Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Ursprünge des Vampiraberglaubens und Stokers Grundidee
2.1. Der Mythos Vampir
2.2. Die Bezeichnung noferatu
2.3. Schauplatz des Romans
2.4. Vlad Tepes und Dracula
3. Verwandlung in einen Vampir
3.1. Wie wird man zum Vampir
3.2. Der Verwandlungsprozess und typische Krankheitsbilder
4. Der Vampir selbst
4.1. Äußerliche Merkmale
4.2. Die Eigenschaften
4.3. Die Fähigkeiten
5. Maßnahmen gegen den Vampir
5.1. Abwehr
5.2. Verni chtung
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Beinahe jede Kultur kennt sie, die blutdürstigen wiederauferstandenen Toten. Doch überall tragen sie verschiedene Namen, haben verschiedene Eigenschaften, Fähigkeiten und sind mit variierenden Traditionen verbunden. Als der Urvater der Vampire wird oft der Vampir nach Bram Stokers Dracula, erschienen 1897, gesehen. Doch der Vampirismus und Aberglaube über den Vampirmythos geht viel weiter zurück. Wo Bram Stoker traditionelle Überlieferungen aus Rumänien und Transsilvanien nutzt, wo weitere Legenden und Mythen aus der Welt zum Tragen kommen, welche anderen Quellen und Inspirationen sich für den Vampir finden und, was lediglich Stokers Imagination entspringt, ist Gegenstand dieser Arbeit. Dabei wird zunächst auf die Ursprünge des Vampiraberglaubens und Stokers Grundidee des Romans, einschließlich des Schauplatztes und der Inspiration für Graf Dracula, eingegangen. Im Anschluss findet eine genauere Betrachtung der Verwandlung des Menschen in einen Vampir und darauffolgend, des Vampirs selbst, mit seinem äußeren Erscheinungsbild, seinen Eigenschaften und Fähigkeiten statt. Zuletzt wird ein Blick auf die Maßnahmen gegen den Vampir, sowohl auf Abwehrmaßnahmen wie auch auf die Vernichtung des Vampirs, geworfen. Im Endeffekt soll gezeigt werden, dass Stokers Vampirfigur nicht lediglich auf seine eigene Vorstellungskraft zurückgeht, viel mehr werden verschiedene Mythen und Legenden aus dem Volksaberglauben verschiedener Kulturen miteinander verwoben und es finden sich auch eine Reihe weitere Inspirationen, wie Krankheiten und historische Überlieferungen für seine Vampirfigur.
2. Ursprünge des Vampiraberglaubens und Stokers Grundidee
Um sich mit den Ursprüngen des Vampiraberglaubens und Stokers Grundidee auseinander zu setzen, wird zunächst der Mythos Vampir und das problematische Kunstwort nosferatu genauer beleuchtet. In einem zweiten Schritt wird dann konkret auf den Roman Bezug genommen, indem der Schauplatz des Romans und Vlad der Pfähler, als historische Inspiration für Graf Dracula, betrachtet werden.
2.1. Der Mythos Vampir
Wo kommt also die Idee dieses übernatürlichen Wesens her? Tatsächlich weiß man wenig darüber, woher der Vampirismus konkret kommt oder was das Wort Vampir in der Vorstellung des Volkes im eigentlichen Sinne meint. Einiges lässt sich jedoch herausarbeiten.
„Eine wesentliche Voraussetzung für das Aufkommen des Vampiraberglaubens war die allmählich Ablösung der Feuerbestattung durch die Grablegung oder die Beerdigung“. (Bohn: 10) Damit einher, geht auch die Vorstellung des Mittelalters und der frühen Neuzeit, anders als heute wurde der Tote damals nicht als Sache, sondern immer noch als Person angesehen. (vgl. Franz und Nösler: 21) Ein weiterer Punkt, der zur Verbreitung des Vampiraberglaubens beigetragen hat, waren die Pest und andere hochansteckende Krankheiten, in Zeiten solcher Krankheiten war der Glaube an Untote besonders verbreitet. (vgl. ebd.: 86) Im westlichen Teil Europas gründet sich der Vampirismus auf der Vorstellung, dass Tote vermeintlich ihre Gräber verlassen, um die Lebenden zu schädigen, zumeist indem sie ihnen das Blut aussaugen. Geht man von dieser Vorstellung aus, finden sich die historischen Ursprünge weder in Transsilvanien noch in Rumänien, „vielmehr sind die Wurzeln des Vampirismus bei dieser Leseart im England des 12. Und im Böhmen des 14. Jahrhunderts zu suchen.“ (Bohn: 31) „Die wohl älteste Form des Untoten ist der Wiedergänger - ein Toter, der sein Grab verlässt und zu den Lebenden zurückkehrt.“ (Franz und Nösler: 35) Auch die Isländersagas aus dem 13 Jahrhundert erzählen von einem Ungeheuer, welches auf diesen Typus passt, jedoch ohne das Blutsaugen. (vgl. Bohn: 31) In dieser altnordischen Erzählung wird der Vampir als draugr bezeichnet, er verlässt seinen Grabhügel, um den Hinterbliebenen Schaden zuzufügen. (vgl. ebd.: 36) Die Sagen aus Böhmen hingegen basieren oft auf der Hexe von Lewin und dem Hirten von Blow, „sensationell an der Geschichte ist die Bezugnahme auf Teufelspakt und Hexentanz, die als Vorstufe zur Wiedergängerei und Blutsaugerei angesehen werden.“ (ebd.: 53) Besonders bekannt im Volksaberglauben vieler Kulturen ist auch die Vorstellung des Nachzehrers, „beide saugen ihren Opfern gierig das Leben aus. Doch während der Vampir dazu aktiv das Grab verlässt, bleibt der Nachzehrer in seiner Ruhestätte und wirkt von dort mit seinem Schadzauber.“ (Franz und Nösler: 38) Dafür saugt der Nachzehrer an seinem Leichentuch, Leichenhemd oder seinem eigenen Fleisch und zieht damit die Lebenskraft aus seinen Angehörigen. (vgl. ebd.) Das Phänomen des Nachzehrers ist an dieser Stelle sehr passend. Damals stand nämlich weniger das vermeintliche Blutsaugen im Zentrum des Vampirglaubens als vielmehr das Phänomen des unverwesten Leichnams, der zentraler Bestandteil vieler Legenden ist. (vgl. Bohn: 14) Hierfür gibt es allerdings auch eine wissenschaftliche Erklärung: „ Fehlt es an Sauerstoff, etwa weil der Boden zu feucht ist, wird der Verwesungsprozess unterbrochen. Gerade auf lehmigen und tonigen Böden kennen Totengräber das Phänomen der Wachsleichen“ (Franz und Nösler: 148)
Aus dem Gebiet rund um Transsilvanien stammt die Figur des strigoi, der nahe an der heutigen Vorstellung des Vampirs ist. (vgl. Milmine: 35) Der Name Vampir selbst stammt vermutlich von dem altslawischen Wort apyr, was im Russischen zu upyr, im Tschechischen zu wapierz, im Polnischen zu upior und im Nordgriechischen zu vampirasz wurde, es gibt aber noch eine Reihe weiterer ähnlicher Bezeichnungen in anderen Sprachen. (vgl. Lendjel: 9f.)
Abschließend lässt sich also festhalten, dass der Vampir nicht einzigartig ist, je nach Ethnie und Sprache gibt es eine Reihe an verschiedenen Ideen von und Namen für den blutsaugenden Untoten. (vgl. Bohn: 290)
2.2. Die Bezeichnung nosferatu
Auch im Roman Dracula, wird die Bezeichnung Vampir genutzt, Professor Van Helsing nennt jedoch die Bezeichnung nosferatu als den korrekteren Term für den Vampir. Tatsächlich ist dies problematisch und der erste Punkt, in dem Bram Stoker von überlieferten Vorstellungen des Vampirs abdriftet. (vgl. Milmine: 35) Die Bezeichnung ist vermutlich aus einer Verwechslung des Wortes necurat, was unsauber bedeutet, oder necuratul, was wörtlich der Unreine bedeutet, entstanden. (vgl. Bohn: 25) So wurden in Rumänien die bösen Geister genannt, deren Namen nicht ausgesprochen werden durfte, necuratul ist auch als Bezeichnung für den Teufel bekannt. (vgl. ebd.) Die Verwechslung geht allerdings nicht von Stoker selber aus, sondern auf Emily Gerard zurück, die in ihrem 1885 als Zeitschriftenartikel und 1888 in Buchform erschienenen Bericht The Land Beyond the Forest das Kunstwort nosferatu als Bezeichnung für die rumänische Variante des Vampirs und die Angaben für die, vom Volk ergriffenen, Abwehrmaßnahmen verwendet. (vgl. Bohn: 25)
2.3. Schauplatz des Romans
Ähnlich wie die Bezeichnung nosferatu, ist auch der Schauplatz des Romans nicht authentisch. Transsilvanien, die Walachei und der Balkan sind als geographische Räume nebulös dargestellt und insgesamt passen die osteuropäischen Länder zu dem Volksaberglauben in Bezug auf Vampirismus, aber ausgerechnet in Transsilvanien und der Umgebung rund um Transsilvanien kamen Vampire (beziehungsweise der Glaube an Vampire) eher selten vor. (vgl. Bohn: 9) Vampirismus wurde vor allem in den Überlappungszonen der europäischen Vielvölkerreiche oder Imperien registriert. (vgl. ebd.)
„Entlang der sich in der Mitte Europas treffenden Randgebiete des Kiewer Reiches und des Zarenreiches, der Polnisch-Litauischen Union und des Osmanischen Reiches sowie des Habsburgerreiches und Preußens erstreckte sich offenbar so etwas wie ein Vampirgürtel“ (ebd.: 10) Für die Geschichte Stokers ist dies jedoch zweitrangig, in erster Linie ging es ihm vermutlich darum einen Schauplatz zu wählen, der möglichst zivilisationsfern liegt und ein wenig orientalisch angehaucht ist, außerdem musste er eine gewisse blutrünstige Tradition besitzen. (vgl. Grimm: 1) Und, „was die Blutrünstigkeit anlangte, so war allerdings das Grenzland zwischen christlichem Abendland und moslemischer Türkei konkurrenzlos“ (ebd.)
2.4. Vlad Tepes und Graf Dracula
Es findet sich aber noch eine weitere Verbindung zum Schauplatz in Transsilvanien, nämlich die historische Vorlage für den Grafen Dracula, Vlad Tepes. Der Graf Vlad Tepes, wird als Pfähler (Tepes) bezeichnet, „weil er die unangenehme Gewohnheit hatte, seine Gefangenen auf hohe Spießen zu pflöcken.“ (Grimm: 1) Ein Vampir war der Graf jedoch nicht und es gibt im heutigen Rumänien auch keinerlei Vampirsagen, die sich um seine Person ranken würden. Vlad Tepes war jedoch äußerst brutal, die Schätzung der Anzahl seiner Opfer weichen zwar je nach Quelle stark ab, liegen aber höchstwahrscheinlich zwischen 40.000 und 100.000. (vgl. Franz und Nösler: 128) Besonders tyrannische und blutrünstige Menschen habe man volkstümlich mit dem Etikett Vampir bedacht, sodass vom Fürsten Vlad am Ende der Katalyse nur der ungeheure Blutdurst übrigbleibt. (vgl. Grimm: 3) Doch auch der Name Graf Dracula geht auf Vlad Tepes zurück. Dessen Vater wurde von Kaiser Siegmund für seine Dienste im Hussitenkreuzzug zum Ritter des, 1418 gegründeten, Drachenordens erhoben. (vgl. ebd.: 2) So ist der Beiname Dracul (von latein. draco) entstanden, Dracula bedeutet im Anschluss daran übersetzt Sohn des Dracul, was Vlad Tepes zu Dracula macht. (vgl. Lendjel: 23) Abschließend lässt sich sagen: „Erst das Ingenium des Literaten Bram Stoker hat Vlad Tepes und den Vampirmythos zusammengebracht, die Geburt des klassischen Vampirs ,Graf Dracula‘ ist also eine geistige Retortenzeugung.“ (vgl. Grimm: 2)
3. Die Verwandlung zum Vampir
Um sich mit der Verwandlung zum Vampir auseinander zu setzen, wird zunächst erläutert welche Möglichkeiten es im Volksaberglauben und im Dracula Roman gibt, zum Vampir zu werden.
Im Anschluss wird der Verwandlungsprozess mit einem Krankheitsbild aus der Zeit des Höhepunktes des Volksaberglaubens in Verbindung gebracht.
3.1. Wie wird man zum Vampir
In Stokers Roman kann jeder zum Vampir werden, der von einem Vampir oft genug gebissen wurde, dass so viel Blut verloren wurde, dass die Person stirbt. Nach dem Tode erwacht sie dann ebenfalls als Vampir. Im Falle von Mina wird außerdem beschrieben, dass Dracula sie nicht nur beißt und ihr Blut trinkt, sondern sie im Gegenzug auch zwingt das seine zu trinken. „Mit seiner linken Hand hatte er Frau Minas Hände umfaßt und hielt sie mit ausgestrecktem Arm weit von sich; seine rechte umklammerte ihren Nacken und drückte sie mit dem Gesicht an seine Brust.“ (Stoker: 369) Und weiter: „Ihre Stellung hatte verzweifelte Ähnlichkeit mit der eines kleinen Kätzchens, dem ein Kind die Nase in die Milch stößt, um es zum Trinken zu zwingen.“ (ebd.) Ein besonders interessanter Fall ist in diesem Zusammenhang der des Arnold Paole aus dem Jahr 1732, denn er ist bereits relativ nahe an dieser Verwandlung durch den Verzehr von Vampirblut, der Mann hatte zu Lebzeiten öfter erklärt, dass er die Erde von dem Grab eines Vampirs gegessen und sich mit dessen Blut eingerieben hatte. (vgl. Franz und Nösler: 53)
An dieser Stelle wichtig zu nennen, ist, dass insbesondere in Literatur und Film der Biss des Vampirs immer auch eine erotische Komponente hat, so ist der Biss oft Ausdruck sexueller Wünsche, mit sadistischem Einschlag und auch die Szenen des Vampirbisses in Bram Stokers Dracula, haben einen leicht erotischen Einschlag. (vgl. ebd.) Beispielsweise in der Szene in der Mina gebissen wird: „Ihr weißes Nachthemd war mit Blut bespritzt, und Blut rann wie ein feiner Faden über des Mannes Brust, die er entblößt hatte.“ (Stoker: 269) Deutlicher aber noch in J onathan Harkers Interaktion mit den drei Vampirfrauen in Draculas Schloss:
„Es war eine wohlberechnete Wollüstigkeit, die anziehend und abstoßed zugleich wirkte, als sie ihren Nacken beugte, leckte sie ihre Lippen wie ein Tier, so daß ich im Licht des Mondes den Speichel auf ihren Scharlachlippen, ihrer roten Zunge und ihrer weißen Zähnen glänzen sah. Immer tiefer beugte sie sich herab, streifte mir an Mund und Kinn vorbei und näherte sich meiner Kehle, and der sich einen heißen auch verspürte.“ (Stoker: 55)
Obwohl die Sexualisierung von Toten (oder Untoten) durchaus im Volksglauben verankert ist, ist die Idee des Vampirbisses dies nicht. Die Idee des Vampirs als sexuell höchst attraktives Wesen, das durch die intime Handlung des ekstatischen Blutsaugens seine Opfer verwandelt, ist ein Produkt der Literatur.
Bei dem draugr aus der isländischen Saga, findet sich eine andere Parallele, denn auch dessen Opfer verwandeln sich nach ihrem Tod in Wiedergänger. (vgl. Teichert: 9)
3.2. Der Verwandlungsprozess und typische Krankheitsbilder
Bei dem Verwandlungsprozess in einen Vampir hingegen lassen sich andere Belege finden. Demnach ist es so, dass „Vampirgeschichten in Ungarn und auf dem Balkan zu einer Zeit entstanden, als Tollwutepidemien grassierten.“ (Lendjel: 28) Die Tollwutsymptome lassen sich in drei Stadien kategorisieren, die so auch im Volksaberglauben und bei Lucy Westenraas Verwandlung wiederzufinden sind. Das erste Stadium zeichnet sich durch Fieber, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Brennen, Juckreiz und Schmerzempfindlichkeit aus. (vgl. ebd.) Diese Symptome passen auch gut zu Lucys Verwandlung, so schreibt Mina in ihrem Tagebuch über sie: „Lucy hatte Kopfweh und begab sich bald zur Ruhe.“ (Stoker: 126) und: „Sie sieht so schön aus im Schlafe; aber sie ist bleicher als gewöhnlich, und es liegt eine tiefe, harte Linie unter ihren Augen, die mir nicht gefällt.“ (ebd.) Auch mit Appetitlosigkeit und Fieber hat Lucy zu kämpfen. Im zweiten Stadium leiden die Betroffenen unter Angstgefühlen, Unruhe, Krämpfen der Schluckmuskulatur- ausgelöst durch Schlucken und Speichelfluss aus dem Mund, um Speichel nicht schlucken zu müssen, außerdem ein abwechselnd aggressiver und depressiver Gemütszustand. (vgl. Lendjel: 28) Auch diese Symptome treffen zumindest in Teilen auf Lucy zu, so schreibt diese in ihrem eigenen Tagebuch: „Mein Gesicht ist geisterhaft bleich und meine Kehle schmerzt mich.“ (Stoker: 145) Als letztes Stadium folgt dann die Paralyse und der Tod. (vgl. Lendjel: 28).
4. Der Vampir selbst
Was macht nun also den Vampir aus, sobald er einmal verwandelt ist? „Im Dracula Roman definiert Van Helsing den Vampirgrafen als die Verkörperung des Bösen und als Auswuchs der Schläue. Er sei unsterblich und ziehe seine überwältigende Kraft aus dem Blut, das er den Menschen aussauge.“ (Bohn: 26) Eine Anzahl verschiedenster Eigenschaften und Fähigkeiten verschaffen ihm eine ungeheure Überlegenheit. Mit dem Kanon von Merkmalen, die Stoker in seiner Vampirfigur vereint dient dieser lange als „dominierender Prototyp der westlichen Vampirfiguren des 20. Jahrhunderts.“ (ebd.: 27) Um dies zu verdeutlichen, werden zunächst die äußerlichen Merkmale von Stokers Vampir erläutert und ihre Hintergründe erklärt, dann wird ein Blick auf die Eigenschaften und zuletzt auf die Fähigkeiten des Vampirs geworfen.
4.1. Äußerliche Merkmale
Bram Stoker beschreibt den Grafen als „hochgewachsener alter Mann, glatt rasiert, mit einem langen weißen Schnurrbart und schwarz gekleidet von Kopf bis Fuß.“ (Stoker: 26) Außerdem sei sein Gesicht „raubvogelartig; ein schmaler, scharf gebogener Nasenrücken und auffallend geformte Nüstern.“ (ebd.: 29) „Die Stirn war hoch und gewölbt, das Haar an den Schläfen dünn, im übrigen aber voll.“ (ebd.) Des Weiteren habe er ein breites Kinn, feste, schmale, aber straffe Wangen und sei außerordentlich blass. (vgl. ebd.) Insgesamt wirkt er auf Jonathan überaus höflich. (vgl. ebd.) Der Vampir als schöne, faszinierende, sexuell unwiderstehliche Figur ist eine Schöpfung der Literatur, die, im Volksaberglauben zu findenden, Vampire waren eher hässlich, brutal und stinkend. (vgl. Franz und Nösler: 41) Ein Pendant zum schönen Vampir findet sich nur in der weiblichen Version, wunderschön, sittsam, treu, erotisch und tödlich war die, in der Antike bekannte, Braut von Korinth. (vgl. ebd.: 70)
Aber wie sich leicht erkennen lässt ist auch sie eine Schöpfung der Literatur, tatsächlich schöne und erotische Vampire lassen sich im Volksaberglauben kaum finden. Dass Stoker für seine Figur Graf Dracula, eine historische Vorlage verwendet hat, wurde schon erarbeitet, aber auch das Äußere des Vampirgrafen entspringt möglicherweise nicht ausschließlich Stokers Imagination. Wie bereits erläutert, ist dieses Aussehen nicht auf den Volksaberglauben zurückzuführen. Eine mögliche Quelle, auf der Stoker seinen Charakter aufgebaut haben könnte, ist Sir Henry Irving, ein britischer Schauspieler für den Stoker jahrelang als Manager arbeitete. (vgl. Suess) Andererseits könnte das Aussehen von Graf Dracula auf den kriminellen Mann nach Cesare Lombroso (18351909) zurückgeführt werden, er war italienischer Arzt, Kriminologe und Professor für Psychiatrie und ging davon aus, dass Kriminelle als solche geboren werden und an bestimmten äußerlichen Eigenschaften erkannt werden können. (vgl. Hughes: 34) Wenn man auch nicht mit Sicherheit sagen kann, ob Bram Stoker Lombrosos Schriften gelesen hat, so scheint es doch, als wäre die Figur des Graf Dracula davon inspiriert. So sei die Nase des kriminellen Mannes oft spitz, wie der Schnabel eines Raubvogels, die Augenbrauen seien bei Mördern und Frauenschändern in der Regel buschig und würden dazu neigen, sich über der Nase zu treffen, außerdem gebe es eine Ausstülpung am oberen Teil des hinteren Randes des Ohrs, und auch die Eckzähne seien lang und spitz. (vgl. ebd.)
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