Der schöne neue Präventionsstaat

Sicherheitsgesetzgebung, staatliche Überwachung und die daraus resultierenden Gefahren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2009

25 Seiten


Leseprobe


Einleitung

Die Überwachungsskandale im Bereich der Privatwirtschaft scheinen kein Ende zu nehmen. Berichte über die Spitzelpraktiken des Lebensmitteldiscounters LIDL, der Drogeriekette Schlecker, der Deutschen Telekom, der Deutschen Bahn und anderer Großunternehmen häufen sich. Nun dürfte es kaum verwundern, dass sich in dieser Gemengelage zahlreiche Regierungspolitiker versuchen, zum Kämpfer für Datenschutz und Bürgerrechte zu stilisieren. Zumindest bemerkenswert erscheint aber, dass im Zuge dieser Diskussion die staatlichen Überwachungspraktiken gleichzeitig immer wieder relativiert werden. Paradigmatisch erscheinen hierzu die Verlautbarungen des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag Dieter Wiefelspütz gegenüber der Passauer Neuen Presse: Big Brother lauere eher in der Privatwirtschaft als bei Vater Staat. Solch eklatanten Verstöße und Missbräuche wie bei Lidl oder der Telekom seien im staatlichen Bereich nicht denkbar.[1]

Doch denkbar ist bekanntlich vieles, wenn auch nicht für einen Herrn Wiefelspütz.

Fakt ist, die Optionen staatlicher Überwachung sind in den letzten Jahren, meist unter Verweis auf eine gestiegene Terrorbedrohung, in drastischer Weise ausgebaut worden.

Im nachfolgenden Aufsatz soll der Frage nachgegangen werden, wie die verstärkten staatlichen Überwachungstendenzen einzuordnen sind, und welche Gefahren von diesen sog. Sicherheitsgesetzen für unsere Demokratie und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ausgehen.

Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst der immer weiterreichende Umfang des staatlichen Überwachungspotentials an Hand des Gesetzes zur Datenvorratsspeicherung illustriert. Anschließend soll die Bedrohung der deutschen Bevölkerung durch den internationalen Terrorismus erörtert werden, mit der die neue Sicherheitsarchitektur meist gerechtfertigt wird, insbesondere in Relation zu Gefahren des alltäglichen Lebens. Zudem werden Sinn und Zweck der von staatlichen Stellen verlautbarten Warnungen vor islamistisch motivierten Terroranschlägen kritisch hinterfragt..

Im zweiten Teil des Aufsatzes werden die Gefahren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufgezeigt, die mit dem Ausbau der neuen Sicherheitsgesetzgebung einher gehen: So die drohende Errosion des grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzips der Unschuldsvermutung und die daraus folgenden Implikationen.

Im dritten Teil der Arbeit soll exemplarisch am Beispiel des BKA-Gesetzes die problematische Tendenz der gegenwärtigen Sicherheitspolitik aufgezeigt werden, sich über rechtliche Beschränkungen des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe hinwegzusetzen. Zudem werden die mit den Sicherheitsgesetzen einhergehenden Handlungsspielräume staatlicher Geheimbehörden kritisch hinterfragt, insbesondere mit Blick auf die unzureichende Kontrolle derselben.

Im vierten und letzten letzten Teil des Aufsatzes wird schließlich in Frage gestellt, dass sich der Ausbau staatlicher Überwachung vorrangig oder gar ausschließlich mit der gewachsenen Bedrohung durch islamistische Terroristen erklären lässt Zudem werden Indizien für die These vorgebracht, dass die neue Sicherheitsgesetzgebung auch darauf abzielt, ein potentielles Protestpotential einzuhegen, das sich als Nebenfolge des fortschreitenden Sozialabbaus und einer wachsenden sozialen Ungleichheit in der Bevölkerung ergeben könnte.

Teil 1

Das Gesetz zur Datenvorratsspeicherung und das daraus resultierende staatliche Überwachungspotential

Im Zuge der verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001 wurden in der Bundesrepublik zahlreiche Gesetzespakete verabschiedet, die den deutschen Strafverfolgungsbehörden, und dazu zählen auch demokratisch kaum kontrollierte Geheimdienste wie Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst, eine kaum zu überblickende Vielfalt an Überwachungssoptionen zur Verfügung stellen.

Das ganze Ausmaß des staatlichen Überwachungspotentials lässt sich beispielhaft am Gesetz zur Datenvorratsspeicherung illustrieren: Dieses schreibt den Telekommunikationskonzernen vor, die Verbindungsdaten der Telefon-/Internetanschlüsse ihrer Kunden für sechs Monate zu speichern und staatlichen Stellen gegebenenfalls darauf Zugriff zu gewähren. Damit ist es den Strafverfolgungsbehörden theoretisch möglich, nahezu jedes Gesellschaftsmitglied in einen Gläsernen Bürger zu transformieren.

So lässt sich unter Rückgriff auf die Internetverbindungsdaten jede Website, die von einer Person aufgerufen wurde, und jeder Adressat bzw. Absender einer E-Mail rekonstruieren. Auch die Gesprächspartner von Telefonaten, der Zeitpunkt und die Dauer von Telefongesprächen können so nachvollzogen werden.

Werden die Verbindungsdaten eines Bürgers professionell analysiert, ist es problemlos möglich, ein durch bemerkenswert intime Details gefüttertes Profil der Zielperson zu erstellen. Einerseits können mit Hilfe der gespeicherten Telefon- und E-Mail-Kontakte weitreichende Rückschlüsse auf den Freundes- und Bekanntenkreis und/oder Geschäftspartner gezogen werden. Andererseits ermöglichen die Funkzellendaten all jener Mobilfunkkunden, die ihr Handy meist bei sich tragen (was wohl auf eine nennenswerte Anzahl der Nutzer zutreffen dürfte), die Erstellung aussagekräftige Bewegungsmuster und Aktionsradien, die weitreichende Einblicke in das Leben der Bürger bzw. ihren Alltag gewähren.

Damit sind die Strafverfolgungsbehörden aber theoretisch in der Lage in Erfahrung zu bringen, wann und wie oft eine Person gewöhnlich ihre Wohnung verlässt, an welchen Orten sie (in ihrer Freizeit) am häufigsten anzutreffen ist, ob sie regelmäßig verreist oder überwiegend zu Hause bleibt, um nur eine kurze Auswahl wiederzugeben.

Nutzt die Person das Internet, gestatten die Verbindungsdaten zudem Einsicht in ihre Vorlieben und Interessen. Die genutzten Informationsquellen im Internet (z.B. Bravo oder Le Monde), die Suchanfragen (z.B. Sex oder Konstruktivismus) und die online gekauften Waren (z.B. die neue Tokio Hotel CD oder die Gesamtausgabe von Lenins Schriften) ermöglichen die Erstellung eines weitreichenden Persönlichkeitsprofils.

Terrorgefahr und Instrumentalisierung von Ängsten

Diese weitreichenden Überwachungsoptionen werden von den Apologeten der neuen Sicherheitsgesetzgebung meist mit dem Verweis auf die Gefahren des islamistischen Terrorismus gerechtfertigt. Es gehe lediglich darum die Bevölkerung zu schützen. Und wer nichts zu verbergen habe, der habe ja auch nichts zu befürchten.

Zweifellos stellt der islamistisch geprägte Terrorismus ein Faktum dar. Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Bundesrepublik bislang glücklicherweise von islamistisch motiviertem Terror verschont geblieben ist. Sieht man von den sog. Ehrenmorden ab, gibt es in der BRD im neuen Jahrtausend noch keine Todesopfer durch islamistisch motivierten Terrorismus zu beklagen. Selbst wenn man einige Jahrzehnte in der bundesrepublikanischen Geschichte zurückblickt und terroristische Aktivitäten anderer extremistischer Gruppierungen in die Gefahrenanalyse mit einbezieht, so erscheint die Bedrohung der deutschen Bevölkerung durch terroristische Aktivitäten in Relation zu weitaus banaleren Gefahren des täglichen Lebens relativ gering.

Denn die statistische Wahrscheinlichkeit einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen ist „selbst in sehr gefährdeten Ländern wie Großbritannien und den USA verschwindend gering (...). Die eigentlichen großen Gefahren für unser Leben lauern hauptsächlich im Straßenverkehr, in Krankheiten, im Alkohol- und Drogenmissbrauch und in schlechten Ernährungsgewohnheiten.“[2] So kamen im Jahr 2007, trotz abnehmender Tendenz, immer noch fast 5000 Menschen auf den Straßen der BRD ums Leben.[3] Folgt man der Risikoforschung wäre es angebrachter sich vor Dränglern auf der Autobahn zu fürchten als vor heimtückischen Terrorkommandos aus dem Orient.

Sicher, eine derartige Perspektive lässt außer Acht, dass Terroranschläge mit Massenvernichtungswaffen oder aber Attacken auf sensible Bereiche, wie z.B. Atomkraftwerke riesige Opferzahlen nach sich ziehen könnten.

Allerdings stellt sich die Frage, wie realistisch derartige Szenarien wirklich sind. Hat sich doch im Gefolge des Irak-Kriegs neuerlich gezeigt, wie vorsichtig man mit den Schreckensszenarien von Geheimdiensten umgehen sollte. Man denke an die „Smoking Gun“, die der damalige US-Außenminister Colin Powell der Weltöffentlichkeit bei seinem peinlichen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat präsentierte. Auch sei daran erinnert, dass die in den USA verschickten Anthrax-Sporen nicht aus dem Umfeld radikaler Muslime stammten, sondern aus einem Forschungslabor des Pentagons.. Über die tatsächliche Bedrohung der deutschen Bevölkerung durch islamistisch motivierten Terrorismus lässt sich wahrscheinlich nur spekulieren.

Und diese Bedrohung wird immer wieder aufs neue aufgebauscht. Denn es vergeht kaum eine Woche, ohne dass von einer der einschlägigen staatlichen Behörden (BKA, BND, Verfassungsschutz oder Bundesanwaltschaft) nebulöse Terrorwarnungen verbreitet werden. Derartige Kassandraklänge sind auch häufig von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zu vernehmen. So etwa in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, als er über die Möglichkeit eines terroristischen Anschlags mit Nuklearwaffen fabulierte: „Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, dass es nur noch darum geht, wann solch ein Anschlag kommt, nicht mehr, ob.“[4]

Dem kritischen Beobachter stellt sich die Frage, welchen Sinn derartige Unkenrufe haben. Soll die Bevölkerung tatsächlich schlicht und einfach gewarnt werden?

Aber wäre dies der Fall, wie sollte der einfache Bürger mit derartigen Warnungen umgehen? Soll er Essensvorräte anlegen, sich mit Gasmasken versorgen und/oder einen Bunker bauen? Soll er allen Ernstes nach verdächtigen Muslimen Ausschau halten?

Soll er gar Menschen denunziieren, die sich nicht so verhalten und die nicht so aussehen, wie es seiner Vorstellung von „Normalität“ entspricht?

Bestenfalls lassen sich solche Verlautbarungen als eine Art Absicherung von Seiten der Behörden bzw. des Innenministers deuten, für den Fall, dass es tatsächlich zu einem Anschlag kommen sollte. Nach dem Motto, man habe ja schon immer davor gewarnt.

[...]


[1] Vgl. Passauer Neue Presse

„Nur die Spitze des Eisbergs“ vom 20.08.2008. SPD-Innenexperte Wiefelspütz im PNP-Interview zu Datenmissbrauch

[2] Ström, Pär

Privatsphäre ist wie Sauerstoff. Der Kampf gegen den Terror darf die Bürgerrechte nicht gefährden, abgedruckt in der Zeitschrift „Das Parlament“, Ausgabe 34/2006, abgerufen im Internet am 19.06.2008 unter: http://www.bundestag.de/dasparlament/2006/34-35/Titelseite/002.html

[3] Statistisches Bundesamt

Erstmals weniger als 5000 Verkehrstote im Jahr 2007, Pressemitteilung Nr. 071 vom 25.02.2008: abgerufen im Internet am 17.06.2008 unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2008/02/PD08__071__46241.psml

[4] FAZ-Net

Innere Sicherheit. Schäuble warnt vor Atom-Anschlag – Internetportal der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16.09.2007,, abgerufen im Internet am 14.08.08 unter:http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~EFDF112A654BD40C29D8E8956A788810F~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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Details

Titel
Der schöne neue Präventionsstaat
Untertitel
Sicherheitsgesetzgebung, staatliche Überwachung und die daraus resultierenden Gefahren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland
Autor
Jahr
2009
Seiten
25
Katalognummer
V133970
ISBN (eBook)
9783640416264
ISBN (Buch)
9783640412563
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Überwachung, Innere Sicherheit, Terrorgefahr, Datenvorratsspeicherung
Arbeit zitieren
Magister Artium Roland Sonntag (Autor:in), 2009, Der schöne neue Präventionsstaat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133970

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