Jean-Jacques Rousseau hat im Jahre 1754 in seiner zweiten Preisschrift Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen über den Menschen und seinen vermeintlichen Naturzustand philosophiert, und sich gefragt, wieso der Mensch das einzige Lebewesen ist, das sich in jede erdenkliche Richtung entwickeln und formen kann. Auch im 21. Jahrhundert ist die anthropologische Urfrage, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht und inwieweit dieser durch seine genetischen Grundlagen determiniert ist oder welchen verhaltens- und wesensändernden Einfluss die Umwelt bei der Entwicklung des Säuglings zum erwachsenen Menschen hat, immer noch nicht definitiv beantwortet. Aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität einer solchen Fragestellung scheint eine eindeutige Beantwortung allerdings auch praktisch unmöglich. Nichts desto trotz bemühen sich anthropologische Wissenschaftler seit Jahrhunderten den Menschen und seine Eigenschaften, Besonderheiten und außergewöhnlichen Fähigkeiten zu analysieren und die elementaren Unterschiede, die in seiner Natur liegen und einzigartig im Vergleich zu allen anderen Tieren auf der Welt sind, herauszuarbeiten, um das Wesen des Menschen zu bestimmen. Besondere Eigenheiten, die dem Menschen zugeschrieben werden, und die ihn in einmaliger Art und Weise vom Tier abgrenzen, sind allen voran die Sprache, die Kultur, die Entscheidungsfreiheit und Weltoffenheit, die Vorstellungskraft und die Geschichtlichkeit des Menschen. All diese Eigenschaften des einzelnen Menschen und seiner gesamten Gattung sorgen für die Vormachtstellung des Menschen in der Natur, und werden in Kapitel 2 eingehend diskutiert. Die Frage ist nun, was bedeutet die Aussage, dass diese elementaren Unterschiede in der Natur des Menschen liegen, und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Schlummern diese Eigenschaften schon im Säugling ab dem Zeitpunkt seiner Geburt, und warten nur darauf sich entwickeln zu dürfen, oder bedarf es einer bestimmten Umwelt, die diese anfangs verborgenen Merkmale des Menschen erst zum Vorschein bringen? Und welche Rolle spielt dabei die Erziehung? ...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Anthropologische Grundlagen
- Die Mängel und der Reichtum des Menschen
- Die Kultur des Menschen
- Umwelt und soziale Mimesis
- Experimente
- Die „Ursprache“ des Menschen
- Der Affe und das Kind
- Wilde Kinder
- Isolierte Kinder
- Victor von Aveyron
- Entdeckung
- Ausgangszustand des Jungen
- Wissenschaftler und Fürsorgende
- Entwicklung, Fortschritte und Rückschläge
- Victor von Aveyron
- Wolfskinder
- Amala und Kamala
- Entdeckung
- Ausgangszustand der Mädchen
- Wissenschaftler und Fürsorgende
- Entwicklung, Fortschritte und Rückschläge
- Amala und Kamala
- Eingesperrte Kinder
- Genie
- Entdeckung
- Ausgangszustand und Vergangenheit des Mädchens
- Wissenschaftler und Fürsorgende
- Entwicklungen, Fortschritte und Rückschläge
- Genie
- Isolierte Kinder
- Gemeinsame Besonderheiten zwischen den Wilden Kindern
- Das literarische Bild des Wilden Kindes
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit setzt sich zum Ziel, anhand ausgewählter Fallbeispiele das Phänomen der „Wilden Kinder“ zu untersuchen und zu verstehen. Dabei werden sowohl die anthropologischen Grundlagen des Menschseins beleuchtet als auch die Folgen extremer Lebensumwelten auf die Entwicklung von Kindern analysiert. Die Arbeit befasst sich insbesondere mit den Fragen, inwieweit die genetischen Voraussetzungen des Menschen seine Entwicklung determinieren und welche Rolle die Umwelt bei der Ausbildung menschlicher Fähigkeiten spielt.
- Anthropologische Grundlagen des Menschseins
- Einfluss von Isolation und Deprivation auf die Entwicklung von Kindern
- Die Rolle von Sprache und Kultur in der menschlichen Entwicklung
- Die Anlage-Umwelt-Problematik im Kontext der Wilden Kinder
- Das literarische Bild des Wilden Kindes
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die Thematik der Wilden Kinder und ihrer historischen Bedeutung für die anthropologische Forschung. Im Anschluss werden die anthropologischen Grundlagen des Menschseins beleuchtet, wobei insbesondere die Mängel und der Reichtum des Menschen, seine Kultur und die Bedeutung der Umwelt und sozialen Mimesis für seine Entwicklung thematisiert werden. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Experimenten, die im Laufe der Geschichte durchgeführt wurden, um das Wesen des Menschen zu erforschen. Hier wird unter anderem das Experiment von Friedrich II. aus dem 13. Jahrhundert und das Experiment von Dr. Winthrop Kellogg aus dem Jahr 1933 vorgestellt. Anschließend werden die verschiedenen Gruppen der Wilden Kinder kategorisiert und anhand von detaillierten Fallbeispielen analysiert. So werden Victor von Aveyron (ein isoliertes Kind), Amala und Kamala (Wolfskinder) und Genie (ein eingesperrtes Kind) näher beleuchtet.
Die Arbeit endet mit einem Abschnitt über die gemeinsamen Besonderheiten der Wilden Kinder und dem literarischen Bild des Wilden Kindes. Dabei werden u. a. die Mythen der Antike, die Werke von Rudyard Kipling und Edgar Rice Burroughs sowie diverse Verfilmungen der Thematik der Wilden Kinder vorgestellt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen der Wilden Kinder, der pädagogischen Anthropologie, dem Einfluss von Isolation und Deprivation auf die Entwicklung von Kindern, der Anlage-Umwelt-Problematik, dem Spracherwerb, der sozialen Mimesis, dem Selbstbild, der Kultur, der Symboltätigkeit, der Geschichtlichkeit des Menschen und dem literarischen Bild des Wilden Kindes.
- Arbeit zitieren
- Irena Eppler (Autor:in), 2008, Wilde Kinder. Anthropologische Untersuchung von Kindern in außergewöhnlichen Lebensumwelten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132347