Anhand der heilsgeschichtlichen und typologisch-allegoretischen Tradition werden die religiösen Konnotationen von Drache und Hirsch im christlichen Europa des Mittelalters nachgezeichnet. Darauf aufbauend werden die religiösen Konnotationen des Drachen und des Hirschs in Gottfrieds von Straßburg 1210 entstandenen Werk „Tristan“ für eine Interpretation des Gesamtkontextes fruchtbar gemacht. Werden die christlichen Bedeutungsvorstellungen der Tiere auf jene epischen Tiere im „Tristan“ übertragen und weiterentwickelt, so ergeben sich erstaunliche Charakterparallelen zwischen dem christlich konnotierten Hirsch und Tristan, während der Drache als Teufel identifiziert werden kann. Durch die christliche Annahme der Feindschaft zwischen Hirsch und Schlange kulminieren die Bedeutungsübertragungen vom Hirschen auf Tristan im Motiv des Drachenkampfes. Tristan agiert als Krieger Gottes und bekämpft das Böse für die gute Sache. Unter Hinzuziehung der Moroldepisode und dem darin typologisch enthaltenen Verweis auf David, wird der Status Tristans als Gotteskrieger zusätzlich untermauert. Das in Tristan vorhandene Potential eines Charismatiker weist zudem darauf hin, dass Tristan mehr als Heiliger denn als Held verstanden werden kann. Die Funktion als heiliger Gotteskrieger, die eine heilsgeschichtliche Auslegung des Romans provoziert, ist aber nicht als Ankündigung des Reiches Gottes zu verstehen, sondern als episches Legitimationsmittel göttlichen Grades zur Proklamation eines neuen Minneevangeliums. Wie sich an der Bedeutungsgröße des Ebers aufzeigen ließ, konnotieren die Tiere nicht nur den Gotteskrieger Tristan, sondern dienen als strukturbildende Elemente des Evangeliums. Der Kampf zwischen der „civitas dei“ und der „civitas diaboli“ wird auf das dichotome Verhältnis von „êre“ und „minne“ transferiert und rückt die Minne damit in einen gottgleichen Zustand. In der Erzählung der Passion von Tristan und Isolde findet die Gemeinschaft der „edelen herzen“ Trost und Zuversicht auf ein neues Zeitalter des Minneheils. Wie diese Arbeit auszulegen versuchte, muss den Tieren dabei eine übergeordnet relevante Funktion im epischen Kontext zugeschrieben werden, da sie sowohl auf christlich konnotierte Typologien verweisen, mithilfe deren Gottfried das Minneevangelium zu verbalisieren weiß, als auch deren strukturbildende Funktion eines evangelischen Narrativs, in dem das Auftreten der Tiere die entscheidenden Wendepunkte des Werkes markiert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I.) Erster Teil: Heilsgeschichtliche und typologisch-allegoretische Tradition
- 1.) Bibelallegorese und typologisch gedeutete Heilsgeschichte
- 2.) Das Universum als ein von Gott geschaffener Bedeutungsträger
- 3.) Tiere als Bedeutungsträger
- 4.) Gute und böse Tiere
- II.) Zweiter Teil: Drache und Hirsch
- 1.) Der Drache
- 2.) Der Hirsch
- III.) Dritter Teil: Der Heilige Tristan
- 1.) Antagonismus von Drache und Hirsch
- 2.) Helden und Heilige
- 3.) Tristan und Heiliger Georg
- 4.) Der Charismatiker Tristan
- 5.) David-Orpheus-Tristan-Typologie
- 6.) Das neues Minne-Evangelium
- IV.) Vierter Teil: Heilsgeschichte der Minne
- 1.) Die Ambivalenz von Eber und Hirsch
- 2.) Die Ambivalenz von ere und minne
- 3.) Daz lebende brôt der edelen herzen
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert Gottfrieds von Straßburg „Tristan“ unter dem Aspekt der Heilsgeschichte und beleuchtet die vielfältigen Verbindungen zwischen mythologischen Figuren, biblischen Motiven und christlichen Denktraditionen, die im Text angelegt sind. Ziel ist es, die religiöse Dimension in Gottfrieds Werk aufzuzeigen und zu verstehen, wie der Autor mythologische und religiöse Elemente in die Darstellung von Liebe und Minne integriert.
- Heilsgeschichtliche und typologisch-allegoretische Tradition
- Die Bedeutung von Tieren als Bedeutungsträger
- Der Antagonismus von Drache und Hirsch
- Die Heiligkeit und Charisma von Tristan
- Heilsgeschichte der Minne und ihre Ambivalenz
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Heilsgeschichte und die Bedeutung der Natur im Mittelalter ein und stellt die zentrale These der Arbeit vor: Gottfrieds „Tristan“ ist durchzogen von heilsgeschichtlichen Motiven und religiösen Bezügen.
Der erste Teil untersucht die heilsgeschichtliche und typologisch-allegoretische Tradition, die Gottfrieds Werk prägt. Er beleuchtet die Rolle der Bibelallegorese und die Deutung von Heilsgeschichte durch Symbole und Bilder. Der zweite Teil konzentriert sich auf die beiden zentralen Tierfiguren, den Drachen und den Hirsch, und deren symbolische Bedeutung im Kontext der Heilsgeschichte.
Der dritte Teil widmet sich Tristan als heiligem Charakter und untersucht seine Parallelen zu anderen Heiligenfiguren wie dem Heiligen Georg. Er beleuchtet die Bedeutung von Charisma und die Typologie von David-Orpheus-Tristan.
Der vierte Teil analysiert die Heilsgeschichte der Minne und die Ambivalenz von Liebe und Tod, die im Tristan eine zentrale Rolle spielen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Heilsgeschichte, Typologie, Allegorie, Tiere als Bedeutungsträger, Drache, Hirsch, Heiliger Tristan, Charisma, Minne, Liebe, Tod, Gottfried von Straßburg, Tristan.
- Arbeit zitieren
- Cornelius Schäfer (Autor:in), 2017, Heilsgeschichtliche Dimensionen in Gottfrieds "Tristan". Der Drache und der Hirsch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1316759