Die Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen Integration vom EGKSV bis zum Vertrag von Lissabon


Examensarbeit, 2009

34 Seiten, Note: 10,5


Leseprobe


Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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A. Einleitung

I. Gang der Darstellung

Die folgende Arbeit widmet sich der Rolle der nationalen Parlamente (NP) in der europäischen Integration. Dazu soll zunächst untersucht werden, wel-che Funktion einem Parlament im nationalen Kontext grundsätzlich zuge-dacht ist, und ob es diese auch im europäischen Bereich ausüben kann (un-ter: A.II). Außerdem soll anhand der historischen Entwicklung der Europä-ischen Gemeinschaft (EG)1, Kompetenz- und Bedeutungsverluste der natio-nalen Parlamente untersucht, aber auch europäische Gegenmaßnahmen dar-gestellt werden. Deren Verhältnis wird sich als entscheidend für die (noch) bestehende Rolle der nationalen Parlamente erweisen (unter: B.I und II). Die These, dass die NP als politische Akteure in der EG das sogenannte Demokratiedefizit beseitigen könnten, soll allerdings nur am Rande behan-delt werden.2

Aber auch ein Vergleich des nationalen Verfassungsrechts ausgesuchter Staaten soll Veränderungen und Anpassungen der nationalen Parlamente im innerstaatlichen Bereich nachvollziehen und deren Möglichkeit der Ein-flussnahme z.B. auch durch Kooperation überprüfen (unter: B.III).

Abschließend wird ein Blick auf die zukünftigen Regelungen der Europä-ischen Union (EU) in Bezug auf die NP geworfen (unter: B.IV), eine end-gültige Wertung ihrer Rolle vorgenommen und mögliche Tendenzen skiz-ziert (unter: C).

II. Begriffsklärungen/ Vorangestelltes

1. Europäische Integration

Geht man zunächst von den einzelnen Worten aus, so bedeutet Integration im rechtlichen Sinne Einigungsprozess einzelner Teile zu einem Ganzen.3 Auf die europäische Integration übertragen, würde dies also das Zusam-menwachsen der Mitgliedstaaten zu einem europäischen Ganzen (welcher Ausformung auch immer) bedeuten. Dieses Zusammenwachsen kann sich auf wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und rechtliche Bereiche beziehen.4 Aber auch der historische Prozess der Entwicklung der verschie-denen Verträge bis in die heutige Zeit5 und die Erweiterung der Europä-ischen Gemeinschaft, um immer neue Mitgliedstaaten, wird als europäische Integration bezeichnet.6

Für die sich verändernde Rolle der nationalen Parlamente ist vor allem die rechtliche Integration relevant, durch die im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr Kompetenzen auf die Gemeinschaft übertragen und Mehrheitsent-scheidungen im Rat zur Regel wurden.

2. Das Parlament im parlamentarischen Regierungssystem

Vorab kann festgestellt werden, dass es sich in allen Mitgliedstaaten der EG um mittelbare Demokratien handelt,7 die ganz überwiegend als parlamenta-risch bezeichnet werden können.8

Demokratischer Parlamentarismus beschreibt ein politisches System, in dem die Staatsgewalt vom Bürger über das Parlament an die Regierung weiter-gegeben wird und zwar in einer ununterbrochenen Legitimationskette.9 Damit besteht eine der zentralen Aufgaben des Parlamentes darin, staatli-ches Handeln zu legitimieren,10 die politische Willensbildung zu ermögli-chen und auf diesem Wege auch den Bürger zu informieren und zu bilden.11 Merkmal dieses Systems ist es auch, dass sich die Regierung aus dem Par-lament rekrutiert und von ihm wieder abgewählt werden kann. Die damit verbundene Durchlässigkeit zwischen Legislative (Parlament) und Exekuti-ve (Regierung) lässt eine strikte Gewaltenteilung nicht zu.12 Durch die poli-tische Aktionseinheit aus parlamentarischer Mehrheit und Regierung wird dieses Phänomen zusätzlich verstärkt.13 Dennoch besteht eine weitere Auf-gabe des Parlamentes darin, die Regierung wirksam zu kontrollieren, wofür ihm verschiedene Mechanismen wie Interpellationen, Ausschüsse und Miss-trauensvoten zur Verfügung stehen.14

Kernaufgabe eines jeden Parlamentes ist die Ausübung seiner Gesetzge-bungsfunktion. Parlamentarische Gesetze sollen Exekutive und Judikative binden, weshalb die Legislative in einem demokratischen System auch als Leitgewalt bezeichnet wird.15 Somit vereint die Gesetzgebung sowohl die Elemente der Legitimation, als auch die der Kontrolle, im Sinne von gesetz-lichem Handeln der anderen Gewalten und stellt die Umsetzung des politi-schen Willens der Bürger dar.

Zusammenfassend bestehen die Funktionen des Parlamentes also in der Schaffung von Legitimation des Regierungshandelns, und dessen Kontrolle zum einen und der Gestaltung von politischem Willen zum anderen.

a) Spezifisch europarechtliche Aufgaben nationaler Parlamente16

Als spezifisch europarechtliche Aufgaben müssen zum einen die europa-rechtlichen Verträge ratifiziert werden, dass heißt abhängig vom nationalen Verfassungsrecht sind verschiedene Mehrheiten nötig oder müssen mehrere Kammern eingeschaltet werden (in manchen Staaten sind auch Referenden nötig, was jedoch nur bedingt die NP betrifft).17

Zum anderen müssen Richtlinien und Rahmenbeschlüsse der EU in nationa-les Recht umgesetzt werden. Dies erfordert entweder die Schaffung neuer Normen oder aber die Reform bereits bestehender Gesetzestexte durch das Parlament. Ausnahme ist, dass eine Umsetzung auch durch Rechtsverord-nungen möglich ist, also ohne Einbeziehung des Parlaments.18

Sowohl die Ratifizierung als auch die Umsetzung haben gemein, dass der Spielraum, der den NP gegeben wird, extrem klein ist und sich überwiegend auf Zustimmung oder Ablehnung beschränkt. Wobei letzteres ganz über-wiegend keine Option darstellt, da (wie bereits erwähnt) in den Parlamenten ein enges Verhältnis zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung besteht.19 Somit verlieren die Parlamente Handlungs- und Gestaltungsspielräume.

b) Nationale Mitwirkung am EG-Gesetzgebungsverfahren

Auf Vorschlag der Kommission erlässt der Rat unter der Mitwirkung des EP EG-Rechtsakte.20 Die nationalen Regierungen und andere Interessenvertre-ter werden bereits im Vorschlagsverfahren eingebunden und können so Ein-fluss auf den entstehenden Entwurf nehmen. Desweiteren können die Regie-rungsvertreter dann in den Verhandlungen im Rat erneut Wünsche vorbrin-gen, Verhandlungen durchführen und so versuchen ihre Position umzuset-zen oder einen Kompromiss zu erzielen.

c) Kontrollmöglichkeiten in Abhängigkeit vom Entscheidungsver-fahren im Rat der Europäischen Union

Die NP jedoch können auf das Handeln der EG-Organe nur bedingt Einfluss nehmen, da sie dort selbst nicht als Organ vertreten sind.21 Um dennoch nationalen Interessen eine Stimme zu verleihen, müssen sie zumindest ihre Vertreter im Rat kontrollieren und anweisen können. Besteht das nationale Parlament auf eine bestimmte Position zu einem Thema, so kann der Vertre-ter (in Abhängigkeit vom nationalen Verfassungsrecht)22 beauftragt werden, nur diese Position im Rat zu vertreten. Bei Einstimmigkeit im Rat kann so-mit die Stimme der NP durchgesetzt werden, während bei Mehrheitsent-scheidungen die jeweilige Position überstimmt werden kann, womit die Einwirkungsmöglichkeiten der NP stark eingeschränkt sind.23

B. Die Veränderung der Rolle der nationalen Parlamente

I. Die Entwicklung vom EGKSV bis zur EEA

Im Jahre 1952 trat der Vertrag über die Gründung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl zwischen den Vertragsparteien (Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg) in Kraft.2425 Er wird als der vertragliche Beginn der europäischen Integration bezeichnet.26

1. Die Kompetenzverluste (vertraglich und dynamisch)

Den sechs NP kamen hierbei folgende Funktionen zu: Zum einen musste der völkerrechtliche Vertragstext ratifiziert werden und zum anderen war durch den Vertrag die Einrichtung einer Gemeinsamen Versammlung vorgesehen, die sich aus 78 Abgeordneten der NP zusammensetzte.27

Diese Versammlung, die sich später in Europäisches Parlament (EP) umbe-nannte,28 hatte kaum eigene Befugnisse,29 da man die Souveränität der NP sichern wollte und nicht die Idee einer parlamentarischen Repräsentation verfolgte.30 Vielmehr war sie als „Forum für den Gedankenaustausch natio-naler Politiker“31 angelegt. Die legislativen Kompetenzen waren dem Rat und der Hohen Behörde anvertraut32 und somit den nationalen Parlamenten entzogen worden. Allerdings beschränkten sich die Kompetenzverluste auf wenige Bereiche,33 sodass dies kaum wahrgenommen wurde.

Mit den Römischen Verträgen34 im Jahre 1957 wurden die Kompetenzen der Gemeinschaft durch die Gründung der Europäischen Wirtschaftsge-meinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) erheb-lich ausgebaut.35 Im Gegensatz zum EGKSV und EAGV, die für festgelegte Bereiche36 spezifische und normierte Kompetenzen der Gemeinschaft be-schrieben, wurde der EWGV als Rahmenvertrag angelegt, der nur Ziele formulierte, nicht aber feste Kompetenztitel.37 Somit forcierte er die Schaf-fung weiteren Sekundärrechts zur Durchsetzung dieser Ziele und ermöglich-te hierdurch eine dynamische Entwicklung. Problematisch ist hieran, dass die Summe der Kompetenzverluste für die NP kaum vorherzusehen war.

Doch nicht nur durch entstehendes Sekundärrecht erweiterten sich die Kompetenzen der Gemeinschaft, ohne dass vertragliche Neuerungen und demnach auch erneuter Konsens der Mitgliedstaaten nötig war.

[...]


1 EG beschreibt bis zum Unionsvertrag die gesamte Kooperation, dann erscheint es passen-der von der Europäischen Union zu sprechen.

2 Die Gründe für ein Demokratiedefizit sind sehr vielfältig und viele der Lösungsansätze haben nicht die Rolle die nationalen Parlamente im Vordergrund.

3 Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort: Integration, S. 614.

4 Calliess in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 1 EUV, Rn. 12 f.

5 Hobe, EuR, Rn. 11.

6 Streinz, EuR, Rn. 65.

7 Kamann, Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedstaaten an der europäischen Ge-setzgebung, S. 198.

8 Brunner, Wörterbuch Staat und Politik, Stichwort: Parlamentarismus S. 493.

9 Lösche, Politiklexikon, Stichwort: parlamentarische Regierungssysteme, S. 410.

10 Kamann, aaO, S. 198.

11 Bagehot, Die englische Verfassung, S. 137 f.

12 Lösche, aaO, S. 410.

13 Lösche, aaO, S. 410.

14 Brunner, aaO, S. 495; Kiiver, in Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parla-mentarische Demokratie, S. 117.

15 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 266.

16 Kiiver, The National Parliaments in the European Union: A Critical View on EU Consti­tution-Building, S. 10 ff.

17 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, S. 104 ff; speziell für die Mitg-liedsstaaten: Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 170 ff.

18 Zum Beispiel in Italien: Weber in Ismayr (Hrsg.), Gesetzgebung in Westeuropa (Italien), S. 200.

19 Kiiver, aaO, S. 10 ff.

20 Bieber/Epiney/Haag, EU, § 7 Rn.7.

22 Näheres unter: B.III.1.

23 Huber, aaO (Fn. 25), S.69 Rn. 39; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herr-schaftsgewalt: die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, S. 376 f.

24 Vertrag über eine europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl; Einheitliche Europä-ische Akte.

25 Huber, Recht der Europäischen Integration, § 3 Rn. 9.

26 Huber, aaO, § 3 Rn. 10.

27 Vgl. Art. 20 f. EGKSV (BGBl. 1952 II S. 448-475).

28 Dreischer, Das Europäische Parlament. Eine Funktionenbilanz, S. 214.

29 Recht zum Misstrauensvotum gegen die Kommission, Informations- und Fragerechte, Resolutionsrecht, Beratungsfunktion: Kapteyn, L’Assemblée Commune de la Communauté Européenne du Charbon et de l’Acier, S. 176 ff.

30 Judge/Earnshaw, The European Parliament, S. 29; so auch: Dreischer aaO (Fn. 28), S. 214.

31 Dreischer, aaO, S. 214.

32 Judge/Earnshaw, aaO (Fn. 30), S. 29.

33 Darstellung der Regelungskompetenzen bei: Loth, Der Weg nach Europa, S. 86 f.

34 BGBl. 1957 II, S. 753 ff.

35 Tabellarische Übersicht der möglichen Kompetenzen des Rates und der Kommission bei: Schmitt von Sydow, Organe der erweiterten Europäischen Gemeinschaften – Die Kommis-sion. S. 47 ff.

36 Kohle, Stahl und friedliche Nutzung der Atomkraft.

37 Schwarze in Schwarze (Hrsg.), Art. 1 EGV Rn. 7.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen Integration vom EGKSV bis zum Vertrag von Lissabon
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Rechtswissenschaft)
Note
10,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
34
Katalognummer
V133084
ISBN (eBook)
9783640455607
ISBN (Buch)
9783640456116
Dateigröße
593 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Parlamente, Integration, EGKSV, Vertrag, Lissabon
Arbeit zitieren
Juliane Twieg (Autor:in), 2009, Die Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen Integration vom EGKSV bis zum Vertrag von Lissabon, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133084

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