Leseprobe
Gliederung
Einleitung
1. Sex, gender und das Ich – ein performativer Sprechakt?
2. Das Geschlecht als intelligibel im Sinne eines performativen Aktes
3. Die Zuweisung des Geschlechts als performativer Sprechakt
4. Problematiken der performativ erzeugten Binarität von Geschlecht
5. Scheitern des binären Systems in der Literatur
6. Fazit
7. Anhang
Einleitung
Diese Arbeit soll Butlers „gender trouble“ und Austins Theorie der Sprechakte einer parallelen Lesart unterziehen. Fragestellung soll hierbei sein, inwieweit bestehende Geschlechterrollen als performative Sprechakte innerhalb von Diskursen zu verstehen sind und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können.
Schlussfolgerungen hier hinsichtlich einer Unbestimmbarkeit der Geschlechterdifferenz und der Problematik eines binären Systems. Inwieweit ist dieses System überholt und wie lässt sich dessen mögliche Unzulänglichkeit illustrieren? Im Vordergrund der Argumentation stehen hierbei die Texte „Das Unbehagen der Geschlechter“ von Judith Butler und „Zur Theorie der Sprachakte (How to do things with words)“ von John L. Austin. Bezüglich des letzteren Bandes wird dabei der Fokus auf die siebte und achte Vorlesung des Werkes gelegt.
Im ersten Teil der Arbeit soll zunächst eine Erläuterung der Terminologie Butlers eine Einführung in den Komplex „Geschlecht und Gesellschaft“ geben, dem sich eine Annäherung der Geschlechter-Konstruktion an die performativen Sprechakte nach Austin anschließt. Des Weiteren sollen sprachpraktische Beobachtungen diesen Zusammenhang nachvollziehbar machen. Diesen Beobachtungen folgt eine Rückwendung zur binären Matrix und ihrer Stringenz, bevor die Problematik einer Geschlechterzuweisung ob eines performativen Sprechaktes thematisiert wird.
Als Exkurs soll ein kleiner Einblick in den Umgang mit Geschlechterrollen am Beispiel des Romans von Ali Smith „Girl meets boy“ stattfinden. Anhand eines Ausschnittes soll gezeigt werden, wie durch Spreche eine Verschiebung der Realitätsebene zugunsten eines Geschlechterbildes das keinem System genügt, sondern als fließend verstanden werden kann. Der springende Punkt innerhalb dieser Betrachtung – und der Arbeit als solche –liegt im Verständnis von Geschlecht als Kontinuum, in dem keine Kategorisierung Mann-Frau funktioniert, sondern die Begrifflichkeiten eher als Annäherungsversuche für Bezeichnungen (ohne die Sprache nicht funktioniert) gebraucht werden.
1. Sex, gender und das Ich – ein performativer Sprechakt?
Von Butler auf Austin zu kommen ist kein allzu großer Schritt, wenn man sich gender als ersten von einer Gesellschaft konstruierten Begriff denkt. Gender meint im Sinne Butlers das sozial konstruierte Geschlecht, das die Einteilung von Menschen in Mann und Frau auf sozialer Ebene weiterführt.
Dieses von der Gesellschaft manifestierte Konstrukt bezieht sich gern auf biologische bzw. aus der empirischen Wahrnehmung resultierenden Ergebnisse, die nun als Fundament sozialer Differenzierung zwischen Mann und Frau zu Rate gezogen werden. So ist die Frau selbstverständlich eher weich und behaftet von Mutterinstinkten, während der Mann als Jäger in der Wildnis zunächst höchstens einen weichen Kern in harter Schale vorzuweisen hat. Doch wie lässt sich der Prozess hin zum Manifest der binären gesellschaftlichen Denkweise nachvollziehen und wo tauchen dessen Schwachstellen auf?
Auf den ersten Blick fällt in diesem binär aufgezogenen Gedankenkomplex natürlich die Frage des „dritten Geschlechts“ auf. Nicht im Sinne Hirschfelds, der damit die männliche Homosexualität als Krankheit definierte und somit den Versuch einer Entkriminalisierung unternahm, sondern aus der Perspektive der Intersexuellen. Wie kann also eine Gesellschaft eine binäre Denkstruktur schaffen, die zu einem Geschlechtersystem im Sinne der „Heterosexuellen Matrix“ von Butler aufsteigen kann, wenn diese in ihren Argumentationslinien wie etwa der biologischen nicht in sich kohärent ist?
Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in die Fachterminologie Butlers erste Antwortversuche darauf geben, wie solche Prozesse funktionieren können und strukturiert sind. Ein weiterer Schritt soll dann die Sprechakttheorie Austins in die Überlegungen mit einbeziehen, um gender nicht nur als Endprodukt sozialer Repetitionsmomente, sondern auch als performativen Sprechakt lesbar zu machen.
In Butlers Terminologie sind zunächst der Diskurs und die Intelligibilität als signifikant zu bezeichnen. Der Diskurs ist in theoretischen Ausführungen meist als ein Ensemble von Sprechweisen und sprachlich-begrifflichen Vorstellungen, die für eine Epoche typisch bzw. konstitutiv sind, markiert. Diskurse beziehen sich immer jeweils auf ein Objekt (z.B. Körper, Sexualität, Wissenschaft), das sie in spezifischer Weise konturieren.
Diskurse haben also etwas einfacher gesprochen wirklichkeitserzeugende Wirkungen, indem sie nur bestimmte Begriffe für die gemeinten Objekte hervorbringen. Hier setzt schon die Bedeutung einer Macht der Sprache ein. Diskurse sind darauf angewiesen, durch Sprache manifestiert zu werden. Ohne ein repetierendes Moment innerhalb dieser Sprechweise wäre der Diskurs als Realität produzierendes Element nicht denkbar. Der PC-Virus als Beispiel eines solchen diskursiven Sprechakts wäre also ohne die kulturelle, historische und wissenschaftliche Rahmung, die der Diskurs vorgibt (nämlich zu meinen auf der technischen Seite, zum anderen durch den Rückgriff auf einen Begriff der Medizin zur Illustration des zu beschreibenden Phänomens) nicht möglich.
Ebenso lässt sich festhalten, dass die Bezeichnung „Tucke“ oder „Schwuler“ nicht ohne einen Verortungsprozess innerhalb eines Diskurses funktioniert, also etwas produktives (und nicht nur im Sinne einer Wertung) in sich trägt. Die Verortung ergibt sich aus dem aktuellen Diskurs und dem jeweiligen Kontext, die dieser Diskurs offeriert. Im Fall des Ausspruchs „Tucke“ wäre aktuell vermutlich eine Verortung im Rahmen eines männlichen homosexuellen Raumes zu denken, der mit weiblichen Attitüden belegt ist, anzunehmen. Genau hier liegt das Produzierende einer solchen Sprache: nicht nur die „Tucke“ wird benannt, sondern auch der eben beschriebene Raum wird diskursiv erzeugt – und durch Wiederholungen zur Realität gemacht. Wichtig ist an dieser Stelle festzuhalten, dass Diskurse durch ihre Bindung an epochale Materialisierung keine a priori feststehenden Gesetzgebungen mit sich bringen. Dies ist an der Konstruktion des Geschlechts gut zu verbildlichen – diese trat nicht durch eine spezielle Situation bezogen gesellschaftlich in Kraft, sondern hatte sich innerhalb eines Prozesses diskursiv zu verdinglichen. Weshalb es außer dem reinen Produkt einer Geschlechtskategorie auch zu einem Realität beschreibenden Katalog kam, ist mit dem Punkt der Intelligibilität zu erklären.
Heruntergebrochen kann man Intelligibilität als etwas bezeichnen, das gesellschaftlich sinnvoll, verstehbar und deshalb (über-)lebenstüchtig ist. Das setzt voraus, dass es mit den vorherrschenden Diskursen vereinbar ist und somit in die so gegebene Rahmung der Wirklichkeitswahrnehmung hineinpasst.
„Intelligible Geschlechterbeziehungen sind solche, die in einem bestimmten Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren stiften und aufrechterhalten.“1
Hier wären wir bei einem der butlerschen Kernargumente angelangt, die die Kategorisierung in Mann und Frau als binäre Festsetzung eines gesellschaftlich funktionierenden Geschlechterbild lesbar macht. Dazu jedoch an einem späteren Punkt der Arbeit. Zunächst soll nun die diskursive Entstehung sozialer Zuschreibungen und Räume mit der Sprechakttheorie von Austin abgeglichen werden um zu sehen, inwiefern den angeführten Diskursen die Eigenschaft der Performanz zugeschrieben werden kann.
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1 Butler, J.: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/Main 1991, S. 38.