Sozialrecht: Gegenüberstellung der §§ 22 SGB II und 41 SGB VIII

Ist die zwanghafte Aufrechterhaltung einer familiären Bedarfsgemeinschaft nach § 22 Abs. 2a SGB II vereinbar mit der Zweckbestimmung der Förderung einer eigenverantwortlichen Lebensführung nach § 41 SGB VIII?


Trabajo Escrito, 2007

21 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. SGB
2.1 Allgemeines
2.2 Inhaltliche Verbindung SGB VIII zu SGB II
2.3 § 41 SGB VIII
2.3.1 Grundlage für die Vorschrift
2.3.2 Anspruchsberechtigte/Rechtsanspruch
2.3.3 Gesetzlicher Umfang der Leistungen
2.3.4 Kosten
2.3.5 Fallzahlen

3. SGB II
3.1 Allgemeines
3.2 Relevante Gesetzestexte des SGB II
3.2.1 Berechtigte
3.2.2 § 22 Abs. 2a SGB II, und § 31 Abs. 5 SGB II

4. Arbeitsanweisung der Arge Limburg-Weilburg zum Auszug U25jähriger

5. Statistischer Wert zum Auszug in Limburg-Weilburg

6. Falldarstellung

7. Anwendungsmöglichkeit der entsprechenden Vorschriften des SGB II und SGB VIII und Fazit

8. Literaturliste

1. Einleitung

Die Einführung des SGB II am 01.01.2005 bedeutete eine Verschärfung der Gesetzeslage für junge Menschen unter 25 Jahre. Eine verschärfte Form von Sanktionen findet sich in § 31 Abs 5 und 6 SGB II, worin den jungen Menschen bei Verstoß oder nicht Einhaltung gesetzlicher Vorgaben die Regelleistung, incl. möglicher Mehrbedarfe auf bis zu 3 Monate gestrichen werden kann. Eine möglicherweise gewährte Mietzahlung erfolgt direkt an den Vermieter1. Somit behält die unter 25jährige Person zumindest ihr Dach über dem Kopf – sofern sie zuvor eine Wohnung bewilligt bekam. Die Konsequenz einer Pflichtverletzung nach diesem Gesetzbuch ist ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen, die Sonderregelung für junge Hilfebedürftige wird als unverhältnismäßig angesehen, sowie als nicht gerechtfertigt im Sinne des Artikel 3 Abs. 1 GG.2 Die Begründung für die komplette Streichung der Regelleistung bewirbt der Gesetzgeber damit, dass die „Bringschuld“ des Staates, jedem Jugendlichen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, oder eine Arbeitsgelegenheit mit Qualifizierungsmaßnahme anbieten zu müssen, sehr hoch und teuer ist. Langzeitarbeitslosigkeit von jungen Menschen soll nicht entstehen, die Gewöhnung ans Nichtstun soll ebenso nicht manifest werden. Wird einem Jugendlichen oder jungen Heranwachsenden von Seiten der Arbeitsgemeinschaft etwas Integrierendes in den Arbeitsmarkt angeboten, so hat die hilfebedürftige Person dem entsprechend Folge zu leisten. Da sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren stetig verschlechtert hat (die auf dem Arbeitsmarkt ebenso), waren, bzw. sind die Angebote der Arbeitsagenturen oftmals unfreiwillige Lückenbüßer, um eine ungewollt tätigkeitslose Zeit zu überbrücken. Im Arbeitsamtsbezirk Limburg-Weilburg standen im Jahr 2007 ca. 2000 Ausbildungsplatzbewerber ca. 700 gemeldeten Ausbildungsstellen gegenüber.3

Erfolgt nach dem Schulabschluss jedoch nicht zeitnah ein Übergang in eine geregelte Arbeits-, bzw. Ausbildungsumgebung, droht Frust und eine Verschlechterung der sozialen Lage. Viele der Jugendlichen befinden sich vor der Ausbildungssuche in einem schulischen Umfeld, was bis dorthin meist über mindestens 9 Jahre einen verlässlichen Rahmen gegeben hat. Über diesen Rahmen hinaus bildet die individuelle peer-group einen menschlichen Zusammenschluss, welcher in seinen Ritualen und gleichgesinnten Vorlieben Halt und Beachtung für die heranwachsende junge Person bietet. Diese Gleichaltrigengruppe steht oft im Gegenüber der Eltern, ein Spannungsfeld, welches oft hinüber reicht in die Zeit der Ausbildungssuche. Möglicherweise belasten schlechte schulische Leistungen die Beziehung zu den Eltern, möglicherweise sind es jedoch Mitglieder der peer-group, welche einen schlechten Einfluss auf den oder die Jugendliche vermuten lassen. Adoleszenzkrisen zehren an den Nerven. Familien stehen in dieser Phase oft am Rand ihrer Handlungsfähigkeit, geringe Aussichten auf einen positiven Übertritt in das Erwerbsleben durch fehlende Ausbildungsstellen erschweren die Lage erheblich.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle der Diakonie in Limburg stellten für das Jahr 2006 fest, dass immer mehr Familien mit Jugendlichen und jungen Heranwachsenden die Beratungsstelle aufsuchen, da die psychischen Auffälligkeiten der jungen Leute in der Familie kaum mehr tragbar sind. Fast alle dieser Klienten haben Probleme mit der Einmündung in den Arbeitsmarkt, wobei der schulische Hintergrund relativ ausgewogen genannt werden kann (Hauptschüler bis Abiturienten). Da sich in den Familien emotionale Handlungsmuster schnell verstetigt haben, ist ein Lösen der innerfamiliären Probleme mit zeitlichem Aufwand verbunden, welcher in der Phase der Abschlusszeugnisse, oder aber in der Phase der Ausbildungsplatzsuche nur schlecht zeitlich zielorientiert durchgeführt werden kann. Betreutes Wohnen für psychisch Kranke, zur externen Lösung der Spannungslage, ist meist aufgrund der Diagnose nicht möglich. Ein durch die Familie selbst initiierter Auszug des jungen Heranwachsenden scheitert oft an der eigenen finanziellen Grundlage. Die erhärtete Familienstruktur führt dann oft zu dem unerwünschten Effekt, dass schon die Bewerbungsphase so schlecht und unbegleitet anläuft, dass ein Scheitern als logische Konsequenz erscheint. Tatsächlich aber verändert der Eintritt in ein neues Umfeld, sei es Ausbildung, Arbeit oder Studium, den Horizont der jungen Menschen. Andere/neue Kontaktpersonen ergeben neue Sichtweisen, die peer-group verändert sich zumeist positiv. Verhält es sich jedoch so, dass viele Personen aus der ursprünglichen Gleichaltrigengruppe ohne Arbeit, bzw. Ausbildung sind, können sich die negativen Verhaltensmuster verstärken. Für Jugendliche, die „gesellschaftliches tätig-sein“ noch nie erlebt haben, ist der Umstand des „gesellschaftlichen untätig-seins“ möglicherweise schneller in ihr soziales Selbstbild integriert. Die belastete Familiensituation wird weiterhin negativ wahrgenommen, sie bildet dennoch einen Hort des Bekannten und wird zur Versorgung genutzt.

Mittlerweile ist vielen jungen Leuten und Eltern bekannt, dass ein Auszug mit staatlicher Unterstützung nicht so einfach möglich ist (es hat sich „rum gesprochen“). Die „Familienbande“ bleibt demnach zwangsläufig zusammen, und verstärkt sich in ihrem Rollenmuster. Erschwert wird die individuelle Übergangsphase durch fehlende erwachsene Mentoren oder Vorbilder in der Familie. Mangelnde aktive Unterstützung, z.B. beim Bewerbungsschreiben, eigenen Zeiten der Erwerbslosigkeit, Resignation (...) sind negative Merkmale, welche in der Beziehung zum jungen Heranwachsenden eine prägende Rolle spielen können. Durch das Verhaften in einer solchen negativ prägenden Umgebung ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Übergang in die Ausbildungswelt scheitert, oder zumindest stark erschwert ist.

Kommen die Eltern mit ihren Kindern gar nicht mehr zusammen, verschwinden junge Heranwachsende zu Freunden, wohnen in wechselnden Unterkünften – ohne als „ohne festen Wohnsitz“ gemeldet zu sein. Diese „versteckte Obdachlosigkeit“ beginnt dann prekär zu werden, wenn kein Geld mehr vorhanden ist, bzw. wenn die wohlwollende Unterstützung von Freunden wegbricht. Der Kontakt zum Jugendamt wird oft gescheut, erzieherische Hilfen wurden von vielen der im Profi-Team U254 beratenen jungen Hilfebedürftigen nicht in Anspruch genommen. Leider sind die Entwicklungsprozesse im frühen Erwachsenenalter (18 bis 29 Jahre) ein Stiefkind der modernen Entwicklungspsychologie. Forschungen und entsprechende Veröffentlichungen zum Thema sind selten, nach wie vor ist in der Entwicklungspsychologie die Kindheit das dominierende Forschungsfeld5. Die veränderte säkulare Akzeleration der körperlichen und psychosozialen Entwicklung (Entwicklungsbeschleunigung im historischen Vergleich, hier: die „biologische“ Verkürzung der Kindheit, schnellere Annäherung an das Erwachsenenalter) steht der Verlängerung der ökonomischen Abhängigkeit gegenüber, einer säkularen Retardation der finanziellen Abhängigkeit6. Die Gesetzgebung des SGB II für junge Hilfebedürftige unter 25 Jahre untermauert diese Verlängerung der ökonomischen Abhängigkeit und wirft die Frage auf, in wie weit werden junge Heranwachsende durch die Vorschrift, bzw. die Sanktionsmöglichkeiten des SGB II an einer Verselbständigung gehindert? Nach Reis7 bedeutet der Wechsel von der Jugend zum Erwachsenenalter einen der bedeutendsten sozialen Übergänge, welche das Individuum im Laufe seiner Ontogenese durchläuft. Die hinzukommende Übernahme von Verantwortung für langfristig wirkende, vergleichsweise irreversible Entscheidungen erweitern das Problemspektrum, welches durch Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz sowieso schon stark beansprucht ist. Das lässt vermuten, dass in dieser Alterspanne eine intensive psychosoziale Begleitung mehr den je auch institutionell geleistet werden muss, wenn der familiäre Bezugsrahmen immer mehr wegfällt. Lediglich den Ausbau stärkerer Sanktionen erlebe ich hier als kontraproduktiv.

In einer stichprobenhaften Erhebung im Profi-Team U25 konnte festgestellt werden, dass ca. 70% der unter 25jährigen Arbeitslosengeld II Antragsteller einer zerrütteten Ursprungsfamilie entstammen.8 Viele dieser jungen Menschen berichteten in ihrer Beratung auch von massiven Spannungen zu Stiefelternteilen. Eine oft über Jahre hin andauernde Stresssituation wird nun gesetzlich verlängert, wobei eine fachliche psychosoziale Überprüfung des betreffenden familiären Umfeldes im Auftrag des SGB II in der Regel nicht stattfindet. Aufgrund der negativen Prognose dieser Klientel erscheint es wenig sinnvoll, eine Familie als Bedarfsgemeinschaft am Leben zu erhalten, wenn es das Ziel der SGB II Gesetzgebung ist, einen guten Übergang in die Berufs- oder Ausbildungswelt zu schaffen. Kann hier § 41 SGB VIII eine begleitende Hilfe darstellen?

Dem starren Festhalten an Familienmustern stehen die Hilfen zur Verselbständigung junger Menschen gegenüber, welche sogar durch staatlich finanzierte sozialpädagogische Unterstützung gewährleistet werden soll. In der Generalklausel § 1 SGB VIII hat demnach jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung und Erziehung „zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Damit werden auch psychische Zustände der jungen Menschen angesprochen, welche aufgrund von Ausbildungs- bzw. Arbeitslosigkeit labile Formen annehmen können. Soziale Reife und die Fähigkeit zu sozialem Kontakt werden im Sinne der „Gemeinschaftsfähigkeit“ immer wichtiger, was der Gesetzgeber im vierten Unterabschnitt des SGB VIII, in den Hilfen für junge Volljährige, auch auf junge Menschen bis 21 Jahre, in begründeten Einzelfällen auch darüber hinaus, ausgedehnt hat.

Das bedeutet, dass nach der einen Vorschrift eine Individualisierung nur unterstützt wird, wenn bereits schwerwiegende soziale Gründe vorliegen – d.h., vor Vorliegen dieser Gründe, sowie bei fehlendem Wohlverhalten gegenüber dem Leistungserbringer Arge wird keine unterstützende Leistung zur Verselbständigung gezahlt. Nach der anderen Vorschrift hingegen soll dieses Recht auf Individualisierung/Verselbständigung unterstützt und gefördert werden.

In meiner folgenden Ausführung beleuchte ich beide Vorschriften aus der Sicht eines jungen Menschen, welcher das 19. Lebensjahr vollendet hat. Er steht beispielhaft für ca. 27 Jugendliche aus demselben Problemfeld, welche das Profi-Team U25 im vergangenen Projektjahr zur Beratung aufgesucht haben. Sind für ihn beide Vorschriften nutzbar, bzw. wie sind sie nutzbar? Was sind die Kernaussagen der Vorschriften? Stehen beide Vorschriften in einem Widerspruch gegeneinander, oder besteht die Möglichkeit einer ergänzenden Handhabung? Im Schnittpunkt dieser Paragrafen habe ich bereits einige Gespräche mit Vertretern beider Behörden führen können, trotzdem herrscht immer noch Unsicherheit über die Anwendung beider Vorschriften. Auszüge aus diesen Gesprächen habe ich punktuell einfließen lassen, ebenso die entsprechenden Vorgehensweisen des Profi-Team U25. Einigen mit mir in Kontakt stehenden Einrichtungen9 habe ich zur Fragestellung per E-Mail angeschrieben, erhofft hatte ich mir nützliche Hinweise, Literaturtipps, u.ä... Leider bekam ich von all diesen Stellen kein nutzbringendes Feedback. Lediglich ein Nutzer eines Internet-Forums gab mir zu verstehen, dass das gesamte SGB II widersprüchlich zu allen anderen Gesetzen ist – was mir nun auch nicht richtig weiter half. Dem zur Folge stütze ich mich in meinen Ausführungen in erster Linie auf die entsprechenden Lehr- und Praxiskommentare.

2. SGB VIII

2.1 Allgemeines

Das KJHG wurde am 28.06.1990 im Bundesgesetzblatt verkündet, mit bestimmten Übergangsvorschriften und einer zeitlich abgestuften Verschärfung einzelner Leistungsverpflichtungen trat es am 01.01.1991 in Kraft. In der Folge ergaben sich einige gesetzliche Reformen welche auch das KJHG betrafen10, sowie einige Gesetzesänderungen. Als letzte Gesetzesänderung wurde das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) am 08.09.2005 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Hierin wurde unter anderem der Schutzauftrag des Jugendamtes bei Kindeswohlgefährdung konkretisiert (§ 8a SGB VIII), sowie die Inobhutnahme neu geordnet (§ 42 SGB VIII).

Die Förderung sozialer Verhaltensweisen mit dem Ziel der eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ist das „Leitmotiv“ des SGB VIII. Nach § 1 Abs. 1 SGB VIII hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung „und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“.

Die Namensgebung dieses Sozialgesetzbuches „Kinder- und Jugendhilfe“ ist relativ ungenau, da auch junge Volljährige zum Adressatenkreis des SGB VIII gehören. Dagegen schließen weitere Begriffsbezeichnungen junge Volljährige namentlich aus, wie zum Beispiel „Jugendamt“, Kreisjugendhilfeausschuss“, oder „Träger der Jugendhilfe“. Man könnte denken, die jungen Volljährigen sind nicht anvisierte Klientel dieser Vorschrift, bzw. werden sie in bestimmten Gremien und Institutionen nicht vertreten.

Die Persönlichkeitsentwicklung vollzieht sich in verschiedenen Altersabschnitten, wobei hierzu in § 7 SGB VIII die Begriffsbestimmungen der gesetzlichen Alterabschnitte klar definiert sind. Somit ist nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII wird als junger Mensch derjenige bezeichnet, wer noch nicht 27 Jahre alt ist. Letzterer Begriff wird als Oberbegriff verwendet, und erfasst die Altersgruppen der Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen11. Mit der Wortwahl der „Förderung der Entwicklung“ (§ 1 Abs. 1 SGB VIII) wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, aber auch gerade die Sozialisation von jungen Volljährigen über Erziehung im engeren Sinne hinausreicht, und sie spannt damit einen Bogen zu weiteren entwicklungsrelevanten Aspekten wie Bildung und Betreuung. Mit der Einbeziehung junger Volljähriger in die Vorschrift muss beachtet werden, dass in diesem Adressatenkreis die Einwirkung auf ihre Persönlichkeitsentwicklung nicht mehr als Erziehung nach allgemeinem Sprachgebrauch gesehen werden kann. Die Förderung der individuellen Entwicklung soll zudem einen Beitrag zur Vermeidung oder zum Abbau von Benachteiligungen bewirken12.

2.2 Inhaltliche Verbindung SGB VIII zu SGB II

Außerhalb der Jugendhilfe (Jugendamt) nehmen auch andere Behörden und Institutionen die Förderung und Entwicklung junger Menschen wahr. Relevant für meine Gegenüberstellung ist hierbei die Arge Limburg-Weilburg, als ausführende Institution des SGB II.

Im Rahmen des KICK hat der Gesetzgeber lediglich die vorrangigen Leistungen des SGB II hervorgehoben, nicht mehr die nachrangigen Leistungen des SGB VIII13. Das SGB VIII hat grundsätzlich Vorrang vor Leistungen nach dem SGB II. Ausgenommen hiervon sind die Leistungen nach § 3 Abs. 2 und §§14 bis 16 des SGB II. § 3 Abs. 2 SGB II ist somit eine vorrangige Leistung vor dem SGB VIII, was zunächst als unproblematisch erscheint: „Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind unverzüglich nach Antragstellung auf Leistungen nach diesem Buch in eine Arbeit, eine Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln. Können Hilfebedürftige ohne Berufsabschluss nicht in eine Ausbildung vermittelt werden, soll die Agentur für Arbeit darauf hinwirken, dass die vermittelte Arbeit oder Arbeitsgelegenheit auch zur Verbesserung ihrer beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten beiträgt.“ Die weiteren §§ 14, 15, 16 SGB II beziehen sich auf die vorrangige Eingliederung in Arbeit und die entsprechenden Eingliederungshilfen, die Eingliederungsvereinbarung, sowie auf Auskunftspflichten. Somit bleibt trotzdem der Nachrang des § 13 SGB VIII bestehen, welcher im Rahmen von Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen deutlicher die individuelle Entwicklung der jungen Menschen in den Vordergrund rückt, sowie die dazu gehörige sozialpädagogische Fachlichkeit. Das bedeutet nach wie vor den kommunalen Rückzug von Jugendsozialarbeit aus dem Ausbildungsgeschäft. Nach Wiesner14 besteht in den beiden Gesetzbüchern II und VIII dennoch keine Konkurrenz, da im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung keine Leistungen nach dem SGB II gewährt werden, die faktisch eine sozialpädagogische Unterstützung erfordern. Somit gehören Hilfen nach § 41 SGB VIII in Verbindung mit § 13 Abs. 2 SGB VIII (begleitende Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen) zum Zuständigkeitsbereich der öffentlichen Hilfe. Besteht über diese Hilfe hinaus ein Unterstützungsbedarf zur Integration junger Volljähriger in das Erwerbsleben, finden die Eingliederungsmaßnahmen des SGB II Anwendung. Für Wiesner setzt dieser Tatbestand eine unabdingbare systematische Kooperation beider Träger voraus, da benachteiligte junge Menschen gerade bei der Integration in die Berufswelt besonderer Unterstützung bedürfen.

2.3 § 41 SGB VIII

(1) Einem jungen Volljährigen soll Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden.
(2) Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten § 27 Abs. 3 sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten oder des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt.
(3) Der junge Volljährige soll auch nach Beendigung der Hilfe bei der Verselbständigung im notwendigen Umfang beraten und unterstützt werden.

2.3.1 Grundlage für die Vorschrift

Die Rechtsprechung, aber auch die (sozial-)psychologische Fachwelt beschreibt die Lebensphase, in welcher sich die jungen Volljährigen befinden, als kritische Phase. Die Hilfen für junge Volljährige bedeuten deshalb eine zentrale und präventive Funktion für eine weitere Lebensbewältigung15. Der rechtzeitige Einsatz dieser Hilfen, auch die erstmalige Leistungsgewährung nach Vollendung des 18. Lebensjahres bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (Ausnahmen nach diesem Geburtstag sind bedingt möglich), sollen so wirken, ass der Hilfe suchende Klient den zunehmenden Anforderungen der Erwachsenenwelt gerecht werden kann, und zum Beispiel nicht in Dauerarbeitslosigkeit oder in eine Suchtproblematik gerät. Die Vorschrift berücksichtigt, dass sich junge Menschen heute einer verlängerten Schul- bzw. Ausbildungszeit gegenüber sehen, der Ablösungsprozess vom Elternhaus verlängert sich somit (säkulare Retardation). Dieser Ablösungsprozess bedeutet jedoch auch besondere soziale Schwierigkeiten, im Einzellfall verbunden mit Straffälligkeit, Obdachlosigkeit (...), und bisweilen Angstzuständen und Depressionen16.

2.3.2 Anspruchberechtigte/Rechtsanspruch

Die Vorschrift richtet sich an junge Menschen ab Vollendung des 18. Lebensjahres. Die erste Inanspruchnahme der Hilfe nach § 41 SGB VIII kann noch erfolgen bis 2 Monate vor Vollendung des 21. Lebensjahres17. Bei Beendigung des 21. Lebensjahres muss jedoch die gewährte Hilfe (der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung) nicht abgeschlossen sein. Dem jungen Volljährigen soll dazu auch noch nach Beendigung der Hilfe bei der Verselbständigung im notwendigen Umfang beraten und unterstützt werden, sofern eine Notwendigkeit der Hilfe besteht. In der Vollendung des 27. Lebensjahres erlischt die Zuständigkeit der Jugendhilfe, und somit auch die Möglichkeit der Hilfe nach § 41 SGB VIII18. Es besteht auf die „ ...Gewährung der Volljährigenhilfe stets ein unmittelbarer Rechtsanspruch, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen, dass die Hilfe ● für die Persönlichkeitsentwicklung und, ● zur eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt wird und weil die Hilfe ● aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist, gegeben sind. Der Rechtsanspruch besteht auch dann, wenn eine Ausbildung beendet wurde.“19 Lediglich ein atypischer Sachverhalt erlaubt ausnahmsweise eine Ablehnung der Tatbestandvoraussetzungen, welcher zudem vom öffentlichen Träger der Jugendhilfe begründet und bewiesen werden muss20. Die Hilfen nach § 41 SGB VIII werden ergebnisorientiert gewährt, d.h. nach Wiesner21 müssen gewisse Aussichten auf die Verbesserung der Situation bestehen, eine Erreichung des Hilfeziels soll möglich sein.

Anspruchsinhaber, einschließlich aller finanziellen Leistungen, ist der junge Volljährige selbst. Voraussetzung der Gewährung der Hilfe nach § 41 SGB VIII ist weder eine begonnene Schul- oder Berufsausbildung, noch eine Erfolgsprognose22. Ausreichend ist bereits eine Aussicht auf eine „ ...spürbare Verbesserung und Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des jungen Volljährigen ...“, welche nicht mit der Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen sein muss23.

Eine Mitwirkungsbereitschaft des Klienten wird bei persönlichen Hilfen generell voraus gesetzt. Eine speziell normierte Bereitschaft zur Mitwirkung für junge Volljährige ist nicht gegeben, sie könnte in der Praxis als Vorwand dienen, „schwierige“ oder „desinteressierte“ Klienten vorschnell aus der Hilfe zu entlassen. Wiesner24 appelliert dahin gehend, dass eine vom Klient gewählte abweichende Lebensführung toleriert werden soll (In wie weit ist eine Abweichung tolerabel? Ist „von-zuhause-ausziehen“ tolerabel?), ebenso das Geschehen von „Durststrecken“. Beides sind typische Verhaltensmuster in dieser Lebensphase. Die Motivation zur Überbrückung solcher Phasen ist Teil der pädagogischen Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und eigenverantwortlichen Lebensführung, die Phasen sind demnach kein Ausschlussgrund, sondern Handlungsgrund.

[...]


1 Ich verwende nicht absichtlich eine bestimmte Geschlechtsform. Jede Form ist grundsätzlich austauschbar.

2 Berlit, in: Münder, Lehr- und Praxiskommentar SGB II (LPK-SGB II), § 31 Rz 17 und 128

3 Bewerbermeldungen um Ausbildungsstellen = 1988 Personen, gemeldete Ausbildungsstellen = 719, in: Arbeitsmarktreport der Arbeitsagentur Limburg, Berichtsmonat Juni vom 07.07.2007

4 Profi-Team U25 = Beratungsstelle für unter 25jährige Antragsteller zum Arbeitslosengeld II in Limburg im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft (Arge) Limburg-Weilburg (im Rahmen des § 16 Abs. 1 SGB II). Die Beratungsstelle hilft beim Erstellen des Arbeitslosengeld II Antrages, sowie führen die Mitarbeiter dort das Profiling mit den jungen Antragstellern durch. Die Beratungsstelle ist eine Kooperation zwischen Caritasverband und jobaktiv (Beratungsstelle für Jugendberufshilfe im Bistum Limburg).

5 Krampen und Reichle, in: Oerter/Montada, Entwicklungspsychologie, Kapitel 8, S. 319, Nr. 1

6 Krampen und Reichle, in: Oerter/Montada, a.a.o., S. 322

7 Reis, in: Oerter/Montada, a.a.o., S. 324

8 Erhebung durch einfache Befragung Juni bis August 2007: 87 Befragte von 124 Befragten gaben zerrüttete Familienverhältnisse an

9 z.B.: Tacheles.e.V., afa – Arbeit für alle / BDKJ Bundesgeschäftsstelle, u.a.

10 z.B. die Reform des Sozialhilferechts am 23.07.1996

11 Wiesner, Kommentar Kinder- und Jugendhilfe SGB VIII (SGB VIII), § 7 Rz 9

12 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 1 Rz 36

13 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 10 Rz 29

14 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 41 Rz 60

15 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 41 Rz 5

16 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 41 Rz 1

17 BayVGH, in Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 41 Rz 26a

18 Busch/Fieseler, Rechtsgutachten zum Rechtsanspruch volljähriger „Pflegekinder“ nach § 41 SGB VIII, vom 25. April 2003, S. 3 Abs. 1

19 Busch/Fieseler, Rechtsgutachten, a.a.o., S. 3, Abs. 1

20 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 41 Rz 25

21 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 41 Rz 45

22 Busch/Fieseler, Rechtsgutachten, a.a.o., Seite 2, Absatz 5

23 OVG Münster, in Wiesner, SGB VIII, a.a.o., § 41 Rz 23a

24 Wiesner, SGB VIII, a.a.o., Rz 24

Final del extracto de 21 páginas

Detalles

Título
Sozialrecht: Gegenüberstellung der §§ 22 SGB II und 41 SGB VIII
Subtítulo
Ist die zwanghafte Aufrechterhaltung einer familiären Bedarfsgemeinschaft nach § 22 Abs. 2a SGB II vereinbar mit der Zweckbestimmung der Förderung einer eigenverantwortlichen Lebensführung nach § 41 SGB VIII?
Universidad
University of Applied Sciences Frankfurt am Main
Calificación
1,0
Autor
Año
2007
Páginas
21
No. de catálogo
V131173
ISBN (Ebook)
9783640367054
ISBN (Libro)
9783640367375
Tamaño de fichero
598 KB
Idioma
Alemán
Notas
Im SGB II werden Personen unter 25 Jahre im besonderen Maße sanktioniert. Wohlwollend könnten diese Sanktionen als "Erzieherische Maßnahmen" gewertet werden. Persönlichkeitsfördernd soll eben auch die Vorschrift für junge Volljährige wirken, welche im Rahmen des SGB VIII vom Jugendamt umgesetzt werden sollte. Der Autor beschreibt beide Vorschriften aus rechtlicher und psychosozialer Sicht, stellt diese gegenüber, und zeigt beispielhaft trotz der gewünschten gesetzlichen Verzahnung erhebliche Reibungsverluste in der Umsetzung auf. Die Studienleistung wurde mit einer 1,0 bewertet.
Palabras clave
Sozialrecht, Gegenüberstellung, VIII, Aufrechterhaltung, Bedarfsgemeinschaft, Zweckbestimmung, Förderung, Lebensführung, SGB, SGBVIII, SGBII, §41SGBVIII, Jugendamt, Beratung, Psychosoziale Beratung, junge Volljährige, Reibungsverluste, Zwangsberatung, Sanktionen, Erzieherische Maßnahmen
Citar trabajo
Stefan Grösch (Autor), 2007, Sozialrecht: Gegenüberstellung der §§ 22 SGB II und 41 SGB VIII, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131173

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