Sokrates - ein Skeptiker?


Dossier / Travail, 2004

18 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Skepsis im Leben des Sokrates
2.1. Sokrates’ Selbstverständnis
2.2. Sokratische Methode

3. Tod
3.1. Sokrates’ Todesauffassung
3.2. Auswirkungen von Sokrates’ Tod

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Da „die Wirkung des Sokrates noch in der Nachwelt [...] groß“[1] ist und er in „vielen Zeitaltern [...] als das Idealbild des Weisen“[2] galt, ist die Rolle der philosophischen Skepsis – erst nach Sokrates durch Arkesilaos in die Platonische Akademie gebracht[3] – in Sokrates’ Leben offen. Von der Figur des Sokrates leiten sich die unterschiedlichsten philosophischen Schulen ab, da er als „Begründer der autonomen philosoph[ischen] Ethik[4] gilt und die Schulen der „Kyrenaiker“ und der „Kyniker“[5] zu jenen gehören, die sich auf ihn beziehen. Hier soll untersucht werden, inwiefern Sokrates ein Vorbild für den Skeptizismus gewesen sein konnte. War Sokrates ein Skeptiker?

Als Grundlage zur Beantwortung der Frage wird die „systematische Darstellung der antiken Skepsis“[6] von Sextus Empiricus, ‚Grundriß der pyrrhonischen Skepsis‘, verwendet. Beispielhaft wird an dem Text ‚Apologie‘ des Platons[7] erörtert, inwiefern der von ihm dargestellte Sokrates bestimmte Aspekte der pyrrhonischen Skepsis erfüllt. Zu diesen zählen die Prinzipien der Skepsis, die Tropen der Zurückhaltung und die skeptischen Schlagworte. Um die skeptischen Haltungen Sokrates’ zu erarbeiten, ist eine genaue Betrachtung des Textes vonnöten.

Hier sei noch kurz der Begriff der Skepsis erläutert: Skepsis ist laut dem großen Brockhaus „die befragende, prüfende Betrachtung, die Grundhaltung des Zweifelns und der Urteilsenthaltung“[8]. Der ‚dtv-Atlas Philosophie’ bezeichnet die Skepsis als eine Strömung, „die die philosoph[ischen] Lehrgebäude radikalem Zweifel unterzieht, wobei hierbei vor allem Pyrrhon von Elis zu nennen ist“[9]. Nach dem Philosophie-Lexikon von Hügli und Lübcke stammt der Begriff „Skeptizismus“ vom griechischen ‚skopeo’, was soviel bedeutet, wie „spähen umherschauen, betrachten, untersuchen, nachdenken“[10]. So soll der Skeptizismus „die Möglichkeit sicherer oder objektiver Erkenntnis bestreite[n]“[11]. Hier wird der Bezug des Skeptizismus auf Sokrates dadurch angedeutet, dass die Schule des Skeptizismus „Anschluß an den Platonismus“[12] fand.

Die Rolle, die eine mögliche Vorform der Skepsis in Sokrates’ Leben spielt, wird nun schrittweise untersucht, wobei zuerst untersucht wird, inwieweit Sokrates’ Selbstverständnis und seine Methode skeptischen Charakter aufweisen.

In einem weiteren Schritt wird anhand der Auffassung des Tods durch Sokrates, wie sie von Platon in seiner Apologie dargestellt wird, und anhand der von Sokrates dargestellten möglichen Auswirkungen seines Todes punktuell an Aussagen und Formulierungen Sokrates’ untersucht, wie skeptisch er konkreten Dingen gegenüber stand.

2. Skepsis im Leben des Sokrates

2.1. Sokrates’ Selbstverständnis

Das Selbstverständnis des Sokrates wird von Platon in den Kapiteln 1, 16 und 18 seiner Apologie dargestellt. So werden zu Beginn der Verteidigungsrede von Sokrates zu einigen grundlegenden Gegebenheiten Stellung genommen. Schon der erste Satz beinhaltet eine den Umständen gegenüber skeptische Einstellung Sokrates’: „Welche Wirkung, Männer von Athen, meine Ankläger auf euch ausgeübt haben, weiß ich nicht“ (5). Wobei er hierbei die Möglichkeit der Kenntnis in Frage stellt. Mit dieser Erklärung erfüllt Sokrates also im Falle seiner Apologie die Forderung des Sextus Empiricus, dass der Skeptiker sich eingesteht „ich erkenne nicht“[13], wobei dies „ein Erlebnis an[zeigt], nach dem der Skeptiker für den gegenwärtigen Zeitpunkt darauf verzichtet, etwas von den unerforschten verborgenen Gegenständen zu setzen oder aufzuheben“[14]. Der Ausdruck „weiß ich nicht“ kann als ein Erkennungsmerkmal für Sokrates gedeutet werden, der mit der Verwendung dieses Merkmals gleich zu Beginn den Männern von Athen ins Gedächtnis ruft, wer da angeklagt wird. Weiterhin zeigt dieses Erkennungsmerkmal auf, dass Sokrates in seinem Leben diese Unkenntnis als gegeben akzeptierte und von ihr ausgehend handelte, wobei Sokrates nicht ohne Erkenntnis bleiben möchte und in seinem Handeln auf Erkenntnis aus ist.

Sokrates legt eine geschickte Verteidigungsstrategie gegen die Anklagen dar, indem er nämlich genau die Wirkung der Rede der Ankläger darstellt. Er schreibt, er „hätte unter ihrem Eindruck beinahe [sich] selbst vergessen“ (5), wobei er sofort in der Eröffnung seiner Rede daran gemahnt, dass er „sie sofort durch Tatsachen“ (5) widerlegen wird. Dazu ist er trotz der Schwere der Wirkung der vorhergehenden Rede der Anklage fähig, da er aus der skeptischen Haltung heraus weiß, dass „jedem Argument [...] ein gleichwertiges entgegensteht“[15]. Sextus Empiricus bestimmt dieses skeptische Schlagwort näher, indem er anfügt: „jedem von uns geprüften Argument“[16]. Dieser Spezifizierung wird Sokrates bei der Widerlegung der Anklage durch das Befragen der Politiker, der Dichter und der Handwerker (17f.) gerecht.

Die darauf folgende Aussage Sokrates’ ist zwiespältig in Hinsicht auf die Untersuchung ihrer Bedeutung für eine skeptische Handlung: auf der einen Seite handelt Sokrates nicht-skeptisch, indem er an sich selbst den Anspruch erhebt, die Wahrheit zu sagen (5), während ein Skeptiker sich niemals sicher ist, was die Wahrheit darstellt, denn die Skepsis will durch die Zurückhaltung „weder etwas aufheben noch setzen“[17]. So kann sich Sokrates zwar im Falle seiner Widerlegung der Anklage der Wahrheit gewiss sein, jedoch würde dieser Wahrheitsanspruch, auf sein Leben ausgeweitet, die Möglichkeit des Irrtums ausschließen. Auf der anderen Seite beschränkt sich Sokrates nicht darauf, die Anklage zu widerlegen, sondern er hält sich für eine Revision seines Urteils offen, indem er sagt: „dann bin ich bereit, zuzugeben, daß ich [...] ein Meister der Rede bin“ (5).

Im 16. Kapitel der Apologie begründet Sokrates seinen Entschluss, den Tod nicht zu fürchten und sich selbst treu zu bleiben. Da laut Sextus Empiricus „das motivierende Prinzip der Skepsis [...] die Hoffnung auf Seelenruhe“[18] sei, „denn der Skeptiker begann zu philosophieren, um die Vorstellungen zu beurteilen und zu erkennen, welche wahr sind und welche falsch, damit er Ruhe finde“[19], scheint die Einstellung Sokrates’ dem Tod gegenüber durchaus eine skeptische zu sein.[20] Hier sei gezeigt, dass Sokrates seiner Aufgabe treu bleiben will, da er meint:

so ist’s doch richtig, ihr Männer von Athen: wo einer sich aufstellt im Glauben, es sei das Beste so, oder wo er von seinem Vorgesetzten aufgestellt wird, dort muß er, meine ich, ausharren und die Gefahr auf sich nehmen, ohne an den Tod zu denken oder an irgend etwas anderes außer der Schande (45).

Somit erreicht er seine Ruhe, indem er „maßvolles Leiden“[21] erfährt und dadurch, dass er „den beigemengten Glauben, daß jedes dieser Dinge [natürliche Ungemach] von Natur übel sei, beiseite [räumt]“[22].

Sokrates stellt im 17. Kapitel der Apologie klar, sein Ziel sei, seine Mitmenschen zu einem „möglichst guten Zustand eurer Seele“ (51) zu bringen, was auch das Ziel der Seelenruhe in der Skepsis ist.[23] Weiterhin erhält er auch die Möglichkeit auf Revision seiner Auffassung, er verbreite kein Übel, da er offen lässt, dass, „wenn ich nun, indem ich dies sage, die jungen Leute verderbe, dann [ist] das vom Übel“ (51). Jedoch verkündet er deutlich, dass er auf Befehl des Gottes handelt (49). Dieses Handeln bezieht sich auf den Spruch des Orakels in Delphi, das verkündet hatte, „niemand sei weiser“ (17) als Sokrates. Daraufhin beschloss Sokrates in skeptischer Manier – auf der Suche nach „unverträglichen Argumenten“[24] – seine Befragung der weisen Männer, da er sich fragte: „was mag der Gott wohl meinen, und was gibt er mir da für ein Rätsel auf? Ich weiß nämlich ganz genau, daß ich nicht weise bin, weder viel noch wenig. Was meint er also, wenn er sagt, ich sei der Weiseste?“ (17)

Im 18. Kapitel der Apologie beweist Sokrates den Wahrheitsgehalt seiner Aussage, er handele durch seine Armut für das Wohl des Volkes (55). Er stellt hier zwar objektiv gesehen dar, welche Folgen sein Tod hätte, dass „ein zweiter von dieser Art [...] euch so leicht nicht erstehen“ (53) wird, und dass der Ungerechte dem Gerechten nicht schaden könne (51). Jedoch ist die Auffassung seiner eigenen Bedeutung für die Stadt Athen nur dadurch skeptisch belegt und untermauert, indem er auf seine eigene Erfahrung blicken kann.

[...]


[1] Der grosse Brockhaus. Zehnter Band. Rin-Sok. Wiesbaden 1956, S. 771.

[2] Ebd., S. 771.

[3] Vgl. Ebd., S. 745.

[4] Kunzmann, Peter; Franz-Peter Burkhard; Franz Wiedmann: dtv-Atlas Philosophie. Mit 115 Abbildungsseiten in Farbe. München 112003 (11991), S. 37.

[5] Ebd., S. 37.

[6] Der grosse Brockhaus, S. 745.

[7] Platon: Apologie des Sokrates. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Furhmann. Stuttgart 2001. Im weiteren Verlauf werden Zitate aus diesem Primärtext bzw. Verweise darauf durch in Klammern dahintergesetzte Seitenzahlen bezeichnet.

[8] Der grosse Brockhaus, S. 745.

[9] Kunzmann; Burkard; Wiedmann: dtv-Atlas Philosophie, S. 29.

[10] Hügli, Anton; Poul Lübcke (Hrsg.): Philosophielexikon. Personen und Begriffe von der Antike bis zur Gegenwart. Reinbek bei Hamburg 111995 (11991), S. 531.

[11] Ebd., S. 531.

[12] Ebd., S. 531.

[13] Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Eingeleitet und übersetzt von Malte Hossenfelder. Frankfurt am Main 1985, S. 140.

[14] Sextus Empiricus: Pyrrhonische Skepsis, S. 140.

[15] Ebd., S. 140.

[16] Ebd., S. 140.

[17] Ebd., S. 95.

[18] Sextus Empiricus: Pyrrhonische Skepsis, S. 95.

[19] Ebd., S. 100.

[20] Dies wird jedoch in einem eigenen Kapitel dieser Arbeit dargestellt.

[21] Ebd., S. 101.

[22] Ebd., S. 101.

[23] Vgl. ebd., S. 101.

[24] Ebd., S. 95.

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Sokrates - ein Skeptiker?
Université
University of Trier  (Fachbereich I Philosophie)
Cours
Proseminar: Platon, Apologie des Sokrates
Note
1,0
Auteur
Année
2004
Pages
18
N° de catalogue
V132066
ISBN (ebook)
9783640379804
ISBN (Livre)
9783640379521
Taille d'un fichier
445 KB
Langue
allemand
Annotations
Eine gut lesbare, methodisch und inhaltlich gelungene Darstellung.
Mots clés
Sokrates, Skeptische Philosophie, Antike Philosophie, Sextus Empiricus, Platon, Apologie
Citation du texte
Christoph Höbel (Auteur), 2004, Sokrates - ein Skeptiker?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132066

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