In der vorliegenden Masterarbeit wurden die Auswirkungen von akutem Stress auf Leistung der Reaktionshemmung in einer Go-No-go Aufgabe (GNG) untersucht. Hierzu wurden im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Querschnittsstudie 153 gesunde männliche Probanden im Alter von 18 bis 40 Jahren entweder einem akuten psychosozialen Stressor oder einer Kontrollbedingung ausgesetzt. Die Teilnehmer der Stressgruppe zeigten infolge der Stressexposition eine erhöhte Konzentration der Speichel-Alpha-Amylase und einen erhöhten Anstieg von Cortisol im Speichel, was auf erhöhte stressassoziierte Aktivitäten des sympathischen Nervensystems und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) hindeutet.
Im Anschluss an die experimentelle Manipulation erfolgte die Messung der Reaktionshemmungsleistung mit einer GNG-Aufgabe. In den Ergebnissen zeigte sich, dass weder die erhöhte sympathische Aktivität noch die erhöhte Aktivität der HHNA durch die akute Stressexposition einen Einfluss auf die Reaktionshemmungsleistung hatte. Dieser Befund steht im Einklang mit früheren Studien, die ebenfalls keinen Effekt von akutem Stress auf die Reaktionshemmung fanden und im Widerspruch zu Studien, die entweder eine Verbesserung oder eine Beeinträchtigung durch akuten Stress auf die Reaktionshemmung nachweisen konnten. Es sind weitere Studien nötig, um mögliche Faktoren zu identifizieren, die einen Einfluss auf den Zusammenhang von akutem Stress und der Reaktionshemmung haben können.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Stress und die physiologische Stressreaktion
2.1.1 Das sympathiko-adrenomedulläre System
2.1.2 Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
2.1.3 Experimentelle Methoden zur Stressinduktion
2.2 Reaktionshemmung
2.3 Die Auswirkungen von akutem Stress auf die exekutiven Funktionen
2.4 Die Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmung
3 Fragestellung, Hypothesen und Ziel der Arbeit
4 Methodik
4.1 Studiendesign
4.2 Stichprobe
4.3 Studienablauf
4.4 Verwendete Messinstrumente
4.4.1 Stressmanipulation
4.4.2 Biologische Messungen
4.4.3 Go-No-go Aufgabe
4.5 Statistische Analyse
5 Ergebnisse
5. 1 Stichprobenbeschreibung
5.2 Stressmanipulation
5.3 Ergebnisse der Hypothesentestungen
5.3.1 Hypothese 1
5.3.2 Hypothese 2
5.3.3 Hypothese 3
6 Diskussion
6.1 Diskussion und Beurteilung der Ergebnisse
6.2 Limitationen
6.3 Implikationen für zukünftige Forschung
6.4 Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Anhang A
Anhang B
Genderhinweis: Alle in den folgenden Texten befindlichen personenbezogenen Bezeichnungen sind genderneutral zu verstehen
Zusammenfassung
In der vorliegenden Masterarbeit wurden die Auswirkungen von akutem Stress auf Leistung der Reaktionshemmung in einer Go-No-go Aufgabe (GNG) untersucht. Hierzu wurden im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Querschnittsstudie 153 gesunde männliche Probanden im Alter von 18 bis 40 Jahren entweder einem akuten psychosozialen Stressor oder einer Kontrollbedingung ausgesetzt. Die Teilnehmer der Stressgruppe zeigten infolge der Stressexposition eine erhöhte Konzentration der Speichel-Alpha-Amylase und einen erhöhten Anstieg von Cortisol im Speichel, was auf erhöhte stressassoziierte Aktivitäten des sympathischen Nervensystems und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) hindeutet. Im Anschluss an die experimentelle Manipulation erfolgte die Messung der Reaktionshemmungsleistung mit einer GNG-Aufgabe. In den Ergebnissen zeigte sich, dass weder die erhöhte sympathische Aktivität noch die erhöhte Aktivität der HHNA durch die akute Stressexposition einen Einfluss auf die Reaktionshemmungsleistung hatte. Dieser Befund steht im Einklang mit früheren Studien, die ebenfalls keinen Effekt von akutem Stress auf die Reaktionshemmung fanden und im Widerspruch zu Studien, die entweder eine Verbesserung oder eine Beeinträchtigung durch akuten Stress auf die Reaktionshemmung nachweisen konnten. Es sind weitere Studien nötig, um mögliche Faktoren zu identifizieren, die einen Einfluss auf den Zusammenhang von akutem Stress und der Reaktionshemmung haben können.
Schlagwörter: Akuter Stress; Cortisol; Alpha-Amylase; TSST; Reaktionshemmung; inhibitorische Kontrolle; exekutive Funktionen; Go-No-go Aufgabe
Abstract
The aim of the present master thesis is to investigate the effects of acute stress on response inhibition performance in a Go-No-go task (GNG). Therefore, 153 healthy male participants aged between 18 to 40 years were exposed either to an acute psychological stressor or a control condition in a randomised controlled crosssectional study. After the stress induction, the participants in the stress group showed increased salivary alpha-amylase concentrations and increased salivary cortisol, as a result of increased stress-associated activities of the sympathetic nervous system and the hypothalamic-pituitary-adrenocortical axis (HPA). The experimental manipulation was followed by the measurement of response inhibition performance with a GNG-Task. The results showed that, neither the increased sympathetic activity nor the increased activity of the HPA due to acute stress exposure showed any effect on response inhibition performance. This finding is in line with previous studies that also found no effect of acute stress on response inhibition and in contradiction with studies that demonstrated either an improvement or an impairment by acute stress on response inhibition. Future studies are needed to identify possible factors that may have an influence on the relationship between acute stress and response inhibition.
Keywords: Acute stress, Cortisol, Alpha-amylase, TSST, Response inhibition, Inhibitory control, executive functions, Go-No-go task
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Messzeitpunkte der Speichelprobenentnahmen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Deskriptive Daten der Stress- und Kontrollgruppe
Tabelle 2 Lineare Regression abhängige Variable IES
Tabelle 3 Lineare Regression abhängige Variable IES
Tabelle 4 Multiple lineare Regression abhängige Variable IES
1 Einleitung
Jeder Mensch erlebt im Laufe seines Lebens Situationen in denen er sich gestresst fühlt. Da Stress im Alltag vieler Menschen ein wesentlicher Bestandteil ist und in einer akut stressigen Situation Wachsamkeit und adaptive Strategien erforderlich sind, herrscht ein hohes Interesse, die Auswirkungen von akutem Stress auf die exekutiven Funktionen zu untersuchen (Dierolf et al., 2017). Unter dem Begriff exekutive Funktionen werden handlungsbezogene kognitive Mechanismen subsumiert, die mobilisiert werden, um Handlungen unter schwierigen Bedingungen zielgerichtet auszuführen. Die exekutiven Funktionen kommen zum Beispiel in Situationen zum Einsatz, in denen nicht auf gewohnheitsmäßige oder automatisierte Handlungsreaktionen zurückgegriffen werden können oder automatisierte Handlungsreaktionen inhibiert werden müssen (Burgess & Simons, 2005; Epsy, 2004; Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 279; Baddeley, 1986). In der wissenschaftlichen Literatur werden meist die Inhibition, das Arbeitsgedächtnis und die kognitive Flexibilität als die drei zentralen exekutiven Funktionen unterschieden (Miyake et al., 2000; Friedman & Miyake, 2004; Miyake & Friedman, 2012). Die exekutiven Funktionen unterliegen auf neuroanatomischer Ebene weitestgehend den neuronalen Funktionen des präfrontalen Kortex (PFC) (Arnsten, 2009; Miller & Cohen, 2001). In einer akut stressauslösenden Situation werden zwei unterschiedliche, aber miteinander interagierende, Systeme aktiviert. Einerseits führt akuter Stress zu einer schnellen Aktivierung des sympathischen Nervensystems, was unter anderem zu einer erhöhten Freisetzung von Noradrenalin führt (Cassens et al., 1980; Allen et al., 2014; Schandry, 2016; Joëls & Baram, 2009), andererseits aktiviert akuter Stress die Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA), welches als die langsamere Stressreaktion angesehen wird und für eine erhöhte Freisetzung von Glukokortikoiden wie Cortisol verantwortlich ist (Gunnar & Quevedo, 2007; von Dawans & Heinrich, 2018; Joëls & Baram, 2009). Der PFC verfügt über eine hohe Dichte an Rezeptoren für Cortisol und Noradrenalin, weshalb diese Struktur stark von Stressoren beeinflusst werden kann (Arnsten, 2009; de Kloet et al., 2005; Joëls & Baram, 2009; Hermans et al., 2014; Cerqueira et al., 2008). Obwohl in der wissenschaftlichen Literatur häufig davon berichtet wird, dass akuter Stress unterschiedliche Funktionen des PFC beeinträchtigt (Plessow et al., 2012a;
Plessow et al., 2012b; Starcke et al., 2016), gibt es jedoch auch Befunde, die darauf hinweisen, dass akuter Stress förderliche Effekte für einzelne verhaltensbezogene Funktionen des PFC haben kann (Shields et al., 2016). Während größtenteils Einigkeit darüber besteht, dass akuter Stress das Arbeitsgedächtnis und die kognitive Flexibilität beeinträchtigt (Oei et al., 2006; Marko & Riecansky, 2018; Shields et al., 2016), wurden für die Auswirkungen von akutem Stress auf die Inhibition inkonsistente Befunde berichtet (Shields et al., 2016). Die Inhibition umfasst kognitive Fähigkeiten, wie unter anderem die inhibitorische Kontrolle, die Aufmerksamkeitshemmung und die kognitive Inhibition (Diamond, 2013). Die inhibitorische Kontrolle wird als eine Fähigkeit definiert, die dazu dient, die Aufmerksamkeit, das Verhalten, die Gedanken und die Emotionen zu kontrollieren, um automatische Reaktions- oder Handlungstendenzen zu inhibieren (Diamond, 2013; Schwabe et al., 2013). Die inhibitorische Kontrolle wird als ein umfassendes Konstrukt verwendet, unter dem weitere einzelne Konstrukte subsumiert werden können (Diamond, 2013). Dazu gehört unter anderem auch die Reaktionshemmung (Nigg, 2000; Friedman & Miyake, 2004, zitiert nach Tiego et al., 2018; Diamond, 2013). Die Reaktionshemmung bezeichnet die Fähigkeit, eine präpotente motorische Reaktion zu inhibieren (Tiego et al., 2018; Diamond, 2013). In experimentellen Untersuchungen kann die Reaktionshemmung beispielsweise mit der Go-No-go Aufgabe (GNG) gemessen werden (Tiego et al., 2018; Qi et al., 2017; Diamond, 2013). Beeinträchtigungen der Inhibitionsfähigkeiten konnten als Risikofaktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung von unterschiedlichen psychiatrischen Störungen identifiziert werden, wie zum Beispiel die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (Mulligan et al., 2011), Substanzkonsumstörungen (Sanchez-Salvador et al., 2021; Smith et al., 2014), Bipolare Störungen (Wright et al., 2014), Essstörungen (Wu et al., 2013) und Zwangsstörungen (Lipszyc & Schachar, 2010).
Bisherige Untersuchungen, die sich mit den Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmung und anderen kognitiven Funktionen beschäftigt haben, konzentrierten sich zum größten Teil auf die Stressreaktion der HHNA, die zu einem erhöhten Cortisolspiegel führt. Die Effekte der sympathischen Aktivität haben im Kontext der Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmung weniger Beachtung erhalten (Finke & Schächinger, 2020), weshalb es noch unklar ist, ob akuter Stress über weitere biologische Mechanismen die Reaktionshemmung beeinflussen kann (Shields et al., 2016).
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher zum einen aufgrund der inkonsistenten Befundlage die stressbedingten Effekte von Cortisol auf die Leistung der Reaktionshemmung zu untersuchen und zum anderen die bisherigen Erkenntnisse zu erweitern, in dem zusätzlich eine erhöhte Aktivität des sympathischen Nervensystems durch eine akute Stressexposition im Zusammenhang mit der Reaktionshemmungsleistung untersucht werden soll.
2 Theoretischer Hintergrund
Im folgenden Abschnitt werden die für diese Arbeit relevanten theoretischen Grundlagen dargestellt. Abschließend wird der aktuelle Forschungsstand zu den Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmung beleuchtet.
2.1 Stress und die physiologische Stressreaktion
Jeder lebende Organismus strebt nach einem dynamischen Gleichgewichtszustand, welcher als Homöostase bezeichnet wird (de Kloet et al., 2005). Im Falle einer Bedrohung reagiert der Körper mit vielfältigen physiologischen Veränderungen, welche zusammengefasst die physiologische Stressreaktion bilden (Shields et al., 2016). Dabei werden Ereignisse, die eine physische oder psychische Bedrohung der Homöostase des Organismus darstellen, als Stressoren bezeichnet (de Kloet et al., 2005; von Dawans & Heinrichs, 2018, S. 67; Shandry, 2016, S. 316). Die Exposition eines physischen oder psychischen Stressors aktiviert afferente Nervenbahnen im zentralen Nervensystem, die in Bereiche des Zwischenhirns projizieren, wo sie eine verhaltensbezogene, autonome und endokrine Reaktion auslösen können (Young et al., 2004).
Die physiologische Stressreaktion ist überwiegend auf zwei unterschiedliche , jedoch miteinander verbundene, Stressachsen zurückzuführen. Einerseits werden Stressreaktionen über das symapthiko-adrenomedulläre System (SAM) (auch sympathisches Nervensystem genannt) ausgelöst und andererseits über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden Achse (HHNA) (Gunnar & Quevedo, 2007; von Dawans & Heinrichs, 2018, S. 68). Die Regulierung dieser beiden Stresssysteme erfolgt über den Hypothalamus, der die autonomen und endokrinen Funktionen mit dem Verhalten verknüpft (Palkovits, 1987, zitiert nach Gunnar & Quevedo, 2007). Beide Stresssysteme werden im Folgenden ausführlich dargestellt.
2.1.1 Das sympathiko-adrenomedulläre System
Das autonome Nervensystem kann alle lebensnotwendigen Funktionen des Körpers wie Atmung, Verdauung und Herzkreislaufsystem steuern. Es reguliert innere Körperreaktionen, welche nicht der willentlichen Kontrolle unterliegen und es umfasst zwei Untersysteme (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 44). Einmal den Sympathikus und zum anderen den Parasympathikus, die antagonistisch zueinander arbeiten, wodurch die Erhaltung der Homöostase erzielt werden soll. Während das parasympathische Nervensystem mit einer Beruhigung nach Stress assoziiert ist, welche sich beispielsweise in einem verminderten Herzschlag zeigt, wird das sympathische Nervensystem unter akutem Stress aktiviert (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 44; von Dawans & Heinrichs, 2018, S. 68). Das sympathiko- andrenomedulläre System (SAM) wird als die schnelle kurzfristige Stressreaktion angesehen, welche innerhalb von Sekunden einen Einfluss auf den Organismus ausübt. Durch eine Aktivierung des Sympathikus wird die Erregung an die Organe weitergeleitet und es werden über die Aktivierung des Nebennierenmarks die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet (Allen et al., 2014). Dadurch setzt das sympathische Nervensystem den Körper in einen Alarmzustand, wodurch überlebensnotwendige Funktionen hochreguliert werden und die sogenannte Fight-or-Flight Reaktion ausgelöst wird. Dies zeigt sich unter anderem dadurch, dass der Herzschlag, die Atemfrequenz sowie die Durchblutung bestimmter Muskelgruppen erhöht wird und gleichzeitig Blut aus nicht benötigten Organsystemen abgezogen wird. Dadurch werden Körperfunktionen, die in der Stresssituation nicht benötigt werden, wie zum Beispiel die Verdauung, gehemmt (van Dawans & Heinrichs, 2018, S. 69).
Adrenalin und Noradrenalin können die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren. Allerdings werden die peripheren Wirkungen dieser Katecholamine im zentralen Nervensystem von dem Locus coeruleus übernommen (Gunnar & Quevedo, 2007).
Der Locus coeruleus nimmt eine entscheidende Rolle in der zentralen Stressreaktion ein, da er bei akutem Stress unmittelbar aktiviert wird und die Hauptquelle für Noradrenalin im Großteil des Gehirns ist (Valentino & Van Bockstaele, 2008), wodurch er einen Einfluss auf die verhaltensbezogenen und kognitiven Aspekte in der Stressreaktion hat (Valentino & Van Bockstaele, 2008). Noradrenerge Afferenzen des Locus coeruleus können in die gesamte Großhirnrinde, den Hypothalamus, den Thalamus, die Amygdala und den Hippocampus projizieren (Foote & Morrison, 1987, zitiert nach Hermans et al., 2014; Segal & Bloom, 1976; Rogawski & Aghajanian, 1980; Waterhouse & Woodward, 1980, zitiert nach Skosnik et al., 2000). Studien an Affen haben gezeigt, dass die Aktivität des Locus coeruleus unter Stress von einem phasischen zu einem tonischen Modus führt, wodurch ein verstärktes Absuchen der Umgebung nach möglichen relevanten Informationen eingeleitet wird (Rajkowski et al., 1998; Aston- Jones & Cohen, 2005, zitiert nach Hermans et al., 2014).
Die Aktivität des SAM-Systems kann mithilfe des Enzyms Alpha-Amylase im Speichel gemessen werden, da sich zeigte, dass die Speichel-Alpha-Amylase (SAA) mit der Aktivität der sympathischen Erregung korreliert (Allen et al., 2014; Nater et al., 2006; Chatterton et al., 1996).
2.1.2 Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
Im Gegensatz zu dem schnell wirkenden SAM-System reagiert die Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) auf einen akuten Stressor deutlich langsamer, da eine komplexe endokrine Kaskade ausgelöst wird, durch die Glukokortikoide, darunter hauptsächlich Cortisol produziert und freigesetzt wird (Gunnar & Quevedo, 2007; Hellhammer et al., 2009). Diese Kaskade beginnt durch die Freisetzung von Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) und Arginin- Vasopressin (AVP) im paraventrikulären Nucleus (PVN) des Hypothalamus (Gunnar & Quevedo, 2007). CRH und AVP gelangen über ein Portalsystem zur Adenohypophyse und sorgen dort für die Freisetzung des Hormons Adrenocorticotropin (ACTH) (Gunnar & Quevedo, 2007; Schandry, 2016, S. 319). Durch den Blutkreislauf wandert ACTH zur Nebennierenrinde und interagiert dort an Rezeptoren. Auf diese Weise wird die Sekretion von Glukokortikoiden angeregt (Gunnar & Quevedo, 2007; Schandry, 2016, S. 319). Glukokortikoide sind Steroidhormone, wie zum Beispiel Cortisol beim Menschen (Gunnar & Quevedo, 2007). Glukokortikoide können auf viele Organe einwirken und auch die Blut-HirnSchranke passieren, wodurch direkte Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem möglich sind (Gunnar & Vazquez, 2006). Wenn Glukokortikoide in das Gehirn gelangen, binden sie unter anderem an Rezeptoren im Hippocampus, wodurch ein negativer Feedbackmechanismus ausgelöst wird, der dazu dient, die Aktivität der HHNA wieder herab zu regulieren, um eine überschießende Stressreaktion zu verhindern (von Dawans & Heinrichs, 2018, S. 68; Gunnar & Quevedo, 2007). Cortisol, beziehungsweise Glukokortikoide, entfalten ihre Wirkung über Mineral- und Glukokortikoidrezeptoren, welche einerseits genomische und andererseits nicht-genomische Effekte haben (de Kloet et al. 2016; Kadmiel und Cidlowski 2013, zitiert nach von Dawans & Heinrichs, 2018). Die Synthese und Freisetzung von Cortisol benötigt einige Zeit. Es vergehen ca. 25 Minuten, bis das Cortisol im Blut seinen maximal Wert erreicht hat (Gunnar & Quevedo, 2007). Die vermehrte Ausschüttung von Glukokortikoiden durch die physiologische Stressreaktion dient der Energieversorgung des Körpers, da über biochemische Reaktionsketten der Energieträger Glukose geliefert wird (Schandry, 2016, S. 319).
Die Ausschüttung von Cortisol durch die HHNA unterliegt in der Abwesenheit von Stressoren einer pulsatilen Schwankung und zirkadianen Rhythmik (Miller et al., 2016; Joëls & Baram, 2009). Die zirkadiane Rhythmik des Cortisolspiegels ist durch einen starken Anstieg nach dem Aufwachen und einer Abnahme im Laufe des Tages gekennzeichnet, sodass in der späten Abendzeit die niedrigsten Werte erreicht werden (Dickerson & Kemeny, 2004). Um die Reaktion der HHNA auf Stressereignisse von einer normalen pulsatilen Schwankung zu unterscheiden, schlagen Miller und Kollegen (2013) vor, dass ab einer Erhöhung von 1.5 nmol/l, im Vergleich zum Basiswert, von einer stressbedingten HHNA-Aktivierung ausgegangen werden kann.
2.1.3 Experimentelle Methoden zur Stressinduktion
Um eine physiologische Stressreaktion im Laborsetting bei Probanden experimentell zu induzieren, bieten sich vielfältige Methoden an. Dabei wird hauptsächlich zwischen exogenen und endogenen Methoden unterschieden (Shields et al., 2015; Shields et al., 2016) Bei exogenen Methoden wird durch die Gabe eines pharmakologischen Wirkstoffs, wie zum Beispiel Hydrocortison oder Yohimbin, eine Aktivierung der HHNA oder des SAM-Systems ausgelöst (Schlosser et al., 2013; Finke & Schächinger, 2020; Schwabe et al., 2010).
Die endogene Stressmanipulation erfolgt über standardisierte Stressparadigmen, von denen angenommen wird, dass diese sowohl das sympathische Nervensystem als auch die HHNA aktivieren. In einer metaanalytischen Untersuchung von 208 Laborstudien konnten Dickerson und Kemeny (2004) zeigen, dass eine umfangreiche Stressreaktion am zuverlässigsten und deutlichsten ausgelöst werden kann, wenn der Stressor eine sozial-evaluative Komponente aufweist, also eine selbstwertgefährdende Situation für die Versuchsperson darstellt und gleichzeitig eine Situation erzeugt, die von der Versuchsperson als unkontrollierbar wahrgenommen wird. Die bekanntesten und am häufigsten eingesetzten Paradigmen zur Stressinduktion in der Stressforschung sind der Trier Social Stress Test (TSST; Kirschbaum, Pirke & Hellhammer, 1993) und der Socially evaluated cold pressor test (SECPT; Schwabe et al., 2008). Der TSST induziert Stress durch die Simulation eines Bewerbungsgesprächs für den persönlichen Traumjob des Probanden. Die sozial-evaluative Bedrohung wird im TSST einerseits durch die Anwesenheit eines unabhängigen Gremiums erreicht und andererseits dadurch, dass die Leistung des Probanden mit einer Videokamera und einem Mikrofon aufgezeichnet wird. Der Proband erhält im TSST zunächst die Aufgabe, eine freie Rede vor dem Gremium zu halten, in der der Proband anhand seiner persönlichen Eigenschaften verdeutlichen soll, weshalb er für den Job geeignet ist. Nach der freien Rede folgt eine mathematische Kopfrechenaufgabe, bei der von der Zahl 2043 in 17er-Schritten subtrahiert werden soll. Das Gremium verhält sich während der gesamten Prozedur unabhängig von der gezeigten Leistung des Probanden neutral, sodass der Proband weder positives noch negatives verbales oder nonverbales Feedback erhält. Dadurch wird eine kühle und distanzierte Situation erzeugt (Allen et al., 2014), die für den Probanden als unkontrollierbar wahrgenommen werden kann (Dickerson & Kemeny, 2004; für eine ausführlichere Darstellung siehe Abschnitt 4.4.1 der vorliegenden Arbeit). Bei dem SECPT sollen die Probanden ihre Hand für drei Minuten in Eiswasser halten, während sie von einem Versuchsleiter beobachtet werden. Zusätzlich werden die Probanden darauf hingewiesen, dass sie mit einer Videokamera gefilmt werden, um ihre Mimik später zu analysieren (Schwabe et al., 2008).
2.2 Reaktionshemmung
Die Reaktionshemmung beschreibt die Fähigkeit, eine präpotente, geplante oder bereits eingeleitete motorische Reaktion zu inhibieren (Tiego et al., 2018; Aron et al., 2004; Diamond, 2013). Präpotente Reaktionen sind erlernte Handlungen oder Reaktionstendenzen. Inhibitionsprozesse wie die Reaktionshemmung kommen zum Einsatz, wenn in einer Situation diese gelernten präpotenten Reaktionen inhibiert werden müssen, um eine alternative Verhaltensweise oder angemessene Reaktion auszuführen (Wright et al., 2003). Ohne solche Inhibitionsfähigkeiten wären Menschen jeglichen Impulsen, Denk- und Handlungsgewohnheiten oder externen Umweltreizen ausgeliefert (Diamond, 2013). Da sich die Reaktionshemmung ausschließlich entweder auf einer Handlung oder eine NichtHandlung bezieht und somit als eine Alles-Oder-Nichts-Entscheidung angesehen werden kann, wird sie als die reinste Form der inhibitorischen Kontrolle bezeichnet (Rubia et al., 2001; Cragg & Nation, 2008). Die bekanntesten Paradigmen zur Messung der Reaktionshemmung sind die Stopp-Signal Aufgabe und die Go-No-go Aufgabe (GNG) (Raud et al., 2020; Diamond, 2013; Verbruggen & Logan, 2008a). Bei dem GNG-Paradigma erfolgt ein Reaktionsauswahlprozess zwischen der Ausführung oder Hemmung einer motorischen Reaktion. Die konkrete Aufgabe besteht darin, auf vorab definierte Go-Reize mit einem Tastendruck zu reagieren und auf vorab definierte No-Go Reize die Reaktion zu inhibieren (Rubia et al., 2001; Verbruggen & Logan, 2008a). Dabei werden meist Go-Reize, im Verhältnis zu NoGo Reizen, wesentlich häufiger präsentiert, um eine erhöhte Reaktionstendenz herzustellen, die dann jedoch bei den seltener auftretenden No-Go Reizen inhibiert werden muss (Cragg & Nation, 2008). Die GNG-Aufgabe erfordert hohe kognitive Leistungen insbesondere in den Domänen der Entscheidungsfindung, Reaktionsauswahl und Reaktionshemmung (Rubia et al., 2001). Im Stopp-Signal Paradigma werden die Teilnehmer instruiert, auf bestimmte Reize mit einem Tastendruck der linken Hand und auf eine andere Art von Reizen mit einem Tastendruck der rechten Hand zu reagieren. Bei einigen Durchgängen erscheint nach einer variablen Verzögerung ein Stoppsignal, was darauf hinweist, die Reaktion auf diesen Reiz zu inhibieren (Verbruggen & Logan, 2008a; Smith et al., 2014). Trotz konzeptueller Unterschiede in den beiden Paradigmen werden in der wissenschaftlichen Literatur die Ergebnisse der beiden Paradigmen häufig als vergleichbar betrachtet. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Aufgaben zeigt sich durch die zeitliche Position des jeweiligen Inhibitionsreizes (Eagle et al., 2008; Schachar et al., 2007, zitiert nach Littman & Takacs, 2017). Bei der GNG-Aufgabe tritt anstelle des Go-Reizes ein No-Go Reiz auf (Simmonds et al., 2008, zitiert nach Littman & Takacs, 2017), wohingegen bei der Stopp-Signal Aufgabe das Stoppsignal zeitlich nach dem Go-Reiz präsentiert wird, wo die Reaktion bereits eingeleitet wurde (Verbruggen & Logan, 2008b, zitiert nach Littman & Takacs, 2017). Zusammengefasst wird durch die GNG-Aufgabe die Reaktionshemmung durch das Zurückhalten einer vorbereiteten Reaktion, die noch nicht eingeleitet wurde, gemessen, wohingegen sie bei der Stopp-Signal Aufgabe durch das Abbrechen einer Reaktion, die bereits eingeleitet wurde, gemessen wird (Wright et al., 2014; Gratton et al., 2018).
Verbruggen und Logan (2008a) konnten in einer Untersuchung zeigen, dass die beiden Paradigmen mit unterschiedlich ausgeprägten kognitiven Kontrollanforderungen assoziiert sind, da bei der GNG-Aufgabe konsistente ReizReaktions-Zuordnungen vorhanden sind, wodurch ein automatischer Inhibitionsprozess im Laufe dieser Aufgabe entstehen kann, sodass die Go-Reize automatisch eine Reaktion hervorrufen und die No-Go Reize automatisch eine Inhibition einleiten. Dieser Prozess kann bei der Stopp-Signal Aufgabe nicht entstehen, da jeder Reiz mit reagieren und inhibieren assoziiert werden kann.
Durch die Betrachtung der neuronalen Aktivitäten konnte ebenfalls nachgewiesen werden, dass die Bearbeitung der beiden Aufgaben unterschiedliche Hemmungsprozesse erfordern. Die beiden Aufgaben scheinen zwar von der Aktivität gemeinsamer neuronaler Netzwerke abhängig zu sein, da in beiden Aufgaben Aktivitäten im anterioren cingulären Kortex, inferioren frontalen Kortex, prä-supplementären motorischen Areal und der rechten anterioren Insula verzeichnet werden (Littman & Takacs, 2017; Swick et al., 2011), jedoch konnten auch unterschiedliche Aktivierungen der beiden Aufgaben bezüglich kognitiver Kontrollnetzwerke beobachtet werden (Swick et al., 2011).
In einer metaanalytischen Untersuchung von Swick et al. (2011) zeigte sich, dass die beiden Aufgaben jeweils zu unterschiedlichen Aktivierungen in zwei bekannten neuronalen kognitiven Kontrollnetzwerken führen. Bei der Durchführung der GNG- Aufgabe kam es zu höheren Aktivierungen im rechten mittleren frontalen Gyrus und im rechten inferioren Parietallappen als bei der Stopp-Signal Aufgabe. Dies deutet darauf hin, dass die GNG-Aufgabe im erhöhten Ausmaß das frontale-parietale Kontrollnetzwerk aktiviert, das für die Regulierung von adaptiven Kontrollmechanismen zuständig ist. Im Gegensatz dazu zeigten sich bei der StoppSignal Aufgabe erhöhte Aktivierungen in der linken anterioren Insula und im bilateralen Thalamus, was darauf hindeutet, dass diese Aufgabe in einem erhöhten Ausmaß das cingulo-operculäre Kontrollnetzwerk aktiviert, welches mit der Aufrechterhaltung der Aufgabenstellung und der Reaktion auf relevante Reize assoziiert wird (Dosenbach et al., 2006; Seeley et al., 2007, zitiert nach Swick et al., 2011).
In einem Vergleich der GNG-Aufgabe und der Stopp-Signal Aufgabe, anhand von Elektroenzephalographie- (EEG) und Elektromyographie-Messungen (EMG), wurde ebenfalls gezeigt, dass die beiden Aufgaben auf unterschiedliche neuronale Mechanismen mit jeweils unterschiedlichen zeitlichen Dynamiken beruhen (Raud et al., 2020). Die Reaktionshemmungsleistung der GNG-Aufgabe konnte durch die EEG-Messung mit einer frühen Aktivierung des frontalen-parietalen Kontrollnetzwerks und einer darauffolgenden Aktivierung der motorischen Kontrollkomponente assoziiert werden, wodurch eine eher späte Hemmungsreaktion auf der peripheren Ebene durch die EMG-Messung beobachtet werden konnte. Bei der Stopp-Signal Aufgabe zeigt die EEG-Messung schon vor der Reizerkennung eine hohe Aktivierung der frontalen Kontrollkomponente und frühe Aktivitätsänderungen in den motorischen Komponenten auf. Die EMG- Messung zeigt, dass dies auf der Verhaltensebene zu verzögerten Reaktionszeiten bei Go-Reizen und schnellen Reaktionszeiten bei Stopp-Reizen führt. Bei der Stopp-Signal Aufgabe wird die Inhibitionsleistung durch eine proaktive frühzeitige Aktivierung des sensomotorischen Systems zur Vorbereitung auf das Stoppsignal erreicht, wodurch ein schneller inhibitorischer Prozess innerhalb des motorischen Systems nach der Identifizierung des Stoppreizes initiiert wird (Raud et al., 2020).
Raud und Kollegen schlussfolgern demnach, dass die beiden Aufgaben mit unterschiedlichen neuronalen Dynamiken einhergehen.
2.3 Die Auswirkungen von akutem Stress auf die exekutiven Funktionen
Eine weitverbreitete theoretische Sichtweise, die erklärt, inwiefern ein akuter Stressor exekutive Funktionen und andere kognitive Prozesse beeinflusst, postuliert, dass unter akutem Stress die Informationsverarbeitung verzerrt wird, um die Aufmerksamkeit auf Informationen zu richten, die im direkten Zusammenhang mit dem Stressor stehen. Somit würde Stress zu einer Umverteilung der begrenzten kognitiven Ressourcen führen, was dazu dient, in einer geeigneten Art und Weise mit dem Stressor umzugehen (LeBlanc, 2009; Shields et al., 2016). Demzufolge wird die Aufmerksamkeit unter akutem Stress im hohen Maße einer Aufgabe zugeteilt, wenn diese im engen Zusammenhang mit dem Stressor steht. Wenn der Stressor jedoch nicht mit der durchzuführenden Aufgabe zusammenhängt, wird die Aufmerksamkeit auf die Stressquelle gerichtet, sodass die Bearbeitung der Aufgabe erschwert wird (LeBlanc, 2009). Laut Shields et al. (2016) können diese theoretischen Annahmen erklären, weshalb unter akutem Stress Hemmungsprozesse verbessert sein können, da Ressourcen, die gewöhnlich anderen exekutiven Funktionen zugeteilt werden, abgezogen werden, um die Hemmung zu verbessern, damit die Aufmerksamkeit nur auf Reize gerichtet wird, die mit dem Stressor in Verbindung stehen.
Das Modell der Umverteilung neuronaler Ressourcen nach akutem Stress erklärt Auswirkungen von akutem Stress auf kognitive Prozesse anhand von Hirnnetzwerken (Hermans et al., 2014). In der Literatur werden häufig drei große Hauptnetzwerke im Gehirn benannt, die bei bestimmten Aufgaben systematisch aktiviert oder inaktiviert werden (Menon, 2011; Raichle et al., 2001). Diese sind das Default-Mode Netzwerk, das Salienznetzwerk und das zentrale exekutive Netzwerk. Das Default-Mode Netzwerk wird bei zielgerichteten kognitiven Verarbeitungsprozessen deaktiviert, weshalb auf dieses Netzwerk nicht weiter eingegangen wird, da es für kognitive Aufgaben keine direkte Relevanz hat (Hermans et al., 2014; Menon, 2011). Die Funktion des Salienznetzwerks ist die Erkennung, Integration und Filterung von salienten externen und internen Reizen (Menon, 2011). Die Hauptknotenpunkte des Salienznetzwerks sind die Amygdala, der dorsale anteriore cinguläre Kortex und Bereiche des anterioren insulären Kortex (Hermans et al., 2014; Menon, 2011). Das zentrale exekutive Netzwerk ist für höhere kognitive Aufgaben wie Planung, Entscheidungsfindung sowie Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisregulationsprozessen verantwortlich (Menon, 2011). Das zentrale exekutive Netzwerk hat seine Hauptknotenpunkte in den dorsolateralen präfrontalen Kortizes und den lateralen posteriorparietalen Kortizes (Menon, 2011). In Situationen, die eine potenzielle Bedrohung darstellen, kann das Salienznetzwerk die Aufmerksamkeit auf wichtige Reize lenken, Energieressourcen mobilisieren und Maßnahmen ergreifen, die das unmittelbare Überleben sichern (Seeley et al. 2007; Corbetta et al., 2008, zitiert nach Hermans et al., 2014). Das Modell der Umverteilung neuronaler Ressourcen nach akutem Stress (Hermans et al., 2014) postuliert, dass es auf neuronaler Ebene, in einer akuten Stresssituation, zu einer dynamischen Umverteilung von neuronalen Ressourcen zwischen dem Salienznetzwerk und dem zentralen exekutiven Netzwerk kommt. Stressassoziierte Hormone und Neurotransmitter erhöhen die Aktivität des Salienznetzwerks in der akuten Stresssituation, wohingegen die Aktivität des zentralen exekutiven Netzwerks runterreguliert wird. Eine solche Umverteilung der Ressourcen kann von Vorteil sein, da in akut stressauslösenden Situationen eine erhöhte Aufmerksamkeit und spontane Handlungsbereitschaft erforderlich ist, während Hirnregionen, die für die höheren kognitiven Funktionen verantwortlich sind, weniger benötigt werden (Hermans et al., 2014). Das Modell legt einen besonderen Fokus auf die zeitliche Dynamik dieser Prozesse, da dem Modell zufolge ungefähr 60 Minuten nach der akuten Stressphase gegensätzliche Aktivitäten verzeichnet werden können, sodass dann das zentrale exekutive Netzwerk vermehrt Ressourcen erhält und das Salienznetzwerk runterreguliert wird (Hermans et al., 2014).
In einer aktuellen Studie zeigte sich darüber hinaus, dass akuter Stress, der durch den TSST induziert wurde, mit einer erhöhten Aktivität des Salienznetzwerks assoziiert ist und zu einer verbesserten Kommunikation und Koordination zwischen dem Salienznetzwerk und dem zentralen exekutiven Netzwerk führt (Hu et al., 2021). Die Autoren schlussfolgern, dass die verbesserte Kommunikation und Koordination dieser beiden Netzwerke dazu beitragen kann, dass Individuen unter akutem Stress kognitive Kontrollfunktionen adäquat mobilisieren können, wodurch akuter Stress förderlich für kognitive Prozesse sein kann (Hu et al., 2021).
2.4 Die Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmung
Bisher gibt es nur wenige Studien, die direkte Aussagen zu den Auswirkungen von akutem Stress auf die Leistung der Reaktionshemmung treffen. Außerdem wurden in der wissenschaftlichen Literatur inkonsistente Befunde über die Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmung berichtet (Shields et al., 2016). Während einige Studien nachweisen konnten, dass eine Stressinduktion zu Beeinträchtigungen in der Reaktionshemmungsleistung führen kann (Scholz et al., 2009; Sänger et al., 2014; Roos et al., 2017), zeigen andere Studien gegenteilige Effekte (Schwabe et al., 2013; Schlosser et al., 2013; Dierolf et al., 2018; Chang et al., 2020) oder keine Effekte von akutem Stress auf die Reaktionshemmung (McGrath et al., 2016; Jiang & Rau, 2017; Dierolf et al., 2017; Kan et al., 2021). Eine mögliche Begründung für diese widersprüchlichen Ergebnisse könnte in den methodischen Unterschieden der Studien liegen. Ein besonders relevanter Faktor, der zu der Entstehung der inkohärenten Befunde beigetragen haben kann, könnten die unterschiedlichen Aufgaben sein, die als Messung der Reaktionshemmung fungierten. Einige Studien verwendeten die GNG-Aufgabe (Scholz et al., 2009; Schlosser et al., 2013; Jiang & Rau, 2017; Dierolf et al., 2017; Dierolf et al., 2018; Kan et al., 2021) und andere verwendeten die Stopp-Signal Aufgabe (Schwabe et al., 2013; McGrath et al., 2016; Roos et al., 2017; Chang et al., 2020). Wie bereits zuvor erwähnt, ist es ungünstig, die Ergebnisse aus den beiden unterschiedlichen Paradigmen zu vereinheitlichen, sodass Vergleiche zwischen den beiden Aufgaben mit Vorsicht zu betrachten sind. Aus diesem Grund wird im weiteren Verlauf dieses Abschnitts ausschließlich über Studien berichtet, die Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmung mit Hilfe einer GNG-Aufgabe untersucht haben. Interessanterweise zeigt sich jedoch innerhalb dieser Studien ebenfalls ein inkonsistentes empirisches Bild, sodass einige Studien positive Auswirkungen, einige negative Auswirkungen und einige keine Effekte von akutem Stress auf die Reaktionshemmung fanden.
In einer Metaanalyse konnte nachgewiesen werden, dass akuter Stress keinen signifikanten Einfluss auf die Inhibition hatte (Shields et al., 2016). Jedoch basierte die Berechnung auf einer geringen Anzahl von Studien und diese wiesen zusätzlich eine gewisse Heterogenität untereinander auf, weshalb im nächsten Schritt eine Analyse bestimmter Moderationseffekte durchgeführt wurde. Hierbei zeigte sich, dass nur die Art der Inhibitionsmessung ein entscheidender Faktor war. Laut den Ergebnissen scheint akuter Stress die Reaktionshemmung zu verbessern, wohingegen die kognitive Inhibition durch akuten Stress signifikant beeinträchtigt wurde. Andere Moderatoren, von denen angenommen wurde, dass sie einen entscheidenden Einfluss auf den Zusammenhang zwischen akutem Stress und die Inhibitionsleistung ausüben, wie zum Beispiel das Zeitintervall zwischen der Stressinduktion und der Messung der Inhibitionsleistung, erwiesen sich nicht als relevant. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass dies der geringen Anzahl an Studien geschuldet sein könnte, wodurch die Aufklärung von signifikanten Moderationseffekten als nicht besonders zuverlässig eingeschätzt werden kann (Shields et al., 2016). Shields et al. (2016) kommen zu dem Schluss, dass durch akuten Stress möglicherweise nicht die gesamte top-down-prozessierte kognitive Kontrolle beeinträchtigt wird, sondern nur bestimmte Domänen wie die kognitive Inhibition. Die motorischen Reaktionen scheinen dagegen weniger anfällig auf akuten Stress zu reagieren. Die Autoren vermuten, dass akuter Stress die Reaktionshemmung verbessert, was auf einen Zustand verbesserter Handlungskontrolle hinweist. Dies könnte nützlich sein, um die Kampf-oder-FluchtReaktion auf einen aktuellen Stressor zu erfolgreich auszuüben.
Im Gegensatz zu den metaanalytischen Befunden existieren jedoch auch Studien, die über negative Auswirkungen von akutem Stress auf die Reaktionshemmungsleistung berichten. So konnten Scholz et al. (2009) anhand von 42 männlichen Probanden nachweisen, dass akuter Stress die Reaktionshemmung beeinträchtigen kann. Zur Stressinduktion wurde der TSST verwendet und zur Erfassung der Reaktionshemmung kam eine GNG-Aufgabe zum Einsatz, die in ein Doppelaufgabenparadigma eingebunden war. Die Autoren wollten mit der Untersuchung einerseits herausfinden, ob akuter Stress einen Einfluss auf die Reaktionshemmung hat und anderseits, ob sogenannte Umsetzungsabsichten einen Einfluss auf die Effekte von akutem Stress auf die Leistung in der GNG-Aufgabe haben können. Umsetzungsabsichten sind einfache kognitive Strategien, die eine automatische Handlungsausführung begünstigen können (Brandstätter et al., 2001). Es handelt sich dabei um einfache Wenn-Dann- Pläne, die für eine spezifische Situation eine exakte Handlung vorgeben, wodurch Verhaltenskontingenzen für spezifische Situationen geschaffen werden (Scholz et al., 2009). Um dies zu überprüfen, wurde die eine Gruppe von Probanden aufgefordert, eine solche Umsetzungsabsicht vor dem Beginn des Experiments zu bilden. In den Ergebnissen der Untersuchung zeigte sich, dass akuter Stress die Reaktionshemmung beeinträchtigen kann und dass diese Beeinträchtigungen bei den Probanden, die vorab eine Umsetzungsabsicht gebildet und verinnerlicht hatten, nicht auftraten.
In der Forschungslandschaft gibt es jedoch auch weitere Studien, die weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung der Reaktionshemmung unter akutem Stress beobachteten. Dazu gehört unter anderem die Studie von Dierolf et al. (2017), in der 39 männliche Probanden entweder dem SECPT oder einer Warmwasserkontrollbedingung ausgesetzt wurden. Die Teilnehmer der Stressgruppe wurden zusätzlich in Abhängigkeit von dem Anstieg des Cortisolspiegels nach der Stressinduktion in High-Cortisol-Responder und Low- Cortisol-Responder unterteilt. Die Reaktionshemmung wurde mit einer GNG- Aufgabe vor und nach der Stressinduktion gemessen. Zusätzlich zu den Verhaltensdaten wurden die neuronalen Mechanismen der Reaktionshemmung unter akutem Stress mit ereigniskorrelierten Potenzialen durch EEG-Messungen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die drei Gruppen, bezogen auf die Reaktionszeiten und die Fehlerraten vor und nach der Stress- oder Kontrollmanipulation, nicht unterscheiden. Akuter Stress hatte demnach keinen Einfluss auf die Leistung in der GNG-Aufgabe. Bezogen auf alle drei Gruppen war die Genauigkeit sehr hoch und die Reaktionszeiten blieben durchweg konstant. Auf neuronaler Ebene zeigte sich jedoch, dass akuter Stress zu erhöhten Amplituden der N2-Differenzwellen führt, was auf eine verstärkte Reaktionshemmung und Konfliktüberwachung hinweist (Dierolf et al., 2017). Außerdem zeigten Teilnehmer, die mit einem sehr hohen Anstieg von Cortisol auf die Stressinduktion reagierten, reduzierte Amplituden der P3-Differenzwellen nach der Stressinduktion, was auf eine beeinträchtigte Bewertung und Finalisierung des Inhibitionsprozesses hinweist (Dierolf et al., 2017). Laut Dierolf et al. (2017) könnte dies darauf hindeuten, dass unter akutem Stress ein Kompensationsmechanismus ausgelöst wird, der zu einer Umverteilung der kognitiven Ressourcen auf die neuronalen Teilprozesse der inhibitorischen Kontrolle führt, wobei die prämotorische Inhibition und die Erkennung von Reaktionskonflikten durch Stress verbessert werden, während der darauffolgende Finalisierungsprozess beeinträchtigt wird.
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- Arbeit zitieren
- Daniel Rathmann (Autor:in), 2022, Die Auswirkungen von akutem Stress auf die inhibitorische Kontrolle in einem Go-Nogo Paradigma, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1321554
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