Als Gott einsehen muss, dass die Menschen, die er erschaffen hat, "völlig verdorben" sind (Mos/Gen 6,5), entschließt er sich, eben diese Menschen wieder vom Antlitz der Erde zu tilgen. Nach vollbrachter Sintflut sieht Gott aber ein, dass er mit der Vernichtung des Lebens die Schlechtigkeit des Menschengeschlechts trotzdem nicht ausräumen konnte. "Alles, was aus ihrem Herzen kommt, ihr ganzes Denken udn Planen ist nun einmal böse von Jugend auf" (Mos/Gen 8,21), resigniert Gott Noah gegenüber. Er verspricht Noah trotzdem, "die Erde nicht noch einmal [zu]bestrafen" (Mos/Gen 8,21). In seinem Friedensbund mit den Menschen findet Gott sich mit ihrer Fehlbarkeit, ihren Schwächen, ihrer Schlechtigkeit ab - und liebt sie trotzdem.
Im 17. Jahrhundert, zur Zeit des Sonnenkönigs aber erhebt sich ein junger Mann in den Gedanken des Dichters Molière und empört sich wie einst der ratlose Gott der Bibel, dass überall nur "lâche flatterie / qu'injustice, intérêt, trahison, fourberie" (Molière) herrsche. Er findet sich nicht mit der Schlechtigkeit der Menschen ab. Sie versetzt ihn so in Wut, dass auch er von dem Wunsch beherrscht wird, "de rompre en visière à tout le genre humain" (Molière).
Und gottgleich nimmt dieser junge Mann, der Dichter nennt ihn Alceste, für sich in Anspruch, nicht nur die "vice du temps" (Molière) zu verurteilen, den "vieux âges" (Molière) den Vorzug zu geben, einem Gott gleich urteilt er auch über den "goût du siècle" (Molière), dem er seinen eigenen als allein gültig, weil überlegen, gegenüber stellt. Sein Absolutheitsanspruch lässt ihn am Zeitgeist verzweifeln, das Moderate der zeitgenössischen 'Honnêteté' ist ihm fremd, ja zuwider. Von der 'bienséance', die das Zusammenleben der Menschen angenehm gestalten soll, hält er nichts. Auch wenn sein Gegenspieler Philinte feststellen muss, dass seine Auffassung von einem ehrenvollen Verhalten "aux mortels trop de perfection" (Molière) abverlangt, beharrt Alceste darauf, "qu'on soit sincère, et qu'en homme d'honneur,/ On ne lâche aucun mot qui ne parte du coeur" (Molière), auch wenn er seine Mitmenschen damit verletzen mag. "Tut nichts", möchte man ihn wie einen christlichen Patriarchen rufen hören, die Ehrlichkeit währt doch am längsten udn man wird sehen, ob sie über die Heuchelei triumphiert. Ob ein 'homme d'honneur' vergangener Zeiten besser ist al ein 'honnête homme' moderner Zeit, wird für ihn zur zentralen Frage, die sich am Ausgang seines Gerichtsprozesses entscheidet...
- Arbeit zitieren
- Ariela Sager (Autor:in), 2006, L'honnête homme: Held oder Heuchler? Eine Frage der Perspektive., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132132
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