The general framework of informal care differs significantly between Germany and Sweden. The present paper analyses these differences and their impact on family carers situation based on the multidimensional concept of social exclusion.
Elder care in Germany is provided within the framework of a Bismarkian, conservative corporatist welfare state. The design of the German supplemental care benefits results in familialism, particularly for carers of lower socio economic classes. Its strong male bread winner model and strong traditional gender role expectations constitute a high risk of marginalisation for women.
The swedish welfare system is considered to be social democratic. De-familializing strategies, comparatively weak traditional gender role expectations, a weak male breadwinner model and comprehensive public care provision minimizes the risk of marginalisation for carers.
The results of recent European surveys support the hypothesis of a lower risk of marginalisation for carers in Sweden: Swedish carers face a far lower risk of exclusion from the labour market, a lower risk of financial marginalisation, are less likely affected by health impairments and face a lower risk of social isolation compared to German carers.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsklärungen
3 „Exklusion“, „Underclass“ und „soziale Ausgrenzung“ – Ursprung, Entwicklung und Verschränkung
4 Soziale Ausgrenzung im politischen- und sozialwissenschaftlichen Diskurs
5 Soziale Ausgrenzung und pflegende Angehörige
6 Institutionelle, politische und ideologische Rahmenbedingungen familiärer Pflege
6.1 Angehörigenpflege und die Europäische Union
6.2 Wohlfahrtsstaatsregime
6.3 Familialismus
6.4 Nähe zum Ernährermodell
6.5 Altern und Versorgungsbedürftigkeit als „gendered process“
6.6 Versorgungsoptionen
6.7 Soziale Rechte
7 Familiäre Pflege: Deutschland und Schweden im binationalen Vergleich
7.1 Deutschland: Familiäre und gesellschaftliche Verantwortung für die pflegerische Versorgung
7.1.1 Pflegeversicherung als universale Teilkaskoabsicherung
7.1.2 Leistungen für Hilfe- und Pflegebedürftige
7.1.3 Leistungen für pflegende Angehörige
7.1.4 Versorgungsarrangements
7.2 Schweden: Umfassende Versorgung als universelles Staatsbürgerrecht
7.2.1 Wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen und Auswirkungen auf die häusliche Pflege
7.2.2 Versorgungsethik und Leistungsspektrum für Pflegebedürftige
7.2.3 Leistungen für pflegende Angehörige
7.2.4 Versorgungsarrangements
7.3 Merkmale pflegender Angehöriger in Deutschland und in Schweden
7.3.1 Soziodemografische Daten pflegender Angehöriger
7.3.2 Zeitlicher Versorgungsaufwand und Dauer der Pflegeverhältnisse
7.4 Beweggründe für die Übernahme einer familiären Versorgungstätigkeit und gesellschaftliche Normen
8 Befunde zur Marginalisierung und sozialen Ausgrenzung pflegender Angehöriger
8.1 Teilhabe am Erwerbsleben
8.1.1 Vereinbarkeit von Angehörigenpflege und Berufsleben
8.1.2 Care-Arbeitsmarkt
8.2 Versorgungskosten und ökonomische Belastung pflegender Angehöriger
8.2.1 Monetäre Aufwendungen
8.2.2 Monetäre Aufwendungen und indirekte Kosten bei der familiären Pflege von Alzheimerpatienten
8.2.3 Folgekosten für Angehörige
8.2.4 Subjektive finanzielle Auswirkungen
8.3 Ausgrenzung in weiteren Dimensionen
8.3.1 Situation in Deutschland
8.3.2 Situation in Schweden
8.4 Gesundheitszustand pflegender Angehöriger
9 Resümee und Ausblick
10 Quellenangaben
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Wohlfahrtsstaatsregime-Typen nach Esping-Andersen
Tabelle 2: Gesetzliche Verpflichtung zur Angehörigenpflege und professionelles Pflegeniveau
Tabelle 3: Monatliche Leistungen der Pflegeversicherung (SGB XI) nach Pflegestufen, Angaben in Euro
Tabelle 4: Dienstleistungen für pflegende Angehörige in Deutschland
Tabelle 5: Häusliche Hilfe- und Pflegearrangements in Deutschland, Angaben in Prozent
Tabelle 6: Häusliche Versorgungsarrangements in Schweden, Angaben in Prozent
Tabelle 7: Geschlecht der pflegenden Angehörigen, Angaben in Prozent
Tabelle 8: Beziehung des pflegenden Angehörigen zur Pflegeperson, Angaben in Prozent
Tabelle 9: Durchschnittlicher wöchentlicher Pflege- und Versorgungsaufwand durch Angehörige in Deutschland, Angaben in Stunden
Tabelle 10: Durchschnittliche Dauer der Angehörigenpflege, Angaben in Monaten
Tabelle 11: Erwägung der Pflegeperson, den pflegebedürftigen Angehörigen in ein Heim zu geben, Angaben in Prozent
Tabelle 12: Hauptgrund, die Betreuung des Angehörigen zu übernehmen, Angaben in Prozent
Tabelle 13: Beschäftigungssituation pflegender Angehöriger in Deutschland und Schweden, Angaben in Prozent
Tabelle 14: Grund der Beschäftigungslosigkeit pflegender Angehöriger in Deutschland und Schweden, Angaben in Prozent
Tabelle 15: Restriktionen auf das Arbeitsleben nicht arbeitender Pflegepersonen aufgrund der Angehörigenpflege, Angaben in Prozent
Tabelle 16: Verteilung (zusätzlicher) selbst/nicht selbst finanzierter Pflegedienste in Deutschland nach Nettohaushaltseinkommen im Jahr 2002, Angaben in Prozent
Tabelle 17: Art der zusätzlichen finanziellen Kosten für pflegende Angehörige, die aus der Pflegesituation resultieren, in Prozent
Tabelle 18: Geschätzter Pflegeaufwand und monatliche Kosten pflegender Angehöriger von demenziell erkrankten Menschen nach MMSE- Klassen
Tabelle 19: Häufigkeit finanzieller Belastung pflegender Angehöriger in Deutschland und Schweden, Angaben in Prozent
Tabelle 20: Subjektiver Gesundheitsstatus pflegender Angehöriger in Verbindung mit dem Durchschnittsalter und den Durchschnittspflegestunden
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Dimensionen des Wandels in der Pflege
Abbildung 2: „Eckdaten“ der Pflegestatistik 2007
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Länderkürzel nach ISO 3166-11
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Der Altersstrukturwandel stellt uns vor enorme Herausforderungen. Im Zuge des dreifachen Alterns (TEWS 1994: 42f.) der Gesellschaft wird es mehr ältere Menschen geben. Zusätzlich vollzieht sich eine exorbitante Steigerung der Hochaltrigkeitsrate. Im Zeitraum zwischen 1950 und 1985 erhöhte sich beispielsweise der Anteil der 75- 80-Jährigen um 154% in der alten Bundesrepublik. Demgegenüber wuchs die Grup- pe der über 95-Jährigen um 2140% an (a. a. O. 43). Dies ist insofern problematisch, als das hohe Alter mit einem Anstieg des Risikos chronischer Erkrankungen und der Multimorbidität sowie einer exponentiellen Zunahme der Demenzprävalenz einher- geht (vgl. BACKES/CLEMENS 2003: 106). Damit steigt das Risiko der Hilfe- und Pfle- gebedürftigkeit für eine größere Anzahl von Menschen.
Tatsächlich altert die Gesellschaft nicht nur absolut, sondern auch relativ. Betrug der „Altenquotient“2 in der Europäischen Union im Jahr 1998 noch 38,6, wird er – so- fern die Prognosen unter den vorausgesetzten Szenarien zutreffen - im Jahr 2050 82,8 betragen (BIRG 2004: 24).
Diese Proportionsverschiebung reflektiert eine steigende Anzahl von Menschen, die dem Risiko ausgesetzt sind, versorgungsbedürftig zu werden. Gleichzeitig nimmt der Teil derer ab, die die Grundlage für diese Versorgung schaffen, sei es in Form von Beiträgen für das soziale Sicherungssystem oder in Form von instrumenteller Hilfe – also der Betreuung und Pflege.
Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Folge werden die demografischen Ver- änderungen zu einem steigenden Bedarf an häuslicher Pflege führen. Eine Trans- formation traditioneller Familienstrukturen, gesteigerte Mobilität und zunehmende Arbeitsmarktpartizipation von Frauen gehen jedoch mit einer Verringerung des familiären Pflegepotenzials einher (vgl. WHO 2008: 3f.).
Vor diesen Hintergründen wird hierzulande die Auffassung vertreten, dass die Fami- lie das größte Potenzial habe, die Versorgung der Pflegebedürftigen zu übernehmen (BMFSFJ 2002: 193f). Deshalb sei es „erstes Gebot“ (ebd.), die familiäre Pflege auch für die Zukunft aufrechtzuerhalten und sie bei der Versorgung zu unterstützen.
Angehörigenpflege kann einerseits als Bereicherung aufgefasst werden. Rund drei Viertel der Befragten einer internationalen Studie geben an, dass sie die Pflegetätig- keit übernommen haben, weil ihnen die Betreuung ein „gutes Gefühl“ (KOFAHL 2008: 38) gibt. Eine andere Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass familiäre Pflege mit einem verstärkten Persönlichkeitswachstum einhergeht (vgl. LEI- POLD/SCHACKE/ZANK 2006). Demgegenüber stellt die Versorgung von An- gehörigen eine sehr herausfordernde Tätigkeit dar, die starke Belastungen mit sich bringt.
In der vorliegenden Arbeit sollen Problemlagen pflegender Angehöriger beleuchtet werden. Als Zugang wurde das Konzept sozialer Ausgrenzung gewählt. Dies hat mehrere Gründe: Der Ansatz erfreut sich zunehmender Popularität. Erst vor weni- gen Jahren wurde er von BLACKMAN et al. (2001) auf die Situation älterer, ver- sorgungsbedürftiger Menschen übertragen. Das CARMA-Projekt knüpfte daran an und hatte dabei primär die Situation der Pflegebedürftigen im Blick (vgl. EGGER DE CAMPO/BAUMGARTNER/JUST 2005; THEOBALD 2008a). Eine ausgedehnte Aus- einandersetzung mit der Situation pflegender Angehöriger durch den Ausgrenzungs- ansatz ist bislang nicht erfolgt.
Ein weiterer Grund liegt in der Natur des Konzeptes. Es handelt sich um einen mul- tidimensionalen Ansatz, der berücksichtigt, dass sich Benachteiligungen in unter- schiedlichen Dimensionen kumulieren, sodass die Betroffenen am Ende gesellschaft- liche Isolation erleiden (KRONAUER 1997: 39). Durch den prozesshaften Charakter geht die Analyse von Problemen über eine „Momentaufnahme“ hinaus. Ein weiterer Vorzug des Ansatzes liegt in dem Umstand, dass nicht vom individuellen Versagen der Betroffenen ausgegangen wird. Man schließt sich nicht selbst aus, sondern wird sozial ausgegrenzt. Dabei hindern Barrieren, welche von den Mächtigeren errichtet wurden, die Ausgeschlossenen an der Teilhabe (BLACKMAN 2001: 162).
Das Hauptinteresse gilt der Situation in Deutschland. Allerdings variieren die Rah- menbedingungen erheblich zwischen den mediterranen, kontinentaleuropäischen und skandinavischen Ländern, wobei in den zuletzt genannten die günstigsten Voraus- setzungen für die Pflege von Angehörigen bestehen. Deshalb werden die hierzulande vorherrschenden Verhältnisse der Situation in Schweden, als Repräsentant der skan- dinavischen Länder, gegenübergestellt.
Im sechsten Kapitel erfolgt eine Auseinandersetzung mit politischen, institutionellen und ideologischen Rahmenbedingungen. Hier sollen Barrieren identifiziert und deren Auswirkungen auf familiäre Pflegepersonen älterer Menschen aufgezeigt werden. Kapitel sieben knüpft an diese theoretische Auseinandersetzung an und sucht die Frage zu klären, ob die Rahmenbedingungen, wie sie in der Literatur beschrieben werden, noch zutreffen. Hier wird auch gezeigt, durch welche konkreten Mittel (z. B. Normen oder Gesetze) Rahmenbedingungen ausgestaltet sind.
Schließlich erfolgt im achten Kapitel eine Überprüfung, ob die Rahmenbedingungen tatsächlich Inklusion oder Exklusion pflegender Angehöriger zur Folge haben. Hier- für werden quantitative und qualitative Daten im Rahmen von Sekundäranalysen herangezogen. Die methodische Vorgehensweise lehnt sich damit an den Tri- angulationsansatz. Dabei wird ein Phänomen wie bei der Geodäsie (Vermessungs- wesen) aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Im Fall der Sozialforschung geht es um die Verwendung verschiedener Quellen und Methoden (vgl. FLICK 2008: 11f.).
2 Begriffsklärungen
In der vorliegenden Arbeit wird immer wieder von „Pflege“ die Rede sein. PFAU- EFFINGER, OCH und EICHLER (2008: 89) verbinden drei unterschiedliche Konzepte mit dem Pflegebegriff: Zum Ersten kann „Pflege“ auf im medizinischen Sinn kör- perbezogene Tätigkeiten verweisen. Zweitens bezieht sich der Ausdruck auf ein Konzept, das neben der genannten Tätigkeit auch Unterstützung bei der Bewältigung des Alltages umfasst. Drittens lässt sich ein noch ausgedehnteres Konzept abgrenzen: Im Englischen wird es als „social care“ bezeichnet. Hier wird dem Umstand Rech- nung getragen, dass Pflegearbeit zusätzlich auf sozialen Bindungen beruht. „Pflege“ meint damit auch emotionale Unterstützung.
Um die Situation von Menschen, die sich um ältere Familienmitglieder kümmern, zu analysieren, erweist es sich als sinnvoll, einen ausgedehnten Pflegebegriff zu ver- wenden. Aus einer schwedischen Studie geht hervor, dass bereits wöchentliches Kontaktieren pflegebedürftiger Angehöriger (um Problemen vorzubeugen) signi- fikant mit einer niedrigeren Lebensqualität der Pflegepersonen korreliert (vgl. EK- WALL/SIVBERG/HALLBERG 2004). Deshalb umfasst der Pflegebegriff in der vor- liegenden Ausarbeitung alle genannten Tätigkeiten.
Von dieser offenen Begriffsbestimmung lässt sich nicht ableiten, wer mit „Pflege- person“ gemeint ist. Nach deutschem Sozialrecht gilt als „Pflegeperson“, wer „pflegebedürftige Personen“ nicht erwerbsmäßig in deren häuslichen Umgebung pflegt (§ 19 SGB XI). Pflegebedürftig ist, wer „wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die ge- wöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße .. der Hilfe“ (§ 14 SGB XI) bedarf.
Diese engen Definitionen bringen zwei Nachteile mit sich: Sie schließen alle Perso- nen aus, die sich um Angehörige kümmern, jedoch nicht oben genannte Kriterien erfüllen. Außerdem haben die Begriffe keine internationale Gültigkeit. Somit lassen sich die Umstände der nach deutschem Sozialrecht definierten Gruppe der „Pflege- personen“ nicht mit solchen aus anderen Ländern vergleichen. Nachfolgend werden häufig internationale Vergleiche, hauptsächlich zwischen Deutschland und Schwe- den, gezogen. Diese basieren überwiegend auf Publikationen des EUROFAMCARE- Projektes3. Hier wurde „family care“, also „familiäre Pflege“ oder „familiäre Für- sorge“, als eine Situation definiert, bei der „Care and / or financial support [is] provided by a family member for a person 65 years of age or over needing at least 4 hours of personal care or support per week, at home or in a residential care institution“ (MESTHENEOS/TRIANTAFILLOU 2005: 18).
Der in der vorliegenden Arbeit präferierte Ausdruck für Personen, die ältere Famili- enmitglieder versorgen, ist „pflegende Angehörige“4. Analog dazu werden Begriffe wie beispielsweise „familiäre Pflegepersonen“ verwendet. Dem Inhalt des Ex- klusionsbegriffs sind zwei eigenständige Kapitel (4 und 5) gewidmet. Das nächste Kapitel befasst sich mit der Entstehung und Verbreitung des Exklusionskonzeptes.
3 „Exklusion“, „Underclass“ und „soziale Ausgrenzung“ – Ursprung, Entwicklung und Verschränkung
„Exklusion“5 beschrieb ursprünglich verschiedene Ausprägungen sozialer Be- nachteiligungen und war nur auf nationaler Ebene von Bedeutung (BÖHNKE 2006: 21).
In der französischen Literatur wurde der Exklusionsbegriff bereits in den 60er-Jahren verwendet. Dessen Inhalt unterschied sich jedoch wesentlich vom heutigen Ex- klusionsverständnis. Er bezog sich auf Menschen, die nicht am materiellen Auf- schwung der 60er-Jahre teilhatten (KRONAUER 2002: 40).
Mit der Massenarbeitslosigkeit in den 70er-Jahren sowie deren strukturellen Ver- festigung im darauffolgenden Jahrzehnt rückte er ins Bewusstsein der französischen Öffentlichkeit und wurde mit wesentlichen Elementen besetzt, die bis in die heutige Debatte hineinreichen: „Les exclus“ wurden von nun an nicht mehr als „Unan- gepasste“ beachtet und Armut sowie Arbeitslosigkeit wurden nicht mehr als individuelles Versagen begriffen. Außerdem wurde erkannt, dass Wirtschafts- wachstum alleine die Arbeitslosigkeit nicht besiegen kann (a. a. O.: 40f.).
Die Diskussion um Exklusion in Frankreich vollzog sich im Kontext des nationalen Selbstverständnisses und umfasste Perspektiven der Integration und Solidarität. Sie bezog sich beispielsweise auf Chancen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt und soziale Absicherung (BÖHNKE 2006: 22). Überdies herrschte in der französischen Politik Einigkeit darüber, dass soziale Gerechtigkeit mehr als die Absicherung absehbarer Risiken impliziert:
„The welfare state must bind itself to the ethical and cultural values that define citizenship not only in the form of rights, but as a particular relation to ‚the other’” (SILVER 1994: 533 zit. n. BÖHNKE 2006: 22).
Parallel zur französischen Diskussion vollzog sich in den USA ein Diskurs um „Un- derclass“. In den 60er-Jahren wurde „diese scheinbar ‚amerikanischste’ aller Kate- gorien, in denen Ausgrenzung erörtert wird“ (KRONAUER 2002: 53), von Gunnar Myrdal, einem Schweden, eingeführt.
Innerhalb der amerikanischen Debatte lassen sich zwei Entwicklungsstränge unter- scheiden: Einerseits eine verhaltensorientierte Lesart, welche auf eine „Tradition der Be- und Verurteilung der Armut“ (a. a. O.: 58) zurückgeht.6 Demgegenüber „erlebte jedoch auch die strukturorientierte, vom ‚sozialen Bewusstsein’ der wohlfahrtsstaat- lichen Tradition geprägte Variante des Underclass-Begriffs eine Renaissance“ (a. a. O.: 59). Diese berücksichtigt eine Abhängigkeit von Teilhabe am Arbeitsmarkt und sozialer Nahbeziehung (a. a. O.: 62). Damit geht dieser Strang des „Underclass“- Konzeptes mit einem Grundgedanken von Exklusion konform.7
Die Europäische Gemeinschaft griff die französische Initiative auf. Durch For- schungsförderung und Programmatik erlangte das Exklusionskonzept weitere Popu- larität (KRONAUER 1999: 7).
1989 wurde die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung zum ersten Mal in der Präambel der Europäischen Sozialcharta erwähnt. Im darauffolgenden Jahr wurde das „Euro- pean Observatory on Policies to Combat Social Exclusion” gegründet (BÖHNKE 2006: 23).
Im dritten Armutsprogramm8 der Europäischen Union wandelte sich der Fokus ge- genüber den vorangegangenen Initiativen von ungenügendem Einkommen hin zu einem explizit mehrdimensionalen Charakter. Auch das soziale Integrationsdefizit weniger begünstigter Gruppen wurde akzentuiert. Im Zuge dessen wurde der Begriff der „sozialen Ausgrenzung“ dem Armutsbegriff zur Seite gestellt (BÖHNKE 2006: 22f.).
Im März 2000 verabschiedete der Europäische Rat in Lissabon das strategische Ziel, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirt- schaftsraum in der Welt“ (EUROPÄISCHER RAT 2000: 2) zu machen. Die Maßnahme zum Erreichen dieses Ziels wird als „Lissabon-Strategie“ bezeichnet. Sie soll unter anderem die Förderung der sozialen Integration durch Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung voranbringen (a. a. O.: 11). Die Maßnahme beruht auf der so- genannten „Offenen Methode der Koordinierung (OMK)“.9
Das europäische Parlament und der Rat der Union beschlossen im Dezember 2001 ein „Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung der Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung“ (vgl. EUROPÄISCHES PARLAMENT und RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 2002). Im März 2005 erfolgte eine grundlegende Neugestaltung der Lissabon-Strategie. Die Förde- rung des sozialen Zusammenhaltes unter Beibehaltung des mehrdimensionalen An- satzes sollte jedoch fortgesetzt werden (vgl. RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 2006: 23f.). Eine neue komplexe Gesamtstrategie zur Beschäftigung und sozialen Solidari- tät „PROGRESS“ sollte von nun an zum Erreichen der Lissabonziele beitragen (vgl. EUROPÄISCHES PARLAMENT und RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 2006). In dieses Programm wurde die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung integriert (vgl. ebd.).10 In- nerhalb PROGRESS, das noch bis Ende 2013 laufen soll, hat die Bekämpfung sozia- ler Ausgrenzung einen hohen Stellenwert. Denn dem zuständigen Sektor11 wurden die meisten finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt (vgl. EUROPÄISCHES PARLAMENT und RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 2006: 7).
Hierzulande entwickelte sich die Diskussion um Ausgrenzung synchron, jedoch un- abhängig von der französischen Debatte (KRONAUER 2002: 33). Erstmalige Ver- wendung fand der Ausgrenzungsbegriff in dem Diskurs um „neue Armut“. Hier ging es um die „rechtliche Ausschließung von Arbeitslosen aus der Arbeitslosen- versicherung .., damit einhergehend aber zugleich die soziale Ausgrenzung infolge von Stigmatisierung, die sich aus dem Bezug von Sozialhilfe ergab“ (ebd.). Im ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wurde von „sozialer Aus- grenzung“ gesprochen. Der Begriff fungierte als Synonym für „Armut“12 (BÖHNKE 2006: 25), wobei die beiden Konzepte noch immer in enger Verbindung zueinander stehen: Im sozialpolitischen Diskurs gilt das Armutsrisiko beispielsweise als Indikator für Teilhabe (vgl. BMAS 2008: 48).
Aufgrund der vielschichtigen Verwendungsweise sei nun näher auf das Aus- grenzungskonzept eingegangen, um es dann als analytische Kategorie zur Situation pflegender Angehöriger nutzbar zu machen.
4 Soziale Ausgrenzung im politischen- und sozialwissen- schaftlichen Diskurs
Nach STRENGMANN-KUHN (2007: 277f.) wird „soziale Ausgrenzung“ im politischen Diskurs auf der EU-Ebene oft mit „Armut“ gleichgesetzt. Jedoch wird hervor- gehoben, dass soziale Ausgrenzung als zeitlicher Prozess zu verstehen ist und dass es sich zusätzlich um ein mehrdimensionales Phänomen handelt. Um den prozesshaften Charakter zu akzentuieren, wird nicht wie im Zusammenhang von „Armut“ von einer „Einkommensarmutsgrenze“ ausgegangen. Stattdessen wird diese als „Armuts- risikogrenze“ bezeichnet. Denn ein niedriges Einkommen zu einem bestimmten Zeitpunkt ist kein determinierendes Kriterium für „soziale Ausgrenzung“, sondern für „Armut“. Das politische Vokabular beinhaltet darüber hinaus den Begriff des „dauerhaften Armutsrisikos“, der den Anteil der Bevölkerung misst, dessen Ein- kommen sich in drei aufeinanderfolgenden Jahren unterhalb der Armutsrisikogrenze beläuft. Im Zusammenhang der Multidimensionalität werden neben dem Ein- kommen auch Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung berück- sichtigt.
In den Sozialwissenschaften wird über den Inhalt des Exklusionsbegriffs eine kon- troverse Debatte geführt. KRONAUER erachtet es deshalb als angemessen, ihn als eine „erkenntnisleitende Metapher [..] der sozialen Transformation“ (Katz 1993: 440 zit. n. KRONAUER 1997: 31) anzusehen. Inhaltlich steht das Exklusionskonzept in enger Verbindung mit den Begriffen „Zentrum“ und „Peripherie“ (KRONAUER 1997: 31).
„Das ‚Zentrum’ zeichnet sich aus durch eine Konzentration von Kräften und Res- sourcen, die ‚Peripherie’ durch Kräftezersplitterung und Ressourcenmangel“ (KRE- CKEL 1992: 41ff. zit. n. KRONAUER 1997: 32)..Exklusion ist die Folge der Peripheri- sierung. Denn Letztere reicht „bis hin zum gänzlichen Ausschluß“ (LUHMANN 1995: 148 zit. n. KRONAUER 1997: 39).13
Exklusion, verstanden als Prozess, meint damit eine fortlaufende Machtverschiebung zum Nachteil einer Partei (KRONAUER 2002: 149).
Ausgegrenzte können ihr Überleben nur durch sozialstaatliche Mittel oder Partizipa- tion an der informellen Ökonomie sichern (KRONAUER 1997: 32).
Ein wichtiges Merkmal des Ansatzes besteht in der Relationalität (ebd.). Die Denk- figur der „Marginalisierung“ erlaubt es, den Dualismus von „drinnen“ und „draußen“ zugunsten einer detaillierten Positionsbestimmung aufzulösen (BÖHNKE 2006: 55).
Eine weitere bedeutsame Grundannahme ist, dass sich die Benachteiligungen in ein- zelnen Dimensionen kumulieren, sodass die Betroffenen gesellschaftliche Isolation erleiden (KRONAUER 1997: 39; THEOBALD 2005: 163f.). Im Einzelnen unterscheidet KRONAUER (1997: 39-43) folgende zentrale Dimensionen, in denen sich soziale Aus- grenzung abzeichnet:
Ausgrenzung am Arbeitsmarkt zeigt sich durch einen dauerhaft verwehrten Zu- gang zu oder eine versagte Rückkehr in formelle Erwerbsarbeit. Ökonomische Aus- grenzung manifestiert sich durch starke finanzielle Einbußen und bedeutet „arm“ zu sein. Sie tritt ein, wenn die Betroffenen nicht mehr fähig sind, im formellen Erwerbs- system für ihren Unterhalt zu sorgen, und von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen ab- hängig werden. Kulturelle Ausgrenzung bedeutet, dass die Betroffenen ihren eige- nen Werten und Lebensentwürfen nicht mehr folgen können und keine Möglichkeit mehr haben, Verhaltensweisen, die von der Gesellschaft anerkannt sind, nachzu- kommen. Ausgrenzung durch gesellschaftliche Isolation steht in Zusammen- hang mit der Reichweite, aber auch mit der Güte zwischenmenschlicher Beziehungen und wirkt sich wesentlich auf die Identität der Betroffenen aus. Ferner steht sie in Zusammenhang mit der ökonomischen Ausstattung. Sie kann sich in Richtung Ver- einzelung oder Gruppen- und Milieubildung vollziehen. Räumliche Ausgrenzung ist eng mit gesellschaftlicher Isolation verbunden und vollzieht sich, wenn Menschen in einer identischen oder vergleichbaren Lage räumlich isoliert werden. Sie forciert ähnliche Lebensweisen der Betroffenen. Institutionelle Ausgrenzung ist gegeben, wenn sich staatliche, aber auch privatwirtschaftlich organisierte Dienstleister aus der Versorgung der Ausgegrenzten zurückziehen.
BÖHNKE (2006: 82) kritisiert, dass KRONAUER die gesundheitliche Dimension außer Acht lässt, da Gesundheit eine Grundvoraussetzung für Teilhabe am gesellschaft- lichen Leben und dem Arbeitsmarkt darstellt.
Neben anderen Aspekten zeigen WHELAN und WHELAN (1995) anhand der Fakto- ren „Armut“ und „Krankheit“ exemplarisch auf, dass die bloße Identifikation ver- schiedener Dimensionen nicht automatisch zu einem Verständnis sozialer Aus- grenzung führt. Denn Armut kann aus Krankheit resultieren und umgekehrt. „It is therefore crucial to develop a more differentiated understanding of where poverty arises, how it can be described and what are its consequences“ (a. a. O.: 46).
SEN (2000: 9) kritisiert, dass die Sprache um Exklusion so anpassungsfähig ist, dass man in Versuchung geraten könnte, jede Art von Benachteiligung als soziale Aus- grenzung zu bezeichnen.
Außerdem herrscht Uneinigkeit beim Verhältnis von „social exclusion“ zu den etab- lierten Konzepten „Armut“ und „soziale Ungleichheit“: Einerseits besteht die Auf- fassung, dass „soziale Ausgrenzung“ die beiden etablierten Konzepte ergänzt. Dem- gegenüber wird die Meinung vertreten, dass das Ausgrenzungskonzept die Ansätze ersetzt (THEOBALD 2005: 162).
Trotz Kritik und Inkohärenz gewann das Konzept sozialer Ausgrenzung in politi- schen und wissenschaftlichen Diskussionen zunehmend an Bedeutung, vor allem als Analyseinstrument verschiedener Prozesse der sozialen Differenzierung (THEOBALD 2008a: 161). Im Jahr 2001 wurde das Konzept auf das Alter und die Frage nach einer adäquaten Versorgung pflegebedürftiger Menschen übertragen (vgl. BLACKMAN et al. 2001). Diese Weiterentwicklung, aber auch Beiträge weiterer Autoren flossen im Kontext des EU-Projektes „Care For The Aged At Risk Of Marginalisation (CAR- MA)“14 in ein konzeptionelles Rahmenwerk, zur Analyse sozialer Ausgrenzung im Kontext der Versorgung älterer Menschen ein (vgl. z. B. THEOBALD 2008a). In des- sen Rahmen wurde auch auf die Lage pflegender Angehöriger Bezug genommen.
Allerdings setzte sich die Studie primär mit dem Wohlergehen pflegebedürftiger Menschen auseinander. Eine extensive Auseinandersetzung mit der Situation pfle- gender Angehöriger durch das Ausgrenzungskonzept ist bislang nicht erfolgt.
5 Soziale Ausgrenzung und pflegende Angehörige
Aufgrund der inkohärenten Verwendungsweise weist BÖHNKE (2006: 90) darauf hin, dass das Ausgrenzungskonzept spezifiziert werden muss, sofern es als analytische Kategorie verwendet wird. Ihr zufolge lassen sich zwei unterschiedliche Stoß- richtungen für die Verwendung „sozialer Ausgrenzung“ unterscheiden:
Einerseits fungiert das Konzept als neues Interpretationsmuster sozialer Be- nachteiligung, dem die Annahme einer sich polarisierenden Gesellschaft sowie einer „Verunsicherung der Mittelschicht“ (a. a. O.: 21) zugrunde liegt, die vor sozialer De- generation nicht mehr geschützt ist. Demgegenüber ist soziale Ausgrenzung „als Umschreibung für diverse Ausprägungen sozialer Benachteiligung gebräuchlich und be- nennt damit ein erweitertes, - mehrdimensionales und mit gesellschaftlichen Teilhabechancen verknüpftes - Verständnis von Armut“ (ebd.).15
In der vorliegenden Arbeit soll die Situation pflegender Angehöriger untersucht wer- den. Soziale Ausgrenzung als analytische Kategorie bezieht sich dabei auf die zuletzt genannte Lesart. Hierfür werden KRONAUERS (1997: 39-43) Dimensionen (vgl. Kapi- tel 4) herangezogen und überprüft, inwiefern pflegende Angehörige innerhalb dieser teilhaben können oder ausgeschlossen werden.
Mitunter sind KRONAUERS Ausschlusskriterien eng definiert. Ökonomische Aus- grenzung kommt zum Beispiel durch „Armut“ zum Ausdruck (a. a. O.: 39). Be- nachteiligungen manifestieren sich jedoch auch jenseits des „Draußen“ und wirken sich, insbesondere wenn sie sich in mehreren Dimensionen kumulieren, negativ auf die Situation der pflegenden Angehörigen aus. Somit ist es sinnvoll, die Denkfigur der „Marginalisation“ in die Analyse einzubeziehen.
Im Zusammenhang sozialer Ausgrenzung stehen auch gesundheitliche Defizite. Sie können entweder als Ursache (wenn z. B. eine Behinderung am Arbeitsmarkt zu ei- ner Benachteiligung führt) oder als Konsequenz (z. B. Krankheit als Folge schlechter Arbeitsbedingungen) auftreten (vgl. BÖHNKE 2006: 91). Damit muss auch gefragt werden, ob und ggf. unter welchen Bedingungen familiäre Pflege negative Aus- wirkungen auf den Gesundheitszustand der Pflegepersonen hat.
Den Mittelpunkt der Ausgrenzungsdebatte bilden Strukturwandel und „gesellschaft- liche Verhältnisse“ (a. a. O.: 55). Darunter lassen sich ideologische Aspekte sub- sumieren wie etwa traditionelle Geschlechtsrollenerwartungen oder vorherrschende Meinungen, wer (Familie versus Staat) die Verantwortung zur Versorgung der älteren Menschen zu tragen hat.
Schließlich gilt es zu betonen, dass das Exklusionskonzept sein Augenmerk nicht nur auf die Situation der Betroffenen legt, sondern ebenfalls auf die Agenturen und Ak- teure der Ausgrenzung (KRONAUER 2002: 47).
6 Institutionelle, politische und ideologische Rahmen- bedingungen familiärer Pflege
Es folgt eine Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen der Angehörigen- pflege. Hier sollen Verhältnisse beschrieben und Akteure identifiziert werden, die bei der Versorgung älterer Menschen involviert sind. Dabei steht die Frage im Vorder- grund, ob die Gegebenheiten und Strukturen einschließend oder sozial ausgrenzend wirken.
6.1 Angehörigenpflege und die Europäische Union
Zuvor wurde gezeigt, dass der Ausgrenzungsdiskurs auf der EU-Ebene angekommen ist. Nun sei die Frage aufgeworfen, ob die Europäische Union einen Einfluss auf die häusliche Pflege und damit auf die Situation der pflegenden Angehörigen ausübt.
Innerhalb der EU wird „Sozialpolitik als Kernbereich nationalstaatlichen Handelns wahrgenommen“ (STUCHLIK/KELLERMANN 2008: 4). Durch die offene Methode der Koordinierung (OMK) übt die EU jedoch Einfluss auf die nationalen Sozialpolitiken aus. Das Instrument besteht aus vier komplementären Elementen:
I. Definition gemeinsamer Ziele; II. Festlegung von Benchmarks; III. Umsetzung der Richtlinien auf nationaler und regionaler Ebene; IV. Regelmäßige Evaluation, Peer- Reviewing, Monitoring (KERN/THEOBALD 2006: 274).
Grundsätzlich soll durch die OMK ein offener Diskurs stattfinden, der die EU- Sozialpolitik aufwertet (vgl. HEMERIJCK 2003: 211; STUCHLIK/KELLERMANN 2008: 14). Benchmarking und Monitoring sollen die Mitgliedsstaaten motivieren, innovative Strategien zu erarbeiten. Damit nimmt die EU Einfluss auf die Sozialpolitik, ohne die Kompetenzen der Mitgliedsländer anzutasten (HEMERIJCK 2002: 210f.).16 Weil keine formale Verbindlichkeit besteht, wird die OMK auch als „soft-law“ bezeichnet (vgl. STUCHLIK/KELLERMANN 2008: 14).
Allerdings wird die OMK für einige Defizite (vgl. HEMERIJCK 2002: 211f.) und Ein- schränkungen kritisiert. So unterliegt etwa das grundsätzlich offene Diskussions- spektrum erheblichen Restriktionen. Denn die Lissabon-Strategie soll die EU wett- bewerbsfähig machen. Deshalb ist das Hauptaugenmerk auf wettbewerbsfördernde und marktschaffende Sozialpolitik gerichtet (STUCHLIK/KELLERMANN 2008: 14). Der Rat der Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) ist das zentrale Gremium der wirt- schaftspolitischen Koordinierung und hat in der Vergangenheit einen fundamentalen Einfluss auf die politische Agenda und die Ausweitung der OMK-Themen ge- nommen (ebd.).
Neben der OMK ermöglichen länderübergreifende Forschungsprojekte einen Aus- tausch auf internationaler Ebene. Beispielsweise im 5. Rahmenprogramm der EU erfolgte medizinische und soziale Forschung zum Schwerpunkt Altern (KERN/THEOBALD 2006: 306). In deren Rahmen wurde auch das EUROFAMCARE-Projekt durchgeführt. Dieses leistete einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung von EUROCARERS (DÖHNER et al. 2007: 13), einer Dach- organisation zur Interessenvertretung pflegender Angehöriger auf europäischer Ebene.
Künftig können sich von den Mitgliedsländern gemeinsam vereinbarte Strategien auf die Situation pflegender Angehöriger auswirken (vgl. PFLÜGER 2005: 21-30). Ein zentraler Bereich betrifft beispielsweise die Arbeitsmarktteilhabe von Frauen. Das Europäische Sozialmodell erkennt gleiche Chancen für alle an. Dies impliziert auch eine Genderdimension (vgl. a. a. O.: 27).
6.2 Wohlfahrtsstaatsregime
Im kapitalistischen Wirtschaftssystem erfahren die Lohnarbeiter eine Erosion traditi- oneller gemeinschaftlicher und solidarischer Sicherungssysteme wie der Familie, Ge- meinde oder Kirche. Die Menschen müssen für ihren Lebensunterhalt ihre Arbeits- kraft verkaufen. Bis zur Einführung sozialstaatlicher Sicherungssysteme mussten auch alle Reproduktionsbedürfnisse individuell finanziert werden, was insbesondere im Fall der armen Lohnarbeiterschaft oft nicht möglich war. Durch die Entkommo- difizierung17 der Dienstleistungen verringert sich die Abhängigkeit des Individuums vom Markt. Soziale Rechte ersetzen im entkommodifizierten Sozialstaat die Kauf- kraft des Einzelnen am Markt.
ESPING-ANDERSENS Typologie der „drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ eignet sich, um verschiedene wohlfahrtsstaatliche Regime zu unterscheiden und Stratifizie- rungs- und Stabilisierungsmechanismen zu erklären. Es werden folgende Idealtypen unterschieden:
Tabelle 1: Wohlfahrtsstaatsregime-Typen nach ESPING-ANDERSEN
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: vgl. ESPING-ANDERSEN (2008: 26ff.)
ESPING-ANDERSENS Typologie ist hier insofern von Bedeutung, als angenommen werden muss, dass Wohlfahrtsstaaten mit zunehmendem Entkommodifizierungsgrad einschließend, mit abnehmendem hingegen ausgrenzend wirken. Denn wer um- fassende Leistungen aufgrund sozialer Rechte genießt, wird auch dann nicht in eine marginale Position gelangen, wenn die eigene Leistungsfähigkeit auf dem Markt ein- geschränkt ist. Verschiedene Wohlfahrtsstaaten korrigieren Ungleichheiten nicht nur in stärkerem oder schwächerem Ausmaß. Sie weisen bestimmten Menschen auch einen bestimmten Platz in der sozialen Hierarchie zu (ESPING-ANDERSEN 2008: 23). Stratifizierungsmechanismen können für bestimmte Gruppen in Exklusion münden. Es wird sich zeigen, dass gerade Frauen, die den Großteil der pflegenden An- gehörigen ausmachen, von sozialer Ausgrenzung bedroht sind.
Regimestabilisierende Mechanismen können betonte Ungleichheiten, aber auch egali- sierende Strukturen verfestigen, wie folgendes Beispiel verdeutlicht:
„Perhaps the most salient characteristic of the social democratic regime is its fusion of welfare and work. It is at once genuinely committed to a full-employment guarantee, and entirely de- pendent on its attachment“ (ESPING-ANDERSEN 2008: 28).
Die Abhängigkeit von Vollbeschäftigung begründet sich durch die hohen Kosten für solidarische, universale und hochgradig entkommodifizierte Leistungen, aufgrund derer der Staat auf maximale Steuerzahlungen angewiesen ist (ebd.).18
Für Frauen wirkt das Angebot umfassender Leistungen, wie sie charakteristischer- weise im sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaatsregime erbracht werden, doppelt positiv: „social services both allow women to work, and create a large labor-market within which they can find employment“ (a. a. O.: 159).19 Neben Arbeitsmarkt- partizipation speziell für Frauen setzen die sozialdemokratischen Staaten auf die Ex- pansion des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesens, um Beschäftigungsprobleme trotz eher mittelmäßigem Wirtschaftswachstum zu verhindern (a. a. O.: 223).
Im konservativ-korporatistischen Wohlfahrtssystem werden Frauen hingegen margi- nalisiert, indem sie der häuslichen Sphäre zugeordnet werden und sich um Pflege- tätigkeiten kümmern sollen:
„On the supply-side it is a welfare state built on traditionalist conservative and Catholic prin- ciple of subsidiary, meaning, that women and social services (outside health) belong to the domain of the family” (a. a. O.: 224).
ESPING-ANDERSENS Typologie wird dafür kritisiert, dass die Genderperspektive ungenügend berücksichtigt wird (vgl. ARTS/GELISSEN 2002: 147f.; WERSING 2006: 1; Kulkawik 2005: 7). Beispielsweise LEWIS (1992: 3) bemängelt, dass sich ESPING- ANDERSENS Entkommodifizierungsansatz auf den Zusammenhang zwischen be- zahlter Arbeit, die primär von Männern erbracht wird, und Wohlfahrt bezieht. Der Beitrag, den Frauen zur Wohlfahrt leisten, werde damit außer Acht gelassen. Geschlechtertrennung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, speziell in der Pflege und Hausarbeit, müsse in die Typologie aufgenommen werden (ARTS/GELISSEN 2002: 147; LEWIS 1992: 3). Anlässlich dieser Kritik wird in Kapitel 6.7 auf soziale Rechte, unabhängig des „cash nexus“ (vgl. ESPING-ANDERSEN 2008: 21), eingegangen.
Pflege als „gendered process“ betrachtet, bietet patriarchale Strukturen als Ursache für soziale Ausgrenzung von weiblichen Pflegepersonen. In Kapitel 6.5 wird der Fra- ge nachgegangen, ob eine Hierarchisierung gegenüber Frauen in Deutschland und Schweden gleich stark ausgeprägt ist oder ob sie variiert.
Ein zweiter thematisch bedeutsamer Kritikpunkt bezieht sich auf beträchtliche Un- terschiede, welche zwischen den Staaten bestehen, die im konservativ- korporatistischen Regimetyp zusammengefasst wurden. Dies gilt insbesondere für die Zuschreibung der Pflegeverantwortung zwischen Familie und Staat (vgl. BÖHNISCH et al. 2002: 162; ARTS/GELISSEN 2002: 147). Die Einführung des Familia- lismus-Begriffes erlaubt es, typische Pflegemuster auf internationaler Ebene zu iden- tifizieren und auch graduelle Unterschiede innerhalb des konservativ- korporatistischen Wohlfahrtssystems sichtbar zu machen. Darüber hinaus berück- sichtigt Familialismus den Beitrag der Haushalte zur Wohlfahrtsproduktion jenseits des über Arbeitsmarktintegration geschaffenen Wohlfahrtsniveaus (vgl. DALLINGER/THEOBALD 2008: 89f.).
6.3 Familialismus
„Der ‚Familialismus’ wird als eine wichtige Determinante des Grades, in dem Pflege- bedürftige und ihre Familien mit sozialen Rechten ausgestattet werden, betrachtet“ (DALLINGER/THEOBALD 2008: 89). Er wird an dem Ausmaß ermittelt, in dem Sozi- alpolitik Familien die Verantwortung der Wohlfahrt ihrer Angehörigen zuschreibt (a. a. O.: 90).
DALLINGER und THEOBALD (2008: 89) identifizieren für Europa folgende Länder- gruppen mit unterschiedlichen Familialisierungsgraden:
In südeuropäischen Ländern wird die familiäre und somit private Verantwortung für die Versorgung der Angehörigen akzentuiert. Hilfeleistungen von Diensten werden nur in begrenztem Ausmaß angeboten. Unter Umständen werden Geldleistungen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung familiärer Pflege gewährt.
Die skandinavischen Länder sind de-familialisierend. Hier wird die gesellschaftliche Pflegeverantwortung betont. Ein umfassendes ambulantes und institutionelles Dienstleistungssystem wird zur Verfügung gestellt. Durch staatliche Sub- ventionierung werden diese Leistungen erschwingbar, wodurch deren Inanspruch- nahme gefördert wird. Darüber hinaus können Geldleistungen auf hohem Niveau gewährt werden. Sie sind jedoch eher die Ausnahme.
Beispielsweise Deutschland und Österreich zählen zu Ländern mit ambivalenten Strategien. Hier ist zunächst die Familie für die Versorgung der Angehörigen ver- antwortlich. Der Staat wirkt lediglich unterstützend. Geld- oder Dienstleistungen sind als Wahlleistungen konzipiert. Dies kann zu Familialisierung wie auch De- familialisierung führen. Ersteres ist der Fall, wenn beispielsweise gering qualifizierte, arbeitslose Frauen durch Geldleistungen zur Übernahme familiärer Pflege motiviert werden. Letzteres, wenn zusätzliches ökonomisches Kapital vorhanden ist, mit dem professionelle Dienstleistungen oder solche des grauen Marktes hinzugekauft werden können.
Eine Verantwortungszuschreibung hinsichtlich innerfamiliärer Versorgung kann sich durch rechtliche Rahmenbedingungen manifestieren.20 Gesetzliche Verpflichtung zur Ausübung von Pflegetätigkeiten bzw. deren Finanzierung bestehen gegenüber enge- ren Familienmitgliedern, teilweise auch gegenüber Geschwistern und sind einklagbar. Im Todesfall der pflegebedürftigen Person kann das Erbe zur Deckung der Kosten einbehalten werden (HABERKERN/SZYDLIK 2008: 83f.). Je nach Höhe der über- nommenen Versorgungsverantwortung stellt der Staat Alternativen mit unterschied- lichem Kommodifizierungsgrad zur innerfamiliären Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger bereit. In ihrer Untersuchung zur Pflege der Eltern in elf europäischen Ländern identifizieren HABERKERN und SZYDLIK (2008: 84) hinsichtlich gesetzlicher Verantwortung und der Zurverfügungstellung von Pflegealternativen folgende Län- dercluster:
Tabelle 2: Gesetzliche Verpflichtung zur Angehörigenpflege und professionelles Pflegeniveau
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: vgl. HABERKERN, SZYDLIK (2008: 84)
In den Staaten Österreich, Belgien, Deutschland und Frankreich sowie den süd- europäischen Staaten Spanien, Griechenland und Italien sind „zumindest direkte Verwandte zu Unterstützungsleistungen älterer Angehöriger verpflichtet. Kinder müssen demnach auch dann Unterstützung leisten, wenn die Umstände eher un- günstig sind, sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder eine konfliktreiche Beziehung zu den Eltern haben“ (HABERKERN/SZYDLIK 2008: 84).
In den skandinavischen Ländern bestehen solche Verpflichtungen nicht (vgl. a. a. O.: 2008: 83). Hilfe- und Pflegeleistungen werden unabhängig vom Vorhandensein An- gehöriger auf hohem Niveau gewährt.
Übernimmt die Familie die Pflegetätigkeit, werden Mechanismen wirksam, die dazu führen, dass hauptsächlich Frauen die Pflegetätigkeit ausüben (vgl. Kapitel 6.5).
6.4 Nähe zum Ernährermodell
OSTNER (1995) geht davon aus, dass die Norm des „starken“ Ernährers21 noch im- mer vorhanden ist. Sie gruppiert Staaten nach der Intensität dieser Norm. Ihr Modell überschneidet sich insofern mit dem Familialismusgedanken, als es zum Verständnis der Position der Familie in der Gesellschaft und deren Verantwortung beiträgt. Im Gegensatz zu ESPING-ANDERSENS Typologie betont OSTNERS Modell, dass persön- liche Unabhängigkeit vom männlichen Ernährer als soziales Recht verwirklicht wer- den muss.
Die „Schwäche“ oder „Stärke“ der Norm gibt Auskunft über den Individualisie- rungsgrad von Frauen, der sich zum Beispiel über die Art des Einschlusses in das soziale Sicherungssystem oder den Arbeitsmarkt ausdrückt.
Zum „starken“ Ernährermodell gehören beispielsweise Deutschland, Irland oder die Niederlande. Hier ist die Frauenerwerbsquote niedrig, zudem ist die Berufstätigkeit von Unterbrechungen gekennzeichnet. Soziale Sicherungsleistungen für Frauen sind eng an die Sicherungsleistungen des Mannes gekoppelt. Pflege von Angehörigen wird vorrangig privat erbracht.
In Kontrast dazu steht das „schwache“ Ernährermodell, worunter vor allem die skandinavischen Länder fallen. Frauen wie Männer sollen erwerbstätig sein und ihre eigene Existenz sichern. Verpflichtungen, wie Kinderbetreuung oder Pflege von An- gehörigen, werden von der Öffentlichkeit übernommen. Zudem sind Frauen ver- gleichsweise kontinuierlich beschäftigt.
Der „moderate“ Typus verkörpert eine Mischform, in der Frauen sich zwischen In- dividualisierung und Abhängigkeit vom männlichen Ernährer bewegen.
Der Individualisierungsgrad ist insofern von Bedeutung, als Frauen, die Pflege von Angehörigen übernehmen, je nach Intensität des Ernährermodells einem stärkeren oder schwächeren Ausgrenzungsrisiko ausgesetzt sind.
6.5 Altern und Versorgungsbedürftigkeit als „gendered process“
BACKES, WOLFINGER und AMRHEIN (2008: 137) postulieren, dass Frauen und Män- ner geschlechtsspezifisch vergesellschaftet sind und dies auf einer „subtilen Hierar- chisierung“ beruht. Geschlechtsspezifischer Dualismus im Zusammenhang mit Al- tern und Pflege ist damit nicht auf Naturgegebenheiten zurückzuführen. Stattdessen fungieren „unterschwellige Anforderungen als reale und doch nie förmlich genannte Auslese- und Ausschlussprinzipien“ (BOURDIEU 1982: 176f. zit. n. ebd.). Frauen wer- den also in die Pflegerolle hineingedrängt und haben dadurch geringere Teilhabe- möglichkeiten.
Es stellt sich die Frage, ob diese subtile Hierarchisierung in Deutschland und Schwe- den gleich stark ausgeprägt ist. Die Vermutung liegt nahe, dass in Schweden als sozi- aldemokratischen, de-familialisierenden Land mit einem schwachen Ernährermodell gegenüber Deutschland weniger Frauen in die informelle Pflegerolle gedrängt wer- den. LÜDECKE et al. (2006) bestätigen diese Annahme:
„Frauen scheinen insgesamt einem stärkerem Erwartungsdruck von außen ausgesetzt zu sein als die Männer, da ihnen mehrheitlich die Rolle der Familienmanagerin (und damit der Fami- lienbetreuerin bis hin zur –pflegerin) zugeschrieben wird .. . Dies ist in allen Ländern ähnlich, [jedoch] schwächer ausgeprägt in Schweden“ (a. a. O.: 87).
Damit wird familiäre Pflege und Altern insbesondere in Deutschland zum „gendered process“ (BACKES/WOLFINGER/AMRHEIN 2008: 137ff.) und bedroht Frauen mit sozialer Ausgrenzung, wie folgendes Beispiel von BACKES, WOLFINGER und AMRHEIN (2008: 138) verdeutlicht:
Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung von Männern und Frauen vollzieht sich über den gesamten Lebenslauf hinweg. So weisen Männer in der Regel eine so ge- nannte „Normalerwerbsbiografie“ auf. Diese kommt durch eine relativ kontinuier- liche Beschäftigung zum Ausdruck. Im Alter profitieren sie dann von vergleichsweise hohen Rentenansprüchen, die durch eine ununterbrochene Beschäftigung an- gesammelt werden konnten.
Demgegenüber zeichnet sich die Erwerbsbiografie älterer Frauen durch viele Unter- brechungen aus. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitseinbindung bezog sich ihre Zuständigkeit auf familiäre und private Aufgaben, wie Haushaltsführung, Kin- der- oder Altenpflege. Ihre Erwerbsmöglichkeiten waren damit auf einen Zuver- dienst begrenzt. Deshalb ist es vielen älteren Frauen auch nicht gelungen, aus- reichende Alterssicherungsansprüche zu erwirtschaften, wodurch sie von dem Ein- kommen ihres Mannes beziehungsweise von sozialstaatlichen Leistungen wie etwa der Witwenrente abhängig werden.
Alte Männer haben gegenüber ihren Partnerinnen höhere Chancen, zu Hause ver- sorgt zu werden. Aufgrund des üblicherweise geringeren Alters und der geschlechts- spezifischen Rollenerwartung stehen Frauen häufiger zur Versorgung ihrer Ehe- männer zur Verfügung. Zusätzlich ermöglicht die durch die Normalerwerbsbiografie erworbene finanzielle Ausstattung der Männer, dass Dienstleistungen und Hilfen hinzugekauft werden können.
Auf der anderen Seite sind Frauen aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung und des Altersunterschieds gegenüber ihren Partnern häufiger von Verwitwung betroffen (Singularisierung nach TEWS). Damit stehen ihnen gegenüber den Männern potentiell weniger familiäre Ressourcen zur eigenen Versorgung zur Verfügung. Zudem haben sie aufgrund ihrer materiellen Lage deutlich geringere Möglichkeiten, externe Unter- stützungsleistungen hinzuzukaufen.
Das Beispiel verdeutlicht, wie sich Benachteiligungen für Frauen im konservativ- korporatistischen Wohlfahrtssystem über den Lebenslauf hinweg in verschiedenen Bereichen kumulieren und wie sich eine allmähliche Machtverschiebung vollzieht, sodass sie am Ende eine extrem marginale Position einnehmen.
In Schweden herrschen geringere geschlechtsspezifische Rollenerwartungen vor. Der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat sorgt durch die Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt dafür, dass sie gleichermaßen am Erwerbsleben teilhaben. Zudem ist die Versorgung aufgrund der hochgradig entkommodifizierten Leistungen nicht von den individuellen finanziellen Ressourcen abhängig.
6.6 Versorgungsoptionen
Tritt Pflegebedürftigkeit im Alter auf, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie dieser begegnet werden kann. Zunächst muss die Frage aufgeworfen werden, wer Wohlfahrt produziert. Nach EVERS (1990: 8f.) „welfare triangle“ lassen sich drei In- stitutionen identifizieren, die aktiv zur Wohlfahrtsproduktion beitragen: „state“, „economy“ und „households“.
[...]
1 Vgl. ISO (o. J.).
2 Über 60-Jährige bezogen auf 100 20- bis unter 60-Jährige (BIRG 2004: 24).
3 Es handelt sich um ein internationales Forschungsprojekt, dass im 5. Rahmenprogramm der Eu- ropäischen Union, Key Action 6: The Ageing Population and Disabilities, 6.5: Health and Social Care Services to older People unter der Vertragsnummer QLK6-CT-2002-02647 „EUROFAMCARE“, gefördert wurde. Hier wurden ca. 6000 pflegende Angehörige aus 6 europäischen Ländern befragt (vgl. DÖHNER et al. 2007: 2-12).
4 Der Begriff kann auch nahestehende Personen beinhalten, die nicht zur Familie gehören (vgl. MEYER 2006: 14)
5 „Soziale Ausgrenzung“ stellt das deutsche Äquivalent zu „Exklusion“ dar (vgl. KRONAUER 1999: 7). Beide Begriffe werden hier analog verwendet.
6 Diesem Urteil liegt eine bis ins Mittelalter zurückreichende Unterscheidung von „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen zugrunde und geht mit einer stark konservativen Kritik am Sozialstaat einher (KRONAUER 2002: 58).
7 Für eine differenzierte Beschreibung der gemeinsamen Schnittmenge von „Exklusion“ und „Un- derclass“ vgl. KRONAUER (2002: 71-73).
8 Es handelt sich dabei um das Gemeinschaftsprogramm zur wirtschaftlichen und sozialen Integration der am stärksten benachteiligten Gruppen von 1990-1994 (BÖHNKE 2006: 22f.).
9 In Kapitel 6.1 wird auf die OMK näher eingegangen.
10 Die Ziele, die im Rahmen der OMK für das ausgelaufene Aktionsprogramm definiert wurden, sind für PROGRESS weiterentwickelt worden (vgl. RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 2000: 7-10; EUROPÄISCHES PARLAMENT und RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 2006: 4).
11 Der Sektor „Sozialschutz und soziale Integration“ (Nr. 2) widmet sich der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung. Daneben existieren folgende Sektoren: I Beschäftigung; III Arbeitsbedingungen; IV Nichtdiskriminierung der Vielfalt; V Gleichstellung der Geschlechter (EUROPÄISCHES PARLAMENT und RAT DER EUROPÄISCHEN UNION 2006: 3)
12 Für eine Abgrenzung von „Armut“ und „sozialer Ausgrenzung“ vgl. BÖHNKE (2006: 18ff.); STRENGMANN-KUHN (2007: 227f.).
13 Individuen werden nicht aus der Gesellschaft sondern in der Gesellschaft ausgeschlossen: „Die Ausgegrenzten sind Teil der Gesellschaft, auch wenn Sie nicht an ihr teilhaben“ (KRONAUER 2006: 29).
14 CARMA (QLK6-CT-2002-02341) wurde von der Europäischen Kommission im fünften Rahmen- programm „Quality of Life“ gefördert; die Laufzeit betrug 3 Jahre (CARMA). Das Projekt wurde in Österreich, Belgien, Deutschland, Estland, Italien, Nordirland und Norwegen durchgeführt (EGGER DE CAMPO 2005: 19).
15 Zu Exklusion als Verlust von Teilhabemöglichkeiten vgl. KRONAUER (2002: 44ff.).
16 In dem aktuellen „Nationalen Strategiebericht für Deutschland“, der im Rahmen der OMK von der Bundesregierung erstellt wurde, zeigt Deutschland unter dem mit allen EU-Staaten vereinbarten „Ziel j - Verbesserung des Zugangs“, dass pflegende Angehörige unterstützt werden sollen. Zum Beispiel sollen „Pflegekassen verpflichtet [werden], ab 2009 für ihre pflegebedürftigen Versicherten ein indivi- duelles Beratungs-, Unterstützungs- und Begleitangebot für die Pflegebedürftigen und ihre Familien durch Pflegeberater/innen anzubieten, die Hilfs- und Unterstützungsangebote für Betroffene ko- ordinieren und vermitteln“ (BMAS 2008: 107).
17 “De-commodification occurs when a service is rendered as a matter of right, and when a person can maintain a livelihood without reliance on the market” (ESPING-ANDERSEN 2008: 21f.).
18 Beispielsweise betrugen die Ausgaben für die Versorgung älterer Menschen (Pflegegelder, Unter- bringung und Hilfestellung im Alltag) im Jahr 2004 rund 2,5% des BIP in Schweden, wohingegen in Deutschland hierfür nur rund 0,2% des BIP ausgegeben wurde (EUROSTAT 2009).
19 Diese Art der Arbeitsmarkteinbindung von Frauen ist das Ergebnis des aktiven Eingriffs Skandina- viens bei der Expansion sozialer Dienstleistungen (vgl. ESPING-ANDERSEN 1990: 159).
20 Aber auch soziale Normen können eine Verpflichtung zur Pflege konstituieren. Denn um nicht als deviant zu gelten und ggf. sanktioniert zu werden, muss der jeweiligen Norm entsprochen werden (PEUCKERT 2002: 106). In Kapitel 7.3.3 wird auf soziale Normen eingegangen.
21 Zur Ernährertypologie vgl. LEWIS (1992).
- Arbeit zitieren
- Pascal Barth (Autor:in), 2009, Inklusion und Exklusion pflegender Angehöriger, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131500
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