Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffserklärungen
2.1 Public Health
2.2 Soziale Determinanten
2.3 Infektionskrankheiten
3. Impfungen
3.1 Definition
3.2 Historie
3.3 Grundlagen der Immunisierung
3.4 Rechtliche Grundlagen
3.4.1 Impfaufklärung
3.4.2 Haftung
3.5 Finanzierung
4. Impfungen im Säuglings- und Kleinkindalter
4.1 Impfquoten
4.2 Beruhigungsmethoden
4.3 Nebenwirkungen und Impfschäden
4.4 Bewertung und Reflexion
4.4.1 Vorteile und Chancen
4.4.2 Nachteile und Gefahren
5. Rolle der Sozialen Arbeit
5.1 Gesundheitsbereich
5.2 Kinder- und Jugendhilfe
5.3 Familienarbeit
5.4 Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Es ist allgemein bekannt, dass Infektionskrankheiten sowie deren gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen die Menschheit schon immer begleitet haben und dies vermutlich auch kontinuierlich weiterhin tun werden. Sie hinterlassen ihre Spuren im kulturellen und geschichtlichen Erbe der Menschen wie dies bei den bekannten Infektionskrankheiten Pest und Cholera der Fall war (Haas 2020: 1). Im Dezember 2019 wurde in den Medien erstmals vom Ausbruch einer neuen Infektions- und Lungenkrankheit in China mit dem Namen COVID-19 berichtet. Zu dieser Zeit beeindruckten uns Europäer*innen die Meldungen und Berichte aus Asien jedoch kaum (Kirchler, Pitters und Kastlunger 2020: 1–2). Doch „das Virus breitete sich mit einer hohen Geschwindigkeit auf der ganzen Welt aus“ (Vogel und Schaub 2021a: 16). Mittlerweile ist das sogenannte SARS-CoV-2-Virus aus der Familie der Coronaviren ein beständiges Thema sowohl in den Medien als auch in unserem Alltag geworden. Insbesondere die hohen Sterbezahlen sind besorgniserregend. Nun liegt die Hoffnung, diese Krankheit zu bekämpfen, auf den entwickelten Impfstoffen (Vogel 2020: 2–3). In den letzten Jahrzehnten hat darüber hinaus die Verbesserung der Lebensbedingungen in Mitteleuropa zu einer gesünderen Bevölkerung beigetragen. Auch ein konsequenter Rückgang von Säuglings- und Müttersterblichkeit ist seit Längerem zu beobachten (Hackauf und Winzen 2004: 51–52). Hierbei könnten die besseren Möglichkeiten der Prävention also der Vorsorge durch beispielsweise Impfungen eine wichtige Rolle gespielt haben. Doch insbesondere die schnelle Entwicklung des Impfstoffes gegen COVID-19, die weniger als drei Monate dauerte, rief in der deutschen Bevölkerung die Sorge hervor, ob dieser Impfstoff sicher und wirksam sei (Addo 2021: 15). Dies ist im Großen und Ganzen bei anderen Impfstoffen ebenso der Fall und das Thema spaltet die Gesellschaft.
Gegenstand dieser Arbeit sind die genannten Impfungen in Bezug auf Säuglinge und Kleinkinder im Kontext der Sozialen Arbeit. Denn „Professionen wie Soziale Arbeit adressieren die Familie“ (Tiemann und Mohokum 2021: 341). Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich diese Arbeit mit folgender zentraler Fragestellung: Welche Chancen und Gefahren bestehen bei Impfungen im Säuglings- und Kleinkindalter und inwiefern kann die Soziale Arbeit dabei eine relevante Rolle einnehmen? Um diese Frage zu beantworten, wird mit den Begriffserklärungen von drei im Laufe der Arbeit relevanten Begriffen begonnen. Anschließend beschäftigt sich diese Arbeit näher mit den Impfungen, indem der Begriff zunächst definiert und dann historisch eingeordnet wird. Hierauf aufbauend werden die Grundlagen der Immunisierung erläutert, bevor daraufhin die rechtlichen Grundlagen und die Finanzierung in den Blick genommen werden. Im Hauptteil liegt der Fokus auf den Impfungen im Säuglings- und Kleinkindalter. Hier wird auf die Impfquoten sowie mögliche Beruhigungsmethoden eingegangen. Nachfolgend werden bekannte Nebenwirkungen und Impfschäden beschrieben. In der anschließenden Bewertung und Reflexion werden die Vor- und Nachteile gegenübergestellt. Der abschließende Teil widmet sich, in Arbeitsbereiche unterteilt, der Rolle der Sozialen Arbeit. Ein Fazit und ein möglicher Ausblick runden die Arbeit ab.
2. Begriffserklärungen
2.1 Public Health
Der Begriff Public Health „bezeichnet einen Teilbereich der Gesundheitswissenschaften, dessen Zielsetzung es ist die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und zu verbessern“ (Mers 2019: 44). Laut dem Experten für Sozialmedizin und Public Health David Klemperer bezieht sich Public Health hierbei auf die sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Bedingungen der Gesundheit sowie deren Auswirkungen auf die Bevölkerung. Ferner benennt er drei Phasen von Public Health, die deren Entwicklung skizzieren. Die erste Phase ist die sogenannte Assanierung und begann mit der Industrialisierung, die mit einer zunehmenden Verunreinigung der Umwelt einherging. Bei der Assanierung werden Abfälle beseitigt, Abwasser geklärt und Wasser trinkbar gemacht. Die zweite Phase nennt sich Bakteriologie und gewann mit dem Aufkommen von Infektionskrankheiten an Bedeutung. Im Fokus standen dabei Strategien zur Unterbrechung der Ansteckungsketten wie zum Beispiel das Impfen. Die dritte Phase wird als persönliche Hygiene bezeichnet. Hierzu zählen eine gesunde Ernährung und körperliche Aktivität (Klemperer 2014: 18–19).
Im Allgemeinen wird zwischen Old und New Public Health unterschieden: Old Public Health (auch: Public Health I) beschäftigt sich klassisch mit Gebieten der (Sozial)medizin, Epidemiologie und Infektiologie. Den Soziolog*innen Anita Goraya und Graham Scambler zufolge können drei Phasen des Old Public Health ausgemacht werden: die sanitäre, die präventive und die therapeutische Phase. Im Zuge einer zunehmenden Ablehnung der Ideologisierung, die die therapeutische Phase des Old Public Health beherrscht hatte, entwickelten sich die Anfänge des New Public Health (auch: Public Health II) (Goraya und Scambler 1998: 141–143). Hinzu kommt, dass Public Health „heute vor andersartigen Aufgaben als vor 100 Jahren [steht]. Die gesundheitliche Situation der Bevölkerung ist heute durch steigende Lebenserwartung, Bedeutungszuwachs chronischer Krankheiten, die soziale Ungleichheit der Gesundheit und weiteren Problemen wie z.B. die Folgen wirtschaftlicher Instabilität und den weltweiten Klimawandel gekennzeichnet. Dies erfordert Theorien und Praktiken, die über das hinausgehen, was zur Bekämpfung der akuten Infektionskrankheiten erforderlich war“ (Klemperer 2014: 30). Aufgrund dieser anderen Perspektive befasst sich diese neuere Form von Public Health mit Gesundheitsthemen wie unter anderem der Gesundheitssystemanalyse, Versorgungsforschung sowie Gesundheitspolitik und -förderung. Im Fokus stehen dabei neben Umweltveränderungen auch persönliche Präventivmaßnahmen. New Public Health geht über ein Verständnis der menschlichen Biologie hinaus und erkennt die Bedeutung der sozialen Aspekte von Gesundheitsproblemen, die durch den Lebensstil verursacht werden (Ashton 1991: 113). Klemperer verweist darüber hinaus auf die Institutionen, die Aufgaben von Public Health wahrnehmen. Diese sind unter anderem das Robert Koch-Institut (RKI) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Klemperer 2014: 28). Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass auch die Bürger*innen selbst in der Verantwortung stehen, ein gesundes und ausgewogenes Leben zu führen.
2.2 Soziale Determinanten
In den letzten Jahren hat sich sowohl in der Sozialepidemiologie als auch in der Medizinsoziologie das Konzept der sozialen Determinanten der Gesundheit durchgesetzt und an Popularität im Bereich Public Health zugenommen (Rathmann 2015: 35). Gemäß den Professor*innen für Gesundheitswissenschaften Göran Dahlgren und Margaret Whitehead werden soziale Determinanten definiert als soziale und infrastrukturelle Bedingungen, unter denen die Menschen geboren werden, aufwachsen, arbeiten und leben. Dabei ist hervorzuheben, dass diese Determinanten ausschlaggebend für unsere Gesundheit sind (Göran Dahlgren und Margaret Whitehead 1991: 23). Klemperer geht zudem davon aus, dass Macht und Ressourcenverteilung bei diesem Konzept eine entscheidende Rolle spielen. Außerdem liefert es eine Erklärung für die Ungleichheiten, die sich in der gesellschaftlichen Gesundheit widerspiegeln (Klemperer 2014: 23). Denn „bereits im Kindes- und Jugendalter wird die Gesundheit und das Wohlbefinden von Heranwachsenden stark von sozialen Determinanten bestimmt“ (Heilmann u.a. 2018: 614). Aus Sicht des Sozialwissenschaftlers Ludwig Amrhein sind diese Faktoren im gesamten Verlauf des Lebens von Relevanz (Amrhein 2021: 158).
Als typische Beispiele können das „finanzielle Einkommen, die Bildung sowie die Arbeits-, Wohn- und Umweltbedingungen, in denen Menschen leben[, genannt werden]. Aber auch die soziale Unterstützung durch Angehörige und Freunde, Belastung durch Stress oder der Zugang zu gesundheitsfördernden Angeboten und zu medizinischer und pflegerischer Versorgung gehören hierzu“ (Habermann-Horstmeier und Lippke 2021: 71–72). Daneben nennt die Weltgesundheitsorganisation weitere Einflüsse wie die soziale Unterstützung und Ausgrenzung, Suchterkrankungen, Konsumgüter wie Nahrungsmittel und den Straßenverkehr beziehungsweise die Art der Fortbewegung (Wilkinson und Marmot 2004: 3). Dahlgren und Whitehead entwickelten ein Modell, um ebendiese Determinanten von Gesundheit zu veranschaulichen und in fünf Kategorien zu unterteilen (Göran Dahlgren und Margaret Whitehead 1991: 11). Die Darstellung dieses Modells würde an dieser Stelle allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen und das eigentliche Thema aus dem Blick geraten lassen.
2.3 Infektionskrankheiten
Definitionsgemäß werden unter Infektionen „das Eindringen von pathogenen Lebewesen (z. B. Bakterien, Pilzen, Parasiten) oder Molekülen (z. B. Viren) in einen Organismus und deren Vermehrung, welche eine Immunreaktion des Wirtes zur Folge hat“ (Härtel 2021: 166), verstanden. Der Mediziner Christoph Härtel ergänzt darüber hinaus, dass Fieber das häufigste Symptom einer Infektion ist. Außerdem weist er darauf hin, dass Kinder im Schnitt bis zu acht Infektionen im Jahr durchlaufen (Härtel 2021: 166). Die Weltgesundheitsorganisation fand des Weiteren heraus, dass Infektionskrankheiten die weltweit häufigste Todesursache darstellen. Damit sind sie für 20 Prozent aller Todesfälle verantwortlich (Roggendorf, Schlipköter und Weitkunat 2014: 183).
Wie eingangs bereits erwähnt sind Infektionskrankheiten „ein ständiger Begleiter des Menschen“ (Vogel und Schaub 2021b: 1). Dies zeigt sich überwiegend in den sich schnell ausbreitenden und ansteckenden Infektionskrankheiten. Diese werden des Öfteren auch als „Seuchen“ betitelt (Höring 1962: 1). Zu den bekanntesten gehören neben der Pest auch die Pocken. Hinzu kommen weitere wie zum Beispiel Cholera, Typhus und Tuberkulose (Vogel und Schaub 2021b: 1). Tanja und Erwin Graf, die sich in ihren Arbeiten überwiegend mit dem Themenbereich der Biologie auseinandersetzen, nennen überdies FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) und Hepatitis als gefürchtete virale Infektionskrankheiten (Graf und Graf 2017: 30). Der Biologe Patric Vogel sowie der Parasitologe Günter Schaub verweisen in diesem Zusammenhang auch auf neue Infektionskrankheiten, die in den letzten 15 Jahren Deutschland und Europa erreicht haben und das Potenzial besitzen, „endemisch zu werden. In der Zeit davor gab es immer wieder neue Infektionskrankheiten, jedoch mit größeren zeitlichen Abständen. Einzelne Krankheiten haben es geschafft, sich auch bei uns erst unerkannt zu manifestieren, wie z. B. AIDS in den 1980er Jahren“ (Vogel und Schaub 2021a: 1). Hierzu kann auch das Coronavirus gerechnet werden. Für die Erkennung, Überwachung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten in Deutschland ist das bereits genannte Robert Koch-Institut als Public Health-Einrichtung zuständig (Land 2018: 75). Laut Klemperer wurden dafür „Gesundheitsmonitoring und Gesundheitsberichterstattung auf einen zeitgemäßen Stand gebracht und ein breites Informationsangebot für die Fachöffentlichkeit und zunehmend auch für Bürgerinnen und Bürger entwickelt“ (Klemperer 2014: 28).
Aufgrund hygienischer „Lebensbedingungen und leistungsfähigerer Gesundheitssysteme sind Infektionskrankheiten in westlichen Ländern insgesamt nicht so bedrohlich wie in weniger entwickelten Regionen“ (Roggendorf, Schlipköter und Weitkunat 2014: 183). Dem stimmen Vogel und Schaub zu. Sie sehen den Grund für die Abnahme der Bedeutung von Infektionskrankheiten in den letzten Jahrzehnten vorwiegend in der medizinischen und wissenschaftlichen Entwicklung. Hierbei benennen sie drei essentielle Errungenschaften: Hygiene, Medikamente und Impfstoffe (Vogel und Schaub 2021b: 1). Mit letzterem Punkt wird sich das folgende Kapitel auseinandersetzen.
3. Impfungen
3.1 Definition
Impfungen können als eine praktische Anwendung der Immunologie bezeichnet werden. Einige Autor*innen, darunter auch die Mediziner Klaus Resch, Michael Martin und Volkhard Kaever, sehen darin einen der größten medizinischen Erfolge. Sie begründen das mit dem erfolgreichen Ausrotten der Pocken im Jahre 1980 (Resch, Martin und Kaever 2010: 54). Heutzutage sind Impfungen ein wichtiger Bestandteil im Leben der meisten Menschen jeglichen Alters (Herwald 2021: 19). Zu Beginn des Lebens stehen die sogenannten Kinderkrankheiten im Vordergrund. Zu denjenigen, gegen die es einen Impfstoff gibt, gehören Diphtherie, Masern, Mumps, Röteln und Keuchhusten. Doch können diese nicht nur im Kin-desalter auftreten. Ältere Personen können sich ebenfalls infizieren und neben der Krankheit an sich auch an Folgeerkrankungen leiden (Hackauf und Winzen 2004: 177). Selbiges gilt für Tetanus (Wundstarrkrampf), Poliomyelitis (Kinderlähmung), Erkrankungen durch Pneumokokken oder Meningokokken, Rotaviren, Varizellen (Windpocken) und noch einigen anderen (Horn, Boldt und Dirksen-Fischer 2020: 5). Im höheren Lebensalter kommen weitere Impfungen gegen Grippe, Herpes Zoster, Hepatitis B oder bei besonderer Exposition gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) hinzu (Jacobi 2021: 481). Eine Impfung „ruft spezifisch eine schützende Immunität hervor, ohne eine Krankheit auszulösen. Abhängig vom Erregertyp muss sie unterschiedliche Immunmechanismen aktivieren“ (Kaufmann 2021: 69). Als Impfstoffe dienen „abgeschwächte Infektionserreger und deren Bestandteile bis hin zu gentechnisch hergestellten Proteinen“ (Resch, Martin und Kaever 2010: 54). Von der Entwicklung bis zur Zulassung eines Impfstoffes ist es jedoch ein langer Weg, stellt der Infektionsbiologe Stefan Kaufmann fest. Zunächst muss ausreichend Wissen sowohl über den Erreger als auch die Infektion gesammelt werden. Darauf aufbauend versucht die präklinische Forschung im Labor einen passenden Impfstoff zu entwickeln. Anschließend folgen klinische Studien am Menschen, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Vakzine zu untersuchen. Nach erfolgreicher Testung kann die Zulassung beantragt werden. Dennoch wird der Impfstoff sowie mögliche Komplikationen weiterhin beobachtet (Kaufmann 2021: 111). Der Impfstoff an sich hat allerdings keine Wirkung auf die Viren, erklärt das Robert Koch-Institut. Vielmehr unterstützt er das Immunsystem dahingehend, dass es sich gegen die Viren verteidigen kann. Der Impfstoff gibt dem Körper die Informationen, die er braucht, um Antikörper gegen den Erreger zu entwickeln. Wird der Körper nun von diesem Virus angegriffen, kann er die Krankheit abwehren. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Aufbau des Impfschutzes einige Tage dauert, sodass eine Infektion in den ersten Tagen noch möglich ist (Robert Koch-Institut 2021a: 27–28). Aufgrund der Tatsache, dass der Schutz einiger Impfungen mit fortschreitender Zeit nachlässt, ist eine Auffrischungsimpfung oftmals unumgänglich (Robert Koch-Institut 2021a: 13).
Als primäres Ziel der Impfungen nennen Uta Nennstiel-Ratzel und Manfred Wildner vom bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit „die Schließung von Impflücken und Einleitung von verspäteten Grundimmunisierungen und der Aufbau und Erhalt einer stabilen Immunitätslage in der Bevölkerung gegen die wichtigsten übertragbaren Krankheiten“ (Wildner und Nennstiel-Ratzel 2014: 316). Hinzu kommen die „Ausrottung von Erkrankungen, Individualschutz, Unterbrechung der Infektionsketten […], Schutz von Nicht-Impffähigen […], Verhinderung von Komplikationen bei schweren Grundkrankheiten“ (Härtel 2021: 171). Diese Ziele können bewerkstelligt werden, indem „der Erreger daran gehindert wird, in den Organismus einzudringen. Schutz ist dann gleichbedeutend mit Infektionsvorbeugung“ (Resch, Martin und Kaever 2010: 56). In den letzten Monaten wurde die Impfung gegen das Coronavirus zu einem hochgradig aktuellen Thema weltweit. Nichtsdestotrotz ist der Kampf gegen Infektionskrankheiten bereits jahrhundertealt (Leven 2021: 1). Die geschichtlichen Hintergründe von Impfungen werden im folgenden Kapitel skizziert.
3.2 Historie
Kaufmann datiert die Geburtsstunde der Impfung auf das Jahr 1798. Zu dieser Zeit verabreichte der englische Landarzt Edward Jenner einem Jungen erfolgreich eine Pockenimpfung (Kaufmann 2021: 11), indem er ihm harmlosere Kuhpocken injizierte. Hieraus leitet sich der häufig genutzte Begriff „Vakzin“ für Impfstoff ab. Dieser stammt aus dem lateinischen „vaccinus“ und bedeutet: „von Kühen stammend“ (Leven 2021: 2). Pockenepidemien wüteten damals bereits seit den 1780er Jahren in Deutschland und forderten mehrere Tausend Todesopfer (Leven 2021: 1). Doch erst über 180 Jahre nach der ersten erfolgreichen Pockenimpfung konnte die weltweite Ausrottung dieser Infektionskrankheit verzeichnet werden. Die gezielte Entwicklung von Impfstoffen startete ebenfalls erst Jahrzehnte später (Kaufmann 2021: 11). Möglich gemacht wurde sie durch Medizinforscher*innen wie Louis Pasteur, der zeigte, „dass Erreger sich so weit abschwächen lassen, dass sie nicht mehr krank machen, aber dennoch eine Immunität gegen die Krankheit erzeugen. Aufbauend auf diesem Prinzip, wurden später zahlreiche Lebendimpfstoffe entwickelt, wie z.B. der Tuberkulose-Impfstoff BCG […]. Die passive Immunisierung gegen Diphtherie und Tetanus wurde als Serumtherapie um 1890 von Emil von Behring eingeführt – eine Errungenschaft, die unter anderem die Entwicklung von Untereinheiten-Impfstoffen zur aktiven Immunisierung nach sich zog“ (Kaufmann 2021: 11). Diesbezüglich kann auch der Soziologe Peter Kriwy zitiert werden, der die Entstehung der einzelnen Impfstoffe wie folgt beschreibt: „100 Jahre […] [nach der Pockenimpfung] folgten die Diphtherie- und Tetanusimpfung. Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden Impfstoffe gegen Masern, Mumps und Röteln auf den Markt gebracht. In den USA wird seit 1968 gegen Masern geimpft […], in Deutschland wurde Mitte der siebziger Jahre begonnen flächendeckend gegen Masern zu impfen. Eine der ‚jüngsten‘ Impfungen ist die gegen Hepatitis A“ (Kriwy 2007: 19).
Seit den 1970er Jahren gibt es also eine Vielzahl an Impfungen gegen Infektionskrankheiten (Thießen 2017: 9). Im Jahre 1982 wurde die Pockenimpfung in Folge deren Ausrottung eingestellt. Zwischenzeitlich meldete die World Health Organization (WHO) einige weitere nennenswerte Erfolge im Zuge der konsequenten Einhaltung der Impfprogramme. Als Beispiele sollen etwa Finnland und die dortige Eliminierung der Masern oder ganz Europa und die Ausrottung der Poliomyelitis in den Jahren 2002 bis 2003 dienen. Kriwy verweist in seiner Arbeit außerdem auf die kontinuierliche Weiterentwicklung von Impfstoffen. So ist beispielsweise seit November 2000 ein sechsfacher Kombinationsimpfstoff gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, Haemophilus influenzae Typ b (HiB) und Hepatitis B erhältlich (Kriwy 2007: 20). Zu erwähnen ist an dieser Stelle natürlich auch die schnelle Entwicklung des Impfstoffes gegen COVID-19. Infolgedessen wird Immunität heutzutage immer alltäglicher. Die Grundlagen der Immunisierung und daran anknüpfend der Unterschied zwischen aktiver und passiver Immunisierung werden im Folgenden geschildert und diskutiert.
3.3 Grundlagen der Immunisierung
Unser Immunsystem ist sehr komplex und verfügt über viele Schutzmechanismen. Es verhindert die Erkrankung an Infekten und damit auch den im schlimmsten Fall durch sie verursachten Tod. Kaufmann stellt weiterhin fest, dass der Körper sich an den entsprechenden Krankheitserreger anpasst, um diesen abzublocken. Wie in Kapitel 3.1 bereits geschildert, unterstützt eine Impfung ihn dabei, indem sie ihm die Informationen gibt, die er braucht, um Antikörper gegen den Eindringling zu entwickeln. Hierdurch wird der Mensch immun gegen den Erreger (Kaufmann 2021: 48). Im Grunde simulieren Impfungen also den Prozess einer Erkrankung im Körper, um diese Immunität hervorzurufen. Kommt der Körper dann erneut in Kontakt mit dem Erreger, erkrankt dieser nicht mehr daran (Kriwy 2007: 20). Ein Begriff der in diesem Zusammenhang häufig fällt, ist die Herdenimmunität. Diese ist dann erreicht, „wenn der Anteil der immunen und nicht ansteckenden Personen in der Bevölkerung so groß ist, dass eine infektiöse Person so gut wie niemanden mehr anstecken kann“ (Kaufmann 2021: 127). Dieser angestrebte Anteil liegt je nach Infektionsart etwa bei 80 bis 95 % (Kriwy 2007: 28). Insbesondere Kinder und Erwachsene, die sich aufgrund einer Erkrankung nicht impfen lassen können oder jene, bei denen die Impfung nicht den gewünschten Erfolg erzielen würde, sind auf diese Form der Immunität angewiesen (Giemulla und Schulz-Stübner 2020: 93). Kaufmann nennt zwei Wege, auf denen dieser Herdenschutz erreicht werden kann: „Zum einen kann er auf natürlichem Wege entstehen, wenn Menschen nach einer Infektion dauerhaft immun gegen die Krankheit sind. Voraussetzung ist, dass sie zugleich nicht mehr infektiös sind […] Weg zwei führt über Impfkampagnen. Auch hier ist es zentral, dass die Impfung die Übertragung des Erregers verhindert oder zumindest deutlich verringert“ (Kaufmann 2021: 127).
Grundsätzlich wird zwischen der aktiven und passiven Immunisierung unterschieden: „Bei der sogenannten aktiven Immunisierung (auch Schutzimpfung genannt), die auf Edward Jenner zurückgeht, wird heute der Impfstoff in Form von abgeschwächten oder abgetöteten Krankheitserregern bzw. gentechnisch hergestellten Erreger-Antigenen in den Körper gebracht. Das körpereigene, spezifische Immunsystem bildet daraufhin spezifische Antikörper gegen die Erreger. Auf diese Weise entsteht für den Körper eine spezifische Immunität, die oftmals das ganze Leben anhält“ (Graf und Graf 2017: 40). Zusätzlich werden Impfstoffe zur aktiven Immunisierung in Lebend- (vermehrungsfähigen Erregern) und Totimpfstoffe (nicht vermehrungsfähigen Erregern) eingeteilt. Während zu den Lebendimpfstoffen beispielsweise Masern, Mumps und Röteln gehören, zählen zu den Totimpfstoffen Diphtherie, Tetanus und Hepatitis A sowie B (Kriwy 2007: 21). Die Virologen Kurt Tobler, Mathias Ackermann und Cornel Fraefel merken jedoch negativ an, dass die Wirkung der Immunisierung erst nach mehreren Tagen oder Wochen einsetzt. Ist eine sofortige Schutzwirkung von Nöten, wird die passive Immunisierung angewandt (Tobler, Ackermann und Fraefel 2021: 267). Hierbei bildet der Erkrankte „nicht selber die Antikörper; vielmehr werden ihm die Antikörper zugeführt und er wird so geheilt (deshalb [auch]: Heilimpfung)“ (Graf und Graf 2017: 42). Die allererste passive Immunisierung erhält bereits ein Fötus durch die Nabelschnur der Mutter. Dieser Schutz hält hingegen nicht auf Dauer an, sodass eine Auffrischimpfung zwingend erforderlich ist. Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften von aktiven und passiven Impfstoffen werden diese häufig kombiniert, erläutert Kriwy, um einen sofort eintretenden und lang anhaltenden Schutz zu gewährleisten (Kriwy 2007: 21).
Darüber hinaus nennt er drei weitere Typen, in die Impfungen unterteilt werden können: Standard-, Sonder-, und Reiseimpfungen. Standardimpfungen sind aus medizinischer Sicht für alle Menschen von Nutzen und werden von staatlicher Seite empfohlen. Als Beispiele können Impfungen gegen Tetanus, Influenza, Masern, Mumps und Röteln angeführt werden. Sonderimpfungen werden dagegen bei nicht alltäglichen Risikofällen appliziert. Hierzu gehören FSME, Meningokokken und Tollwut. Reiseimpfungen werden nur vor dem Besuch spezieller Regionen empfohlen. Beispiele sind Impfungen gegen Gelbfieber, Typhus und Hepatitis A (Kriwy 2007: 21).
Der „richtige“ Zeitpunkt für die Durchführung einer Impfung ergibt sich aus den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO), die „am Robert-Koch-Institut erarbeitet, fortlaufend aktualisiert und im Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts veröffentlicht“ (Resch, Martin und Kaever 2010: 63) werden. Hierbei wird das unabhängige Expert*innengremium neben dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und dem Robert Koch-Institut (RKI) auch von Bundes- und Landesgesundheitsbehörden beraten (Kaufmann 2021: 121) und berücksichtigt darüber hinaus „nicht nur deren (Impfungen) Nutzen für das geimpfte Individuum, sondern auch für die gesamte Bevölkerung. Die STIKO orientiert sich dabei an den Kriterien der evidenzbasierten Medizin“ (Robert Koch-Institut 2021b) sowie an der Wirksamkeit und der Sicherheit für die Bevölkerung (Kaufmann 2021: 121). Dem Robert Koch-Institut zufolge konzentrieren sich diese Impfempfehlungen zudem ausschließlich auf Infektionen, welche grundsätzlich oft vorkommen und in hohem Maße gesundheitsschädlich sein können (Robert Koch-Institut 2021a: 29). Die Empfehlungen bezüglich der Standardimpfungen finden sich im jährlich aktualisierten Impfkalender (Kohl 2016: 53) (siehe Abbildung 1). Gemäß dem Neurologen Christian Jacobi „sind bereits im Alter von 6 Wochen die Impfung gegen Rotaviren [zu empfehlen], beginnend ab dem 2. Lebensmonat die Grundimmunisierung gegen Tetanus, Diphterie [sic!], Pertussis, H. influenzae Typ B, Poliomyelitis, Hepatitis B und Pneumokokken sowie im Alter von 11–14 Monaten Impfungen gegen Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln (MMR) und Varizellen. Im Kindes- und Jugendalter dann erste Auffrischungen und zusätzlich die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV). Hinzu kommen Impfungen bei besonderer Exposition, z. B. in Süddeutschland gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Im Erwachsenenalter dann neben den empfohlenen Auffrischungen die Impfung gegen Herpes Zoster. Auch werden seitens der STIKO Impfungen für bestimmte Risikogruppen empfohlen (z. B. Influenza bei besonderer Exposition, Impfungen bei Reisen oder Impfungen bei anderweitig erhöhtem Risiko)“ (Jacobi 2021: 481).
Nachdem nun die Grundlagen der Immunisierung mitsamt den empfohlenen Impfzeitpunkten geklärt wurden, werden im nächsten Teil die rechtlichen Grundlagen behandelt.
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