Die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine


Seminararbeit, 2009

23 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorgeschichte, Entstehung der Verfassung, Wende 1989/90, „orange“ Revolution
2.1 Geschichte des Landes, historische Gründe der Demokratiedefizite
2.1.1 Geographische Lage und Zuordnung
2.1.2 Staatsgeschichte und heutige Folgen
2.2 Transformationsprozess/Wende 1989-91
2.2.1 Die neue Verfassung 1991
2.3 Kucmas Amtszeit 1994-2005, autoritäre Herrschaftszeit
2.4 Die „orange“ Revolution
2.4.1 Chronologie der Ereignisse
2.4.2 Die Rolle der Zivilgesellschaft

3. Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine heute
3.1 Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und die Anwendung im Kommunismus
3.1.1 Anwendung im Kommunismus
3.2 Der Rechtsstaat in der Ukraine, eine Kurzanalyse
3.3 Probleme und Konflikte bei der Etablierung der Rechtsstaatlichkeit
3.3.1 Konflikt um die Verfassung
3.3.2 Konflikt um das Kabinettsgesetz
3.3.3 Die Rolle des Verfassungsgerichtshofes
3.3.4 Resümee

4. „Bestandsaufnahme“ des Rechtsstaates anhand von politischen Länderratings
4.1 Bertelsmann Transformations Index (BTI)
4.2 Freedom House
4.2.1 Political Rights
4.2.2. Nationales Regierungssystem

5. Conclusio

6. Bibliographie

1. Einleitung

Nach dem Zerfall der kommunistischen Systeme 1989/90 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion proklamierten sich mehrere Staaten für unabhängig, mit ihnen auch die Ukraine. Fast gleichzeitig mit der Unabhängigkeitserklärung folgte aber auch das „Bekennen“ zum westlichen Wirtschafts- und Staatsmodell. Zwar trat in den meisten post-kommunistischen Staaten die neue Verfassung schnell in Kraft, der so genannte Transformationsprozess dauerte jedoch wesentlich länger bzw. ist noch nicht vollendet.

In den ehemaligen Satellitenstaaten der UdSSR wie z. B. der Tschechoslowakei (heutige Tschechische Republik und Slowakei) kann der Transformationsprozess zur Demokratie und freien Marktwirtschaft spätestens mit dem Beitritt zur Europäischen Union 2004 bzw. 2007 als beendet gesehen werden. Für die Ukraine trifft dies nur teilweise zu. Gemessen an wirtschaftlichen Größen wie dem BIP/Kopf oder dem Durchschnittseinkommen und an „politischen“ Indikatoren wie etwa dem BTI[1], sind drastische Unterschiede im Vergleich zu anderen europäischen Transformationsstaaten festzustellen. Für das Jahr 2008 weist die Ukraine beim Status Index des BTI nur 6.93[2] (von max. 10) Indexpunkten auf (BTI 2008a), während hingegen Tschechien 9.56 Punkte aufweist (BTI 2008b). Russland weist einen Status Index von nur 5.94 (BTI 2008c) auf. Dies zeigt sehr deutlich, dass die Ukraine als „Mittelding“, gemessen an politischen und wirtschaftlichen Indikatoren, zwischen den ehem. Satellitenstaaten, die heute wirtschaftlich prosperieren, und Russland gesehen werden kann. Es gibt viele Erklärungsmöglichkeiten, warum die Ukraine in vielerlei Hinsicht, verglichen an den Erfolgen der anderen europäischen (ehem.) Transformationsländer, sich nur geringfügig verbessert hat bzw. in vielen Fragen stagnierte. Ein Grund ist sicherlich der immer noch präsente Ost/West-Konflikt, der das Land in zwei Teile spaltet und nur schwer ermöglicht, dass die Ukraine einen einheitlichen Kurs zu Gunsten aller Bürger einschlägt. Dieser Ost/West-Konflikt kommt in vielen Themen des öffentlichen Lebens wie z.B. der immer noch präsenten Nationalitäten-Frage vor. So könnte man das Land grob in den „ traditionell antisowjetischen, katholischen Westen (Galizien, Bukowina) mit seiner ukrainischen Majorität und Agrarwirtschaft [...] [und den] stark sowjetisierte [n] , russisch-orthodoxe [n] Osten mit seiner russischen Majorität sowie Metall- und Kohleindustrie [...]“ (Freundel 2007) aufteilen. Dass das Land derart gespalten ist, liegt unter anderem daran, dass die Ukraine in ihren heutigen Grenzen eigentlich so nie existiert hat und fast ununterbrochen zwischen russischer und polnischer Einflusssphäre aufgeteilt war. Der Westen sowie die Zentralukraine gehörten z. B. zu Zeiten der polnisch-litauischen Personalunion[3] zu Polen-Litauen. Zu Zeiten der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörten Teile der Westukraine (z. B. die Bukowina) zu der ungarischen Reichshälfte. Der Osten war wiederum sehr lange vom russischen Reich dominiert, was dort auch heute noch sehr augenfällig ist, da diese Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Diese Aufteilung des Landes in verschiedene Einflusssphären hat die Gesellschaft der Ukraine sehr stark aufgespalten, was sich auch in den Wahlergebnissen nach Regionen niederschlägt. Ebenso interessant ist hier auch die Nationalitäten- und damit verbundene Sprachen-Frage. Auch hier zeigt sich sehr deutlich, dass in den Regionen, wo die Bevölkerung stark von einer ethnisch-ukrainischen Auffassung ausgeht[4], eine starke Befürwortung der freien Marktwirtschaft und der demokratischen Systeme, während hingegen in den östlichen Regionen, die von der ostslawischen Auffassung[5] dominiert sind, eine stärkere Tendenz hin zu Planwirtschaft und autokratisch organisierten Führungssystemen (vgl. Shulman 2005) erkennbar ist. So versuchte der besonders von östlichen Wählern unterstützte Janukovič bei den Präsidentschaftswahlen 2004 mit Wahlverfälschungen diese gegen seinen Rivalen Viktor Juščenko zu gewinnen, um die Nachfolge des autokratisch regierenden Leonid Kučma zu sichern. Dieser Skandal ebnete schlussendlich den Weg für die „orange Revolution“. Juščenko gelang es in den Nachwahlen zu gewinnen. Diese „zweite“ Wende der Ukraine bedeutete einerseits den Bruch mit der autokratischen Vergangenheit und andererseits den Weg zu einer viel versprochenen, modernen und (in die EU) integrierten Ukraine. Zwar konnten die „orangen“ Kräfte die Macht für sich sichern, in der Lage wirklich spürbare Ergebnisse zu liefern, waren sie jedoch nicht. Dies liegt sicherlich daran, dass ein gewisser Bruch zwischen den ehemaligen orangen Kräften erfolgte und diese (nämlich Juščenko und Tymošenko), statt für die Sicherung der Wirtschaft und politischen Stabilität, nur noch für die eigenen Interessen und Machtsicherungen kämpften. Dies zeigte sich sehr deutlich in den Konflikten um die Verfassung und das Kabinettsgesetz, bei denen es Tymošenko und Juščenko eigentlich nur um die persönliche Machtabsicherung ging. Es scheint so, als ob in der Ukraine nicht im Einklang der Regeln, sondern mit diesen gespielt wird (vgl. Whitmore 2007). Sowohl bei der Beobachtung der Konflikte um die Verfassung sowie um das Kabinettsgesetz, welches nur mühevoll und ohne Zustimmung des Präsidenten in Kraft trat, als auch bei der Rolle des Verfassungsgerichtshofes, welcher gleichsam paralysiert wurde, ist eindeutig zu sehen, dass gewisse politische „Spielregeln“ verletzt wurden und dass der Rechtsnihilismus unter allen Parteien (seien sie pro-westlich oder pro-russisch orientiert) weit verbreitet ist (vgl. Segert 2007).

Wie hat sich jedoch die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine etabliert, und welche Rolle spielte dabei der Transformationsprozess und die damit verbundenen Verfassungsänderungen sowie die Umstellung auf eine Marktwirtschaft. Weiters will noch geklärt werden, wie die Lage heute eingeschätzt werden kann und was für die Zukunft vorhergesagt wird bzw. prognostiziert werden kann.

Um dem Leser einen Einblick in die Thematik ermöglichen zu können und um die Frage der „Rechtsstaatlichkeit“ zu klären, wurden in dieser Arbeit zunächst die Geschichte der Ukraine sowie die zur Wende 1989/90 und die zum Transformationsprozess relevanten Fakten behandelt. Besonders wichtig sind hierbei die Implementierungen der neuen „westlichen“ Normen (neue Verfassung, Marktwirtschaft etc.) sowie der soziale Wandel, der sich, wie es aussieht, stark zeitverschoben zu der Implementierung der neuen Werte zu entwickeln scheint. Überleitend von diesem, wird danach dem heutigen ukrainischen Rechtsstaat ein besonderes Augenmerk geschenkt, indem dieser genauer analysiert wird. Schlussendlich wird eine „Bestandsaufnahme“ des heutigen Rechtsstaates Ukraine mit Hilfe von politikbezogenen Länderratings wie dem BTI gemacht, um einerseits einen Einblick in den „Stand des Fortschrittes“ zu bekommen und andererseits einen Vergleich zu anderen Transitionsländer herzustellen.

2. Vorgeschichte, Entstehung der Verfassung, Wende 1989/90, „orange“ Revolution

2.1 Geschichte des Landes, historische Gründe der Demokratiedefizite

2.1.1 Geographische Lage und Zuordnung

Die Ukraine ist ein osteuropäischer Staat, der im Norden an Weißrussland, im Nordosten an Russland, im Süden an Moldawien und Rumänien und im Westen an Slowakei, Polen und Ungarn grenzt. Die Hauptstadt des Landes ist mit knapp 2,7 Millionen Einwohnern Kiew. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort ukrajina „Grenzland“, was ,geschichtlich gesehen, einerseits auf die geographische Lage des Landes zwischen der damaligen europäischen Supermacht Polen und dem gigantischen Russischen Reich und andererseits auf die geopolitische Situation vor allem im 20 Jh. als ein geteiltes Land zwischen dem Russischen Reich und Österreich-Ungarn zurückzuführen ist.

2.1.2 Staatsgeschichte und heutige Folgen

Die Aufteilung des Landes, wie schon kurz in der Einleitung angesprochen, hat bis heute seine Spuren in der Gesellschaft wie z.B. bei der Frage des Staats- und Nationsbildungsprozesses und der damit verbundenen Nationalitäten-Frage hinterlassen. Als sehr schwierig hat sich eben dieser Prozess seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 erwiesen, da das Land bzw. Teile der heutigen Ukraine – die ja eigentlich in ihren heutigen Grenzen so nie existierte – abwechselnd vom Mongolischen Reich, der polnisch-litauischen Adelsrepublik, der Monarchie Österreich-Ungarn, dem Osmanischen Reich sowie Russland und der Sowjetunion regiert worden ist. All diese Perioden fremder Herrschermächte haben in vielen Bereichen wie etwa in der Sprachenfrage, Minderheitenfrage – besonders die Krimtartaren auf der Halbinsel Krim – etc. merkliche Spuren hinterlassen. Die Ukraine hat in ihren heutigen Grenzen, wie schon vorhin erwähnt, nie unter einer Herrschaft existiert. Zwar versuchten die Bolsheviken von 1917-1921 ein unabhängiges, souveränes Land zu gründen, nach dem Föderalprinzip des Austro-Marxismus[6] mit der Gründug einer Allianz und später einer „Union der Staaten“, was jedoch scheiterte. 1919 wurde von der sowjet-ukrainischen Regierung in Kharkiv die Verfassung verabschiedet, doch 1920 wurde mit der RSFRS[7] eine wirtschaftliche und militärische Union eingegangen, die schließlich mit der Eingliederung der Ukraine in die RSFRS 1922 endete. Die Souveränität bestand weiterhin auf dem Papier, doch diese war mit der Unterordnung der politischen Institutionen der Teilrepublik Ukraine gegenüber der RSFRS ebenfalls untergeordnet, was einen Machttransfer von der Ukraine zu Gunsten der Sowjetrepublik bedeutete, die die Souveränität deutlich eingeschränkt hatte (vgl. Wolczuk 2001: 45f.). Somit wurde ein weiteres Mal die ukrainische Eigenstaatlichkeit verhindert. Positiv ist jedoch anzumerken, dass damals die Grenzen, die bis heute gültig sind und auf dessen territorialer Grundannahme sich die heutige Ukraine konstituiert, geschaffen wurden.

Jedoch wurde das ukrainische Nationalitätsbewusstsein mehr oder weniger von der Sowjetunion unterdrückt – wie in den meisten Vielvölkerstaaten zur Unterdrückung nationalistischer Separationstendenzen –, was sich negativ auf den Staats- und Nationsbildungsprozess nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 ausgewirkt hat.

2.1.2.1 Folgen des Mangels staatlicher Eigenständigkeit

Die eben beschriebenen Probleme der Staatlichkeit der Ukraine, die, wie es Bos (2004: 472) auf den Punkt bringt, „ geprägt [ist] von der weitgehend fehlenden Erfahrung staatlicher Eigenständigkeit “, machen sich heute besonders in dem Bereich der Regierungsführung (Governance) bemerkbar. So erreichte die Ukraine beim Failed State Index Score für das Jahr 2006 mit 71.4 Indexpunkten Platz 106 von insgesamt 177 Staaten und wurde unter die Stufe Warning eingestuft[8] (FfP 2006). Bei dem Government Effectivnes[9] Indikator der Weltbank erreichte die Ukraine 30 von 100 % (Worldwide Governance Indicator 2007a: 4), während hingegen Polen bei demselben Indikator knapp 69 von 100% erreicht hat (Worldwide Governance Indicator 2007b:4).

[...]


[1] Bertelsmann Transformation Index; Ranking von 119 Staaten, das den Erfolg der Transformation zur Demokratie und Marktwirtschaft misst.

[2] Der Statusindex ist ein Mittelwert, der Messungen zur „politischen Transformation“ und der „Transformation zur Marktwirtschaft“, die wiederum den Mittelwert aus mehreren Indikatoren bilden. Bei der Messung konnten max. 10 Punkte erreicht werden.

[3] Gemeint ist die polnisch-litauische Adelsrepublik 1569–1795.

[4] Die ethnisch-ukrainische Auffassung ist besonders stark im Westen des Landes vertreten.

[5] Die ostslawische Auffassung ist besonders in dem ehemals stark russisch dominierten Osten vertreten.

[6] Von Otto Bauer geprägte Schule des österr. Marxismus.

[7] Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik.

[8] Der Failed State Index Score misst anhand von 12 Indikatoren (aufgeteilt in soziale, wirtschaftliche und politische Ind.) die Gefahr zu einem failed state zu werden. Der 177. Staat (Norwegen) gilt als der sicherste, während hingegen die Ukraine auf Platz 106 zu den eher gefährdeten (nicht aber momentan) zählt.

[9] Ein Indikator der Weltbank, der im Rahmen des Country Data Report for Ukraine, 1996-2007 erschienen ist und der sich aus mehreren Indikatoren wie z.B. dem BTI zusammensetzt.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine
Hochschule
Universität Wien
Note
1
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V132648
ISBN (eBook)
9783640394678
ISBN (Buch)
9783640394326
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklung, Rechtsstaatlichkeit, Ukraine
Arbeit zitieren
Djordje Andrijasevic (Autor:in), 2009, Die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132648

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