiten der „fremden Kultur“ der eingewanderten Familien auszumachen, haben teilweise verschiedene Studien belegt, dass die Institution Schule, das hochgradig kulturell selektive deutsche Schulsystem und die bildungspolitischen Entscheidungen dabei ebenso eine große Rolle einnehmen. Der internationale Vergleich zeigt indes, dass eingewanderte Schüler und Kinder mit einer ähnlichen Einwanderungsgeschichte, aber mit besseren Unterstützungssystemen und weniger selektiv ausgerichteten Bildungsstrukturen die besseren Resultate erzielen.15 Anzumerken bleibt lediglich, dass die Kritiken an der selektiven Struktur des Bildungswesens der BRD nicht ganz neu sind. Der deutsche Bildungsrat (1966-1975) machte schon - ohne die Einbeziehung von Zahlen ausländischer Kinder - auf defizitäre strukturelle Bildungsbarrieren aufmerksam und schlug entsprechende Reformen vor. Dazu wurde parallel in Bezug auf Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien über Bildungsbenachteiligung und Sprachbarrieren diskutiert. Es wurden kompensatorische Maßnahmen von verschiedenen Seiten im Bereich der Vorschule und Regelschule getroffen, ohne jedoch die Bildungsinstitution Schule in ihrem Kern zu verändern.16 Die angedachten Bildungsreformen wurden jedoch nicht weitergeführt. Im Hinblick auf die Frage der sprachlichen Förderung spielt die Institution Schule die wichtigste Rolle, und es liegt somit in ihrer Verantwortung, sprachliche Bildung für alle Kinder und Jugendlichen zu garantieren, ganz gleich, ob sie einsprachig oder mehrsprachig aufwachsen. Dazu braucht es aber bestimmter unterstützender Systeme, die diesen Kindern und Jugendlichen dabei behilflich sind die deutsche Sprache zu erlernen und zu pflegen. Die sprachliche Bildung muss also einen zentralen Bestandteil in der Institution Schule einnehmen und quer durch den Fächerkanon hinweg gestaltet werden. Ohne institutionelle Veränderungen aber wird ein solches Ziel nicht erreicht werden können.17
3. Erklärungsmodelle für das Zustandekommen von Bildungsungleichheiten
Im Folgenden lassen sich Erklärungsansätze, welche das Zustandekommen von Bildungsungleichheiten begünstigen, nach verschiedenen Aspekten unterscheiden. Dazu sollen zunächst zwei Modelle als Beispiel herangezogen werden: Zum einen wird ein Modell aus der schichtspezifischen Sozialforschung herangezogen, welches in der Bildungsdiskussion der letzten vier Dekaden eine größere Rolle einnahm, aber in der gegenwärtigen Debatte an Gewicht verloren hat. Zum anderen ein Erklärungsansatz, welcher auf das diskriminierende Potential der Institution Schule eingehen soll.
3.1 Schichtspezifische Sozialisation innerhalb der Gesellschaft
Das Modell der schichtspezifischen Sozialisation zielt auf die Frage ab, inwieweit die konkreten Bedingungen des Aufwachsens in Familien die weitere persönliche Entwicklung eines Kindes beeinflussen. Die zentrale Annahme, die dem zugrunde liegen soll, ist, dass die in der Herkunftsfamilie stattfindenden Sozialisationsprozesse in den verschiedenen sozioökonomischen Herkunftsgruppen unterschiedliche Ausformungen annehmen können. Das Modell der schichtspezifischen Sozialisation wurde durch eine große Anzahl von Forschungsergebnissen aus den USA Ende der 1970er Jahre in Deutschland populär. Es entstanden in Deutschland ein große Anzahl empirischer Studien, die allesamt darauf abzielten, die Zusammenhänge von Schichtzugehörigkeit und den daraus resultierenden Erziehungsstilen, Werteorientierungen und sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu untersuchen und gleichzeitig zu hinterfragen, wie diese dabei Ungleichheitsstrukturen reproduzieren bzw. begünstigen können.18 Ein Schwerpunkt, den es zu untersuchen galt, geschah vor dem Hintergrund des beruflichen Erfahrungshorizonts der Eltern, die damit im wesentlichen zur Entwicklung eines „Sozialcharakters“ ihres Nachwuchses beitrugen und der eine prägende Rolle für die Erziehung und das Familienleben hat.19 Wird das Sozialisationsgeschehen in Abhängigkeit zur sozialen Herkunft betrachtet, dann steht zu Beginn die Annahme, dass sich Eltern im Hinblick auf ihre beruflichen Arbeitsbedingungen unterscheiden. Die berufliche Erfahrungswelt geht dabei einher mit dem sozioökonomischen Status der Arbeitnehmer. Sind diese eher am unteren Ende einer gesellschaftlichen Hierarchie angesiedelt, so ist deren Arbeitssituation von geringen eigenverantwortlichen Handlungsund Entscheidungsspielräumen gekennzeichnet und mit einem hohen Anteil an immer wiederkehrenden und in gleicher Weise ablaufenden Tätigkeiten ausgestattet. Demgegenüber sind berufliche Positionen mit gehobenem sozialen Status viel häufiger mit einem höheren Maß an Entscheidungsautonomie bzw. mit größeren Gestaltungsmöglichkeiten verbunden.20 Diese Disparitäten des beruflichen Alltagsgeschehens führen unweigerlich zu einer Ausformung eines schichtspezifischen „Sozialcharakters“. Damit ergibt sich eine Persönlichkeitsstruktur, welche die Angehörigen dieser sozialen Herkunftsgruppierungen teilen und die mit gruppenspezifischen Interaktionsmustern, Werten und Normen und vor allem mit sprachlichem Ausdrucksvermögen einhergehen. Die zentrale Erklärung von bildungsbezogener sozialer Ungleichheit wird also durch die primäre Sozialisation in den Familien determiniert, wo der Sozialcharakter weitgehend ungebrochen bleibt und an die Kinder weitergegeben wird.21 Während sich frühere Forschungsansätze zur schichtspezifischen Sozialisation mit der sozialen Herkunft in Abhängigkeit zu familiären Interaktionsmustern beschäftigt hat, rückte später die Frage ins Zentrum der Untersuchungen, welche Konsequenzen sich aus dieser Sozialstruktur für den weiteren schulischen Verlauf und deren Erfolge in der Schule ergeben. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder betont, dass die Schule als „Mittelschichtinstitution“ vor allem soziale Umgangsformen, Arbeitshaltungen und sprachliche Ausdrucksformen belohne, die im Kontext der primären Sozialisation in Familien der mittleren und gehobenen Gesellschaftsschichten vermittelt und angeeignet würden. Kinder, die aus sogenannten „Unterschichtsfamilien“ stammten, hätten dagegen mit eher wenig gut entwickelten sprachlichen, kognitiven, motivationalen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen in der Schule zu kämpfen, welche den Erwartungen an schulische Anforderungen und der Lehrerschaft nicht gerecht werden würden. So wären in der Schule Kinder beispielsweise, welche über einen elaborierten Sprachcode verfügen - also gut differenzierte und abstrahierende Ausdrucksformen besitzen - deutlich im Vorteil, weil der Nachweis schulischer Leistungsfähigkeit eine in hohem Maße elaborierte Sprachkompetenz voraussetze.22
[...]
1 Vgl. Brenner, Peter J.: Bildungsgerechtigkeit. Stuttgart, 2010. S. 13-14.
2 Vgl. ebenda S. 14.
3 Vgl. Brake, Anna/Büchner, Peter: Bildung und soziale Ungleichheit - Eine Einführung. (=Grundriss der Pä- dagogik/Erziehungswissenschaft, Band 35). Stuttgart, 2012.
4 Vgl. ebenda S. 37. Dies kommt umso mehr zum Ausdruck, wenn Ungleichheiten nicht nur am Erwerb und Besitz und der unterschiedlichen Bewertungen von Zeugnissen oder Zertifikaten (z. B. Abitur oder Meisterbrief) bzw. den damit verbundenen Zugangsberechtigungen (z. B. Universitätsstudium) festgemacht werden. Ungleiche Bildung kann ebenfalls durch ungleiche allgemeine Fähigkeiten (Kompetenzen) wie Schreiben, Rechnen und Lesen zum Ausdruck kommen.
5 Vgl. ebenda S. 37-38.
6 Wird in Bezug auf die soziale Herkunft einer Schülerin oder eines Schülers der „sozioökonomische Status“ an der Herkunftsfamilie festgemacht, dann impliziert diese Annahme schon, dass der ökonomische Habitus für das betrachtete Problem von großer Bedeutung ist. An einem solchen ausgewählten Sprachbeispiel wird deutlich, dass die Begriffe, mit denen versucht wird Festlegungen darüber zu machen, welche Gesichtspunkte wichtig oder unwichtig sind, rein zufälliger Natur sind.
7 Vgl. Brake, Anna/Büchner, Peter: Bildung und soziale Ungleichheit, S. 38.
8 Vgl. ebenda S. 39. Es ließe sich also konkret danach fragen, ob ein Schüler aus einer Familie mit Migrationshintergrund schon deswegen per se benachteiligt ist, nur weil er eine Hauptschule besucht. Oder ob eine Studentin, deren Eltern eine gut gehende Arztpraxis betreiben, schon deshalb ungerechtfertigte Bildungsprivilegien genießt, weil sie ein Hochschulstudium absolviert.
9 Vgl. Brake, Anna/Büchner, Peter: Bildung und soziale Ungleichheit, S. 39.
10 Vgl. ebenda S. 39-40.
11 Vgl. ebenda S. 40.
12 Für den Zeitraum vor 1965 sind nur Schätzungen vorhanden, die folgende Zahlen beinhalten: 1960 gab es ca. 9300 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, 1962 waren es ca. 23000. Vgl. dazu Puskep- peleit, Jürgen/Krüger-Potratz, Marianne: Bildungspolitik und Migration. Texte und Dokumente zur Beschulung ausländischer und ausgesiedelter Kinder und Jugendlicher 1950-1999. (=Interkulturelle Studien, 31; 32). Münster, 1999. S. 5-6.
13 Vgl. Krüger-Potratz, Marianne: Migration als Herausforderung für Bildungspolitik. In: Leiprecht, Rudolf/Ker- ber, Anne (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft - Ein Handbuch. (=Reihe Politik und Bildung, Band 38). 3. Auflage, Schwalbach/Ts., 2009. S. 56-82, hier S. 64.
14 Vgl. Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem - Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 4. Auflage, Wiesbaden, 2010. S. 8.
15 Vgl. Krüger-Potratz, Marianne: Migration, S. 67.
16 Vgl. Stanat, Petra: Heranwachsende mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungswesen. In: Cortina, Kai S./Baumert, Jürgen/Leschinsky, Achim et. al. (Hrsg.): Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland - Strukturen und Entwicklungen im Überblick. Vollständig überarbeitete Neuausgabe, Hamburg, 2008. S. 685-743, hier S. 734.
17 Vgl. Krüger-Potratz, Marianne: Migration, S. 68.
18 Vgl. Brake, Anna/Büchner, Peter: Bildung und soziale Ungleichheit, S. 90-91. 8
19 Vgl. Brake, Anna/Büchner, Peter: Bildung und soziale Ungleichheit, S. 91.
20 Vgl. ebenda S. 92.
21 Vgl. ebenda S. 92.
22 Vgl. Brake, Anna/Büchner, Peter: Bildung und soziale Ungleichheit, S. 95.