Die deutsche Inflation 1914 - 1923: Eine Wirtschaftskrise?

Politische und ökonomische Fragen zur Geldentwertung nach dem 1. Weltkrieg


Dossier / Travail, 2009

21 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhalt:

1. Einleitung

2. Ursachen

3. Verlauf
3.1. Phase der zurückgestauten Inflation: 1914 – 1918
3.2. Phase der Hochinflation: 1919 – 1922
3.3. Phase der Hyperinflation 1922 – 1923
3.4. Beendigung der Währungskrise

4. Geldentwertung als Waffe
4.1. Das ökonomische Paradoxon von Reparationszahlungsforderungen
4.2. Inflation und Reparationszahlungen
4.3. Die militärische Eskalation in der Ruhrbesetzung

5. Konfliktlösung

6. Ergebnisse der Inflationspolitik
6.1. Bildungsnachfrage
6.2. Schuldner
6.3. Arbeitsmarkt
6.4. Die deutsche Industrie
6.5. Weltwirtschaft
6.6. Einkommensverteilung
6.7. Verlierer

7. Fazit

8. Quellen:

Wollen Sie Inflationen untersuchen? Leider sind große Kriege die besten Beispiele dafür.[1]

Paul A. Samuelson

1. Einleitung

Der Versuch, die deutsche Inflation von 1914 – 1923 (im Folgenden deutsche Inflation genannt) in eine Reihe von Wirtschaftskrisen einzuordnen, erweist sich als problematisch. Im engeren Sinne werden als Wirtschaftskrisen zyklische (wenn auch unregelmäßige) Schwankungen in der gesamtwirtschaftlichen Aktivität bezeichnet, die ein Sinken von Reallöhnen, des Lebensstandards, des Bruttoinlands- und Sozialprodukts, sowie eine ansteigende Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Synonym dazu wird auch der Begriff Depression verwendet. In einem Marktmodell, in dem Produktions- und Preisniveau auf einem Schnittpunkt von aggregierter Nachfrage- und Angebotskurve gebildet wird, kann es infolge äußerer Störungen vielfältigster Art zu Angebots- oder Nachfragerückgängen kommen, die wiederum zu Produktionsrückgängen oder Preissteigerungen führen.[2] Dem Staat obliegt es nun, steuernd in diese Krise einzugreifen, um den ursprünglichen Gleichgewichtszustand wieder herzustellen. Der Markt (in welcher Ausprägung auch immer) ist also Verursacher, der Staat Regulierer. Schon beim Wahrnehmen der äußeren Symptome ist ersichtlich, dass die deutsche Inflation nicht in diese Kategorie fällt. Fasst man den Begriff der Wirtschaftskrise jedoch in einem weiten Sinne, könnte man auch sämtliche sonstigen Störungen des geordneten Wirtschaftslebens hinzurechnen, die z.B. weder in Reallohnsenkungen noch im Lebensstandardverfall resultierten und die auch keine Massenarbeitslosigkeit zur Folge hatten. Die Inflation ist eine Entwertung des Geldes und stellt damit eine Finanzkrise dar. Doch war die deutsche Inflation marktverursacht? Oder wurde sie vorsätzlich verursacht? Hätte man sie regulieren oder gar beseitigen können? Der vorliegenden Arbeit lege ich die These von Knut Borchardt zugrunde[3], nach der die deutsche Inflation keine echte Wirtschaftskrise war, sondern eine politische Krise, die mit ökonomischen Mitteln ausgetragen wurde, aber auch mit militärischen Mitteln, wie das Beispiel der Ruhrbesetzung zeigt. Einige Autoren sprechen sogar von einer „Inflationskonjunktur“ und verwenden damit einen der Krise entgegengesetzten Terminus[4]. Lediglich in der Endphase der Krise führte der Währungszusammenbruch zu krisenhaften Erscheinungen ökonomischer Ausprägung.

2. Ursachen

Bisherige Theorien über die Ursache(n) der deutschen Inflation kranken an der mangelnden Zuordnungsfähigkeit von Ursache und Wirkung, da Wirkung gleichermaßen wieder Ursache ist und in einem komplexen Prozess aus Ursachenverknüpfungen eine monokausale Zuordnung nicht getroffen werden kann. Carl-Ludwig Holtfrerich spricht hierbei von einem „infiniten Regress von Erklärungszusammenhängen“[5]. Zu den klassischen Inflationstheorien gehören die Zahlungsbilanztheorie, die die Reparationsforderungen aus dem verlorenen Ersten Weltkrieg in den Vordergrund stellt, die Quantitätstheorie, die in der gestiegenen Geldmenge selbst die Ursache sieht und die Lohndruckhypothese, bei der die Preissteigerungen die Hauptursache ist[6]. All diese Theorien fokussieren jedoch zu sehr den ökonomischen Aspekt und vernachlässigen soziale und politische Faktoren. Allen Theorien ist zumindest gemeinsam, dass sie die wirtschaftlichen Belastungen des Ersten Weltkrieges als Hauptursache der Inflation anerkennen. Die unproduktive Aktivität einer Kriegswirtschaft, so Gerald D. Feldman, trägt alle Symptome einer Wirtschaftskrise in sich und tritt dennoch als Wirtschaftsboom in Erscheinung: Vollbeschäftigung und Preissteigerungen auf der einen, und eine Senkung der nationalen Produktivität und Geldentwertung auf der anderen Seite[7].

3. Verlauf

Um Borchardts These zu überprüfen, ist es erforderlich, den zugrunde liegenden Zeitraum 1914 bis 1923 von immerhin 9 Jahren genauer zu untersuchen (Bei Feldman und anderen sich an ihm orientierenden Autoren sind es 10 Jahre, da er 1924 noch mit einbezieht). Auffallend ist zunächst, dass sich die Inflationsperiode auf zwei grundverschiedene Regierungsformen erstreckt: Das Kaiserreich unter dem letzten Hohenzollernkaiser Wilhelm II. bis zu seiner Abdankung am 28. November 1918, und nach der Novemberrevolution die noch junge Weimarer Republik, die besonders um 1920 in bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen von rechten (Kapp-Putsch) und linken Milizen (Ruhraufstand) zu versinken drohte. Es liegt daher nahe, dass diese Regierungen unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt haben. Die übliche Drei-Phasen-Einteilung in zurückgestaute, Hoch- und Hyperinflation orientiert sich nicht zufällig an diesen politischen Ereignissen.

3.1. Phase der zurückgestauten Inflation: 1914 – 1918

Aufgrund der Umstellung von Friedens- auf Kriegsproduktion und der damit einhergehenden sprunghaften Veränderung der aggregierten Güternachfrage kam es ab 1914 zu einer Verknappung ziviler Güter, insbesondere von Lebensmitteln, die Preiserhöhungen zur Folge gehabt hätten, wenn der Staat nicht regulierend durch Höchstpreisverordnungen eingegriffen hätte. Dies wiederum hatte Qualitätsverschlechterungen, Güterverknappung und damit verbundenes Schlangestehen vor Geschäften, sowie die Bildung eines Schwarzmarktes zur Folge. Die Güterknappheit war dabei nicht nur eine Folge von Angebots- und Nachfrageveränderungen, sondern auch von Produktionsstörungen, die durch die Einberufungen und kriegsbedingte Verwendung von Transportmitteln entstanden waren.[8] Da man bei Kriegsbeginn davon ausgegangen war, im Siegesfalle durch Entschädigungssummen der besiegten Länder alle Kosten wieder hereinzubekommen und andererseits die anfangs vorhandene Kriegsbegeisterung nicht durch Besteuerung zu dämpfen wollte, bot sich eine indirekte „Inflationssteuer“ an. Der „Münzgewinn“, wie Otto Neurath die inflationsbedingte Geldschöpfung bezeichnet[9], resultiert dabei aus der Zeitverzögerung zwischen der Emission der Banknoten und den damit korrespondierenden Preissteigerungen[10]. Den quasi-steuerlichen Effekt der Geldentwertung hatte bereits John Stuart Mill 1852 herausgehoben[11]. Da die „Inflationssteuer“ wahllos jeden trifft, der Nettogläubigerpositionen in inländischer Währung hält, Inländer wie Ausländer, konnte man die Kriegslasten entsprechend verteilen, und zwar ohne, dass die Bevölkerung einen Verursacher hätte ausmachen können. Schon Zeitgenossen, wie der Hamburger Bankier Friedrich Bendixen erkannten dieses Phänomen: „Denn nur in den Steuern sieht der Mensch die Willkür des Staates, die Preisentwicklung dagegen erscheint im wohl zuzeiten als das Werk unlauterer Machenschaften einzelner Erwerbstände, im allgemeinen jedoch als eine Schickung, die der Mensch ertragen muss, wie Frost und Hagelschlag“[12]. Rechtlich wurde dieser Münzgewinn durch eine Währungsreform vom 4. August 1914 ermöglicht, bei dem die Reichsbank von ihrer Pflicht entbunden wurde, ihre Noten jederzeit in Gold einzulösen. Damit wurde die Reichsbank „…zu einem willfährigen Instrument unbegrenzter staatlicher Kreditschöpfung“[13]. Diese Währungsreform eröffnete einen Handlungsspielraum für wirtschaftspolitische Akteure in bis dahin nie gekanntem Ausmaß[14]. In dieser Verschiebung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft liegt auch der wesentliche Grund, warum man von der Inflation als politische Krise – als Gegenbegriff zur Wirtschaftskrise – sprechen kann. Richard Tilly spricht daher auch von einem geldhistorischen Bruch[15]. Bis zu Kriegsende „…folgte der Wechselkurs der Mark den Bewegungen der militärischen Situation“[16] und war somit ein Gradmesser des Erfolges oder Misserfolges deutscher Kriegsführung. Diese Art der Kriegsfinanzierung entsprach dem Ausstellen eines ungedeckten Wechsels auf die Zukunft.

3.2. Phase der Hochinflation: 1919 – 1922

1919 stellte die Regierung fest, dass die Rückkehr zu einer Währungsstabilisierung unweigerlich in eine Phase der Depression führen müsse, weshalb die Geldentwertung nach Kriegsende ganz bewusst vorangetrieben wurde[17]. Besonders fürchtete man, dass die seit 1920 herrschende Weltwirtschaftskrise auch auf Deutschland übergreifen könnte. Finanzminister Matthias Erzberger versuchte zunächst durch tiefgreifende Reformen eine Haushaltsstabilisierung zu erreichen, z.B. durch die im März 1920 eingeführte Reichseinkommenssteuer, die mit hohen Steuersätzen zu einer deutlichen Umverteilung der Steuerlast von sozial schwächeren Schichten auf reichere und Unternehmen führte. Widerstand kam zunächst von den extremen Rechten, z.B. der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), welche „…had no interest in an effective tax program so long as the reparations bill was unsettled“[18]. Erzberger wurde am 26.8.1921 von Mitgliedern rechter Gruppierungen ermordet. Die Fortsetzung der Inflation wurde danach zum allgemeinen Konsens unter führenden Politikern, darunter Walther Rathenau, die sich dadurch einen wirksamen Krisenschutz erhofften. Tatsächlich „…bot Deutschland in den Jahren 1920/21 ein Kontrastbild zur wirtschaftlichen Erscheinung in den anderen wichtigen Industrieländern“[19]. Der sozialdemokratischen Reichsregierung, die nach der Novemberrevolution dringend Erfolgserlebnisse brauchte, um die Sympathie in der Bevölkerung zu halten, bot sich mit der diffusen „Inflationsstreuer“ eine hervorragende Einnahmequelle, mit der sie einen Sozial- und Wohlfahrtsstaat aufbauen konnte, ohne dabei durch Besteuerung bestimmte Bevölkerungsgruppen benachteiligen zu müssen. Bendixen z.B. fand, dass es besser ist, „…die Möglichkeiten, die die Geldschöpfung an die Hand gibt, gründlich auszunützen, als durch ein konfiskatorisches Steuersystem die Erwerbskraft und den Unternehmungsgeist zu lähmen und die Regierung dem allgemeinen Hasse preiszugeben“[20]. Zudem konnte man somit die revolutionäre Bewegung faktisch in eine Lohnbewegung überführen[21]. Gewerkschaften und radikale Interessensverbände waren ihrerseits dazu übergegangen, Lohnforderungen als politisches Machtinstrument anzuwenden[22]. Nach einem Lernprozess, an dessen Ende die Erkenntnis stand, dass reine Lohnforderungen nur zu kurzfristigem Erfolg führen konnten, gingen die Arbeitnehmerverbände ab 1921 dazu über, selbst Forderungen in Bezug auf die gesamte Wirtschaftspolitik zu stellen[23]. Die Problematik des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919 wurde nun zunehmend zentraler Gegenstand der Überlegungen. Die Inflation wurde damit zu einem politischen Instrument (siehe Kapitel 3). Ludwig v. Mises hatte der deutschen Regierung daher vorgeworfen, mit der Ruinierung ihrer Währung andere Länder mit in ihren Ruin hineinzuziehen[24]. Nachdem die Alliierten erkannt hatten, dass die Reichsbank als politisches Werkzeug von der Reichsregierung eingesetzt wurde, versuchten sie auf der Konferenz von Cannes mit dem Autonomiegesetz vom 26. Mai 1922 die Funktionen von Reichsbank und Reichsregierung zu trennen. Die Reichsbank hätte der Geldentwertung nun einen Riegel vorschieben können, allein – sie tat es nicht[25]. Aus diesem Grund stand bald das „…Vertrauen in die deutsche Währung im umgekehrten Verhältnis zum Staatseinfluss darauf“[26].

[...]


[1] Samuelson, Paul A: Volkswirtschaftslehre, Köln 1962, S. 738

[2] Vgl. Mankiw, N. Gregory: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 2001, S. 761 ff.

[3] Vgl. Borchardt, Knut, zitiert in: Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inflation 1914 – 1923, Berlin 1980, S. 2 und S. 94

[4] Vgl. Pierenkemper, Toni: Beschäftigung und Arbeitsmarkt (Moderne Wirtschaftsgeschichte), München 1996, S. 251

[5] Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inflation 1914 – 1923, Berlin 1980, S. 93

[6] Vgl. ders., ebda, S. 2

[7] Vgl. Feldman, Gerald. D: The great Disorder, New York NY, 1997, S. 53

[8] Vgl.,Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inflation 1914 – 1923, Berlin 1980, S. 62

[9] Neurath, Otto: Währung und Volkswohlfahrt, Wien/Leipzig 1912 (Gesammelte ökonomische, soziologische und sozialpolitische Schriften), Wien 1998, S. 555

[10] Vgl. Mises, Ludwig v: The Great German Inflation (Economica) London 1932, S. 232

[11] Mill, John Stuart, zitiert in Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inflation 1914 – 1923, Berlin 1980, S. 115

[12] Bendixen, Friedrich: Kriegsanleihen und Finanznot, Jena 1919, S. 9

[13] Buchheim, Christoph: Von altem Geld zu neuem Geld. Währungsreformen im 20. Jahrhundert (Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert), München 2001, S. 143

[14] Vgl. Tilly, Richard: Geld und Kredit (Moderne Wirtschaftsgeschichte), München 1996, S. 290

[15] Ders., ebda, S. 297

[16] Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inflation 1914 – 1923, Berlin 1980, S. 191

[17] Vgl. ders., ebda, S. 126f.

[18] Feldman, Gerald. D: The great Disorder, New York NY, 1997, S. 163

[19] Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inflation 1914 – 1923, Berlin 1980, S. 207

[20] Bendixen, Friedrich: Kriegsanleihen und Finanznot, Jena 1919, S. 9

[21] Vgl. Borchardt, Knut, zitiert in: Buchheim, Christoph: Von altem Geld zu neuem Geld. Währungsreformen im 20. Jahrhundert (Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert), München 2001, S. 144

[22] Vgl. Kunz, Andreas: Civil servants and the politics of inflation in Germany 1914 – 1924, Berlin/New York 1986, S. 83

[23] Vgl. ders., ebda, S. 261

[24] Vgl. Mises, Ludwig v.: The Great German Inflation (Economica Nr. 36) London 1932, S. 228

[25] Vgl. Holtfrerich, Carl-Ludwig: Die deutsche Inflation 1914 – 1923, Berlin 1980, S. 167

[26] Tilly, Richard: Geld und Kredit (Moderne Wirtschaftsgeschichte), München 1996, S. 297

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Die deutsche Inflation 1914 - 1923: Eine Wirtschaftskrise?
Sous-titre
Politische und ökonomische Fragen zur Geldentwertung nach dem 1. Weltkrieg
Université
University of Frankfurt (Main)  (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte)
Cours
Wirtschaftskrisen: Analysen und Geschichte
Note
1,7
Auteur
Année
2009
Pages
21
N° de catalogue
V133339
ISBN (ebook)
9783640447077
ISBN (Livre)
9783640447640
Taille d'un fichier
464 KB
Langue
allemand
Mots clés
Inflation, Wirtschaftskrise
Citation du texte
Matthias Wühle (Auteur), 2009, Die deutsche Inflation 1914 - 1923: Eine Wirtschaftskrise?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133339

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Die deutsche Inflation 1914 - 1923: Eine Wirtschaftskrise?



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur