Von Macht im obersten Management

Eine qualitative Untersuchung der Wahrnehmung von Handlungsmöglichkeiten bei Schweizer Führungskräften in Spitzenpositionen


Mémoire de Licence (suisse), 2007

122 Pages, Note: 5,5 (CH)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in die Problematik und die Fragestellung
1.1 Einleitung
1.2 Einführung in die Problematik
1.3 Fragestellung und Forschungsziel
1.3.1 Fragestellung
1.3.2 Forschungsziel
1.4 Die Definition viel verwendeter, komplexer Begriffe
1.4.1 Macht
1.4.2 Topmanager
1.4.3 Kurzdefinitionen: Soziale Position, Einstellung und Dissonanz
1.5 Die Strukturierung der Lizentiatsarbeit

2. Einführung in theoretische Konzepte zu Eliten und Macht
2.1 Die Analyse von Toppositionen und deren Inhabern: Eliten- und Klassentheorien
2.1.1 Elitentheorien
2.1.2 Klassentheorien
2.2 Machttheorien
2.2.1 Macht
2.2.2 Einschränkungen der Macht
2.3 Die Relevanz der theoretischen Konzepte für diese Arbeit

3. Diskussion von Studien zum Thema Wirtschaftseliten
3.1 Studien aus der Schweiz
3.1.1 Netzwerkanalysen
3.1.2 Soziale Reproduktion
3.1.3 Einstellungsforschung
3.1.4 Wirtschaftsethik
3.1.5 Studien aus dem Bereich Unternehmensberatung
3.2 Studien aus Frankreich, Deutschland und Amerika
3.2.1 Frankreich
3.2.2 Deutschland
3.2.3 Amerika
3.3 Die Relevanz der Forschungserkenntnisse für diese Arbeit

4. Die Forschungsmethode und das methodische Vorgehen 39 4.1 Methodenwahl
4.2 Zielgruppe und Stichprobe
4.2.1 Zielgruppe
4.2.2 Stichprobe
4.3 Methodisches Vorgehen
4.3.1 Vorbereitungsphase
4.3.2 Datenerhebung
4.3.3 Datenauswertung
4.4 Methodische Herausforderungen

5. Die Ergebnisse der Untersuchung zum Thema Macht im Topmanagement
5.1 Der Zugang zu einer Topmanagerposition
5.1.1 Subjektfremde Faktoren
5.1.2 Subjektbezogene Faktoren
5.1.3 Zusammenfassung: Der Zugang zu einer Topmanagerposition
5.2 Der Einfluss von Laufbahnerfahrungen auf die Wahrnehmung
5.2.1 Laufbahnvergleiche bezüglich Handlungsmöglichkeiten und Macht
5.2.2 Zusammenfassung: Der Einfluss der Laufbahn auf die Wahrnehmung
5.3 Macht aus der Sicht von Topmanagern
5.3.1 Machtdefinitionen
5.3.2 Die erwartete Fremdeinschätzung
5.3.3 Die Einschätzung anderer Topmanager
5.3.4 Zusammenfassung: Das Machtverständnis
5.4 Wahrgenommene Handlungsmöglichkeiten und mögliche Einschränkungen
5.4.1 Handlungsmöglichkeiten
5.4.2 Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten
5.4.3 Der Umgang mit Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten
5.4.4 Zusammenfassung: Handlungsmöglichkeiten und Einschränkungen
5.5 Soziale Verantwortung und der eigene Wille
5.5.1 Soziale Verantwortung
5.5.2 Der eigene Wille
5.5.3 Zusammenfassung: Soziale Verantwortung und der eigene Wille

6. Diskussion der Ergebnisse und Ausblick
6.1 Diskussion der Ergebnisse
6.2 Kritische Würdigung und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

8. Anhangverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Der Positionsansatz

Abb. 2: Das Rekrutierungsmodell von Eliten

Abb. 3: Die Typologie unternehmerischer Denkmuster

Abb. 4: Das Schema des sozialen Raums nach Kapitalsorten

Abb. 5: Die Ausbildungsverteilung der Stichprobe

Abb. 6: Faktoren einer Topmanagerkarriere

1. Einführung in die Problematik und die Fragestellung

1.1 Einleitung

Seit einigen Jahren werden Topmanager durch die Medien in der Schweiz immer wieder ins Rampenlicht gerückt. Das Spektrum der Berichterstattung ist sehr breit und je nach aktueller Wirtschaftslage schmeichelhafter oder vernichtender. Wirtschaftsskandale wie das „Groun­ding“ der Swissair im Jahr 2001 haben die Kritikbereitschaft der Öffentlichkeit am Management verstärkt. In letzter Zeit ist es die Diskussion über die Höhe von Managerlöhnen, Boni und der finanziellen Entschädigung bei einer Entlassung, die für rote Köpfe sorgt. Interessant dabei ist nicht nur die Kritik an sich, sondern ihre Verknüpfung mit der sozialen Position, die eine Person in der Gesellschaft hat. Gewissen Positionen wird Macht, und ihren Positionsinhabern damit auch Verantwortung zugeschrieben.

Obwohl Topmanager seit einiger Zeit in den Medien gerne als prominente Persönlichkeiten interviewt und ihre Einstellung zu Einfluss in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen dabei breit diskutiert wird, so wurden sie in empirischen Studien bisher selten als soziale Grup-pe wahrgenommen und als solche untersucht. In dieser Arbeit stehen sie als Zielgruppe jedoch im Zentrum der qualitativen Forschung. Inhaltlich geht es mir darum, die Einstellungen von Angehörigen einer sozialen Elite zum Thema Macht aufzuzeigen. Dazu werden sie – im Sinn der Machtdefinition von Weber (1981:89, vgl. Abschnitt 2.2.1) – nach den wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten befragt. Als Gegenpol werden aber ebenfalls ihre Aussagen bezüg-lich möglicher Einschränkungen ihres Handlungsspielraums analysiert, wodurch die Befragten in einem sozialen Zusammenhang positioniert werden und somit der relationale Aspekt von Macht zum Ausdruck kommt.

1.2 Einführung in die Problematik

Die Problematik – oder das soziale Problem – ergibt sich also aus der Verknüpfung der Macht – und Verantwortungsdiskussion mit der sozialen Position eines Topmanagers, das heisst aus der Frage nach der Verantwortlichkeit von Eliten.

In der sozialpolitischen Debatte bezüglich Personen mit einem tiefen sozialen Status, im Spe-ziellen Abhängigen von Sozialversicherungen, wird immer wieder auf die Eigenverantwortung der Betroffenen hingewiesen. Dabei wird auf den Einfluss von sozialen Strukturen wenig ein-gegangen. Es herrscht hier eine verbreitete Haltung vor, wonach jeder unabhängig von äusseren Umständen „seines eigenen Glückes Schmied“ sein könne, und sich sonst wenigstens darum bemühen müsse, der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen.

Auf gesellschaftliche Eliten bezogen würde dies bedeuten, deren Handeln auf Sozialverträg-lichkeit zu untersuchen. Denn in einer Machtposition wie jener des Topmanagements gefällte Entscheidungen haben Konsequenzen für grosse Teile einer Gesellschaft. Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, ob jemand, der Macht hat, auch verantwortlich ist. Aus einer ethischen Perspektive wird diese Folgerung ganz klar vertreten (vgl. Ulrich und Thielemann 1992a). In einem Interview äussert sich der Soziologe Sennett besorgt darüber, dass heute vermehrt Macht ausgeübt wird, ohne an Verantwortung gekoppelt zu sein, was er „Kultur der Verantwortungs-losigkeit“ nennt (Binswanger 2007:43). So würden in der Wirtschaft externe Berater angestellt, um später eventuell die Verantwortung auf deren Strategieentwicklung abschieben zu können. In diesem Sinn trägt auch ein angestellter Topmanager nicht dieselbe Verantwortung wie ein selbständiger Unternehmer. Wie der Swissairprozess gezeigt hat, beschränken sich für ihn die Konsequenzen seines Handelns auf die eigene Kündigung und einen eventuellen Verlust seiner Reputation. „In den Topetagen der Wirtschaft entwickelt sich ein System zu immer grösserer Perfektion, in dem am Ende niemand Verantwortung übernehmen muss – nicht der Share­holder, nicht das wechselnde Management, schon gar nicht der externe Berater. Macht ohne Verantwortung ist eine ungute Sache“ (Binswanger 2007:44).

Bereits zu früheren Zeitpunkten wurde die Verantwortungslosigkeit von Eliten angeprangert. Marx (1872) schilderte die Industrialisierung in den düstersten Farben. Die Haltung von ame-rikanischen Eliten, sich als ohnmächtig darzustellen, um sich nicht verantwortlich verhalten zu müssen wird von Mills kritisiert: „There is nothing in ‚the nature of history’ in our epoch that rules out the pivotal function of small groups of decisionmakers“ (Mills 1971:27). Für ihn gibt es keine dem Lauf der Geschichte untergeordneten Eliten, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnten. In diesem Sinn verweisen Ulrich und Thielemann auf die vom Management zu Legitimationszwecken bemühte „unsichtbare Hand“ (Ulrich und Thielemann 1992a:34), ein Verweis auf „natürlich“ existente Wirtschaftsphänomene ausserhalb der Beeinflussungsmög-lichkeiten des Einzelnen. Aber auch der Musiker Sir Bob Geldof gestand der Wirtschaftselite Handlungsspielraum zu, als er die am Alpensymposium 2007 anwesenden Unternehmer und Manager aufforderte, sich ethisch verantwortlich zu engagieren: „Investieren Sie in Afrika, schreiben Sie Briefe an Ihre Abgeordneten – jeder kann etwas tun, Sie müssen nur Ihre de-mokratische Macht nutzen“ (Stoltze 2007:13). Mit dieser Aussage erweitert er den Verantwor-tungsbereich der Wirtschaftseliten sogar auf Bereiche ausserhalb der Unternehmung.

Diese angesprochene Diskussion über die Verantwortlichkeit von Eliten verdeutlicht die Pro-blematik, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Was als normative Diskussion verstanden werden könnte, soll hier von den Betroffenen selbst dargestellt werden. Die Forschung ist denn auch darauf ausgerichtet, die Wahrnehmung von Topmanagern zu ihrem Handlungsspielraum zu erfahren. Ein Topmanager wird seine Verantwortung nur anerkennen, wenn er sich in seiner Position auch Handlungsmöglichkeiten eingesteht. Indem ebenfalls personelle und strukturelle Widerstände berücksichtigt werden, können die Befragten in ihrem sozialen Umfeld positio-niert werden und der Handlungsspielraum in seiner ganzen Komplexität diskutiert werden.

1.3 Fragestellung und Forschungsziel

1.3.1 Fragestellung

Der Darstellung der Fragestellung muss eine Grundannahme (oder auch Orientierungshypo-these) vorangestellt werden. Sie ergibt sich aus meinem theoretischen Vorwissen, das ich in Kapitel 2 detailliert aufzeige. Wie in der Einleitung und der Problematik beschrieben, gehe ich davon aus, dass die soziale Position eines Topmanagers im sozialen Gefüge eine spezielle Funktion hat und somit durchaus untersuchenswert ist. Ich interessiere mich demnach für eine Gruppe im sozialen „Oben“, was in dieser Arbeit immer wieder zum Ausdruck kommen wird. Diese Arbeit lässt sich somit in die Tradition der Elitenforschung einordnen.

Um das grosse Feld an Forschungsfragen einzugrenzen, konzentriere ich mich in dieser Studie auf Aspekte von Macht. Ich gehe nämlich zudem davon aus, dass die soziale Position eines Top-managers Handlungsmöglichkeiten erlaubt, die anderen Gesellschaftsmitgliedern vorenthal-ten sind. Inhaltlich leite ich deshalb die Fragestellung aus der Operationalisierung von Webers (1981:89) Machtdefinition ab. Es geht dabei darum, durch die Befragung von Topmanagern deren Einstellungen zu verschiedenen Aspekten von Macht (wie Handlungsmöglichkeiten, Wi-derstände oder der eigene Wille) in Erfahrung zu bringen.

Für diese Lizentiatsarbeit habe ich mich entschieden, mit Forschungsfragen zu arbeiten. Sie sind für das qualitativ explorative Forschen geeignet, weil sie in eine Richtung weisen und trotz-dem mehrere Wege zur Lösungsfindung offen lassen (vgl. Kapitel 4). Man ist nicht wie bei Hy-pothesen gebunden, sie zu verifizieren oder zu widerlegen. Es sind die individuellen Antworten auf Fragen, die die Entstehung neuer Erkenntnisse ermöglichen und die während der Untersu-chung weiter verfolgt werden können.

Trotzdem will ich für den Leser die den einzelnen Fragen zugrundeliegenden Annahmen nach-vollziehbar machen. Die Darstellung der Forschungsfragen ist deshalb in ausführlicher Form aufgeführt, da ich zu jeder Unterfrage meine Gedanken genauer erläutere.

Die Hauptfrage leitet sich also vom Interesse an der sozialen Position von Topmanagern und vom Machtbegriff ab. Die Unterfragen verdeutlichen den Ansatz, mit dem versucht wird, die Beantwortung der Hauptfrage zu erreichen.

Hauptfrage

In welchem Zusammenhang stehen Handlungsmöglichkeiten und mögliche Handlungsein-schränkungen von Topmanagern?

Unterfragen

a | Welche Gründe nennen Topmanager für ihren Zugang zu einer Topposition?

Mit dieser Frage soll ein erster Eindruck über die Einstellung der Befragten bezüglich ihrer Position im gesellschaftlichen „Oben“ erreicht werden. Es geht darum, herauszufinden, mit wel-chen Argumenten Topmanager ihren Zugang in eine Elite legitimieren. Zudem ermöglicht das Element der Laufbahn durch den biographischen Rückblick die Wahrnehmung der Befragten von aktuellen Situationen besser einzuordnen.

b | Was verstehen Topmanager unter „Macht“?

Das Machtverständnis von Topmanagern soll durch diese Frage einerseits in genereller Weise aufgezeigt werden. Andererseits wird zu verstehen versucht, auf welche Art Topmanager die Machtdiskussion auf sich selbst beziehen.

c | Welche Handlungsmöglichkeiten sehen Topmanager?

Hier wird der Fokus bereits in detaillierter Weise auf den Machtaspekt der Handlungsmög-lichkeiten gelenkt. Die Befragten sind aufgefordert zu beschreiben, in welchen Situationen sie Handlungsmöglichkeiten sehen und auf welche Bereiche sie Einfluss nehmen können.

d | Welche Einschränkungen sind ihrem Handeln gesetzt?

Um dem relationalen Aspekt von Macht gerecht zu werden, müssen in Kontrast zu den Hand-lungsmöglichkeiten auch die empfundenen Grenzen und Widerstände erfragt werden. Diese beiden Aspekte sollen schliesslich in der Analyse miteinander in Verbindung gesetzt werden.

e | Wie manifestiert sich bei den Befragten ein „eigener Wille“?

Um die Handlungsmotive von Topmanagern besser verstehen zu können muss zuerst geklärt werden, welche Werte ihnen zugrunde liegen. Diese könnten in einem „eigenen Willen„ zum Ausdruck kommen. Der Einbezug des „eigenen Willens“ basiert auf der hier verwendeten Machdefinition (vgl. Weber 1981:89) und ist Voraussetzung für die Existenz von Macht.

f | Welche Einstellung haben Topmanager zu sozialer Verantwortung?

Schliesslich soll auf die Problematik dieser Arbeit eingegangen werden. Die Frage nach der Ver-antwortung kann als eigentliche Synthese verstanden werden, weil sie Handlungsmöglichkeiten und deren Einschränkungen in Zusammenhang bringt. Verantwortung kann nur übernommen werden, wenn Handlungsmöglichkeiten tatsächlich existieren.

1.3.2 Forschungsziel

Das Ziel dieser Arbeit ist, durch die qualitative Forschungsweise über eine bis anhin wenig erforschte Gesellschaftsgruppe – die Topmanager – explorativ mehr Wissen zu generieren. Um das enorme Feld an möglichen Fragestellungen bezüglich der Untersuchung von Eliten zu reduzieren, habe ich mich beim Forschungsdesign auf die operationalisierte Machtdefinition von Weber (1981:89) konzentriert. In sich vereint die Machtfrage verschiedene Elemente (wie Handlungsmöglichkeiten, Widerstände oder den eigenen Willen), die es erlauben, die Macht-frage differenziert zu behandeln. Um auf die soziale Gruppe der Topmanager direkt einzuge-hen, soll auch deren Zugang zu ihrer Machtposition untersucht werden.

Durch die qualitativ geführten Gespräche werden lediglich die Einstellungen der Befragten er-sichtlich. Auf konkrete Handlungen kann höchstens indirekt Bezug genommen werden, wenn man davon ausgeht, dass Einstellungen auch das Verhalten beeinflussen. Für die Erfassung von tatsächlichen Handlungen hätte jedoch eine andere Methode (z.B. beobachtende Teilnahme) gewählt werden müssen. Es geht hier aber nicht darum in abschliessender Weise die Topma-nager als mächtig oder ohnmächtig zu bewerten. Das Ziel dieser Arbeit ist, die Komplexität der Diskussion um Macht im Topmanagement aufzuzeigen, was durch qualitative Gespräche deutlich zum Ausdruck gebracht werden kann.

1.4 Die Definition viel verwendeter, komplexer Begriffe 1.4.1 Macht

Ist in dieser Arbeit von Macht die Rede, geschieht dies meist in Bezug auf die Machtdefinition von Weber (1981:89). Laut Weber bedeutet Macht „(...) jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1981:89) oder die „Möglichkeit, den eigenen Willen dem Verhalten anderer aufzuzwingen (...)“ (Hanke 2005:128).

Dies ist eine akteurorientierte Definitionsweise (vgl. Fischer 2004) und deshalb im Zusammen-hang mit der Befragung von Personen und der Erfassung von Einstellungen sehr geeignet. Ein weiterer Vorteil ist, dass diese Machtdefinition für eine empirische Studie gut operationalisiert werden kann. Es lassen sich mehrere Begriffe herausarbeiten, die bei der Analyse der Interviews als Teilaspekte von Macht mitberücksichtigt werden können. So habe ich zwischen einer Chance oder (Handlungs-) Möglichkeit, dem eigenen Willen, einer Beziehung und einem Widerstand unterschieden, was in dieser Arbeit meist mit Handlungsmöglichkeiten, eigenem Willen und Einschränkungen von Handlungsmöglichkeiten übersetzt wird. Einschränkungen bezeichnen dabei im Sinn von Widerstand gleichzeitig den relationalen Aspekt von Macht (-beziehungen). Diese Begriffe werden von mir nicht spezifisch definiert. Sie erhalten durch die Aussagen der Befragten einen subjektiven Sinn und können je nach Kontext eine andere Ausprägung haben.

Webers Definition ist aber nicht der einzige Ansatz im Umgang mit dem Machtbegriff. Es exis-tieren zahlreiche weitere Machtkonzepte, die Webers Vorschlag auch durchaus kritisieren. In Kapitel 2.2.1 gehe ich vertieft auf die Machtdiskussion ein.

Es ist anzumerken, dass in dieser Arbeit – vor allem in Hinsicht auf die subjektiven Aussagen der Befragten (vgl. Kapitel 5) – der Begriff Macht nicht immer einheitlich oder im weberschen Sinn verwendet wird. Solche Fälle werden jedoch explizit diskutiert.

1.4.2 Topmanager

Der Begriff „Topmanager“ ist keinesfalls ein klar definierter Begriff. Er könnte sich sowohl auf persönliche Qualitäten, die Funktion oder die hierarchische Lage einer Person beziehen.

In dieser Arbeit werde ich Personen als Topmanager bezeichnen, die in einer grossen Organi­sation auf der Ebene der Geschäftsleitung tätig sind. Ich beziehe mich hier auf den Positions-ansatz, der bereits in anderen Studien verwendet wurde (vgl. Bürklin und Rebenstorf 1997). Durch den Positionsansatz werden in einem hierarchischen System Inhaber der höchsten Füh-rungspositionen ausgewählt. Um den Kreis an möglichen Anwärtern weiter zu beschränken, werden nur die „wichtigsten“ Institutionen und Organisationen berücksichtigt (Bürklin und Rebenstorf 1997:16-17). Wasner stellt diesen Auswahlprozess folgendermassen dar:

Abb. 1: Der Positionsansatz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Wasner 2004:123)

In dieser Arbeit habe ich mich – um die Komplexität zu reduzieren – auf einen Sektor be-schränkt: den Wirtschaftssektor. Auf nationaler Ebene wurden einige der hundert grössten Schweizer Unternehmen ausgewählt (vgl. Abschnitt 4.2.2) und den Sitz in der Geschäftsleitung als Top-Position bezeichnet. Sich bei der Definition von Topmanagern auf Mitglieder der Ge-schäftsleitung zu beschränken, stellt sicherlich ebenfalls eine Reduktion dar. Es gibt in Grossun-ternehmen viele Positionen auf anderen Hierarchiestufen, die massgeblich an der Vorbereitung von Entscheidungen beteiligt sind und auf ihre Weise Einflussnahme ermöglichen (Bürklin und Rebenstorf 1997:17). Für deren Erfassung wäre aber der Reputationsansatz oder der Ent-scheidungsansatz geeigneter (vgl. Bürklin und Rebenstorf 1997; Wasner 2004).

1.4.3 Kurzdefinitionen: Soziale Position, Einstellung und Dissonanz

Hier werden in Kurzform einige Begriffe definiert, um dem Leser das Verständnis der Arbeit zu erleichtern und den Hintergrund meiner Begriffsverwendung offen zu legen.

Soziale Position

Als soziale Position wird ein bestimmter „Platz in einem Gefüge sozialer Beziehungen“ (Hill-mann 1994:680) bezeichnet. Soziale Positionen existieren grundsätzlich unabhängig von ein-zelnen Personen, erfüllen aber erst durch Positionsträger ihre Funktion (Hillmann 1994:680). Zudem existieren Positionen nur in einem relationalen Verhältnis zu anderen (Hillmann 1994:680).

Einstellung

Unter Einstellung kann grundsätzlich „eine Bewertung von Menschen, Objekten oder Ideen“ verstanden werden (Aronson, Wilson und Akert 2004:230). Als Ausgangspunkt einer Bewer-tung können sowohl Überzeugungen (kognitiv), Gefühle und Werte (affektiv) als auch Beob-achtungen des eigenen Verhaltens (verhaltensbasiert) dienen (Aronson et al. 2004:231-234).

Dissonanz

Aronson et al. (2004:188) beschreibt kognitive Dissonanz als ein „Gefühl des Unbehagens, hervorgerufen durch eine begangene Handlung, die dem üblichen (typischerweise positiven) Selbstkonzept zuwiderläuft“.

1.5 Die Strukturierung der Lizentiatsarbeit

Den bereits vorgestellten Überlegungen in Bezug auf die dieser Arbeit zugrunde liegenden Problematik (1) und der Präsentation der Fragestellung, folgt der Theorieteil (2). Er gibt ers- te Aufschlüsse über den Hintergrund des Gedankengerüsts, auf dem diese Arbeit aufbaut. Er dient deshalb der Offenlegung von theoretischem Vorwissen, das mich massgeblich beeinflusst hat. Schwerpunktmässig werden theoretische Konzepte zu Eliten und Macht behandelt. Im an-schliessende Kapitel des Forschungsstandes (3) werden ergänzend zur Theorie verschiedene Erkenntnisse aus Studien über die Wirtschaftseliten aufgezeigt. Es soll dabei das breite Spek-trum an Forschungsschwerpunkten und Forschungsmethoden zum Ausdruck kommen, die zur Untersuchung von Eliten bisher angewendet wurden. Im vierten Teil (4) werden die gewählte Methode und das Forschungsvorgehen genauer erläutert. Die Wahl der Zielgruppe, das Führen von Interviews wie auch die Phase der Gesprächsauswertung kommen dabei zur Sprache. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in Kapitel 5 (5). Dabei belasse ich es nicht bei einer rein de-skriptiven Aufzählung, sondern füge bereits eigene analytische Gedanken und Verknüpfungen mit Theorien an, die in der späteren Diskussion der Ergebnisse (6) wieder aufgenommen wer-den. Die einzelnen Kapitel werden zudem jeweils durch Kurzzusammenfassungen abgeschlos-sen, die der Übersichtlichkeit dienen sollen.

2. Einführung in theoretische Konzepte zu Eliten und Macht

Um der Offenlegung meines theoretischen Hintergrundwissens (vgl. Witzel 1985) gerecht zu werden, sollen in diesem Kapitel einige Theorien aufgezeigt werden, die die vorliegende Arbeit massgeblich beeinflusst haben. Viele der hier diskutierten Annahmen kommen im Verlauf der Arbeit zum Beispiel im Zusammenhang mit der Präsentation von empirischen Studien oder bei der Analyse der Ergebnisse wieder zur Sprache.

Wie im vorhergehenden Kapitel aufgezeigt, hat meine Arbeit zum Ziel, mehr über die Inhaber einer bestimmten sozialen Position zu erfahren. Die Auswahl der Stichprobe im Topmanage-ment betrifft das „Oben“ in einer Gesellschaft und es interessiert deshalb, wie sich Theoretiker dazu geäussert haben. Im Folgenden wird in einem ersten Teil der Zugang zu Machtpositionen und die Analyse von Machtpositionsinhabern aus theoretischer Sicht aufgezeigt. Dazu wird das Konzept der Eliten und das Gegenkonzept der Klassen herangezogen. Letzteres unterstützt das Elitenkonzept mit ergänzenden Aspekten. Im Sinn dieser Arbeit wird in einem zweiten Teil speziell auf Machttheorien eingegangen. Diese Trennung wird vorgenommen, obwohl Eliten-und Klassentheorien und Machtkonzepte in vielen Bereichen eng miteinander verknüpft sind. In diesem Kapitel werden innerhalb der beiden Hauptteile weitere theoretische Konzepte ange-sprochen (wie zum Beispiel der Habitus oder organisationssoziologische Themen), die für diese Arbeit von Interesse sind. Bei der Darstellung der theoretischen Konzepte wird also bewusst eine Auswahl im Hinblick auf die Thematik der Arbeit getroffen. Der Fokus ist zudem auf sozi-ologische Theorien gerichtet, wirtschaftstheoretische und politische Betrachtungen werden nur in einem soziologischen Bezug berücksichtigt.

2.1 Die Analyse von Toppositionen und deren Inhabern: Eliten- und Klassentheorien

Im Zusammenhang mit der Analyse einer gesellschaftlichen Spitze zwischen Eliten und Klassen zu unterscheiden, erweist sich in der Praxis als nicht ganz einfach. So sprechen gewisse Theo-retiker von Klassen, obwohl sie den Elitentheoretikern zugeordnet werden. Klassentheoretiker äussern sich aber ebenfalls zu den Spitzen der Gesellschaft. Trotzdem bestehen zwischen den beiden Konzepten einige massgebende Unterschiede. Hier soll deshalb zum besseren Verständ-nis eine grobe Unterscheidung vorgenommen werden. Weil ich mich in dieser Arbeit aber auf das gesellschaftliche „Oben“ konzentriere, gehe ich schwerpunktmässig auf Elitentheorien ein.

2.1.1 Elitentheorien

Laut Wasner stammt der Elitenbegriff vom lateinischen „eligere“ und wurde im Sinn von „aus-jäten, sorgfältig wählen, eine Wahl treffen“ verwendet (Wasner 2004:16). Diese Definitionsweise wurde durch eine christliche Weltanschauung geprägt, wonach Eliten für von Gott auserwählte Personen gehalten wurden. Später wurde gerade diese Sichtweise stark kritisiert, obwohl auch heute der schmale Grundkonsens zwischen den Elitetheoretikern darauf beruht, davon auszu-gehen, dass „Eliten aus Personen bestehen, die einen (wie auch immer gearteten) Auslesepro-zess durchlaufen haben“ (Wasner 2004:16).

Trotzdem gibt es heute keinen eindeutigen Elitenbegriff, der bei allen Forschern Konsens fin-den würde (Wasner 2004:18). Dies kann auf die vielfältigen und unterschiedlichen Forschungs-schwerpunkte zurückgeführt werden. So kommen in Fragestellungen Aspekte wie der soziale Hintergrund, der Karriereverlauf, persönliche Qualitäten, elitenspezifische Denkmuster, Eli-tenzirkulation oder Legitimität und Prestige von Eliten zum Ausdruck (Wasner 2004:23-27) Diese Vielfalt im Detail aufzuzeigen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich möchte hier lediglich einige ausgewählte und für die Analyse von Machtpositionen und deren Inhabern relevante Konzepte näher beleuchten. Zudem erfolgt die Unterteilung nach selbst gesetzten Schwerpunkten und nicht etwa nach einer klassischen Trennung von „Theorieschulen“ (vgl. Wasner 2004; Krais 2001).

Auswahlkriterien für Elitenmitglieder

In der Diskussion um Eliten stellt sich also die Frage, welche Mechanismen dazu führen, dass einige Mitglieder einer Gesellschaft „ausgewählt“ werden, dieser Elite anzugehören und somit Zugang zu sozial wichtigen Positionen erhalten. Es ist eine Frage, die auch mich im Rahmen dieser Arbeit beschäftigt hat und in Kapitel 5.1 in Bezug auf Topmanagerkarrieren zur Sprache kommt.

Viele Theoretiker gehen davon aus, dass gewisse persönliche Qualitäten zum Eintritt in eine Elite unabdingbar sind. Sie sind jedoch meistens nicht so naiv zu glauben, dass es eine neue, moralisch einwandfreie Elite geben könnte, die ihre Macht ausschliesslich zum Wohle der Ge-sellschaft ausübt (vgl. Michels 1971:281; Krais 2001:13). Es gibt auch weniger noble Eigenschaf-ten, die Menschen in mächtige Positionen bringen. Laut Mosca zum Beispiel ein Wille zum Dominieren, also ein gewisser « Machtinstinkt », und gleichzeitig das Bewusstsein, die nötigen Qualitäten auch tatsächlich zu besitzen (Mosca 1971:302). Für Mosca ist jedoch zudem aus-schlaggebend, ob jene persönlichen Qualitäten in einer gewissen Epoche und Gruppe auch tatsächlich gesellschaftliche Anerkennung finden (Mosca 1971:302). Ähnlich sieht dies Dreitzel (1962). Für ihn führt vor allem die persönliche Leistung zur Auswahl in eine Elite, der Erfolg ist aber ebenfalls von einer öffentlichen Anerkennung jener tatsächlichen oder fiktiven Leistung abhängig (Krais 2001:19-20).

Persönliche Qualitäten stehen also im Prozess der Elitenauslese nicht allein. Eliten können nur in einem gesellschaftlichen Zusammenhang bestehen und sind durch gewisse Kriterien von ihm abhängig.

Mills (1971) ist deshalb der Ansicht, dass erst der Zugang zu einer bestimmten Position eine Per­son mächtig mache. Für ihn wird Macht vor allem durch institutionelle Mittel ausgeübt, die in grossem Ausmass nur in hohen Positionen grosser Institutionen zu finden sind (Mills 1971:9). War so früher vielleicht das Militär als Institution eine wichtige Sozialisationsinstanz (vgl. Mills 1971), so spielt heute das Bildungssystem bei der Elitenmitgliederselektion eine wichtige Rolle. Martin schreibt über Privatschulen, dass sie informelle Sozialisation und Kontakte zu Peer-gruppen unterstützen (Martin 1977:146). Zudem gibt es Länder, wo gewisse Bildungstitel für die Besetzung von Spitzenpositionen in der Gesellschaft einen besonderen Stellenwert haben. Hartmann verweist auf die Länder Frankreich, Grossbritannien und die USA, in denen exklu-sive „Elitebildungseinrichtungen die entscheidende Rolle bei der sozialen Auslese der Kandi-daten für das Spitzenmanagement spielen“ (Hartmann 2001:176). Für die Selektion ist dabei ein strenges Prüfungssystem ein wirksames Mittel, da es nur mit grossem kulturellem Wissen und ökonomischem Zusatzaufwand durchlaufen werden kann. Ein anderes ist die Höhe der Schulgebühren für renommierte Privatschulen, durch die gewisse Populationen aus finanziel-len Gründen direkt ausgeschlossen werden (Hartmann 2001:171-172). Zudem spielt das in der Familie gesammelte Wissen „über die karriererelevanten Faktoren und die optimale Wahl der einzelnen beruflichen Positionen“ (Hartmann 2001:198) eine wesentliche Rolle.

In Deutschland hingegen ist die Situation eine andere. Wie Hartmann feststellt, findet dort „keine Konzentration auf nur einige wenige Hochschulen statt“ (Hartmann 2001:181). Obwohl also bestimmte Bildungstitel kein Selektionskriterium sind, ist in Spitzenpositionen vor allem Nachwuchs des gehobenen Bürgertums zu finden. Es muss folglich andere Selektionskriterien geben, die diesen Umstand erklären. Hier kommt das Konzept des „klassenspezifischen Ha-bitus“ von Bourdieu (1987) zum Tragen. Bourdieu geht davon aus, dass zwischen „Lebenssti-len“, „Lebensweisen“, „Geschmacksrichtungen“ etc. und der sozialen Position einer Person eine Korrespondenz besteht (Steinrücke 1992:34). Diese Verbindung nennt Bourdieu den „Habi-tus“, „(...) eine allgemeine Grundhaltung, eine Disposition gegenüber der Welt, die zu syste-matischen Stellungnahmen führt“ (Steinrücke 1992:31). Zudem meint Bourdieu, dass „wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiss intuitiv, welches Verhalten dieser Person ver-wehrt ist. Mit anderen Worten: Der Habitus ist ein System von Grenzen“ (Steinrücke 1992:33).

So werden äusserliche Aspekte der Persönlichkeit wie Kleidungsstil und Umgangsformen eben-so als Zeichen für eine bestimmte soziale Zugehörigkeit angenommen wie inhaltliche. Im Falle von Eliten sind dies zum Beispiel authentisch selbstsicheres Auftreten, Allgemeinbildung, Op-timismus, und ein hohes Mass an unternehmerischem Denken (Hartmann 2001:184).

Das gilt als Grund, weshalb sich Kinder aus dem gehobenen Bürgertum in Deutschland in den wirtschaftlichen Spitzenpositionen halten können. Sie „verfügen in der Regel über die wesentli-chen Elemente jenes Habitus, der das etablierte Bürgertum vom Kleinbürgertum unterscheidet, zeigen also die Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit in Auftreten und Verhalten, die von Topmanagern verlangt wird (...)“ (Hartmann 2001:190).

Soziale Positionen werden also nicht nur durch eigene Qualitäten oder Leistung erworben, son-dern in grossem Mass durch die Weitergabe eines relevanten Habitus „vererbt“.

Bis hierhin wurden Aspekte wie persönliche Qualitäten, gesellschaftliche Anerkennung der Leistung und der erworbenen Bildungstitel und den Habitus immer vor dem Hintergrund ei-nes „kapitalistischen“ Gesellschaftssystems diskutiert. Weber zeigt einen Faktor auf, der für die Existenz dieses Systems ausschlaggebend ist: das kapitalistische Berufsethos (Winckelmann 1992:375). Für den Aufstieg in die Elite eines kapitalistischen Systems muss ein Bewerber der richtigen religiösen Ausrichtung angehören, da erst sie die entscheidende Arbeitseinstellung hervorbringt. Der Hintergrund dieser Annahme beruht auf der Feststellung, dass ökono-misch erfolgreiche Gruppen oftmals protestantischer Glaubensrichtung waren (Winckelmann 1992:375). Die protestantische Ethik beeinflusse demnach die Wertvorstellung und das Handeln der Menschen so, dass eine kapitalistische Ordnung entstehen könne. Dabei hemmt die „protes-tantische Askese“ das Genuss- und Konsumverhalten und entlastet durch die Begründung der Begünstigung durch Gott gleichzeitig die Gewinnanhäufung (Winckelmann 1992:370). Diese Kombination führt geradezu zu „Sparzwang“ und Kapitalbildung (Winckelmann 1992: 371). Schliesslich entsteht, nachdem „die religiöse Wurzel langsam abstarb und utilitaristischer Diesseitigkeit Platz machte“ (Winckelmann 1992:375), ein bürgerliches Berufsethos, das eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes kapitalistisches System ist. Ein Anwärter einer Spitzenposition in unserer Gesellschaft muss also in den Grundzügen mit diesem Berufsethos vertraut sein, um sich im System zurechtzufinden und erfolgreich zu sein.

Die Positionierungen von Topmanagern im Gesellschaftsgefüge

Grundsätzlich werden Topmanager klar der gesellschaftlichen Spitze zugeordnet. Über die Konsistenz dieser Spitze sind sich Theoretiker aber keineswegs einig. Die gewählte Perspekti-ve und der Schwerpunkt eines theoretischen Konzeptes ergeben deshalb Unterschiede bei der Positionierung von Topmanagern in einer Gesellschaft. Dies hat durchaus Konsequenzen für die soziale Rolle, die Topmanagern zugeschrieben werden könnte. Hier setzt denn auch die Debatte über die Kohäsion und das Zusammenspiel von Eliten an. Dabei interessieren nicht nur Mechanismen des Zugangs zu gesellschaftlichen Toppositionen, sondern auch Mechanis-men zur Aufrechterhaltung ebendieser dominanten Positionen. Viele Theoretiker haben sich deshalb der Frage des Machterhalts von Eliten gewidmet. Dabei wird einer gefestigten Gruppe grundsätzlich eine stärkere Fähigkeit zum Machterhalt zugesprochen als losen Konglomeraten. Was die Frage der Kohäsion von Eliten betrifft, sind sich die Autoren jedoch keinesfalls einig. Für Krais ist diese Frage nur empirisch zu beantworten (Krais 2001:55). Hier werden trotzdem einige theoretische Stellungnahmen präsentiert, weil die jeweilige Perspektive auch auf empiri-sche Forschungstätigkeiten (meine eigene inklusiv) einen grossen Einfluss haben kann.

Für Autoren wie Mills ist die Kohäsion von Eliten ein klarer Fakt (Mills 1971:8). In Amerika würden somit das Militär, die Wirtschaft und die Politik zusammenspannen, um gemeinsam die Machtelite zu bilden. Weiter beschreibt er : „They are more or less aware of themselves as a social class and they behave toward one another differently from the way they do toward mem­bers of other classes. They accept one another, understand one another, marry one another, tend to work and to think if not together at least alike“ (Mills 1971:11). Dies ermöglicht laut Mills die Zentralisation von Information und Macht, was dazu führt, dass Wenige Positionen erreichen können von wo ihre Entscheide – ob sie es zugeben oder nicht – einen massgeblichen Einfluss auf das Leben der restlichen Bevölkerung haben (Mills 1971:3). Auch die Idee eines klassenspe-zifischen Habitus weist in eine ähnliche Richtung (vgl. Bourdieu 1987).

In seiner Analyse des Verhältnisses der wirtschaftlichen und der politischen Elite vertritt Mar­tin hingegen die Ansicht, dass (trotz der Rekrutierung aus gewissen Eliteschulen) weder von einer Einheit von Eliten gesprochen werden kann, noch von einer kompletten Unabhängigkeit der beiden Mächte (Martin 1977:159). Er meint, dass ihre Beziehung eher als Symbiose verstan-den werden müsse, wobei politische und unternehmerische Ziele aufeinander Bezug nehmen und gegenseitig versucht wird Einfluss zu nehmen (Martin 1977:144).

Bottomore, der die Elite in Intellektuelle, Kader und Funktionäre unterteilt, geht davon aus, dass jene gar nicht die Möglichkeit haben, sich um die finale Macht zu streiten, da ihnen die nö-tige Kohäsion eben fehle (Bottomore 1966:91). Seine Annahme begründet er damit, dass diese drei Gruppen keine Doktrin erarbeitet hätten, um ihren Platz in der Gesellschaft zu markieren (Bottomore 1966:92). Hinzu kommen laut Bottomore Rivalitäten und Konflikte innerhalb die-ser Gruppen, welche die Macht einschränken können (Bottomore 1966:92). Er meint deshalb, dass es viel einfacher sei, die Existenz von verschiedenen Klasseninteressen aufzuzeigen, als auch nur das kleinste kollektive Interesse bzw. ein gemeinsames Klassenbewusstsein der drei Elitengruppen zu beweisen (Bottomore 1964:92).

Topmanager könnten also innerhalb der sozialen Spitze auch mit anderen Gruppen in Konkur-renz stehen. Im Sinne von Paretos (2006:243) Konzept der Elitenzirkulation erstellte Burnham eine Theorie, die die Ablösung der Kapitalisten bzw. der Bourgeoisie durch die Manager vorsah (vgl. Burnham 1948). Diesen Prozess nennt er „the managerial revolution“ (Burnham 1948:6). Seine Theorie basiert auf der Annahme, dass in einer komplexen Gesellschaft nicht mehr der Besitz an Gütern für soziale Herrschaft ausschlaggebend sei, sondern der Besitz an den zentralen Produktionsinstrumenten (Burnham 1948:69). Diese lägen neu nicht mehr in den Händen der Kapitalisten, sondern in jenen der angestellten Manager (Burnham 1948:74). Der Machtverlust dieser Kapitalisten habe also zu Gunsten von Managern stattgefunden (Burnham 1948:73).

Inhaltlich wurde diese Trennung der „Kapitalisten“ und der Manager von mehreren Autoren kritisiert (vgl. Mills 1971; Bottomore 1966; Krais 2001). Es geht bei der Kritik darum, dass im Fall von Topmanagern Kontrolle von Eigentum und Eigentum selbst nicht immer strikt zu trennen sind, da Manager meistens in Form von Aktienanteilen in grossem Ausmass finanziell an der Firma mitbeteiligt sind und selbst über grosse Vermögen verfügen. Aus heutiger Sicht sind sie also selber der Gruppe der „Kapitalisten“ zuzuordnen.

Krais fügt in der Kritik an Burnham (1948) an: „In der Tat sind die Spitzenmanager der grossen Unternehmen als sog. ‚fungierende Kapitalisten’, d.h. als diejenigen, die die Geschäfte des Kapi-tals führen, der Bourgeoisie zuzurechnen, auch wenn sie formal den Status von Lohnabhängi-gen haben“ (Krais 2001:39). Hier kommt ein neuer Aspekt zur Sprache. Topmanager könnten auch anhand ihrer Position als Lohnabhängige mit der sozialen Kategorie der „Besitzenden“ verglichen werden. Dieser „formale Status“ als Arbeitnehmer wird auch im Klassenschema von Wright (1997:98) deutlich. Er nimmt dort eine strikte Trennung von „Besitzern“ und „Ange-stellten“ vor, wobei auf der Angestelltenseite die Manager natürlich am oberen Ende auf der Höhe der „Kapitalisten“ fungieren, also wieder einer Spitze zugeordnet werden.

Das Führen einer grossen Aktiengesellschaft als angestellter Topmanager verweist tatsächlich auf eine spezielle Situation. Es stellt sich die Frage, welchen Stellenwert für das Individuum das „Angestelltsein“ und das „Unternehmersein“ tatsächlich hat, und was dies schliesslich für einen Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten haben könnte.

Schliesslich kann der Topmanager als Mitglied der Elite aber auch in Bezug auf seinen Ge-genpol im gesellschaftlichen „Unten“ positioniert werden. In der traditionellen Elitentheorie geschah dies in ausführlicher Weise, wobei zwischen einer organisierten Minderheit – der Elite – und einer konfusen Masse unterschieden wurde (vgl. Mosca 1971; Michels 1971). Der Elite wurde demnach die Funktion der Volksführung zugesprochen. Diese Auffassung der gesell-schaftlichen Ordnung blieb jedoch nicht ohne Kritik.

Kritik am Elitebegriff

Im theoretischen Diskurs wurde gerade diese oben genannte Dichotomisierung zwischen Elite und Masse stark kritisiert. So bezeichnet Krais den Elitenbegriff als einen problematischen, „politisch und ideengeschichtlich belasteten“ Begriff, der im 19. Jahrhundert aufkam und be-zeichnend ist für einen historischen Moment, in welchem sich tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen abspielten (Krais 2001:11). Das Bürgertum sah sich damals durch eine neue Schicht von Lohnabhängigen bedroht, die „die Demokratie und gesellschaftliche Teilhabe auch für sich beanspruchten“ (Krais 2001:11), wobei die Masse zum Schreckensbild erklärt und die Herrschaft von Eliten zum rettenden politischen Konzept gewählt wurde. Diese Gegenüberstel-lung von Elite und Masse reduziert die Komplexität der Gesellschaft. So zum Beispiel die Rolle der „Masse“, die im Gegensatz zur mächtigen Elite als ohnmächtig dargestellt wird: „Die Eliten herrschen über eine dumpfe ‚Masse‘, von der – anders als in den Vorstellungen von gesell-schaftlicher Entwicklung, die auf Marx zurückgehen – keinerlei Anstösse für gesellschaftliche Veränderungen Ausgehen“ (Krais 2001: 13-14).

2.1.2 Klassentheorien

Die Kritik am Elitebegriff führt zum Konzept der „herrschenden Klasse“, das auf die Vorstel-lung der Klassengesellschaft von Marx (1872) zurückzuführen ist (Krais 2001:24). Krais fasst die drei zentralen Merkmale des Klassenkonzepts von Marx folgendermassen zusammen (Kra-is 2001:25-27):

1. Die soziale Gliederung der Gesellschaft ist in ihrer Wirtschaft verankert. Die ökonomi-schen Strukturen der Gesellschaft sind die mit der kapitalistischen Produktionsweise ge-gebenen Eigentumsverhältnisse und über Märkte geregelten sozialen Beziehungen.
2. Der Klassenbegriff ist ein relationaler Begriff. Die Klassengesellschaft ist eine Gesellschaft, deren Sozialstruktur sich auf einen arbeitsteiligen Funktionszusammenhang gründet.
3. Diese Beziehung der Klassen drückt sich in einem durch die Eigentumsverhältnisse be-gründeten Herrschaftsverhältnis aus: Es ist ein Ausbeutungsverhältnis. Der Reichtum der einen basiert ursächlich auf der Armut der anderen.

Für meine Arbeit zentral ist der zweite Punkt, der die Relationalität des Klassenbegriffs hervor-hebt. Er zeigt auf, dass die Eliten nicht in einem luftleeren Raum stehen, sondern erst in Bezug auf eine Nichtelite als Elite funktionieren können. Wurde beim Elitebegriff die Spitze von der Masse getrennt, stehen bei Marx (1872) beide Pole in Beziehung zueinander.

Auch Bourdieu sieht die Gesellschaft in einem relationalen Zusammenhang (vgl. Steinrücke 1992). Im Gegensatz zu Marx gilt für Bourdieu jedoch: „Eine gesellschaftliche Klasse ist nicht nur durch ihre Stellung in den Produktionsverhältnissen bestimmt, sondern auch durch den Klassenhabitus der ‚normalerweise’ (d.h. mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit) mit dieser Stellung verbunden ist“ (Bourdieu 1987:585). Dabei geht es um symbolische Beziehungen, die sich durch Abgrenzung auszeichnen (Bourdieu 1974:57). Unterscheidungsmerkmale (z.B. der Habitus) erfüllen dann eine gesellschaftliche Funktion von Trennung und Verbindung (Bour-dieu 1974:62, vgl. Abschnitt 2.1.1).

Zum besseren Verständnis führt Bourdieu das Konzept vom „sozialen Raum“ ein, der für ihn ein Raum von Unterschieden ist (Bourdieu 1998:26). Dieser Raum besitzt eine Struktur: „(...) es gibt so etwas wie eine gesellschaftliche Topologie: Einige Menschen stehen ‚oben‘, ande-re ‚unten’, noch andere ‚in der Mitte’“ (Steinrücke 1992:35). Dabei bedient er sich nicht der marxschen Idee von „säuberlich geschiedenen, neben- oder übereinander stehenden“ sozialen Klassen (Steinrücke 1992:35). Es gibt in diesem sozialen Raum lediglich mögliche gemeinsame Klassenlagen, die höchstens ein „objektives Potential an Einheit“ haben (Bourdieu 1998:25). In „Die feinen Unterschiede“ versucht er, diese sozialen Positionen und die dazugehörigen Le-bensstile und Habitus schematisch darzustellen (vgl. Bourdieu 1987, vgl. Abschnitt 3.2.1).

2.2 Machttheorien

Bereits im ersten Teil der theoretischen Diskussion zur Analyse des Zugangs und den Inhabern von sozialen Toppositionen wurde Macht im Zusammenhang mit den Spitzen der Gesellschaft in verschiedenen Kontexten angesprochen. Hier soll noch einmal ausführlicher darauf einge-gangen werden.

Weil für mich das „Oben“ nicht isoliert dasteht, sondern in Bezug auf weitere Komponenten einer Gesellschaft existiert, soll auch Macht nicht im leeren Raum betrachtet, sondern auf deren relationale Seite eingegangen werden. Kriterien, die Macht ermöglichen und andere, welche sie einschränken könnten, sollen gleichermassen diskutiert werden. Wie in Kapitel 1.2 angespro-chen, gehe ich dabei einerseits davon aus, dass unsere heutige Gesellschaft bestimmte Struktu-ren aufweist, die in gewissen Bereichen Macht erst ermöglichen. Andererseits kann Machtaus-übung aber innerhalb derselben Strukturen auch durch verschiedene Aspekte begrenzt und behindert werden.

2.2.1 Macht

Ähnlich wie bei der Diskussion über Eliten und Klassen zeigt sich die Annäherung an das The-ma „Macht“ als sehr breit und zuweilen widersprüchlich (vgl. Offe 1977; Lukes 1986; Fischer 2004). Wie Lukes aufgezeigt hat, muss zuerst gefragt werden, was einen am Machtphänomen genau interessiert: „When we are interested in power – in studying, acquiring, maintaining, in­creasing, reducing or destroying it – what is it that we are interested in?“ (Lukes 1986:1). Auch wenn dieses unendliche Feld auf eine soziologische Perspektive reduziert wird, bleibt ein brei-tes Spektrum an möglichen Fragestellungen und Interessenschwerpunkten. Fragen wir zum Beispiel nach der Entstehung, der Ausübung oder der Funktion von Macht? Gehen wir vom Individuum oder vom System aus? Vom Mächtigen oder vom Machtunterworfenen? Von einer Organisation oder von einem Klassenkampf? Interessieren wir uns für Handlungen, Einstellun-gen, Kommunikation oder Strukturen?

Auch theoretische Annäherungen an Macht gehen von unterschiedlichen Fragestellungen aus und befassen sich deshalb mit verschiedenen Aspekten dieses Phänomens (vgl. Offe 1977; Fi­scher 2004). So gelten in der Organisationstheorie formale Strukturen als Macht regulierende Mechanismen, in der Theorie der „human relations“ sind hingegen informelle Strukturen der Organisationen ausschlaggebend (Fischer 2004:96). Akteurorientierte Autoren sehen in der Ausübung von Macht individuelle Strategien, wobei Regeln und Normen von Organisationen nur am Rande mitberücksichtigt werden müssen (Fischer 2001:159). Für systemorientierte Theoretiker wird die Funktion von Macht hingegen vom sozialen System bestimmt (Fischer 2004:54). Die „Elitisten“ gehen davon aus, dass in jeder Institution eine „Machtstruktur“ exis-tiert, die soziale Schichtungen einer Organisation widerspiegelt (Bachrach und Baratz 1977:43). Ist man solchen Machtverhältnissen gegenüber kritisch eingestellt und zweifelt man an ihrer Legitimität, kann man den Machtbegriff konflikttheoretisch verwenden: „Machtverhältnisse haben die Funktion, die Lebenschancen von Menschen in einer Gesellschaft zugunsten der Pri-vilegien und Interessen einer Minorität, einer ‚Elite‘, einzuschränken, und die Erkenntnis sol-cher Machtverhältnisse ist die notwendige Voraussetzung dafür, sie politisch aufzulösen“ (Offe 1977:30). Dies ist jedoch eine umstrittene Ansicht. Es gibt die gegenteilige Argumentation, die den Nutzen von Macht in Organisationen unterstreicht. Dabei wird erklärt, dass für den Auf-bau von komplexen sozialen Systemen Macht unabdingbar sei, weil sie durch Weisungskompe-tenzen erst erlaube, Handlungsketten zu bilden. „So wird Effizienz in der Weise gesteigert, dass eine einzige Entscheidung viele zeitlich und sozial auseinanderliegende Folgeentscheidungen dirigieren kann“ (Fischer 2004:76).

Alle diese Lösungsvorschläge zeigen – bei weitem aber nicht ausschöpfend – unterschiedliche Perspektiven auf und lassen die Schwierigkeit erahnen, eine allgemein gültige Machtdefinition zu finden. Lukes ist diesem Versuch gegenüber denn auch kritisch eingestellt: „For the varia­tions in what interests us when we are interested in power run deep, (...) and what unites the various views of power is too thin and formal to provide a generally satisfying definition, appli­cable to all cases“ (Lukes 1986:4-5).

Trotzdem sind drei Punkte festzustellen, die in vielen Ansätzen gleichermassen als Annahme gelten:

1. Die relationale Eigenschaft von Macht: „(...) man kann Macht nicht im luftleeren Raum haben, sondern nur in Beziehung auf jemand anderen“ (Bachrach und Baratz 1977:57). Dabei beruht diese Machtbeziehung auf einer Gegenseitigkeit, die aber durchaus unaus-gewogen sein kann (Fischer 2004:91).
2. Machtdefinitionen laufen oft auf die Fähigkeit hinaus, andere negativ sanktionieren zu können (Fischer 2004:15).
3. Der Machtbegriff grenzt sich von anderen Begriffen wie Herrschaft, Autorität, Gewalt oder Einfluss inhaltlich ab (vgl. Bachrach und Baratz 1977; Fischer 2004).

Dies ist bei Webers Machtdefinition nicht anders. Sie wurde in Abschnitt 1.4.1 diskutiert und soll hier (inklusiv einiger kritischer Anmerkungen) noch einmal vorgestellt werden, da sie in dieser Arbeit eine zentrale Rolle spielt.

Laut Weber ist Macht „(...) jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Wil-len auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1981:89) oder die „Möglichkeit, den eigenen Willen dem Verhalten anderer aufzuzwingen (...)“ (Hanke 2005:128).

Es lassen sich aus dieser Definition mehrere inhaltliche Ebenen herausschälen: eine Chance oder Möglichkeit der Einflussnahme, der eigene Wille, eine Beziehung und ein Widerstand. Das webersche Verständnis des Machtbegriffs ist akteurorientiert und deshalb sehr geeignet für die Erforschung individueller Einstellungen. Es kann zudem als kausales Entscheidungshan-deln von Individuen verstanden werden.

Die Kritik an Webers Machtdefinition bezieht sich weniger auf das Konzept der „Chance“, jenes des „eigenen Willens“ oder der „Beziehung“, als vielmehr auf das Vorhandensein eines „Wider-strebens“. Laut Offe gibt es vor allem zwei logische Argumente, die ein Widerstreben als schwie-riges Instrument zur Identifizierung von Macht entlarven (Offe 1977:11-12):

1. Wird in einer Beziehung kein Widerstreben festgestellt, kann dies verschiedene Ursachen haben und ist deshalb nicht ein sicheres Indiz für das Bestehen einer Machtbeziehung.
2. Auch ein feststellbares Widerstreben ist seinerseits kein eindeutiges Indiz für eine Macht-beziehung, da diese nur bestehen würde, wenn das Widerstreben erfolglos wäre. Über einen längeren Zeitraum bestehender Widerstand könnte aber auch auf die Destruktion von Macht hindeuten.

Man müsste also genaue Kenntnisse über die Interessen und das Bewusstsein der Machtun-terworfenen haben, um zu wissen, welches Widerstreben in Machtbeziehungen erwartbar ist (Offe 1977:12). Dabei müsste berücksichtigt werden, dass Macht nur in dem Ausmass erkannt werden kann, „wie sie nicht mächtig genug ist, alternative Willenskundgebung zu erdrücken, zu entmutigen und auf diese Weise von dem Bildschirm verschwinden zu lassen (...)“ (Offe 1977:14).

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Strukturblindheit des weberschen Machtbegriffs, der aus-ser Acht lässt, dass Normen und Institutionen Handlungsmöglichkeiten präformieren (Offe 1977:14). Werden gesellschaftliche „Akteure nicht als ‚Träger’ bestimmter, von einer Produk-tionsweise vorgezeichneter Funktion, nicht als Exekutoren struktureller Imperative, sondern ausschliesslich als Urheber von Normen und ‚Spielregeln’, durch die sie den gesellschaftlichen Verkehr lenken“ (Offe 1977:19) betrachtet, bleibt die Frage nach den Gründen für die „Plat-zierung“ von Akteuren z.B. durch Produktionsmitteleigentum im gesellschaftlichen Gefüge ausgeklammert (Offe 1977:20). Auf den historischen Materialismus bezogen meint Offe, dass Machtphänomene auch objektiven Verhältnissen „subjektloser gesellschaftlicher Strukturen” zugeschrieben werden könnten (Offe 1977:15). Bereits Marx habe gezeigt, dass „Machtverhält-nisse begrifflich durchaus von der Kategorie des sozialen Handelns getrennt werden können“ (Offe 1977:16).

2.2.2 Einschränkungen der Macht

Betrachtet soll also nicht ausschliesslich das Individuum werden, sondern ebenfalls Faktoren, die jenes von aussen beeinflussen könnten. Denn „Macht kann jemand nur haben, wenn er sich nicht auf naturhafte Zwangsgesetze berufen kann, die ihm keine andere Wahl lassen, also ‚so und nicht anders’ zu handeln“ (Offe 1977:15-16). Das bedeutet, dass untersucht werden muss, ob es Einflüsse gibt, die Macht einschränken könnten. In der Literatur finden sich zahlreiche Aussagen, die sich mit Machteinschränkungen beschäftigen. Dabei spielt „Zwang“ eine zentrale Rolle (vgl. Weber 1999; Ulrich und Thielemann 1992). Eine klare Begriffsdefinition von Zwang zu finden, scheint jedoch ein schwieriges Unterfangen zu sein. Ulrich und Thielemann sprechen von inneren Zwängen (Jene werden von den Autoren nicht näher erläutert) und von äusseren Zwängen, so genannten Sachzwängen (Ulrich und Thielemann 1992a:19-20). Letztere unter-scheiden sie erstens als Systemzwänge, d.h. Handlungsrestriktionen, die der Wirtschaftsord-nung entspringen, und zweitens als unternehmerische Handlungszwänge (z.B. Konkurrenz-, Liquiditäts-, Kapitalverwertungs- und Erfolgszwänge) (Ulrich und Thielemann 1992a:20).

Etwas genauer versucht Weber (1999) Zwangsmomente zu definieren: „Der Begriff ökonomi-scher Sachzwang als ‚struktureller’ beziehungsweise ‚systemischer’ Zwang bedeutet eine ano­nym veranlasste Einwirkung ‚von aussen’. Der Zwang gründet in der Kontextualität des Han-delns, das heisst in der ‚Vorgegebenheit’ der Strukturmomente gegenüber Handelnden in einer Situation“ (Weber 1999:24). Aus folgenden Gründen können Sachzwänge für ihn zudem als „hypothetische Imperative“ bezeichnet werden, die nur gelten, wenn ein Gut als erhaltenswert gilt (Weber 1999:31).

Schliesslich werden Sachzwänge als Ergebnis der Wettbewerbswirtschaft betrachtet, weil letzte-re den Unternehmer zu gewissen ökonomischen Handlungen zwinge, wenn er seine Unterneh-mung erhalten wolle (Weber 1999:23-26).

Eine der wohl berühmtesten Aussagen zu ökonomischem Zwang stammt jedoch von Marx, wonach „der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse (...) die Herrschaft des Kapitalis-ten über den Arbeiter“ besiegelt (Marx 1872:656). Dabei wird davon ausgegangen, dass gewisse Strukturen (hier das kapitalistische System) die Handlungsmöglichkeiten von Individuen so massiv einschränken (bis hin zur Versklavung), dass schliesslich eine Verdinglichung und Ent-fremdung des Menschen die Folge wären (vgl. Marx 1872). Würde das Konzept des Zwangs weiter verfolgt, müsste man sich neben einer Analyse der sozialen Prozesse tatsächlich fra-gen, welchen Einfluss Zwang auf die Psyche von Individuen hat (vgl. Israel 1972:253). Dabei sollten von dieser Betrachtung auch Topmanager nicht ausgeschlossen werden, denn werden Sachzwänge im Markt angenommen, könnte dies Auswirkungen auf die Freiheiten aller daran Beteiligter haben (Weber 1999:46).

Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich dann, wenn Sachzwänge in der Argumentation zu Legi-timationszwecken missbraucht werden: „Die Tatsache jedoch, dass sich der Unternehmer auf die ökonomischen Notwendigkeiten berufen muss, um seine Entscheidung oder Strategie zu begründen, hat seinen tieferen Grund darin, dass auch in der ökonomischen Handlung ein Legitimationsbedarf erkennbar ist“ (Weber 1999:21). Ein weiterer Beweis dafür, dass der Un- ternehmer oder Manager nicht in einem luftleeren Raum handelt. Die Frage stellt sich also, wann eine Sachzwangslage nachweislich existent und wann sie dem Machthaber ausschliesslich zur Rechtfertigung einer gewissen Handlung oder der Unterlassung einer Handlung dient. Die Unterscheidung zwischen vermeintlichen und echten Sachzwängen (Ulrich und Thielemann 1994:86-87) ist meines Erachtens problematisch, weil sich für mich die Frage nach der Instanz stellt, welche diese Unterscheidung objektiv vornehmen soll. Zwischen einer subjektiven Wahr-nehmung von Zwängen und einem objektiv existenten Sachzwang eine klare Grenze zu ziehen, könnte sich als schwierig erweisen. Für Weber ist ein Sachzwang letztlich nur ein Denkzwang, wenn ein systemischer Zusammenhang nicht existiert bzw. der Wettbewerbszusammenhang bewusst gestaltet und institutionalisiert werden kann (Weber 1999:219). Einen realen Hinter-grund hätte ein Sachzwang dann, wenn er schon vor jeder bewussten Einflussnahme vorhan-den war.

Es lassen sich aber nicht nur im kapitalistischen System oder einer ökonomischen Wirtschafts-ordnung Einflussfaktoren auf die Macht Einzelner vermuten, sondern auch auf einer Meso– Ebene in den Organisationen. Mit Organisationen hat man sich in der Organisations- und Arbeitssoziologie eingehend beschäftigt (vgl. Minssen 2006; Endruweit 2004; Müller-Jentsch 2003) und es sollen hier einige Aspekte aufgezeigt werden. Unter Organisation kann laut Mül-ler-Jentsch ein „ geplanter, dauerhafter und zielorientierter Handlungszusammenhang von Per-sonen und Gruppen“ (Müller-Jentsch 2003:40) verstanden werden. Diese Definition hat auch für die Begriffsverwendung in der vorliegenden Arbeit Gültigkeit.

Organisationen zeichnen sich durch „die Formalisierung von Regeln und das damit verbun-dene Mitgliedschaftsprinzip aus. Die formalen Regeln sind es (...), an denen sich die grund-legenden Machtbeziehungen entwickeln: Sie verteilen fachliche und hierarchische Entschei-dungskompetenzen auf die Mitglieder, deren Entscheidungen von den anderen Mitgliedern anerkannt werden müssen, wenn sie ihre Mitgliedschaft oder ihre Karriere nicht gefährden wollen“ (Fischer 2004:157). Organisationen haben also ein entscheidendes Druckmittel – die Mitgliedschaft – durch das sie Mitglieder zur Kooperation zwingen können. Das Mitglied lässt seinen Entscheidungsspielraum dann „freiwillig“ einschränken, um nicht aus der Organisati­on ausgeschlossen zu werden. „Die formale Macht in Organisationen stützt sich auf das meist ökonomische Interesse der Beherrschten an der Mitgliedschaft (...). Der Zwangscharakter des Gehorsamsverhältnisses wird jedoch dadurch verdeckt, dass der Arbeitsvertrag offiziell freiwil-lig eingegangen wird“ (Fischer 2004:40).

Einerseits bedeutet dies, dass Organisationen spezielle Formen der Macht innerhalb (oder auch ausserhalb) ihrer Grenzen erst ermöglichen. Sie stellen hierarchische Strukturen und Tä-tigkeitsfelder zur Verfügung, die den Mitgliedern Handlungsmöglichkeiten eröffnen (Fischer 2004:99). Durch die beschriebenen formalen Regeln, werden ebendiese Möglichkeiten aber an-dererseits gleichzeitig eingeschränkt.

In Organisationen spielen aber auch informelle Machtquellen eine Rolle. Diese können Hier-archien unterwandern und sich „von unten nach oben“ ausdrücken: „Mit der Komplexität des Systems nimmt auch die Überforderung der formalen Machthaber zu und damit wiederum das Machtpotential der Untergebenen (...)“ (Fischer 2004:78-79). Minssen geht davon aus, dass Macht in einer Organisation nicht mit Ohnmacht korrespondiert, und dass auch die Beleg-schaft über gewisse Druckmittel (z.B. Arbeitsverweigerung) verfügt (Minssen 2006:74). Das bedeutet, dass Konsens erarbeitet werden muss, wobei Konsens „im Unterschied zu Kontrolle einen selbstgewählten Mechanismus der Begrenzung möglicher Handlungsoptionen“ darstellt (Minssen 2006:75). Eine Organisationskultur kann dabei durch soziale Integration für die Kon-sensbildung nützlich sein. Unter Organisations- oder Unternehmenskultur können Denk- und Handlungsmuster oder Werte und Normen verstanden werden, die von den Mitgliedern als gültig akzeptiert werden (Minssen 2006:76). Dabei können kulturelle Normen auch eine duale Wirkung aufweisen. Einerseits treten sie selbst als strukturelle Zwänge auf, die den Handlungs-spielraum der Akteure einschränken. Andererseits werden sie „von den Akteuren für die Lö-sung von praktischen Problemen in ihren Beziehungen zu anderen erlernt und als ‚kulturelle Werkzeuge’ instrumentalisiert“ (Fischer 2004:99). So können sowohl Normen wie auch for-male und informale Regeln von den Individuen für die eigenen Interessen genutzt und verän-dert werden (Fischer 2004:99). Machtverhältnisse basieren also bis zu einem gewissen Grad auf menschlichen Handlungen und Beziehungen und sind somit wandelbar – sonst würden sie zu Naturgesetzen werden und hätten mit Macht im soziologischen Sinn nichts mehr zu tun (Offe 1977:16).

Die Handlungsmöglichkeiten in einer Organisation können ebenfalls durch ihre Umwelt beein-flusst werden (vgl. Fischer 2004:95; Endruweit 2004:216). Nach Endruweit umfasst die „Organi-sationsumwelt“ im soziologischen Sinn „alle sozialen Phänomene, mit denen die Organisation in ein- oder gegenseitigen Einflussbeziehungen steht“ (Endruweit 2001:219). Die Beeinflussung einer Organisation kann dabei spürbarer (z.B. Gesetzgeber, Konkurrenz etc.) oder verborgener (z.B. Normen, Lobbying etc.) von statten gehen (Endruweit 2004:222-230). Auch die Stärke der Einflussgruppen (Stakeholder) entscheidet, wie viel Druck auf den Handlungsspielraum einer Organisation und deren Mitglieder ausgeübt werden kann. Das Institut interdisciplinaire d’éthique et des droits de l’homme (IIEDH 1998) unterscheidet im wirtschaftlichen Handeln grundsätzlich sechs Partner, denen gegenüber ein Wirtschaftsakteur verantwortlich ist. Dies sind die Konsumenten und Kunden; die Angestellten; öffentliche Verbände und die Zivilgesell-schaft inklusive zukünftige Generationen; Investoren, Aktionäre und Steuerzahler; Zulieferer und Konkurrenten (IIEDH 1998:11).

2.3 Die Relevanz der theoretischen Konzepte für diese Arbeit

Die oben dargestellten theoretischen Konzepte wurden bereits im Hinblick auf das Thema mei-ner Arbeit ausgewählt. Sie zeigen mein Hintergrundwissen auf, das mich in der Erarbeitung der Fragestellung (vgl. Abschnitt 1.3.1) geführt hat und auf welchem meine Grundannahme beruht, dass die Position eines Topmanagers im sozialen Gefüge einen speziellen Platz ein-nimmt und deshalb untersuchenswert ist. Ich möchte im Folgenden kurz auf die Relevanz der Erkenntnisse aus den theoretischen Konzepten für meine Arbeit eingehen. Die Darstellung dient nämlich nicht ausschliesslich der Präsentation meines Hintergrundwissens, sondern soll ebenfalls das Forschungsvorgehen und die Auswahl der Schwerpunkte bei der Analyse der Er-gebnisse verständlich machen.

In den Elitentheorien finden sich viele interessante Ansätze zur Diskussion der Spitze der Ge-sellschaft. Es stellt sich die Frage, wie Topmanager den Verlauf ihrer Karriere und somit ihren Zugang zu einer Topposition beschreiben. Welche Gründe nennen sie? Argumentieren die Be-fragten mit Leistung, persönlichen Qualitäten, ihrem Elternhaus etc.? Im Ergebnisteil ist der Frage nach dem Zugang zu Topmanagerpositionen ein ganzes Kapitel gewidmet.

Das Habituskonzept von Bourdieu (1987) ermöglicht zudem eher verborgene und unbewusst wahrgenommene Zusammenhänge erkennbar zu machen und soziologisch zu erklären.

Obwohl ich mich bei der Auswahl der Zielgruppe klar für das gesellschaftliche „Oben“ ent-schieden habe, möchte ich den relationalen Aspekt der Klassentheorien mit einbeziehen. Da-bei sollen Topmanager nicht gesellschaftlich isoliert, sondern als in einem weiteren Umfeld lebende Individuen wahrgenommen werden. Dies ist auch in Bezug auf den Umgang mit der Machtfrage sinnvoll. Gerade Einflüsse aus dem unternehmerischen Umfeld oder aus dem Kreis der Mitarbeiter können für ihre Handlungsmöglichkeiten und mögliche Einschränkungen ausschlaggebend sein. Dabei sollen sowohl personelle als auch strukturelle Faktoren beachtet werden. Zudem sollen Reaktionsstrategien, wie zum Beispiel Konsens- und Unternehmenskul-turbeeinflussung in die Untersuchung einfliessen. Für die Schlussfolgerung dieser Arbeit steht die subjektive Wahrnehmung von Zwängen im Zentrum.

Wie bereits aus der Fragestellung (vgl. Abschnitt 1.3.1) hervorgeht, habe ich mich bei der Ana­lyse der Einstellungen von Topmanagern auf das Konzept der Macht beschränkt. Dabei in-teressiere ich mich sowohl für den Zugang zu Machtpositionen als auch für die subjektiven Einstellungen bezüglich Macht seitens der Befragten. Webers (1981:89) Definition von Macht – mit den Aspekten Handlungsmöglichkeiten, eigener Wille, Beziehung und Widerstand – ist geeignet, um Aussagen zu Macht sinnvoll zu gliedern. Sie ist deshalb im Rahmen meiner Arbeit gut operationalisierbar. Als akteurorientierter Ansatz eignet sie sich zudem zur Befragung von Individuen, hier den Topmanagern.

[...]

Fin de l'extrait de 122 pages

Résumé des informations

Titre
Von Macht im obersten Management
Sous-titre
Eine qualitative Untersuchung der Wahrnehmung von Handlungsmöglichkeiten bei Schweizer Führungskräften in Spitzenpositionen
Université
University of Fribourg
Note
5,5 (CH)
Auteur
Année
2007
Pages
122
N° de catalogue
V132940
ISBN (ebook)
9783640386581
Taille d'un fichier
1068 KB
Langue
allemand
Annotations
Entspricht Note 1,5 in Deutschland.
Mots clés
Macht, Management, Eine, Untersuchung, Wahrnehmung, Handlungsmöglichkeiten, Schweizer, Führungskräften, Spitzenpositionen
Citation du texte
Barbara Zwahlen (Auteur), 2007, Von Macht im obersten Management, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132940

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