Russische Raumfahrt damals und heute

Zur Bedeutung von Gagarin und Co für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft


Hausarbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zur Fragestellung und Vorgehensweise der Arbeit

I. Das Raumfahrt-Programm der UdSSR in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
1. Überblick über Ereignisse und Erfolge
2. Ziele des Weltraumprogramms: Propaganda und Großmachtanspruch
3. Stellung der Raumfahrt in der sowjetischen Wirtschaft
4. Unzulänglichkeiten des sowjetischen Raumfahrtprogramms
5. Raumfahrt als Bestandteil von Kultur und Gesellschaft
5.1 Literatur und bildende Kunst
5.2 Raumfahrt im Alltag
5.3 Raumfahrt in der gesellschaftlichen Kritik

II. Krisenjahre nach der Wende
1. Ursachen und Auswirkungen
2. Überleben der Branche
3. Stimmungslage in Bevölkerung und Politik

III. Derzeitige Situation der Branche
1. Stimmung in der Bevölkerung
2. Wirtschaftliche Situation: Momentaufnahme
3. Wirtschaftliche Situation: Entwicklungen und Tendenzen
4. Politische Einbindung

Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Zur Fragestellung und Vorgehensweise der Arbeit

Ausgangspunkt und Fragestellung für die vorliegende Arbeit lieferte ein Bericht über eine im April 2007 in Moskau stattfindende Konferenz, bei welcher Schüler aus der russischen Hauptstadt die Ergebnisse eines interessanten Projekts vorstellten (HAHN): Innerhalb von zwei Jahren hatten sie in Zusammenwirkung mit Industriebetrieben und Wissenschaftsinstituten Ideen für die wissenschaftlich-technologische Zukunft ihres Landes erarbeitet. Im Rahmenprogramm der Präsentationsveranstaltung sprach Wladimir Koslow, Mitglied der Moskauer Stadtvertretung, in seiner Rede zunächst allgemein vom Verhältnis von Jugend, Wissenschaft, Kunst und Politik. Scheinbar zusammenhangslos folgte dann dieser Satz:

„Wenn wir vor 60 Jahren die erste Rakete in den Weltraum schicken konnten und daraus 5000 neue Pionier-Technologien entstanden sind, dann können wir das heute wieder machen, wenn wir uns auf entsprechende Raumfahrtprojekte konzentrieren.“ (W. KOSLOW. Zitiert nach: HAHN)

Offensichtlich besteht im heutigen Russland eine enge Assoziation zwischen den angeführten allgemeinen Begriffen und der Raumfahrt als spezieller Wissenschafts- und Technologiebereich.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, zu erfahren, wie sich die Raumfahrt im Laufe der Zeit in die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik des Landes eingefügt hat und letztlich herauszufinden, ob Koslow mit seinem Optimismus Recht haben könnte oder sich hinter der Zuversicht doch nur eine Phrase verbirgt.

Um der Antwort näher zu kommen, wird die Raumfahrt nach den drei genannten Aspekten sowohl zu sowjetischen Zeiten, der Ära der großen Erfolge, als auch in den Krisenjahren der Neunziger und in der Situation im neuen Jahrtausend betrachtet. Hierbei geht der Blick eher in die Breite als in die Tiefe, um ein möglichst umfassendes und für die interkulturelle Kommunikation praxisrelevantes Bild zu bekommen.

I. Das Raumfahrt-Programm der UdSSR in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

1. Überblick über Ereignisse und Erfolge

Am 4. Oktober 1957 wurde „Sputnik 1“, der erste Satellit der Welt, von der Sowjetunion aus gestartet, was das Land neben den USA zur zweiten Supermacht aufsteigen ließ (KLUGE, S. 151). Diesem Ersterfolg folgten viele andere: Mit Hündin Laika wurde das erste Lebewesen ins Weltall geschossen. Am 12. April 1961 schließlich war Juri Gagarin im Raumschiff „Wostok 1“ der erste Mensch im Kosmos. Walentina Tereschkowa flog 1963 als erste Frau in einem Raumschiff und Alexeij Leonow gelang 1965 der erste „Weltraumspaziergang“ der Geschichte. Zudem konnten die sowjetischen Ingenieure und Wissenschaftler das erste Foto der Mondrückseite aufnehmen, die erste Landung von ferngesteuerten Fahrzeugen auf Mond und Venus verkünden, sowie die erstmalige Entnahme von Mondgestein auf ihr Konto schreiben. Auch auf dem Gebiet der Raumstationen war die Sowjetunion führend. So brachte sie 1971 die erste Raumstation „Saljut 1“ ins All, der bis 1984 sechs weitere der Serie folgten. Die Raumstation „Mir“ war die erste ständig bemannte Orbitalstation. Diese Liste mit bedeutenden Erstleistungen könnte noch weiter fort geführt werden, doch sieht man schon bis hierher den großen Gesamterfolg der sowjetischen Raumfahrt.

Das gesamte Programm war von der militärischen Forschung und Nutzung bestimmt. Das amerikanische Verteidigungsministerium ging davon aus, dass 75 Prozent aller Missionen militärischen Charakter hatten (MALLMANN, S. 396). So kam es auch, dass für die Ausbildung der Kosmonauten die Luftwaffe zuständig war. Dies geschieht bis heute im 1960 gegründeten „Sternenstädtchen“, einem Trainingszentrum in der Nähe Moskaus. Insgesamt standen vier Startzentren für die Missionen zur Verfügung: das waren Kapustin Jar nördlich des Kaspischen Meeres, Swobodny im Fernen Osten des Landes, Plessetsk im hohen Norden sowie der kasachische Weltraumbahnhof Baikonur. Bis 1984 zählte die UdSSR 3691 Kosmonauten-Tage im All, was fast dreimal so viel ist wie die Präsenzzeit der Amerikaner im Weltraum (ebd., S. 395).

Natürlich gab es im Zuge dieser scheinbar makellosen Entwicklung auch einige Fehlschläge und Misserfolge, die jedoch bis zur Zeit der Perestroika streng geheim gehalten worden sind: So kam es beispielsweise schon 1960 in der Vorbereitungsphase des Fluges Gagarins zu einem Unfall mit 160 Toten und im April 1967 stürzte der Kosmonaut Vladimir Komarov ab, da sich die Entwicklung seiner Raumkapsel noch in der Testphase befand, die Staats- und Parteiführung zum ersten Mai aber einen Erfolg vorweisen wollte und die Verantwortlichen deswegen zu diesem Flug drängte (KLUGE, S. 158). Auch der Bau einer Mondrakete und eines Raumgleiters schlug fehl.

Dennoch kann man angesichts der zahlreichen Erfolge und deren Bedeutung für den heutigen Entwicklungsstand der Branche der Sowjetunion definitiv eine Führungsrolle in der Raumfahrt zusprechen.

2. Ziele des Weltraumprogramms: Propaganda und Großmachtanspruch

An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, welche Motivation die Machthaber in der Sowjetunion hatten, um ein so umfangreiches Programm der Weltraumfahrt umzusetzen. Dabei spielen sowohl innen- als auch außenpolitische Interessen der Führung eine Rolle.

Durch das erfolgreiche Engagement des Landes in diesem Bereich konnte der Bevölkerung bewiesen werden, dass die Sowjetunion mit den USA und den anderen kapitalistischen Industriestaaten Schritt halten kann. Zu diesem Zwecke konnten besonders die Erstleistungen der fünfziger und sechziger Jahre propagandistisch ausgenutzt werden (MALLMANN, S. 393.). So lautete eine Parteilosung Chruschtschows:

„Man muss die Einbildungskraft der Massen mit allen Mitteln entfesseln, man muss sie glauben machen, dass nichts in der UdSSR unmöglich ist, dass Technik eines sozialistischen Staates alles zu überwinden erlaubt, selbst die Gesetze der Natur.“ (CHRUSCHTSCHOW. Zitiert nach: KLUGE, S. 152)

In diesem Sinne sind dann auch die Schlagzeilen verschiedener Zeitungen nach dem ersten Flug Gagarins zu verstehen: „In dieser Heldentat wird das Genie des Sowjet-Menschen verkörpert, die mächtige Kraft der sozialistischen Gesellschaftsordnung“ (Zitiert nach: ebd., S. 154) oder „Der erste Kosmonaut der Welt – ein Sohn der großen Partei Lenins“ (Zitiert nach: ebd., S. 155) waren Parolen, mit denen den Bürgern des Landes an die Leistungsfähigkeit des Systems erinnert werden sollten. Was ebenfalls propagandistisch ausgenutzt wurde, waren Biographien einiger Kosmonauten. So galt Walentina Tereschkowas, die erste Frau im All, als „einfaches Mädchen aus dem Volk“. Durch ihren Flug konnten zwei Aspekte verdeutlicht werden: Zum einen die Zuverlässigkeit und Unkompliziertheit der sowjetischen Technik, zum anderen wurde gezeigt, dass in der UdSSR wirklich jeder die Chance hat, eine ruhmvolle Tat zu vollbringen (KLUGE, S. 156).

Nach außen hatten die Erfolge im Kosmos eine ähnliche Wirkung wie nach innen. So ging der Start von „Sputnik 1“ für den Westen als der „Sputnik-Schock“ in die Geschichte ein, denn „90 Prozent des Geredes über einen künstlichen Erdtrabanten entfielen auf die USA. Es erwies sich, dass Russland zu 100 Prozent das Eisen schmiedete.“ (NEW YORK TIMES. Zitiert nach: RIA NOVOSTI 2007-10-04).

Die Sowjetunion hatte mit diesem Ereignis auch dem Ausland gegenüber sein technologisches und wirtschaftliches Potential unter Beweis gestellt, zumal die Funksignale des Satelliten, und somit der Beweis seiner Existenz, nicht nur von militärischen Anlagen, sondern von jedermann mit einfachen Transistorradios empfangen werden konnte (KLUGE, S. 151). Militärisch war der Start auch das Zeichen an die Welt, dass die Sowjetunion über eine Interkontinentalrakete verfügte, die potentiell Sprengkörper über eine große Entfernung tragen könnte (ebd.). Somit konnte das Land ab sofort seine Interessen in der internationalen Gemeinschaft durch die Existenz eines Drohmittels leichter durchsetzen. Dennoch versuchte die politische Führung in Moskau, die militärischen Aspekte des Programmes zu leugnen und der Weltöffentlichkeit zu demonstrieren, dass nur die USA und die westlichen Industriestaaten eine „Militarisierung des Weltraums“ vorantreiben (MALLMANN, S. 393). Dieser friedliche Aspekt der Raumfahrt war schon beim Flug Gagarins hervorgehoben worden. Der spätere Einsatz des Kosmonauten als Sympathieträger und außerordentlicher Gesandter bei Auslandsreisen unterstreicht das Streben nach einem friedfertigen Anschein (KLUGE, S. 152). Auch die internationale Zusammenarbeit im Programm „Interkosmos“, in dessen Rahmen Kosmonauten aus verschiedenen Ländern auf sowjetische Raumstationen mitgenommen wurden, ist in diesem Sinne zu verstehen (MALLMANN, S. 394). Dennoch schuf die Raumfahrt die Voraussetzungen für den Einsatz der Streitkräfte (ebd.), denn es wurden Systeme zur Aufklärung, Überwachung, Navigation, Frühwarnung und Abwehr entwickelt (ENGELHARDT, S. 315).

Weiterhin versucht man, bestimmte Raumfahrterfolge zeitlich so zu platzieren, dass diese als Ablenkungsmanöver anderer politischer Schritte genutzt werden konnten. So flog German Titov, der zweite Kosmonaut der Welt, nur wenige Tage vor dem Berliner Mauerbau ins All (KLUGE, S. 156) und das erste sowjetisch-amerikanische Raumfahrtunternehmen „Sojus-Apollo“ im Juli 1975, bei dem Kosmonauten beider Länder 220 km über Torgau an der Elbe den historischen Handschlag von 1945 wiederholten, wurde zur größten Mediensensation seit der Mondlandung und von der Propaganda auf beiden Seiten zur Ablenkung vom weiter fortschreitenden Wettrüsten genutzt (ebd., S. 162).

Dennoch hatte die Forschung und Entwicklung in der Raumfahrtbranche auch für die Zivilbevölkerung positive Folgen: So wurde das Kommunikationssystem verbessert, die Wettervorhersage verfeinert, die Navigation für Schiffe vereinfacht und es konnten ab sofort Bodenschätze aus dem All heraus ausfindig gemacht werden (MALLMANN, S. 394).

Alles in allem verfolgte man in der Sowjetunion mit dem stetigen Vorantreiben der Weltraumfahrt in verschiedenen Facetten sowohl nach innen als auch nach außen machtpolitische und –sichernde Ziele. Doch auch die Technisierung des alltäglichen Lebens wurde dadurch fortgeführt. Wie sich diese Aktivitäten in der Wirtschaft der UdSSR einfügen oder diese ggf. beeinflussen, wird im nächsten Abschnitt geklärt.

3. Stellung der Raumfahrt in der sowjetischen Wirtschaft

Die Raumfahrtindustrie der UdSSR war gemeinsam mit der Rüstungsindustrie und der zivilen Flugzeugproduktion dem sog. militärisch-industriellen Komplex zugeordnet, welcher einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor des Landes darstellte (KLUGE, S. 205).

Insgesamt flossen der sowjetischen Raumfahrt als so bedeutender Faktor im „Wettstreit der Systeme“ hohe finanzielle Mittel zu (ENGELHARDT, S. 315). Da das Programm aber hinsichtlich Organisation und finanzieller Ausstattung unter Geheimhaltung stand, basieren sämtliche Kennzahlen zur Einordnung der Branche in die Wirtschaft der UdSSR nur auf Schätzungen und sind zum Teil widersprüchlich. So ergaben westliche Analysen beispielsweise, dass inklusive der Mitarbeiter in den sozialen Bereichen der Unternehmen Anfang der neunziger Jahre etwa 600.000 Menschen in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt waren (ebd., S. 320). Für 1984 wurde das Raumfahrtbudget des Landes für zivile und militärische Zwecke auf anderthalb bis zwei Prozent vom Bruttosozialprodukt geschätzt. Der Anteil ist damit fast viermal so hoch wie der der USA mit 0,47 Prozent vom BSP (FRISKE, S. 496). Die Ausgaben der Sowjetunion für ihr Raumfahrtprogramm stiegen laut einer amerikanischen Übersicht von 1970 bis 1985 jährlich um zwei bis dreieinhalb Prozent (ENGELHARDT, S. 320). Erst unter Gorbatschow wurde der Etat erstmalig gesenkt: 1990 betrug dieser 6,3 Milliarden Rubel (ebd.). Selbst wenn diese Zahlen nicht exakt sein sollten, so steht dennoch fest, dass die Raumfahrt einen erheblichen Teil der Staatsausgaben kostete und eine Vielzahl von Personen beschäftigte. Der Unterschied zu anderen Wirtschaftszweigen bestand jedoch darin, dass in dieser Branche keine direkten Einkünfte erzielt wurden, sondern der Nutzen von politischer und wissenschaftlicher bzw. technologischer Natur war. Besonders für die Anfänge der Raumfahrt gilt hierbei, dass sowohl für die UdSSR als auch für die Vereinigten Staaten der „Spin-off“, d.h. die Nutzung von Technologien und Innovationen aus der Raumfahrt in der zivilen Industrie, als eher gering eingeschätzt wird (MALLMANN., S. 403).

Das führende Industrie-Unternehmen der Sowjet-Zeit, welches auch heute noch eine bedeutende Rolle spielt, war bzw. ist die RKK Energija, die seit 1946 unter verschiedenen Namen existiert. Sie zeichnete sich durch hohe Mitarbeiterqualifikation, langjährige Erfahrung, moderne Versuchs- und Produktionsanlagen sowie durch die eingespielte Zusammenarbeit mit Partner-Unternehmen aus. Insgesamt hatte der Betrieb dadurch einen Vorsprung gegenüber anderen Industriezweigen (ENGELHARDT, S. 318). Auch in diesem Fakt zeigt sich die große Bedeutung, die die politische Führung der Raumfahrt zuschrieb.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Russische Raumfahrt damals und heute
Untertitel
Zur Bedeutung von Gagarin und Co für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Fachgebiet für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation)
Veranstaltung
Wirtschaftsbezogene Kulturgeschichte Russlands
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V131708
ISBN (eBook)
9783640373611
ISBN (Buch)
9783640373321
Dateigröße
549 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Russische, Raumfahrt, Bedeutung, Gagarin, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Felix Block (Autor:in), 2008, Russische Raumfahrt damals und heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131708

Kommentare

  • Gast am 6.2.2010

    Hallo,
    Herr F. Block
    ich finde das angegebene Material hervorragend.
    Habe ein paar Fragen, könnte ich sie stellen ?

Blick ins Buch
Titel: Russische Raumfahrt damals und heute



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