Beweisverwertungsverbote im arbeitsgerichtlichen Verfahren


Seminararbeit, 2007

33 Seiten, Note: 13 Punkte


Leseprobe


Inhalt

LITERATURVERZEICHNIS

BEWEISVERWERTUNGSVERBOTE IM ARBEITSGERICHTLICHEN VERFAHREN
I. EINFÜHRUNG
II. DOGMATISCHE HERLEITUNG VON BEWEISVERWERTUNGSVERBOTEN AUF GRUND VORPROZESSUAL-RECHTSWIDRIGER ERLANGUNGSHANDLUNGEN
1. Entwicklung in der Literatur
a. Die Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht
b. Die Durchbrechung der Trennung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben
c. Die Herleitung von Beweisverwertungsverboten aus dem Grundsatz von
Treu und Glauben
d. Konkretisierungen des Treu- und Glaubensgrundsatzes
e. Andere Ansätze zur Herleitung von Beweisverwertungsverboten
i. Anwendung der strafprozessualen Grundsätze
ii. Behandlung im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO
iii. Analoge Anwendung anderer zivilprozessrechtlicher Normen
2. Zusammenfassung
III. BEWEISVERWERTUNGSVERBOTE IN DER ARBEITSRECHTLICHEN PRAXIS
1. Verstoß gegen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen
a. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht
i. Das Recht am gesprochenen Wort
ii. Das Recht am eigenen Bild
b. Andere grundrechtlich geschützte Positionen
2. Mitbestimmungsrechtliche Aspekte
3. Datenschutzrechtliche Problematiken
a. Videoüberwachung am Arbeitsplatz: § 6b BDSG
i. Offene Überwachung
ii. Heimliche Überwachung
b. Überwachung von Telekommunikationseinrichtungen am Arbeitsplatz
i. Situation bei verbotener Privatnutzung
ii. Situation bei erlaubter Privatnutzung
c. Andere datenschutzrechtliche Problemkreise
4. Sonderfall: Unternehmensinterne Investigations
IV. AUSBLICK: ARBEITNEHMERDATENSCHUTZ

Literaturverzeichnis

I. KOMMENTARE

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

II. MONOGRAPHIEN

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III. HANDBÜCHER

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

IV. LEHRBÜCHER

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

V. ZEITSCHRIFTENAUFSÄTZE UND BEITRÄGE ZU FESTSCHRIFTEN

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beweisverwertungsverbote im arbeitsgerichtli- chen Verfahren

I. EINFÜHRUNG

Es mag auf den ersten Blick paradox anmuten, dass in Gerichtsprozessen Beweise vorgelegt werden, die eine Tatsache untermauern, die dann später vom Gericht aber nicht zur Urteils- findung berücksichtigt werden dürfen. Ziel eines jeden Prozesses, so die landläufige Meinung, dürfte es ja sein, einen Streit nach den tatsächlich vorliegenden Tatsachen - mithin „gerecht“ zu entscheiden. Müssen Tatsachen dann vom Gericht bei der Entscheidung ignoriert werden so scheint die gefundene Entscheidung auf den ersten Blick nicht der Sache der Gerechtigkeit dienlich sein zu können.

Wird die Materie des Prozessrechts - gleich ob in verwaltungsrechtlicher, strafrechtlicher oder, was Thema der vorliegenden Arbeit sein soll, in der besonderen zivilrechtlichen Einzel- ausprägung des Arbeitsgerichtsprozessrechts - dann aber eingehender betrachtet, so tut sich ein weites Feld von Fällen auf, in denen Gerechtigkeit scheinbar anders als durch die schiere Wahrheitsfindung hergestellt werden soll. Der Arbeitsgerichtsprozess stellt sich als „echter Zivilprozess dar“, so dass Ausführungen die von Verfahren vor den ordentlichen Zivilgerich- ten ausgehen, auch auf das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren anwendbar sind.

So bieten beispielsweise § 46 II S. 1 ArbGG i.V.m. § 330ff. ZPO die Möglichkeit von Versäumnisurteilen.1 Widerspruchs-, Klage- und Verjährungsfristen verhindern die Durchsetzung von Ansprüchen in allen Rechtsbereichen, und auch die StPO verwehrt in weiten Bereichen die Verwertung von Zeugenbeweisen, siehe nur §§ 52ff, 136a StPO.

Die Zusammenschau der vorgenanten Normen zeigt, dass jedes Prozessrecht neben der Wahrheitsfindung eine weitere, entscheidende Schlagrichtung besitzt: Die (Wieder-) Herstellung von Rechtsfrieden. Vor diesem Hintergrund erscheint es dann auch vertretbar, nicht Aufklärung um jeden Preis zu fordern, sondern Beweisversuche, die entgegen der Rechtsordnung unternommen werden, abzuwehren.

Insbesondere das Arbeitsrecht und sein Verfahrensrecht bieten durch ihre, zum großen Teil eine einseitige Machtausübung des Arbeitsgebers beschränken wollende Zielsetzung vielerlei Möglichkeit, dass Schutzgesetze, die zu Gunsten des Arbeitnehmers wirken sollen, in Kon- fliktfällen zum Zwecke der Beweissicherung verletzt werden. In welchen Fällen ein solcher Verstoß gegen die Rechtsordnung - ob einfachgesetzlicher oder grundrechtlicher Ausprägung - mit einem Verwertungsverbot im Arbeitsgerichtsprozess sanktioniert werden muss, und worauf Schrifttum und Rechtsprechung diese Folgerung stützen soll Gegenstand der Darstellung dieser Arbeit sein.

Insbesondere soll auf das Verhältnis der vorprozessual materiell-rechtswidrigen Erlangungshandlung der Prozessparteien zur späteren prozessrechtlichen Behandlung der Beweisverwertung im arbeitsgerichtlichen Verfahren eingegangen werden. Zu diesem Zweck sollen zunächst die dogmatischen Herleitungen, die die Literatur zur Lösung dieser Problematik bereithält, sowie die Ansichten, die die Rechtsprechung zur Anwendung bringt dargestellt werden, um dann einzelne im vorprozessualen Bereich angesiedelte Fallgruppen und die in ihnen innewohnenden Möglichkeiten der Rechtsverletzung darzustellen.

Aus dieser Umgrenzung ergibt sich, dass Beweisverwertungshindernisse, die sich nicht aus einem rechtswidrigen Verhalten der Parteien im Vorfeld des Prozesses ergeben, ebenso unberücksichtigt bleiben sollen wie Beweisverwertungsverbote, die aus einer fehlerhaften Beweiserhebung auf Seiten des Gerichts hervorgehen.

II. DOGMATISCHE HERLEITUNG VON BEWEISVERWERTUNGSVERBOTEN AUF GRUND VORPROZESSUAL-RECHTSWIDRIGER ERLANGUNGSHANDLUNGEN

1. Entwicklung in der Literatur

a. Die Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht

Sieht man, wie es wohl heute unumstrittene Anschauung ist2, im Prozessrecht eine prinzipiell von materiellrechtlichen Normen zu unterscheidende Rechtsmaterie - wie dies schon in den getrennten Kodifikationen zum Ausdruck kommt - dann erscheint es logisch, dass diese Un- terscheidung auch die Trennung von Erlangungshandlung und prozessualer Verwertung des Erlangten nach sich ziehen müsse, da ein materiell-rechtswidriges Verhalten bereits im eige- nen Rechtsbereich ausreichend sanktionierbar sei und um eine doppelte Sanktionierung zu verhindern keine Fernwirkung in den Bereich des Prozessrechts hinein entfalten dürfe.3

Der Prozess selbst wird nach verbreiteter Anschauung als eigenes Rechtsverhältnis verstan- den, in dem die Subjekte dieses Rechtsverhältnisses, also die Streitparteien und das Gericht als Repräsentant des Staates, in einem sog. „Prozessrechtsverhältnis“ öffentlich-rechtlicher Natur zueinander stehen.4 Auf diese Weise werden alle, im Laufe des Prozesses von den Par- teien und dem Gericht unternommenen Prozesshandlungen in einem einheitlichen Rechtsver- hältnis gebündelt.5 Diese Ansicht wirkt fort, jedoch dient sie heute maßgeblich dazu, bei- spielsweise die Vorschriften zum Parteienwechsel im Prozess nach §§ 239, 265 oder 266 ZPO zu erklären.6 Der Wechsel kann demnach Eintritt in dieses Rechtsverhältnis verstanden wer- den, ohne dass Problematiken hinsichtlich der Zurechnung früherer Prozesshandlungen be- stünden.7

Eine allzu strikte Trennung von Beschaffungshandlung und Verwertung im Prozess - der von Goldschmidt in Hinblick auf in Rechtskraft erwachsende (Fehl-)Urteile sog. als eigene Rechtslage jenseits des materiellen Rechts charakterisiert wurde8 - wurde jedoch bereits früh als zu abstrakt identifiziert und es wurden verschiedene Durchbrechungen des Trennungs- dogmas entworfen:

i. So hielt Henckel zwar die grundsätzliche Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht aufrecht, betonte jedoch, dass die Unterscheidung von Prozessrecht und materiellem Recht nicht die den jeweiligen Normen zu Grunde liegenden Wertungen trenne, und es so durchaus zu einem Wirken von prozessualen Handlungen ins materielle Recht hinein und eine Beeinflussung prozessualer Tatbestände von außerprozessualen Geschehen geben könne.9

ii. Einen ähnlichen Weg zur Durchbrechung des Trennungsdogmas ging Niese, aller- dings unter strikter Aufrechterhaltung der eigentlichen Trennung. Nach seiner für den Zivilprozess nützlich gemachten Theorie der doppelfunktionellen Prozesshandlungen, sei eine Fernwirkung prozessualer Handlungen ins materielle Recht als seltene Aus- nahme denkbar.10

Da heute, wie eingangs erwähnt, zwar von einer grundsätzlichen Trennung der beiden Rechts- bereiche ausgegangen wird, diese Trennung jedoch wie erläutert hauptsächlich als theoreti- sches Gebilde zur Erklärung prozessualer Handlungsweisen benutzt wird11, konnten auch die- se Ansichten, die die Trennung nur in zu engem Rahmen aufheben wollten, keine Durchset- zung finden.

Vielmehr versuchte das Schrifttum Mittelwege zu finden, die es ermöglichten, Wechselwirkungen zwischen Prozess und außerprozessualen Handlungen herzustellen, ohne durch eine zu starre Trennung der Rechtsbereiche bzw. eine zu pauschale Bejahung von Verwertungsverboten zu unbilligen Ergebnissen zu gelangen.

b. Die Durchbrechung der Trennung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben

Der Weg zur Lösung des Problems, den die Literatur vorzeichnete und, wie später zu erläutern sein wird, mit Einschränkungen auch die Rechtsprechung beschreitet, führt über eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben aus § 242 BGB zu einem Hineinwirken materiell-rechtlicher Normen in das Prozessrecht.12

Nun ist aber § 242 BGB seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung am Beginn des Allgemeinen Teils des Schuldrechts nach auf die Leistungserbringung des Schuldners in ei- nem Schuldverhältnis beschränkt.13 Doch erkannten Lehre und Rechtsprechung schnell das Potential, das der Treu- und Glaubensgrundsatz für die Plastizität und gerechtigkeitsorientier- te Gesetzesanwendung - der Findung „gerechten Rechts“ - für sie bereithielt.14 So wurde die Anwendung des § 242 BGB im Schuldverhältnis auch auf den Gläubiger ausgedehnt, da man erkannte, dass die Natur der Wechselseitigkeit der Vertragsverhältnisse gerade die wechsel- seitige Treue und den gegenseitigen Glauben an die Vertragstreue des Partners voraussetzt.15 Doch auch die Begrenzung auf schuldrechtliche Beziehungen wurde zu Gunsten einer weite- ren Anwendung aufgegeben, die jede Sonderverbindung zwischen zwei oder mehreren Recht- subjekten dem Regulativ von Treu und Glauben unterwirft. Diese Sonderverbindungen müs- sen sich nach allgemeiner Ansicht noch nicht einmal verfestigt haben, so dass ein „qualifizier- ter sozialer Kontakt“ genüge, um zur Anwendung von § 242 BGB zu gelangen.16

Um solche sozialen Kontakte in der Rechtsordnung aufzutun bedurfte es dann keiner großen Auslegung mehr, denn gerade wo soziale Interaktion einer gewissen Tiefe praktiziert wird, regelt das Recht die sich daraus ergebenden Beziehungen.

Damit wurde der Grundsatz von Treu und Glauben von einer Auslegungsregel für Schuldverhältnisse weiterentwickelt zu einem generellen Rechtsgrundsatz, der in alle Rechtsbereiche und -gebiete hineinwirkt.17

So wird auch im Prozessrechtsverhältnis eine solche Sonderverbindung erblickt, in der die Grundsätze von Treu und Glauben wirken, soweit die spezifischen Rechtsätze keine, oder unbillige Ergebnisse liefern.18 Teils wird zur Begründung dieser Sonderbeziehung bereits der Schluss mit dem materiellen Recht vollzogen, nämlich dann, wenn zur Begründung dieser Sonderverbindung die vor dem Prozess geschaffene materiell-rechtliche Verbindung zwischen den Prozessparteien genügen soll.19 So kann neben der „Pflicht zur redlichen Prozessführung“ - so der allgemeine Wortgebrauch für die Treu- und Glaubensbindung von Prozesshandlungen - seitens der Parteien ebenso ein Pflichtenkatalog des Gerichts gegenüber den Parteien aus diesem Grundsatz abgeleitet werden.20

Natürlich darf eine Anwendung des Treu- und Glaubensgrundsatzes, nicht pauschal in Form einer schlichten Übernahme der Wertungen zur materiellen Rechtswidrigkeit unter Verweis auf die Einheit der Rechtsordnung21 erfolgen. Dies führe wiederum dazu, dass die grundsätzliche Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht aufgegeben würde, die jedoch wie erläutert im Kern aufrechterhalten werden muss, und nur an definierten Stellen begründete Durchlässigkeiten aufweisen darf.

Auch kann eine solche Ergänzung des Prozessrechts - insbesondere des hier untersuchten Prozessrechts des Arbeitsgerichtsprozesses, nämlich dem ArbGG sowie der nach § 46 II ArbGG entsprechend anzuwendenden ZPO - nur soweit gehen, wie sie nicht den Wertungen der genannten Prozessordnungen widersprechen.22.

Doch ist der Bereich der Beweisverwertung im Zivilprozess kaum explizit geregelt, lediglich die Formen der Beweiserhebung sowie der Grundsatz der freien Beweiswürdigung sind in den §§ 355ff. bzw. § 286 ZPO im Gesetz verankert. Ein Blick in die StPO offenbart hingegen eine höhere Regelungsdichte: Beispielsweise verbieten § 252 und § 136a II S. 2 ZPO ausdrücklich die Verwertung von bestimmten Beweismitteln.

Auf Versuche, sowohl das Instrument der Beweiswürdigung, als auch die strafprozessrechtlichen Regelungen für die Frage von Beweisverwertungsverboten fruchtbar zu machen wird später noch einzugehen sein.

c. Die Herleitung von Beweisverwertungsverboten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben

Nachdem nun die grundsätzliche Bindung des Prozessrechts an den materiell-rechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben erläutert wurde, gilt es zu darzulegen, wie außerprozessua- les Parteiverhalten mittels der „Brücke“ des § 242 BGB Wirkung innerhalb des Prozesses entfalten kann.

Gemäß der Themeneingrenzung bleiben die Themenkomplexe, in denen der Treu- und Glau- bensgrundsatz lediglich prozessimmanente Wirkung entfaltet außer Betracht. Der Vollstän- digkeit halber seien jedoch auch diese kurz erwähnt: Es lassen sich hier zwei Komplexe ab- grenzen, nämlich zum einen der Bereich des widersprüchlichen Prozessverhaltens (venire contra factum proprium), zum anderen der Bereich des missbräuchlichen Rechtsgebrauchs. Zum ersten Bereich ist zudem eine Verwirkung von Prozesshandlungsbefugnissen zu rechnen, bei der die Gegenpartei trotz noch laufender Frist von einem Verzicht auf die betreffende Handlung ausgehen konnte.23

Für die Klärung der Frage, unter welchen Vorraussetzungen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ein Verwertungsverbot für außerprozessual rechtswidrig erlangte Beweismittel hergeleitet werden muss, ist es zunächst nötig, die im Prozess bestehenden Treuepflichten der Prozessparteien zu untersuchen, welche sich in der in Frage stehenden Konstellation als Beweisführer und Beweisgegner gegenüberstehen.

Um seiner Pflicht zur redlichen Prozessführung genüge zu tun, muss der Beweisführer dem- nach bei der Beischaffung der Urteilsgrundlagen auf solche Beweismittel verzichten, derer er sich mit rechtswidrigen und damit unredlichen Mitteln bemächtigt hat. Bringt er ein solches Beweismittel dennoch ein, würde diese unredliche Prozesshandlung durch das Verwertungs- verbot sanktioniert.

Dem gegenüber steht jedoch die Wahrheitspflicht des Beweisgegners. Dieser wird regelmäßig die durch den rechtswidrig erlangten Beweis zu untermauernde Tatsache bestreiten, weil an- derenfalls die in Frage stehende Tatsache nicht beweisbedürftig und die Beweisaufnahme hinfällig wäre. Dieses Bestreiten wäre dann jedoch wiederum eine unredliche Prozesshand- lung, die wiederum ihre Sanktionierung finden müsste. Freilich stellt dieses Bestreiten meist eine „Reflexhandlung“ des Beweisgegners auf die drohende Einbringung des Beweismittels dar.

Somit stehen sich bei einer Betrachtung des Problems im Lichte von Treu und Glauben widerstreitende prozessuale Pflichten der Parteien gegenüber.24

Eine generelle Lösung der Frage, ob nun die Wahrheitsermittlungspflicht oder die Redlich- keitspflicht die Entscheidung des Gerichts bestimmen muss, kann nicht gefunden werden. So kann keine generelle Aussage darüber getroffen werden, ob eine unbedingte Wahrheitsermittlung oder eine sanktionierte unredliche Prozessführung im Einzelfall dem eingangs erwähnten Rechtsfrieden dienlicher ist.

Zwar sprechen die ebenfalls zu Beginn erwähnten Wertungen des Zivilprozessrechts (Säum- nis etc.) dafür, der Wahrheitermittlungspflicht einen geringeren Stellenwert einzuräumen, doch darf nicht verkannt werden, dass die Frage, ob ein Beweismittel eine Tatsache tatsäch- lich beweist erst im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO entschieden wird. Somit muss die generelle Entscheidung über die Zulässigkeit eines Beweismittels unabhängig davon getroffen werden können, ob eine Tatsache damit als wahrheitsgemäß herausgestellt werden kann oder nicht.25

Dies führt am Ende zur Erkenntnis, das zur Lösung des Problems in eine Güter- und Interes- senabwägung anhand des Einzelfalls eingetreten werden muss, deren Ergebnis jedoch allein vom Verhältnis des Beweisinteresses zum bei der Erlangung verletzten Recht bestimmt sein darf und somit unabhängig vom tatsächlichen Beweiswert geführt werden muss.26 Dies ergibt sich aus der oben angestellten Überlegung, dass eine Ergänzung des Prozessrechts nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dort erfolgen darf, wo keine eigenständige prozessrechtliche Wertung vorliegt. Hinsichtlich der Bewertung der Beweiserheblichkeit ist dies hier jedoch in § 286 ZPO der Fall, wohingegen die schiere Zulassungsfrage wie erläutert ungeregelt ist.

Eine solche Abwägung, bei der das Vorliegen einer tatsächlichen Rechtsverletzung untersucht und bewiesen werden muss, führt unter Umständen zu einem Zwischenstreit, der meist eine deutliche Verzögerung des Prozesses nach sich zieht. Zwar mag eine solche Verzögerung unter dem Gesichtspunkt der Prozessbeschleunigung unerwünscht sein, doch ist § 387 ZPO der generelle Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass über strittige Beweisfragen im Rahmen eines Zwischenstreits entschieden werden solle, da diese Vorentscheidung auch einer übersichtlicheren Prozessführung dient.27

d. Konkretisierungen des Treu- und Glaubensgrundsatzes

Mehrere verbreitete Ansichten greifen den eben erläuterten Lösungsweg nach dem eine Ab- wägung der widerstreitenden Interessen auf Basis von Treu und Glauben durchgeführt werden muss auf, und konkretisieren die Wertungsmaßstäbe, nach denen diese Abwägung durchge- führt werden soll.28 Die Notwendigkeit einer solchen Konkretisierung, die sich maßgeblich an den bei der Beweiserlangung verletzten Normen orientiert, wird damit begründet, dass dem Treu- und Glaubensgrundsatz im Verhältnis zwischen den Parteien zwar die Funktion eines Wertungskorrektivs zukommen solle, im Verhältnis zwischen Gericht und den Parteien aber einen Schutz vor allzu beliebiger Beweiserhebung sein müsse.29 Diese Schutzfunktion findet insbesondere darin ihren Ausdruck, dass bei der Verletzung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen ein Verwertungsverbot vor allem damit begründet wird, dass eine Verwertung des Beweismittels eine neuerliche Verletzung des Grundrechts, das dann im Verhältnis Staat (Gericht) - Bürger unmittelbar gilt, darstellen kann.30

Zu einen wird der Treu- und Glaubensgrundsatz dadurch konkretisiert, dass auf den Schutzzweck der konkret bei der Erlangungshandlung verletzten Norm verwiesen wird. Ein Beweisverwertungsverbot müsse demnach dann vorliegen, wenn der Schutzzweck der verletzten Norm dies gebietet.31 Mit anderen Worten: Wenn eine Norm erkennbar auf den Schutz vor der Ausforschung durch das genannte Mittel angelegt ist, muss aus der Verletzung auch die Nichtverwertung des Erlangten folgen.

Zum anderen wird auf den Rang der verletzten Norm abgestellt.32 So führe ein Verstoß gegen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen in der Regel zu einem Verwertungsverbot, wenn nicht im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung ein überwiegendes Beweisinteresse der beweisführenden Partei festgestellt werden kann.33 Verstieß die Erlangungshandlung da- gegen „nur“ gegen einfaches Recht, wird wiederum in einem ersten Schritt der Schutzzweck der Norm daraufhin untersucht, ob er einer Verwertung entgegensteht. Trifft dies zu kann im Einzelfall eine Interessen- und Güterabwägung zur Erkenntnis führen, dass die Verwertung dennoch geboten ist.34

Wie man sieht, ähneln sich diese Ergänzungen des Treu- und Glaubensprinzips in weiten Teilen, so dass sie oft nicht klar voneinander getrennt werden.35

e. Andere Ansätze zur Herleitung von Beweisverwertungsverboten

Neben dem Bezug auf den Grundsatz von Treu und Glauben wurden zahlreiche andere Ver- suche unternommen, der Problematik der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel zu begegnen. In Anbetracht des begrenzten Umfangs dieser Arbeit, ist die folgende Aufzählung weder erschöpfend, noch geht sie auf alle Details einer jeden Ansicht ein.

[...]


1 Grunsky ArbGG, § 59 Rn. 1; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG, § 59 Rn 5. 1

2 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPO, §1 V; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht,5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO, Einl III Rn.12f.

3 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 6, Fink, Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel

im Zivilprozess, 145 f. 2

4 Musielak-Musielak ZPO, Einl. Rn. 56.

5 Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPO, § 2 I, II..

6 Musielak-Musielak ZPO, Einl. Rn. 55.

7 MüKo ZPO-Lüke, § 265 Rn. 101; Zöller-Greger ZPO, § 265 Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald ZPO, § 42 II.

8 Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, 211.

9 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 25, Zeiss ZZP 89, 386.

10 Niese, Doppelfunktionelle Prozesshandlungen, 75f.

11 Musielak-Musielak ZPO, Einl. Rn. 55. 3

12 Baumgärtel ZZP 86, 353.

13 MüKo BGB-Roth, § 242 Rn. 3.

14 Weber, JuS 1992, 636.

15 Weber JuS 1992, 634f.

16 Palandt-Heinrichs BGB, § 242 Rn. 6; MüKo-Roth BGB § 242 Rn. 74.

17 Weber JuS 1992, 635f; Palandt-Heinrichs BGB, § 242 Rn. 2; Jauernig-Vollkommer BGB, § 242 Rn.1. 4

18 BGHZ 50, 191; Zöller-Vollkommer ZPO, Einl. Rn. 56; Rüben, Die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Zivilprozess, 79 f; Schneider, Treu und Glauben im Civilprozesse und der Streit über die Prozesslei- tung, 1.

19 Soergel-Teichmann BGB, § 242 Rn. 84.

20 Zöller-Vollkommer ZPO, Einl. Rn. 57a.

21 So noch Kellner JP 1950, 271.

22 Baumgärtel ZZP 86, 359; Dilcher AcP 158, 473. 5

23 im Einzelnen: Gemmeke, Beweisverwertungsverbote im arbeitsgerichtlichen Verfahren, 183ff.

24 Dilcher AcP 158, 472f. 6

25 Dilcher, AcP 158, 473.

26 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 310.

27 MüKo-Musielak ZPO, § 303 Rn. 1.

28 MüKo-Prütting ZPO, § 284 Rn. 64; Stein/Jonas-Leipold ZPO §284 Rn. 58; Baumgärtel in FS für Klug, 477. 7

29 Baumgärtel, ZZP 86, 358 f.

30 Schwab in FS für Hubmann, 431; ders. In FS für Matscher, 473.

31 Stein/Jonas-Leipold ZPO, § 284 Rn. 58; Baumgärtel in FS für Klug, 477.

32 Baumgärtel in FS für Klug, 473 f.

33 Hinsichtlich des allg. Persönlichkeitsrechts mit Einschränkungen: Schwab in FS für Hubmann, 431.

34 Baumgärtel in FS für Klug, 477.

35 MüKo-Prütting ZPO, § 284 Rn. 63. 8

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Beweisverwertungsverbote im arbeitsgerichtlichen Verfahren
Hochschule
Universität Bayreuth
Veranstaltung
Arbeitsrechtliches Praktikerseminar
Note
13 Punkte
Autor
Jahr
2007
Seiten
33
Katalognummer
V131688
ISBN (eBook)
9783640395651
ISBN (Buch)
9783640395460
Dateigröße
640 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beweisverwertungsverbote, Verfahren, Punkte
Arbeit zitieren
Stefan Weidinger (Autor:in), 2007, Beweisverwertungsverbote im arbeitsgerichtlichen Verfahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131688

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