Medienentwicklung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft - Systemtheorie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Lumahns Modell der Kommunikation

2. Systematik von Medien sozialer Systeme

3. Sprache

4. Schrift

5. Buchdruck

6. Massenmedien

7. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Systemtheorie nähert sich dem Gegenstand Kommunikation unter einer spezifischen Leitfrage, und diese lautet: Wie ist Kommunikation möglich? Das ist eine ziemlich ungewöhlnliche Frage, denn wir wissen alle, dass Kommunikation möglich ist. Aber die Systemtheorie stellt diese Frage nicht unbedacht. Sie möchte die Bedingungen analysieren, die Konstellationen aufzeigen, die Faktoren untersuchen, die dazu beitragen, dass wir kommunizieren können.

Gesellschaft besteht aus Kommunikation. Nur durch Kommunikationsakte kommt sie zustande und setzt sich auch nur durch diese fort – das ist gemeint mit der Luhmannschen Formel von der Konstitution und Reproduktion der Gesellschaft durch Kommunikation. Würde die Kommunikation aufhören, wäre die Gesellschaft am Ende.

Kommunikation stellt mithin nicht die Übertragung von Informationen dar, sondern einen evolutionär sich entwickelnden Selektionsprozess, der beobachterabhängig beschrieben werden kann. Die Gesellschaft bildet damit „ein auf der Basis von Kommunikation operativ geschlossenes Sozialsystem“.[1] Das grundlegende Kommunikationsmedium ist die Sprache. Sie ist binär kodiert – insofern als sie für alles, was gesagt wird, die Möglichkeit der Bejahung oder der Negation zur Verfügung stellt. Die Gesellschaft eröffnet sich damit einen Möglichkeitsraum für die beschleunigte Evolution, oder poetisch ausgedrückt: „Die Sprachcodierung ist die Muse der Gesellschaft“.[2] Bejahung und Negation sind universelle Sprachmöglichkeiten und dürfen deshalb nicht mit der Unterscheidung guter und schlechter Nachrichten verwechselt werden.

Der erste Schritt zur Analyse gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse ist die Analyse der Kommunikationsmedien. Dazu zählen Sprache, Schrift, Buchdruck, elektronische Medien. In einem gewissen Sinne gehören auch Religion und Moral als kommunikativer Kitt des sozialen Zusammenhalts dazu. Auf diesen einfachen Medien beruhen die komplexeren, symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Sie sind evolutionär spätere Produkte und bilden eine Art funktionales Äquivalent zur Moral.

1. Lumahns Modell der Kommunikation

Einer der Zentralbegriffe der soziologischen Theorie von Luhmann ist Sinn. Sinn hat die Funktion, die Komplexität des Handelns und Erlebens einerseits zu reduzieren und bestimmbar zu machen, andererseits aber auch auf andere Möglichkeiten des Handelns und Erlebens zu verweisen. Der Sinn des Handelns und Erlebens wird geradezu darauf bezogen, dass einerseits eine bestimmte Möglichkeit gewählt wird, aber andererseits andere Möglichkeiten des Verhaltens erhalten bleiben. Sinnhaft ist das Erleben und Handeln also dann, wenn es selektiv ist, wenn es als Selektion aus einem weiten Kreis anderer Möglichkeiten des Verhaltens begriffen werden kann. Wann immer erlebt, gehandelt und kommuniziert wird, ist Sinn involviert – ansonsten hätten wir es mit Naturabläufen zu tun. Die Formen des Handelns und Erlebens sind Differenzen, sie stellen Selektionen dar, die immer auf andere, nicht gewählte Möglichkeiten verweisen. Das Medium Sinn erlaubt also Formbildungen, in denen sinnhaft spezifische Differenzen oder Unterscheidungen aktualisiert werden[3]. „Sinn lässt keine andere Wahl als zu wählen“. Wählen kann man immer nur unter verschiedenen Möglichkeiten. Dass man verschiedene Möglichkeiten hat, darüber gibt der Begriff der doppelten Kontingenz Auskunft.

Kontingent nennt Luhmann etwas, was zufällig so ist, aber auch anders sein kann. Von den unendlich vielen Möglichkeiten in der komplexen Welt wird also eine Handlung, ein Ereignis gewählt; es könnte genauso gut etwas anderes gewählt worden sein, denn es steht auch anderes offen[4]. Luhmann behandelt die Ausgangssituation, dass zwei psychische Systeme sich begegnen, unter dem Signum „doppelte Kontingenz“. Treffen nun zwei Systeme zusammen, die jeweils sich selbst und das andere System als eingelassen in einen prinzipiell offenen Horizont von Möglichkeiten erleben, dann entsteht eine Situation, in der Verhaltensabstimmung unabdingbar notwendig wird. Um die reziproke Undurchschaubarkeit zu überwinden, nehmen die sich begegnenden psychischen Systeme eine spezifische Unterstellung vor. Sie unterstellen, dass sie sich im Verkehr miteinander, wenn schon nicht durchschauen, so doch zumindest wechselseitig beeinflussen können, und das sie dann aus der Beobachtung dieses Versuchs etwas über das andere psychische System lernen können. Aus der reziproken Beobachtung entsteht derart ein „Wissen“ über den anderen, das die tatsächliche Intransparenz zu kompensieren vermag. Dieses Wissen, obschon eine bloße Konstruktion, generiert einen Wirklichkeitsbereich, der fortan als eine Art Plattform dient, von der aus die psychische Systeme, nun nicht länger bodenlos, miteinander verkehren können. „Auf diese Weise kann eine emergente Ordnung zustande kommen, die bedingt ist durch die Komplexität der sie ermöglichenden Systeme, die aber nicht davon abhängt, dass diese Komplexität auch berechnet, auch kontrolliert werden kann. Wir nennen diese emergente Ordnung soziales System“[5]

Die Systemtheorie unterscheidet zwischen sozialen Systemen, die auf der Basis von Gedanken, Vorstellungen oder Wahrnehmungen operieren. Beide Systeme operieren überschneindungsfrei, Gedanken dringen nicht in die Kommunikation ein, und Kommunikation nicht in die Gedanken, auch wenn zwischen der Psyche und der Kommunikation mehrere Kopplungsformen diese Differenz bearbeitbar machen und dabei erhalten. Die Unterschiedlichkeit beider Systeme gründet also in der Differenz der Operationen , die selbstreferenziell-geschlossen produziert werden. Selbstreferenziell-geschlossen heißt, dass Kommunikation nur an Kommunikation anschließen kann, und Gedanken nur an Gedanken anschließen können. Und es handelt sich in der Sprache der Systemtheorie um autopoietische Systeme. Solche Systeme produzieren die Einheiten, aus denen sie bestehen, durch die Einheiten, aus denen sie bestehen.

Nach dem Zwei-Personen- bzw. Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation gibt es keine Differenz zwischen gesendeter und empfangener Information. Für Luhmann ist die Kommunikation aber nicht angemessen zu beobachten als ein solcher zwischen Menschen ablaufender Vorgang, bei dem das, was von Person A als Information mitgeteilt wird, von Person B auch mitteilungsgemäß als Information verstanden wird. Dagegen setzt er ein Drei-Selektionen-Modell.

Kommunikation fungiert als eine Trias, und zwar als Einheit der Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen. Jeder der drei Stellen fungiert auf die folgende Weise: Sie unterscheidet die anderen und fügt sie zu einer Einheit zusammen. Information ist - auch bei Luhmann noch informationstheoretisch orientiert - eine Auswahl auf einem Hintergrund von Möglichkeiten. Im kommunizierenden sozialen System wäre Information demnach jedoch zusätzlich die Einheit der Unterscheidung aus Mitteilung und Verstehen. Die Selektivität von etwas als Information, die auf einer Seite stattfindet, führt dann zu einer wahrgenommenen Selektivität auf einer anderen Seite. Erst aus beidem zusammen entsteht für das kommunizierende System Information. Mitteilung wäre die Einheit der Unterscheidung von Information und Verstehen; Verstehen wäre die Einheit der Unterscheidung von Information und Mitteilung. Kommunikation fungiert nur als Einheit dieser drei. Sie wird für Luhmann auf diese Weise zu einer selbstbeobachtenden Operation[6].

2. Systematik von Medien sozialer Systeme

Luhmann entwickelt einen eigenen Medienbegriff. Danach sind Medien dadurch charakterisiert, dass sie eine bestimmte Funktion erfüllen: Sie begrenzen den Selektionsspielraum, ohne die Selektionsmöglichkeiten zu unterbinden. Die Eingrenzung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Selektionen passen. „Diejenigen evolutionären Errungenschaften, die an jenen Bruchstellen der Kommunikation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen, Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches zu transformieren, wollen wir Medien nennen“.

Die immanente Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation ist folglich mit Problemen verbunden, die durch die Kommunikationsmedien Sprache, Verbreitungsmedien und Erfolgsmedien im Rahmen der soziokulturellen Evolution dadurch gelöst werden, dass sie Kommunikation wahrscheinlich werden lassen und somit die kommunikative Autopoiesis der Gesellschaft ermöglichen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine lineare Entwicklung, sondern die jeweilige Lösung des einen Problems erzeugt wiederum neue Probleme, die entweder eine gesellschaftliche Stagnation hervorrufen oder durch erfolgreiche Lösungen eine neue Stufe der Evolution einleiten.

In abstrakterer Weise kann man die Frage, wie Kommunikation trotz Bedingungen der Unwahrscheinlichkeit möglich wird, auch dadurch beantworten, dass man die Operationsweise der erwähnten Kommunikationsmedien auf die Differenz von Medien / Form zurückführt, die eine dynamische Stabilität erzeugt. Die dynamische Stabilität kommt dabei vor allem dadurch zustande, dass das jeweilige Medium aus lose gekoppelten Elementen besteht, von denen einige – nicht alle, würde dies doch die Eigenkomplexität jedes sozialen Systems überfordern – durch die jeweilige Form des Mediums strikt gekoppelt bzw. gebunden und zugleich wieder aufgelöst werden. So stellt beispielsweise das Medium Sprache einen extrem großen, aber doch begrenzten Wortschatz, eine begrenzende Grammatik und begrenzte Möglichkeiten für Sätze und Ausrufe zur Verfügung und setzt dadurch einen Rahmen, innerhalb dessen Formulierungen getroffen werden können, während andere außerhalb dieses Rahmens ausgeschlossen sind[7].

Die Differenz von Medium / Form indiziert folglich einerseits eine zeitliche Asymmetrie, bei der sich die Form als durchsetzungsfähiger, gleichzeitig aber auch flüchtiger als das Medium erweist. Andererseits verweist sie auf eine sachliche Asymmetrie, die nur durch die Form, nicht aber mittels des Mediums kommunikative Anschlussfähigkeit in sozialen Systemen generiert.[8].

Luhmann unterscheidet drei verschiedene Medienformen:

- Sprache: steigert die Wahrscheinlichkeit des Verstehens von Kommunikation.
- Verbreitungsmedien: steigert die Wahrscheinlichkeit des Erreichens von Kommunikatoren. Verbreitungsmedien sind z. B. Schrift, Buchdruck, die herkömmlichen Massenmedien oder die modernen digitalen Medien.
- Erfolgmedien: steigert die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs von Kommunikationen. Die wesentlichen Erfolgsmedien sind die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Zu ihnen gehören Geld, Macht, Wahrheit, Liebe, Glaube und andere.

Wie bewirken diese Medien eigentlich die Steigerung der Wahrscheinlichkeiten? An dieser Stelle kommt der Codebegriff zum Tragen. Luhmann verwendet nicht einen weiten linguistischen, sondern einen engen kybernetischen Codebegriff. Codes sind nicht Symbolreihen oder allgemeine Zuordnungsregeln, sondern Duplikationsregeln. Codes sind binäre Strukturen, die für jedes beliebige Item ein komplementäres Item aufsuchen und zuordnen. Medien können also aufgrund ihrer binären Codestruktur auf die Selektionsmöglichkeiten Einfluss nehmen, indem sie die Selektionsmöglichkeiten begrenzen, die Situationsdefinitionen rahmen und die Wahl bestimmter Selektionen präferieren.

[...]


[1] Luhmann, 1997, S. 205.

[2] Ebd., S. 225.

[3] Schützeichel, 2004, S. 244-245.

[4] Horster, 1997, S. 87-88.

[5] Gripp-Hagelstange, 1995, S. 65-66.

[6] Baraldi/Corsi/Esposito, 2002, S. 89-90.

[7] Berghaus, 2003, S. 110-111

[8] Hohm, 2000.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Medienentwicklung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft - Systemtheorie
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Kulturentwicklung und Medien
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V131355
ISBN (eBook)
9783640371808
ISBN (Buch)
9783640371631
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medienentwicklung, Ausdifferenzierung, Gesellschaft, Systemtheorie
Arbeit zitieren
Vadim Bolbat (Autor:in), 2008, Medienentwicklung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft - Systemtheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131355

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