Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Reurbanisierung und Suburbanisierung als Prozesse des sozioökonomischen Wandels
2.1 Kennzeichen der Reurbanisierung
2.2 Kennzeichen der Suburbanisierung
3. Die Reurbanisierung Hamburgs und Suburbanisierung des städtischen Raums: Verän derung der kommunalen Struktur durch demografischen Wandel
4. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Hamburg zählte 2021 als zweitgrößte deutsche Stadt 1,85 Millionen Einwohner (Rudnicka 2022a). Seit 2011 kann die norddeutsche Metropole jährlich einen Bevölkerungszuwachs verzeichnen. Das Wiedererstarken und die Bedeutungszunahme von Kernstädten wie Hamburg lässt sich dem Trend der „Reurbanisierung“ als räumlicher Entwicklungsprozess zwischen Stadt und Land beschreiben. Doch diese Form der Landflucht durch Zuzüge in die urbanen Zentren lässt sich nicht ohne eine gleichzeitige Stadtflucht denken, welche die entgegengesetzte Entwicklung, die „Suburbanisierung“, meint. Besonders der städtische Raum profitiert durch Familienzuzüge in seiner demografischen und sozioökonomischen Weiterentwicklung von diesem Prozess.
Unter dem Thema „Reurbanisierung und Suburbanisierung im Kontext des demografischen Wandels - das Beispiel Hamburg und sein städtischer Raum“ wird zuerst mit Statistiken ermittelt, was die Kennzeichen von Re- und Suburbanisierung sind. Einerseits wird unter dem Aspekt der Reurbanisierung Hamburg als explizites Beispiel in den Blick genommen. Darauf aufbauend ist der zweite Blickwinkel, die Suburbanisierung, notwendig, indem der angrenzende Landkreis Stade musterweise herangezogen wird. Bei beiden Phänomenen werden sowohl Pull-Faktoren, warum es die Menschen vom Land wegzieht (aus der Stadt wegzieht), als auch Push-Faktoren, warum die Menschen das Leben auf dem Land (und umgekehrt) vorziehen, genannt. Beiläufig werden aber auch demografische Entwicklungen induktiv in den Blick genommen, das heißt nicht nur Hamburg einzeln, sondern auch die gesamte Situation deutscher Großstädte betrachtet. So wird ein allgemeiner Überblick der GroßstadtEntwicklung in Deutschland mit Hamburg als ein Spiegelbild dessen generiert. Im zweiten Teil gilt es, nachstehende Frage zu beantworten: Inwiefern wirken sich Re- und Suburbanisierung im Kontext des demografischen Wandlungsprozesses auf die kommunale Struktur aus? Trotz der parallelen Trends, die positiv zur Wiedererstarkung der Kernstadt beziehungsweise des städtischen Raums beitragen, bringt der demografische Wandel Probleme mit sich, die beide Phänomene vor zukünftig bahnbrechende Herausforderungen stellen dürften. Die demografischen Entwicklungen determinieren auf mittel- und langfristige Sicht beide Formen, indem Einwohnerzuwachs sich gleichzeitig auch mit Bevölkerungsalterung und weiteren gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen überschneidet.
2. Reurbanisierung und Suburbanisierung als Prozesse des sozioökonomischen Wandels
2.1 Kennzeichen der Reurbanisierung
Im Folgenden gilt es, Antworten auf die aufgezeigten statistisch erhobenen Daten und die Faktenlage zu finden. Zunächst gilt der Blick der Reurbanisierung, welche umschreibt, dass die Kernstadt einen Bevölkerungszuwachs etwa gegenüber dem städtischen Umland erlebt (Milbert 2017: 3). Dabei wird auch des Öfteren von Landflucht gesprochen, wenn Binnenwanderungen gen Großstadt erfolgen.
Die Stadt Hamburg verzeichnete 2021 insgesamt einen Saldo der Zu- und Fortzüge von -9.325 Menschen (Statista Research Department 2022c), es zogen mehr Menschen aus Hamburg in ein anderes Bundesland als von einem anderen Bundesland nach Hamburg. Im Jahresvergleich zeigt sich der zunehmende Trend der Fortzüge. Während 2007 noch ein Überschuss von 11.328 Zuzügen gegenüber den Fortzügen bestand, nahmen die Zuzüge im weiteren Zeitverlauf, mit Ausnahme eines Ausreißers 2015 und 2019, nahezu kontinuierlich ab (Rudnicka 2022c). Mit Blick auf das Binnenwanderungssaldo, welches Wanderungen innerhalb der Landesgrenzen angibt, lassen sich prägnante Befunde herausfiltern (Milbert 2017: 10). Hamburg, das kategorisch dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zufolge zu den „Big Seven“ der sieben einwohnerstärksten Großstädte Deutschlands zählt, zeigt bei den Binnenwanderungen der 18- bis 25-jährigen und 25- bis 30-jährigen, dass bei diesen Kohorten mehr Fortzüge über die Grenzen Hamburgs hinweg in ein anderes Bundesland als Zuzüge nach Hamburg gab. Diese Altersetappen bevorzugen eher das Leben in Großstädten wie den „Big Seven“ (Milbert 2017: 10). Doch woran liegt das, wie kommt Reurbanisierung zustande?
Junge Menschen zieht es vor allem aufgrund vieler sozioökonomischer Faktoren nach Hamburg. Sie erfüllt Kriterien der Lebensqualität und wirtschaftlicher Stärke, weshalb sie 2021 auf Platz neun der wirtschaftsstärksten Städte Deutschlands landete. Das geht aus einem Städtetest der WirtschaftsWoche, Immobilienscout24 und dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln hervor, welche Einflüsse wie Lebensqualität, Wachstum, Arbeits- und Immobilienmarkt miteinbeziehen (Suhr 2022). Hamburg profitiert vom florierenden Standort, an dem die ökonomische Stärke durch den Hafen und seine maritime Industrie und Logistik, die Luftfahrtbranche und weitere international agierende Unternehmen groß ist. Diese decken viele Arbeitsplätze und garantieren der Stadt eine hohe Wirtschaftskraft, die sich für Hamburg gemessen am gesamt erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf 126,71 Milliarden Euro beziffert (Rudnicka 2022a). Der Arbeitsmarkt eröffnet den Berufseinsteigern facettenreiche Arbeitsmöglichkeiten, Berufswege und Ausbildungsplätze oder den akademischen Weg über Universitäten und diverse themenspezifische Hochschulen. Hamburg besitzt vier Universitäten, Kunst- und Fachhochschulen sowie zählige private Hochschulen von Medien, über Rechtswissenschaft bis hin zu Modedesign. Diese unbegrenzten Möglichkeiten erschöpfen sich im städtischen Raum und stoßen an ihre Grenzen. Aufgrund dieser Faktoren wählt vor allem die berufseinsteigende Generation die Attraktivität von Großstädten wie Hamburg als Standort für ihren Lebensweg.
Die Stadt Hamburg lässt sich in einen kategorischen Rahmen einordnen. Beim Heranziehen der Typisierungen von Wegweiser Kommune, einem Datenportal der Bertelsmann Stiftung, wird Hamburg dem Typ „Großstädte und Hochschulstandorte mit heterogener sozioökonomischer Dynamik“ zugeordnet. Insgesamt umfasst die Typisierung von Kommunen elf verschiedene Typen, die so kategorisiert worden sind, dass es wenige Differenzen zwischen den Kommunen eines Typs gibt (Bertelsmann Stiftung 2020f). Dass Hamburg ein Universitätsstandort ist und dabei die drittmeisten Studierenden (41.700) vorzuweisen hat, beweist die Präsenz des Zulaufs, dass die Wahl des akademischen Wegs und der Faktor des Standortes Hamburg den jungen Menschen zusagt. Die Anteile der unter 18-jährigen in Hamburg und Stade sind nahezu deckungsgleich, jedoch zeigt sich, dass in der Kategorie Bildungswanderungen je 1.000 Einwohner die klare Tendenz dahin geht, im Alter 18 bis 24 den Bildungsweg eher in der Großstadt als im städtischen, ländlichen Raum Stade zu wählen. 2017 sind 70,1 Personen je 1.000 Einwohner mehr nach Hamburg aus beruflichen motivierten Gründen zu- als fortgezogen (Bertelsmann Stiftung 2020b), während der Landkreis Stade 2017 bei der Bildungswanderung einen Wanderungsverlust von -5,5 und 2020 sogar -13,6 hinnehmen musste.
Mit Blick auf alle zu diesem Typen eingeordneten 77 Kommunen, darunter Hamburg, lässt sich als Zwischenfazit für alle dynamischen Großstädte bilanzieren: ihre Kennzeichen sind ein hoher Anteil an Hochqualifizierten, ein enormer Einwohnerzuwachs aus beruflich motivierten Gründen der einzelnen Zuzügler und das geringste Durchschnittsalter von 41,7 Jahren im Vergleich zu allen anderen zehn Typen von Wegweiser Kommune. Besonders letzteres ist Ausdruck einer jungen Altersdynamik, die das Kernmilieu der Reurbanisierung prägen.
2.2 Kennzeichen der Suburbanisierung
Suburbanisierung kann charakterisiert werden als rückläufiges Wachstum von Städten und Gewinnen von Einwohnern des städtischen Umlandes (Milbert 2017: 3). Deshalb ist auch häufig von der Stadtflucht die Rede. Um die Suburbanisierung auch an konkreten Beispielen realisierbar zu machen und vor Augen zu führen, dient der im angrenzenden Bundesland Niedersachsen liegende Landkreis Stade als Beleg. Er zählt zur Metropolregion Hamburg, liegt nordöstlich von der Millionenstadt die Hansestadt Stade übt die Kreisverwaltung aus (Landkreis Stade o.J. b). Mit „mittelalterlichen Städten“, „attraktiven Gemeinden“ sowie Stade als „dynamischer Wirtschaftsstandort“ der Luftfahrtbranche mit Airbus als international anerkanntes Unternehmen wirbt der Landkreis, der knapp über 206.000 Einwohner bei einer Gesamtfläche von 1267,40 Quadratkilometern zählt (Wikipedia 2022b). Stade lässt sich bei der Kategorisierung durch Wegweiser Kommune Typ 9, „Wachsende familiengeprägte ländliche Städte und Gemeinden“, zuordnen. Denn es sind in erster Linie die Familien, die dafür sorgen, dass Suburbanisierung ein parallel ablaufendes demografisches Entwicklungsphänomen zur Reurbanisierung ist, lebt im Typ 7 von Wegweiser Kommune doch fast jeder zweite Einwohner einer deutschen Großstadt (49,9 Prozent) in einem Einfamilienhaushalt (Bertelsmann Stiftung 2020g: 7), während es bei Typ 9 deutlich weniger mit 26,7 Prozent sind (Bertelsmann Stiftung 2020h: 7).
Hamburg, als Fall der Reurbanisierung, verlor bis 2015 vorrangig Einwohner der Altersgruppe 30 bis 50 Jahre (Milbert 2017: 10). 2005 lag das Binnenwanderungssaldo noch knapp bei einem Wert von 0, bei dem die Zu- und Fortzüge ausgeglichen wären. Seitdem (bis zur Datenerfassung bis 2015) bewegten sich die Binnenwanderungen von den sieben größten Städten wie Hamburg ins Negative, 2015 lag der Wert bei circa -8, was einen Überschuss an Fortzügen bedeutete. Dazu gibt es auch weitere Daten, die ein Beleg für Unattraktivität von Hamburg sind, besonders bezogen auf etwa Familien. Und hier setzt das Phänomen der Suburbanisierung ein, denn es liegt auf der Hand, dass nicht alle Altersgruppen und individuell verschieden denkenden Menschen unbedingt die Vorzüge Hamburgs sehen, sondern auch eine Perspektive für ihre persönlichen Nachteile der Wohnortwahl pro Großstadt haben.
Doch was sind die Gründe, die Pull-Faktoren, warum Familien aus Hamburg fortziehen? Der in der Literatur am häufigsten genannte Punkt sind Preise auf dem Wohnungsmarkt. Junge Familien, die sich den Traum vom Eigenheim erfüllen wollen und ihr Leben mit Kindern planen, streben nach mehr als kleine Mietwohnungen bieten. Ausreichender Entfaltungsraum, das heißt ein Einfamilienhaus inklusive umliegender Flächen wie einem Garten sind aufgrund der Einwohnerdichte von Großstädten Rarität und ein kostspieliger Wunsch. Deswegen sind hohe Mietpreise ein ausschlaggebender Faktor, warum eine Entscheidung contra Hamburg als Wohnort gefällt wird. Durchschnittlich müssen Wohnungssuchende 14,04 Euro pro Quadratmeter zahlen (Statista Research Department 2022b). Zum Vergleich: der deutschlandweite Durchschnittsmietpreis belief sich 2020 auf 8,97 Euro pro Quadratmeter (Bundesministerium des Innern und für Heimat o.J.). Dass sich im Landkreis Stade einige Familien diesen häufig herrschenden Traum eines Einfamilienhauses erfüllt haben, untermauern die Statistiken. 20,4 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes 2019 in Hamburg setzte sich aus Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern zusammen (Bertelsmann Stiftung 2020b), während im suburbanen Raum Stade mit 67,5 Prozent über das dreifache dessen waren (Bertelsmann Stiftung 2020e).
Im Umland der Kernstadt ist zudem die sozioökonomische Problemlage, das heißt soziale Segregation, also die räumliche Schichtung sozial unterschiedlicher Gruppen mit Ungleichheiten beispielsweise im Einkommensniveau, weniger zugespitzt und fällt meistens moderat aus. Das ist messbar an der Kaufkraft von Haushalten, die einen entscheidenden Aussagegehalt in Bezug auf ökonomischen, finanziellen Wohlstand der Einwohner einer Kommune besitzt. Im Vergleich zwischen Kernstadt und städtischem Raum lässt sich ebenfalls erkennen, dass die Kaufkraft außerhalb der Stadt höher ist, denn während sie in deutschen Großstädten durchschnittlich bei 43.124 liegt (Bertelsmann Stiftung 2020g: 7), beziffert sich die Kaufkraft des Typ 7 von Wegweiser Kommune auf 56.810 bei einem Mittelwert von 51.908 Euro pro Haushalt (Bertelsmann Stiftung 2020h: 7), bei dem Wert sich die Kaufkraft der Stader Kreiseinwohner auch ungefähr einpendelt. Die Bewohner von ländlich geprägten Regionen sind hier also wirtschaftsfähiger, können finanziell in Gesellschaft und Wirtschaft mehr partizipieren durch ein höheres zur Verfügung stehendes Nettoeinkommen pro Haushalt, das mehr Freiheiten beim freien Konsum von Gütern und Dienstleistungen ermöglicht. Dementsprechend sind Menschen im städtischen Raum während der aktuellen Inflation durch die Corona-Pandemie im Vorteil, da sie trotz des ansteigenden Preisniveaus für viele Waren und Dienstleistungen eine höhere Resistenz haben und die Preise eher aufwenden können als zahlungsknappere Haushalte in der Stadt. Ohnehin ist der finanzielle Aspekt ein wesentlicher Erklärungsfaktor, warum besonders die 30- bis 50-jährigen, Einkommensstarken die Suburbanisierung durch einen Fortzug aus der Kernstadt vorantreiben, weil auch die Lebenshaltungskosten, allen voran die Wohnkosten, geringer sind.
Bei der erneuten Betrachtung des Zuwanderungssaldos anhand des Landkreises Stade fällt das Wachstum der Gemeinden auf. Besonders drei Kommunen verzeichneten über die letzten fünf Jahre enormen Bevölkerungszuwachs. Apensen mit 9.660 Einwohnern konnte einen Zuwachs von 7,8 Prozent verzeichnen (Bertelsmann Stiftung 2020a), Harsefeld mit 22.607 Einwohnern erlebte ein Wachstum von 8,0 Prozent (Bertelsmann Stiftung 2020c), Horneburg mit 13.425 Einwohnern sogar eines von 8,4 Prozent (Bertelsmann Stiftung 2020d). Doch was macht diese zahlenmäßig kleinen Gemeinden zu einem attraktiven Wohnort und beschleunigt damit die Suburbanisierung?
Zum einen sind sie attraktiv für junge Familien, die ein nachhaltiges familiäres Leben führen und eine Zukunft aufbauen wollen. Der Indikator Familienwanderung je 1.000 Einwohner lag 2020 für den gesamten Landkreis Stade bei 13,8 (Bertelsmann Stiftung 2020e). Für die Gemeinden Apensen (24,7), Harsefeld (29,8) und Horneburg (28,4) lässt sich ebenfalls ein deutliches Plus an familiären Zugegenüber den Fortzügen bilanzieren. Es zogen dementsprechend mehr Personen der Altersgruppen der unter 18-Jährigen und der 30- bis 49-Jährigen in die Kommunen als fort. Als vergleichende Referenzgröße steht dem gegenüber für Hamburg nur ein minimaler Überschuss der Zuwanderungen von 3,6 Personen je 1.000 Einwohner im Jahr 2017 (Bertelsmann Stiftung 2020b). Für diese ist die Millionenstadt schnell erreichbar mit dem Öffentlichen Personen- und Nahverkehr (ÖPNV), da der Großteil des Landkreises Stade in den Hamburger Verkehrsverbund (HVV) eingebunden und mit ihm vernetzt ist. Zeigenswert sind hierbei auch die Pendlerzahlen, die eine deutliche Sprache sprechen, dass aus dem Landkreis Stade viele Menschen beruflich Richtung Hamburg auspendeln, weswegen es ein positives Pendlersaldo an der Gesamtbevölkerung von 18,3 Prozent hat (Bertelsmann Stiftung 2020b). Beim Landkreis Stade sticht das negative Pendlersaldo von -15,3 Prozent ins Auge, das heißt der Pendlerverlust pro 100 Einwohner der „erwerbsfähigen Bevölkerung“ beträgt rund 15 Prozent. Es pendeln damit mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus dem Landkreis aus als einpendeln.
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