Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Das ‚allgemeine‘ Tagelied und die Tagelieder des „Frauendienst“
3. Das erste Tagelied
4. Das zweite Tagelied
5. Schlussfolgerung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ulrich von Lichtenstein war einer der führenden Männer der Steiermark des Mittelalters. Er lebte von etwa 1200 bis 1275. Im Jahre 1255 schrieb Ulrich von Lichtenstein sein Werk „Frauendienst“[1]. Dieser, der sowohl autobiographische als auch epische Elemente aufweist, gilt als der erste deutsche Ich-Roman. In seinen „Frauendienst“ übernahm Ulrich von Lichtenstein mehrere seiner lyrischen Werke[2] und fügte sie an passender Stelle ein. Unter anderem finden sich hier auch zwei Tagelieder, die er in den Jahren 1233/40 und 1240/41 verfasste[3]. Bekannte mittelalterliche Lyriker, wie unter anderem Wolfram von Eschenbach, Walter von der Vogelweide und, nach dem Tod Ulrichs von Lichtenstein, Oswald von Wolkenstein, schrieben ebenfalls Tagelieder. Sie orientierten sich (fast) immer an einem strickten Rahmen, der die einzelnen Elemente dieser Gattung umfasste und vorgab. Ulrich von Lichtenstein wich in seinen beiden Tageliedern von wichtigen Elementen dieser Norm ab.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Betrachtung dieser beiden Tagelieder und soll zeigen, wie sie in den epischen Rahmen des „Frauendienstes“ passen. Ebenfalls sollen die Gründe Ulrichs von Lichtenstein Abweichung von der Norm betrachtet werden und wie sich diese in den beiden Tageliedern äußert.
Diese Arbeit versteht sich nicht als eine völlig Klärung dieses Problems, sonder soll Lösungsansätze und Lösungsvorschläge dafür liefern.
2. Das ‚allgemeine‘ Tagelied und die Tagelieder des „Frauendienst“
Im Gegensatz zur hohen Minne, deren Bestandteil die Werbung ohne Erhörung ist, kommt es im Tagelied zur Liebeserfüllung. Die körperliche Vereinigung von Ritter und Dame wird nicht nur zugelassen, sie wird sogar zum Mittelpunkt der Handlung erhoben. Dennoch enthält das Tagelied keinen frivolen Unterton, sondern erhält die „werthafte personale Zuwendung im Stil der Minne“[4] aufrecht.
Im Allgemeinen ist die lyrisch-epische Mischform des Tagelieds wie folgt aufgebaut. Der Handlungsablauf ist bei allen Verfassern eines Tagelieds immer annähert der gleiche. Ein Ritter und eine Dame erwachen nach einer gemeinsam mit Minnespiel verbrachten Nacht und erfahren durch den Wächter der Burg, dass der Tag angebrochen ist[5]. Der Ritter muss nun die Kammer der Dame und die Burg verlassen, da ihm im Falle der Entdeckung harte Strafen drohen. Somit setzt ein schmerzlicher Abschied der beiden Liebenden ein, der im Tagelied in dialogischer, monologischer und/oder erzählender Form verfasst ist. Hier sind die inhaltlichen Konstituenten zu betrachten, die bestimmte Relationen zwischen den einzelnen Konstituenten beschreiben. Diese sind: der Tagesanbruch, der Weckruf, die gesteigerte Gefahr, die Klage über die bevorstehende Trennung, die letzte gegenseitige Hingabe der Liebenden und der Abschied[6].
Der auffälligste Unterschied zwischen den ‚allgemeinen Tageliedern‘ und denen in Ulrichs von Lichtenstein „Frauendienst“ ist, dass er auf die Person des Wächters verzichtet. Er lässt das Liebespaar am Tagesanbruch durch die Magd der Dame wecken. Den Grund für diesen Personalwechsel gibt Ulrich von Lichtenstein im „Frauendienst“ vor dem zweiten Tagelied[7]. Er begründet sein Tun indem er auf die Klugheit der Dame verweist. Diese wird nämlich – den Überlegungen Ulrichs von Lichtenstein nach – nicht so töricht sein und ihr Geheimnis (den heimlichen Schlafgast) einem Wächter anvertrauen. Denn der Wächter ist von niederem Stand („gebûren“)[8] und könne deshalb nicht schweigen, sondern erzähle alle Geheimnisse, die er hört, sofort weiter. In der Magd der Dame sieht Ulrich von Lichtenstein eine bessere Vertrauensperson. Da sie von höherem Stand ist, könne man ihr auch mehr (an-)vertrauen. Die Magd könne Geheimnisse für sich behalten und verstehe es, den Ritter ungesehen durch die Burg und aus ihr heraus zu bringen.
[...]
[1] Vgl. Ehrismann, Gustav: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Zweiter Teil. Die mittelhochdeutsche Literatur. Bd. 6. München: Beck 1935. S. 262.
[2] 57 Minnelieder und einen Leich.
[3] Vgl. Brecht, Walther: Ulrich von Lichtenstein als Lyriker. In: ZfdA 49 (1908). S. 19.
[4] Cormeau, Christoph: Zur Stellung des Tageliedes im Minnesang. In: Johannes Janota (Hrsg.): Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger. Bd. 2. Tübingen: Niemeyer 1992. S. 704.
[5] Nacht und Tag zählen zu den temporalen und Ritter, Dame und Wächter zu den personalen Konstituenten.
[6] Vgl. Knoop, Ulrich: Das mittelhochdeutsche Tagelied. Marburg: Elwert 1976. S. 164.
[7] Vgl. Bechstein, Reinhold (Hrsg.): Ulrich’s von Lichtenstein Frauendienst. Zweiter Theil. Leipzig: Brockhaus 1888 (= Deutsche Dichtungen des Mittelalters, Bd. 7). S. 236-240.
[8] Ebd. S. 236.
- Arbeit zitieren
- Falk Hesse (Autor:in), 2009, Die Tagelieder in Ulrichs von Lichtenstein 'Frauendienst', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132980
Kostenlos Autor werden
Kommentare