Passiv und Medium in einigen indogermanischen Sprachen

Am Beispiel des Altgriechischen, Altindischen, Deutschen und Lateinischen


Term Paper (Advanced seminar), 2009

16 Pages, Grade: 2


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Diathesen

3. Das Passiv und das Medium in älteren Indogermanischen Sprachen
3.1. Passiv und Medium im Altgriechischen
3.2. Passiv und Medium im Altindischen
3.3. Passiv und Medium im Lateinischen
3.4. Abschließende Feststellungen

4. Conclusio

5. Literaturangaben

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit werden die beiden Diathesen Passiv und Medium der klassischen Indogermanischen Sprachen Altgriechisch, Altindisch und Latein einander gegenübergestellt. Dies erfolgt einerseits durch eine vorangehende kontrastive Syntaxanalyse der beiden Genera Verbi sowie andererseits durch einen anschließenden Vergleich der Formen und Funktionen dieser beiden Diathesen in älteren und ältesten Sprachen der Indogermania.

Zu Beginn wird kurz skizziert welche Diathesen unter besonderer Berücksichtigung des Neuhochdeutschen verbreitet sind. Daran schließt sich eine Gegenüberstellung der Genera Verbi der klassischen Indogermanischen Sprachen an, damit am Ende der Arbeit einige Gedanken gesammelt werden können, die sich auf das zugrundeliegende Muster der Diathesenbildung beziehen.

2. Diathesen

Für Diathesen gelten nach STEMPEL (1996) die folgenden sechs Leitsätze.

1. Mit „Diathese“ wird das Verhältnis zwischen dem Verbalinhalt und dem Subjekt des Satzes ausgedrückt. Es kann daher logisch nur zwei Diathesen geben: Entweder bezieht sich die Aussage des Verbums auf das Subjekt selbst oder nicht.
2. Alle Verbalinhalte, die sich von vornherein nur auf das Subjekt beziehen (intransitive Handlungen, Vorgänge, Zustände), sind – vom inhaltlichen Standpunkt aus betrachtet – automatisch der subjektorientierten Diathese zuzurechnen.
3. Bei einer Handlung, die inhaltlich und/oder formal transitiv ist, ist es von Bedeutung, ob sie sich auf das Objekt oder auf das Subjekt bezieht. Da eine transitive Handlung ein Objekt per definitionem voraussetzt, ist die Objektbezogenheit unmarkiert, die Subjektbezogenheit aber markiert.
4. Der Unterschied zwischen Handlung einerseits und Vorgang und Zustand andererseits fällt nicht unter die Rubrik Diathese, weil nur bei Handlungen ein „Einstellungs“unterschied zwischen Objekt- und Subjektorientierung bestehen kann.
5. Aus 2., 3. und 4. Folgt, dass nur bei der transitiven Handlung eine Opposition zwischen objekt- und subjektbezogener Diathese besteht, die auch grammatisch relevant ist.
6. Der inhaltlich begründete Ansatz nur zweier Diathesen, die zueinander in bestimmten Fällen in grammatischer Opposition stehen, findet auf der formalen Seite seine Bestätigung darin, dass wir in Einzelsprachen in aller Regel unmarkierte aktive Verbalformen einerseits und markierte nichtaktive andererseits antreffen.

Wenngleich nicht jede der oben getroffenen Aussagen in der vorliegenden Arbeit unterschrieben werden soll, so ist die obige Aufstellung doch ein grober Leitfaden, auf den im letzten Teil zurückgegriffen wird. In der folgenden Untersuchung wird unter Diathese vor allem ein Mittel zur Änderung der Verbvalenz verstanden. Da die aus eurozentrischer Perspektive typischen Diathesen die des Aktivs und des Passivs sind, wird teilweise – aus welchen linguistischen Gründen auch immer – der Begriff Diathese mit dem Begriff Genus Verbi gleichgesetzt (so z.B. in GLÜCK 2005 s. Diathese). Unter Diathesen sind aber Konstruktionen und morphologische Mittel zusammengefasst, die sich durch Form und Funktion von „Tatform“ (Aktiv) und „Leideform“ (Passiv) unterscheiden. Der folgende Abschnitt widmet sich den wichtigsten Diathesen. Sie werden aufgezählt und ihre Formen und Funktionen kurz beschrieben, um einen fachlichen Umriss und Hintergrund für die im nächsten Punkt angestellten Überlegungen zu bilden.

Zwei erste Diathesen wurden bereits angesprochen. Es handelt sich dabei zum einen um das Aktiv und zum anderen um das Passiv. Die folgenden Beispiele und ihre Erläuterung folgen der Syntax des Deutschen, wobei gelegentlich der Blick über den Tellerrand gewagt werden soll.

(1) Peter gibt Claudia ein Buch.
(2) Claudia wird (von / ? durch Peter) ein Buch gegeben.

In (1) ist ein Beispiel für einen Aktivsatz gegeben. Die semantischen Rollen, die an der Verbalhandlung partizipieren sind vollends realisiert. Das dreistellige Verb geben fordert ein nominativisches Agens in Form von Peter, ein akkusativisches Patiens (oder bei unbelebten Partizipanten besser mit dem englischen Begriff „undergoer“ zu bezeichnen) in Form von ein Buch und ein dativisches Benefaktiv (je nach Terminologie auch mit „Rezipient“ bezeichnet), das in (1) mit Claudia realisiert ist.

Der Passivsatz aus (2) unterscheidet sich in mehrerer Hinsicht von dem Aktivsatz aus (1). Erstens wird das Agens zurückgestuft, das aber durch eine fakultative Angabe in Form einer Präpositionalphrase mit von oder unter Umständen auch ? durch wieder zum Vorschein kommen kann, zweitens übernimmt das Akkusativobjekt Claudia des Aktivsatzes (1) im Passivsatz (2) die Rolle des Subjekts und kongruiert daher mit dem finiten Hilfsverb in Numerus und Persona, wobei das Dativobjekt hingegen von der Diathesebildung unberührt bleibt1, und drittens weist der Verbalkomplex eine passivische Morphologie auf.

Im Deutschen weist das Passiv in der Regel die Form werden + PARTIZIP PRÄTERITUM auf. Das Deutsche unterscheidet jedoch ein Vorgangs- und ein Zustandspassiv (oder je nach Terminologie auch „Resultativum“ beispielsweise in LEISS (1992)).

(3) Claudia ist ein Buch gegeben.

In (3) ist die Form sein + PARTIZIP PRÄTERITUM zu sehen. Diese Form überschneidet sich mit der Bildungsweise des Perfekts der imperfektiven Verben im Deutschen, wie das Beispiel (4) zeigt. In (5) ist hingegen ein Perfekt eines perfektiven Verbs zu sehen.

(4) Claudia ist geschwommen.

(5) Claudia hat gegessen.

Es lässt sich daraus folgern, dass das Deutsche aspektsensitiv ist, da der inhärente Aspekt des eingebetteten Verbs die Wahl des Hilfsverbs bedingt. Soll ein Perfekt aus einem perfektiven Verb gebildet werden, so wird das Hilfsverb haben benötigt. Soll jedoch ein Perfekt aus einem imperfektiven Verb gebildet werden, so ist ein Hilfsverb sein von Nöten.

Ob eine Konstruktion bestehend aus sein + PARTIZIP PRÄTERITUM als Perfekt oder als Resultativum interpretiert wird, ist also abhängig vom Aspekt des eingebetteten Vollverbs.

(6) Der Apfel ist gegessen. (= perfektiv, = Resultativum)

(7) Der Apfel ist (auf den Boden) gefallen. (= imperfektiv, = Perfekt)

Nur in ganz besonders markierten Kontexten kann eine Konstruktion sein + PARTIZIP PRÄTERITUM mit eingebettetem imperfektiven Vollverb als Resultativ interpretiert werden.

(8) Nun ist der Salto endlich gesprungen.

Eine Interpretation als Perfekt wird hier vermutlich deshalb abgelehnt, weil das Subjekt Salto das semantische Merkmal [-BELEBT] besitzt und das Vollverb springen als Fortbewegungsverb ein Agens fordert, das das semantische Merkmal [+BELEBT] besitzt. Da Salto unbelebt ist, kann es nicht Agens sein, weshalb die gesamte Konstruktion nicht als Perfekt-Aktiv, sondern als Präsens-Passiv bzw. Resultativum interpretiert wird.

In Sprachen wie beispielsweise dem Englischen stellt sich eine solche Frage nicht. Im Englischen sind das Vorgangspassiv und das Resultativum homonym. Die in (2) und (3) gegebenen Beispiele der deutschen Varianten des Passivs haben im Englischen nur eine einzige Form (9).

(9) Claudia is given a book (by Peter).

Sowohl im Deutschen als auch im Englischen ist das Passiv eine aus dem Aktiv abgeleitete Diathese, was daran ersichtlich ist, dass das Passiv stets eine markierte Form ist, die sich aus einem Aktiv konstruieren lässt.

Eine weitere Diathese ist das Medium, das seinen Namen aus der antiken Grammatikschreibung aufgrund seiner mutmaßlichen Mittelstellung zwischen Aktiv und Passiv erhalten hat und eng mit den Phänomenen des Mittelverbs und der Mittelkonstruktion ist. Sind diese Erscheinungen auch von Grund auf verschieden, so lassen sie sich gerade im Deutschen schwer voneinander trennen. Dies liegt vor allem an ihrer äußerlichen Form und ihrer Bildungsweise mit dem Reflexivpronomen sich. Um auf das Medium und alle medialen Spielformen hinreichend eingehen zu können, wäre es vorteilhaft zuerst auch auf die Diathesen Reflexiv und Reziprok einzugehen und einen kurzen Exkurs zu sich im Deutschen zu unternehmen.

Die Reflexivkonstruktion ist eine Diathese, die im späteren Verlauf der Arbeit noch eine große Rolle spielen wird. Sie bedient sich einer besonders erwähnenswerten Art und Weise der Verbvalenzstellenreduktion. Beim Reflexiv sind Agens und Patiens nämlich koreferent.

(10) Peter wäscht seine Wäsche.

(11) Peter wäscht sich.

Der äußeren Form nach fungiert zwar sich in (11) als Akkusativobjekt, doch lässt sich durch eine Paraphrase der beiden Sätze (10) und (11) leicht beweisen, dass eine Reduktion der Aktanten stattgefunden hat. Satz (10) ließe sich etwa paraphrasieren mit ‚Es geschieht ein Waschen, bei dem Peter und seine Wäsche beteiligt sind‘, während sich Satz (11) eher mit ‚Es geschieht ein Waschen, bei dem Peter beteiligt ist ‘ paraphrasieren ließe. Peter nimmt in Satz (11) die Rolle des Agens und zeitgleich auch des Patiens ein, wodurch somit diese beiden Rollen koreferent geworden sind und die Wertigkeit des Verbes gewissermaßen reduziert ist.

Eine recht ähnliche Konstruktion ist die Reziprokkonstruktion, die eine Wechselseitigkeit und Gegenseitigkeit zum Ausdruck bringt. Am lässt sich dies am Beispiel der folgenden Sätze erklären.

(12) Peter liebt sich.

(13) Peter und Claudia lieben sich.

(14) Sie lieben sich.

(15) Peter und Claudia lieben einander.

Die Reziprozität wird durch das Reziprokpronomen sich zum Ausdruck gebracht. Da sich im Deutschen sowohl für ein Reflexiv- als auch ein Reziprokpronomen steht und diese Formen folglich homonym sind, lassen sich oftmals Verwechslungen nicht ausschließen. Satz (12) kann ausschließlich als reflexivisch interpretiert werden, da das Subjekt nur aus einer einzigen Entität besteht und somit jederlei Form der Wechselseitigkeit ausgeschlossen werden muss. Sowohl bei (13) als auch bei (14) besteht das Subjekt aus mehr als nur einer Entität. Ob diese Entitäten explizit aufgeführt werden wie in Peter und Claudia oder inhärent impliziert werden, indem das Personalpronomen eine Pluralmarkierung wie bei sie besitzt, ist völlig irrelevant. (13) und (14) können jedoch sowohl als Reflexiv- als auch als Reziprokkonstruktionen interpretiert werden. Satz (13) ließe sich sowohl reflexivisch etwa mit ‚Peter liebt sich selbst und auch Claudia liebt sich selbst‘ paraphrasiert werden, als auch reziprok mit etwa ‚Peter liebt Claudia und Claudia liebt Peter‘. Das gleiche gilt auch für Satz (14). Aufgrund dieser zweierlei Interpretationsmöglichkeiten kann fakultativ auch ein Passiv und Medium in einigen Indogermanischen Sprachen 7

einander (15) hinzugefügt werden, um die Reziprozität zu unterstreichen und eine Verwechslung auszuschließen.23456789

Wie nun gezeigt wurde und auch in den folgenden Abschnitten im Bezug auf Mittelverben und Mittelkonstruktionen weiter ersichtlich werden wird, ist es von Vorteil einen kurzen Exkurs zu unternehmen, um die Funktionen von sich zu kategorisieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der „Vor-dem-Spiegel-Test“ wurde von ÁGEL (1997) eingeführt, aber leider nicht weiter ausgeführt. An Sätze, die ein reflexivisches sich enthalten, fügt er einmal die Präpositionalphrase vor dem Spiegel und einmal im Spiegel. Er stellt fest, dass sich einige dieser Sätze im Hinblick auf ihre Akzeptabilität anders verhalten als andere. Mit diesem Test zeigt er, dass es im Grunde genommen verschiedene Arten der direkten Reflexivität gibt.

[...]


1 Das gilt auch für ein Dativobjekt eines Satzes mit einem zweistelligen Verb wie Peter hilft mir. Das Dativobjekt mir bleibt bei der Bildung des Passivs unverändert, behält seine Dativmorphologie und kongruiert nicht in Numerus und Persona mit dem finiten Hilfsverb. Mir wird (von Peter) geholfen.

2 Beispielsweise in: Das lässt er sich nicht gefallen.

3 Beispielsweise in: Der Baum biegt sich im Wind.

4 Beispielsweise in: Peter wäscht sich .

5 Beispielsweise in: Peter und Claudia ähneln sich .

6 Beispielsweise in: Peter strengt sich im Sport besonders an. Oder in: Peter schämt sich .

7 Beispielsweise in: Peter sieht sich in Zukunft schon in einer Führungsposition.

8 Peter rasiert sich täglich vor dem Spiegel aber ? Peter rasiert sich täglich im Spiegel.

9 ? Peter beobachtet sich täglich vor dem Spiegel aber Peter beobachtet sich täglich im Spiegel.

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Details

Title
Passiv und Medium in einigen indogermanischen Sprachen
Subtitle
Am Beispiel des Altgriechischen, Altindischen, Deutschen und Lateinischen
College
LMU Munich  (Institut für Deutsche Philologie )
Course
Syntax des Deutschen im Sprachenvergleich – Diathesen
Grade
2
Author
Year
2009
Pages
16
Catalog Number
V134056
ISBN (eBook)
9783640416660
ISBN (Book)
9783640413393
File size
478 KB
Language
German
Keywords
Genus Verbi, Diathese, Mittelkonstruktion, Mitteldiathese, Aktiv, Passiv, Medium, Reflexiv, Reziprok, Deutsch, Latein, Altgriechisch, Altindisch, Sanskrit
Quote paper
Jesse Lehmann (Author), 2009, Passiv und Medium in einigen indogermanischen Sprachen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134056

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