Pro-Ana - Selbsthilfe oder gefährlicher Kult?


Term Paper, 2009

27 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Anorexia nervosa
1.1 Definition
1.2 Risikofaktoren

2. Erklärungs- und Therapiemodelle
2.1 Verhaltenstherapie.
2.1.1 Weitere Bestandteile der Therapie
2.2 Psychodynamische Therapie nach Günter Reich
2.2.1 Grundannahmen zur Entstehung der Magersucht
2.2.2 Familienkonstellation
2.2.3 Ablauf
2.3 Integratve Therapie

3. Pro-Ana
3.1 Differenzierung
3.2 Zugang
3.3 Elemente
3.3.1 Anas Brief
3.3.2 Interaktive Elemente

4. Pro-Ana alsVorarbeit zurTherapie

5. Pro-Ana als Schwierigkeit für die Therapie

6. Fazit

Anhang

Untersuchung

Definitionen

Ergebnis der Auszählung

Diagramm

Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Durch einen Fernsehbericht wurde mein Interesse an Pro-Ana geweckt. Was ich da hörte, fand ich erstaunlich und erschreckend: Eine Community im Internet, die junge Mädchen und Frauen[1] zur Magersucht verleiten oder bereits Magersüchtige zu weiterem Hungern anstiften sollte. Ich begann mich zu fragen, warum diese Foren überhaupt existieren, wenn sie den Benutzern nur weiteren Schaden zufügen. Was ist der Grund, aus dem sich Frauen freiwillig einer Gruppe anschließen, um sich gemeinsam laut Medien zu Tode hungern? Aus dieser Überlegung heraus kam ich zu dem Schluss, dass diese Homepages einen Anreiz liefern müssen, dass sie irgend etwas bieten, was diesen Frauen als persönlicher Gewinn erscheint. Mich interessierte, was diese Gründe sind, die Frauen zur Teilnahme in diesen Gruppen bewegt. Andererseits fragte ich mich, ob und wie, mit welchen Mitteln, eine anonyme Gruppe im Internet kranke Frauen dazu führen kann, eine Therapie ablehnen.

Im Folgenden möchte ich daher untersuchen, wieweit Pro-Ana-Communitys möglicherweise förderlich für die Genesung der Magersuchtsein und wo sie eine Therapie ausbremsen können. Dazu stelle ich zunächst drei verschiedene Therapiekonzepte vor, die typischerweise für die Behandlung von Magersucht verwendet werden. So möchte ich herausarbeiten, welche Elemente verschiedener Therapien in Pro-Ana vorkommen. Durch die anschließende Betrachtung des Phänomens Pro-Ana selbst schaffe ich die Grundlage zur Bearbeitung der Frage, was bei einer Therapie von (ehemaligen) Pro-Ana- Anhängern berücksichtigt werden sollte bzw. wo Probleme auftreten können.

1. Anorexia nervosa

1.1 Definition

Anorexia nervosa wird nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) zusammen mit Bulimia nervosa (Essbrechsucht) als ,,Verhaltensauffälligkeit[en] mit körperlichen Störungen und Faktoren" (Dilling, 2005, S. 200) aufgeführt. Als Diagnosekriterien dienen folgende Bedingungen: Das Körpergewicht der Patienten liegt mindestens 15% unter dem erwarteten Gewicht oder der BMI[2] ist unter 17,5. Dabei müssen jedoch somatische Erkrankungen, wie etwa Tumore oder Infektionen, als Ursache ausgeschlossen werden können. Der Gewichtsverlust ist vielmehr vom Patienten durch Vermeidung von hochkalorischen Speisen, selbstinduziertem Erbrechen und Abführen, übertriebene körperliche Aktivität und/oder den Gebrauch von Appetitzüglern selbst herbeigeführt. Trotz des untergewichtigen Zustandes empfindet sich der Patient aber noch als zu dick und es besteht eine massive Angst vor einer Gewichtszunahme.

1.2 Risikofaktoren

Magersucht tritt gehäuft bei jungen Mädchen und Frauen im Alter von fünfzehn bis neunzehn Jahren auf (Biedert: 2008, S. 13). Dabei erkranken zehnmal mehr Frauen an Anorexie als Männer.

Bei vielen von ihnen zeigen sich bereits vor Ausbruch der Magersucht ein niedriges Selbstbewusstsein und Ängstlichkeit (Diezemann: 2001, S. 4). Sie besitzen dann häufig ein großes Maß an Disziplin und eine hohe Leistungsorientierung. Oft finden sich perfektionistische Persönlichkeiten, die hohe Anforderungen an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten stellen. Wird dann die Erfahrung gemacht, dass der Wunsch nach Perfektion sich nicht erfüllt und kommt es gleichseitig zu einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, so kann das Gewicht als ein Bereich aufgefasst werden, in dem die Betroffene Kontrolle ausüben kann und zugleich Erfolge durch Gewichtsabnahme genau erkenn- und messbar werden.

Die schnelle Veränderung des eigenen Körpers im Jugendalter kann daher eine Ursache dafür sein, dass Magersucht hier besonders häufig auftritt. Gerade bei Mädchen kommt es in der Pubertät zu einer Zunahme des Fettgewebes, was eine „steigende Diskrepanz zwischen dem wahrgenommenen und dem idealisierten Erscheinungsbild" (Roth: 1998, S.48) bedingt. Da sich die Veränderungen des weiblichen Körpers konträr zum Attraktivitätsideal entwickeln, steigt bei Mädchen die Unzufriedenheit stärker als bei Jungen, bei denen manche Veränderungen (z.B. Bartwuchs, breite Schultern) näher zum männlichen Schönheitsideal hinführen.

Sind junge Frauen mit diesen alterstypischen Anforderungen der Pubertät überfordert, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an Magersucht. Die mangelnde Fähigkeit, Konflikte im Allgemeinen und diesen im Besonderen, eigenständig zu lösen, stellt daher einen weiteren Risikofaktor dar (Steinhausen: 2005, S. 8). In Familien, in denen Konflikte nicht bearbeitet werden und das Mädchen so keine Möglichkeit hat, den konstruktiven Umgang mit Problemen zu üben, kann Magersucht häufiger auftreten.

2. Erklärungs- und Therapiemodelle

2.1 Verhaltenstherapie

Bei der operanten Verhaltenstherapie wird das gewünschte Verhalten, in diesem Fall die Gewichtszunahme, mit positiven Verstärkern angeregt oder gegenteiligen Tätigkeiten mit negativen Verstärkern entgegengewirkt. Zur Therapie einer Anorexia nervosa werden operante Verfahren oftmals zu Beginn der Behandlung verwendet, um die Gewichtszunahme zu beschleunigen und körperliche Spätschäden abzuwenden. Bei besonders kritischem Untergewicht können zum Beispiel in der stationären Unterbringung das Verlassen des Krankenhauses, Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und Ausgang als positive Verstärker eingesetzt werden (ebd.,S.13).

Auch die kognitive Verhaltenstherapie wird zur Behandlung von Magersucht verwendet. Hier soll das problematische Verhalten durch die Auflösung verzerrter kognitiver Einstellungen verändert werden (Jacobi: 2000, S. 49). Kognitive Fehlleistungen, wie etwa eine Körperschemastörung oder dysfunktionale Gedanken, können zur Entstehung der Krankheit beitragen. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie werden daher diese dysfunktionalen Gedanken identifiziert und anschließend mit dem Klienten überarbeitet. Da auch allgemeine Grundannahmen und Werte zur Bildung falscher spezieller Überzeugungen, die sich um Essen und Gewicht drehen, führen können, muss auch diese Ebene bei der Therapie berücksichtigt werden (Legenbauer: 2006, S. 158). So kann etwa die Grundannahme „Mein Wert als Person hängt von meinem Gewicht ab" (Vocks: 2005, S.74) zur Ableitung des Gedankens „Ich bin zu dick. Das ist eine Katastrophe!" (ebd.) führen. Wird die Grundannahme nun in Frage gestellt und vom Klienten fallen gelassen, so kann auch das daraus resultierende Verhalten, die ständige Gewichtsabnahme, verändert werden.

2.1.1 Weitere Bestandteile der Therapie

Um dieses zentrale Ziel, durch die Überarbeitung von dysfunktionalen Gedanken das magersüchtige Verhalten zu verändern, zu erreichen, werden bei der kognitiven Verhaltenstherapie noch andere Therapieelemente angewendet. Diese weiteren Bausteine sind die Veränderung psychosozialer Konflikte und der Körperschemastörung und die Stabilisierung und Rückfallprophylaxe (Jacobi: 2000, S.82 ff).

Bei der Veränderung psychosozialer Konflikte, die den zweiten Hauptproblembereich der Therapie darstellen, wird jeweils auf die individuellen Faktoren des Patienten eingegangen, die zur Entstehung oder Erhaltung der Essstörung beitragen. Dies können zum Beispiel Probleme mit dem Selbstbewusstsein oder in Beziehungen zu anderen Menschen, Streben nach Perfektion oder Angst und Unsicherheit sein. Da die Art der Probleme sehr unterschiedlich sein kann, müssen hier individuelle Lösungswege gefunden werden. Es könnten zum Beispiel die Problemlösekompetenz des Patienten gestärkt, Konflikte mit den Eltern oder dem Partner gemeinsam bearbeitet oder persönliche Ziele festgesteckt und schrittweise verwirklicht werden (ebd., S. 85).

Die Körperschemastörmg stellt einen weiteren Bearbeitungspunkt der kognitiven Verhaltenstherapie dar, wenngleich auch die Wirksamkeit der Beeinflussung nicht gesichert und die Verfahren so kritisch zu betrachten sind (ebd., S. 96). Trotzdem werden körperorientierte Verfahren durchgeführt, die zur bewussten Auseinandersetzung des Patienten mit dem eigenen Körper führen sollen. Verschiedene Übungen zu Körperausdruck und Kontaktaufnahme sowie Massagen, sollen dazu führen, dass der Patient seinen Körper akzeptiert und die verzerrte Wahrnehmung relativiert wird. Besonders gut eigenen sich daher auch Gruppenübungen, in denen der Patient Rückmeldung durch andere Patienten bekommen kann.

Am Ende der Therapie erfolgt die Stabilisierung und Rückfallprophylaxe, wodurch der Patient auf das Leben nach der Therapie vorbereitet wird. Er kann hier Strategien entwickeln, um kritische Situationen zu meistern, ohne in abweichendes Essverhalten zurückzufallen.

2.2 Psychodynamische Therapie nach Günter Reich

2.2.1 Grundannahmen zur Entstehung der Magersucht

Laut der psychodynamischen Theorie nach Reich entsteht die Magersucht als Versuch zur Lösung von intrapersonellen Konflikten (Reich: 2001b, S. 51ff).

Die Betroffenen wachsen häufig in gut behüteten Familien auf, in denen die Eltern versuchen, das Kind vor allen Problemen und Konflikten zu schützen. Dadurch wird der Umgang mit problematischen Situationen nicht gelernt und sie erscheinen als etwas Bedrohliches, Gefährliches. Oftmals entsteht so eine Abhängigkeit von den Eltern. Gleichzeitig werden diese aber auch als Gefahr wahrgenommen, da sie durch Kontrollen und Bevormundung in die Grenzen des Selbst einzudringen scheinen. Der Betroffenen erscheint so entweder die Welt ohne ihre Eltern oder aber ihre Eltern selbst als Bedrohung. Sie kann die Grenzen des eigenen Selbst gegenüber den Bezugspersonen nicht mehr klar erkennen.

Durch die Kontrolle der Eltern empfinden sich die Patienten als machtlos. Diese Machtlosigkeit findet sich auch im Bezug zur Ernährung wieder, in der die Eltern ebenfalls Kontrolle ausüben. So glauben die Eltern zu wissen, wann das Kind Hunger hat und wann es satt ist (Böhme-Bloem: 1996, S. 12). Sie bestimmen, wann, in welcher Menge und was das Kind essen soll. Dem Kind fehlt so die Erfahrung von Essen als Genuss. Gefühle von Hunger und Sättigung werden von den Eltern übergangen und irgendwann auch vom Kind selbst nicht mehr wahrgenommen. Die Verweigerung der Nahrungsaufnahme kann hier also bedeuten, dass die Patientin Selbstkontrolle erreichen will. So kann die Betroffene durch ihre Verweigerung Widerstand gegenüber den Eltern zum Ausdruck bringen, ohne direkt aggressiv handeln zu müssen.

Dieser indirekte Gefühlsausdruck kann von besonderer Bedeutung sein, da sich Magersüchtige oft selbst die Äußerung von negativen Einstellungen verbieten. Hier liegt der Ursprung ebenfalls häufig in der Herkunftsfamilie, die von dem Kind Anpassung erwartet und eigenständige Impulse abwertet (Reich: 2001b, S. 61).

Auch die Magersüchtige stellt an sich selbst hohe Ansprüche. Viele haben perfektionistische Züge. Selbstkontrolle und Autonomie spielen in ihrem Ich-Ideal eine große Rolle. Durch die Magersucht haben sie die Möglichkeit, einerseits starke Kontrolle auszuüben, indem sie beispielsweise Kalorien zählen und sich wiegen. Andererseits finden sie in ihrer Ernährung einen Bereich, in dem sie alleine autonom handeln können, ohne direkte Eingriffe der Eltern hinnehmen zu müssen. Sie bekämpfen hier ihre eigene gefühlte Machtlosigkeit. Da die Nahrungsaufnahme für sie einen Eingriff von außen, einen Verlust der Kontrolle darstellt, lehnen sie sie ab.

2.2.2 Familienkonstellation

In den Familien, in denen Magersüchtige aufwachsen, finden sich häufig ödipale Konflikte (ebd.,S. 61f). Hierbei nutzen die Betroffenen unbewusst die Magersucht zur Lösung der Problematik.

So befindet sich das Kind in einer Familie, in der die Mutter gegenüber dem Vater in einer schwachen Position steht, in dem Konflikt, dass es sich einerseits mit der Mutter identifiziert, sie andererseits aber auch wegen ihrer Schwäche verachtet.

[...]


[1] Da der Großteil der Anhänger von Pro-Ana weiblich ist, nutze ich im Folgenden nur die weibliche Form.

[2] BMI = Body Mass Index=Gewicht [kg]/Größe [m2]

Excerpt out of 27 pages

Details

Title
Pro-Ana - Selbsthilfe oder gefährlicher Kult?
College
University of Trier
Course
Erziehung bei Tisch
Grade
1,0
Author
Year
2009
Pages
27
Catalog Number
V131240
ISBN (eBook)
9783640447732
ISBN (Book)
9783640447701
File size
580 KB
Language
German
Keywords
Pro Ana, Pro-Ana, Magersucht, Internet
Quote paper
Tina Engels (Author), 2009, Pro-Ana - Selbsthilfe oder gefährlicher Kult?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131240

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