Darstellungen der Bild-Zeitung im deutschen Spielfilm

Volker Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975) und Til Schweigers „Keinohrhasen“ (2007)


Bachelorarbeit, 2008

58 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Volker Schlöndorff: Die verlorene Ehre der Katharina Blum
2.1 Daten und Fakten zum Film
2.2 Inhalt
2.2.1 Inhaltliche Zusammenfassung
2.2.2 Bezug zur literarischen Vorlage
2.3 Die Zeitung
2.4 Die Zeitung als Abbild der Bild- Zeitung
2.5 Reaktionen auf den Film

3. Til Schweiger: Keinohrhasen
3.1 Daten und Fakten zum Film
3.2 Inhalt
3.3 Das Blatt
3.4 Das Blatt als Abbild der Bild- Zeitung
3.5 Reaktionen auf den Film

4. Schlussbetrachtungen: Das Blatt, die Zeitung und die Entwicklung der Kritik an der Bild -Zeitung

5. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„Jeder Missbrauch der Pressefreiheit ist besser als irgendeine Einschränkung dieser Freiheit.“

(Peter Boenisch in

Bild am Sonntag, 11.8.1974)[1]

Die Bild (umgangssprachlich auch: Bild- Zeitung)[2] ist mit einer Verkaufsauflage von 3.326.202 Stück[3] Deutschlands größte und meist zitierte Tageszeitung[4] und dabei gleichzeitig wohl auch die umstrittenste. Seit seinem ersten Erscheinen 1952 stand und steht das Boulevardblatt immer wieder aufgrund seiner oftmals persönlichkeitsverletzenden, vorverurteilenden oder schlichtweg falschen Berichterstattung in der Kritik. In ihrer über 50-jährigen Geschichte musste sich Bild dabei nicht nur zu Vorwürfen seitens des deutschen Presserates und zahlreicher Privatkläger erklären, darüber hinaus ist sie medienübergreifender Diskussionsgegenstand in Literatur, Film und Musik. Wie weit diesbezüglich ihr Einfluss beziehungsweise die Einflussnahme ihres Verlegers Axel Springer reicht, negativen Schlagzeilen entgegenzuwirken, verdeutlicht ein aktuelles Beispiel aus der Musikwelt. Nach Erscheinen des neuen Songs „Lasse redn“ der Pop-Gruppe „Die Ärzte“ wurde dieser von Antenne Bayern zunächst ausschließlich in einer gekürzten Version gespielt. Der Sender strich folgende Bild -kritische Textpassage:

Lass die Leute reden und lächle einfach mild

Die meisten Leute haben ihre Bildung aus der Bild

Und die besteht nun mal, wer wüsste das nicht

Aus Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht.[5]

Auf Anfragen von Bildblog gab der Sender an, die Kürzung des Liedes hänge mit dem zeitlichen Sendeablauf zusammen, der sich an den Nachrichten orientiere und habe nichts damit zu tun, dass die Axel Springer AG zu 16 Prozent an dem Sender beteiligt sei.[6] Wenn auch der direkte Einfluss der Axel Springer AG auf den Sendeablauf eines Radiosenders oder die generelle Einwirkung auf den Inhalt anderer Medien an dieser Stelle nicht nachgewiesen werden kann und soll, so verdeutlicht dieses Beispiel doch den medienübergreifenden Stellenwert der Bild- Zeitung.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Relevanz und der Darstellung der Bild- Zeitung im deutschen Spielfilm. Dazu sollen exemplarisch zwei Filme mit Fokus auf die jeweilige Darstellung einer großen Boulevardzeitung analysiert werden: Volker Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und Til Schweigers „Keinohrhasen“. Es soll aufgezeigt werden, welche Rolle die fiktiven Boulevardzeitungen in den beiden Filmen spielen, welche Parallelen in Sprache und Arbeitsweise sich zwischen ihnen beiden und welche Gemeinsamkeiten sich mit der Bild- Zeitung ergeben. Des Weiteren wird untersucht, wie die Charaktere der dargestellten Journalisten Wolfgang Tötges und Ludo Decker beschaffen sind und inwiefern man in den beiden Filmen von Kritik an der Bild- Zeitung sprechen kann. Zunächst werden nun die beiden Filme unter den oben genannten Aspekten betrachtet und verglichen, ehe es zu einer abschließenden Einordnung in die Geschichte der Bild -Kritik kommt. Bei den Betrachtungen werden unter anderem die Rezeptionen der beiden Filme sowie die Reaktionen seitens der Kritiker mit einbezogen. Darüber hinaus soll bei der Untersuchung von Volker Schlöndorffs Spielfilm der Zusammenhang zwischen literarischer Vorlage und filmischer Interpretation erläutert werden, da dieser für die Deutung der Filmversion unerlässlich ist.

2. Volker Schlöndorff: Die verlorene Ehre der Katharina Blum

2.1 Daten und Fakten zum Film

Der Film Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist eine Gemeinschaftsproduktion von Schlöndorffs eigener Produktionsfirma Bioskop, der Paramount-Orion Filmproduktion und des Westdeutschen Rundfunks. Erstmals aufgeführt wurde der rund 1,7 Millionen Mark teure Film am 9. Oktober 1975 in Berlin und verzeichnete bald großen Erfolg in den deutschen Kinos.[7] Bis 1977 sahen den Film rund 1,25 Millionen Kinogänger, was dazu führte, dass die Fernsehausstrahlung, die erstmals im Mai 1978 erfolgte, zweimal verschoben wurde. Darüber hinaus gewann die Verfilmung zahlreiche nationale und internationale Preise.[8] Das Drehbuch schrieben die Regisseure Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta unter Mitarbeit Heinrich Bölls, dessen gleichnamige Erzählung dem Film als Vorlage diente.[9] In den Hauptrollen spielen Angela Winkler als Katharina Blum, Mario Adorf als Kommissar Beizmenne, Dieter Laser als Reporter Wolfgang Tötges, Heinz Bennet und Hannelore Hoger als Ehepaar Blorna, Jürgen Prochnow als flüchtiger Ludwig Götten, Rolf Becker als Staatsanwalt Hach, Regine Lutz als Katharinas Patentante Else Woltersheim und Karl-Heinz Vosgerau als Industrieller Sträubleder. Die Filmmusik komponierte Hans Werner Henze.

2.2 Inhalt

2.2.1 Inhaltliche Zusammenfassung

Die 27-jährige, bis dahin unauffällige Haushälterin Katharina Blum lernt auf einer Karnevalsfeier bei ihrer Patentante Else Woltersheim den polizeilich gesuchten vermeintlichen Bankräuber Ludwig Götten kennen und verliebt sich in ihn. Die Beiden verbringen die Nacht in Katharinas Wohnung und Katharina verhilft Götten am nächsten Morgen zur Flucht, ehe die Polizei ihre Wohnung stürmt und sie mit auf die Wache nimmt. Es folgt ein langes Verhör, in dem sich Katharina gegen teils beleidigende Anschuldigungen zur Mittäterschaft rechtfertigen muss. In den darauf folgenden Tagen wird ihr Fall ausführlich in der Zeitung, einem großen Boulevardblatt, diskutiert. Katharinas Privatleben wird in die Öffentlichkeit getragen und sie muss Verleumdungen seitens der Zeitung und Anfeindungen seitens der Bevölkerung über sich ergehen lassen. Darüber hinaus schreckt Reporter Wolfgang Tötges, der für die Zeitung über den Fall Katharina Blum berichtet, nicht vor skrupellosen Arbeitsmethoden zurück. Schließlich wird Götten gefasst und entpuppt sich als Bundeswehrdeserteur, der den Wehrsold zweier Regimenter gestohlen hat. Katharina Blum lädt Tötges zu einem Exklusivinterview in ihre Wohnung ein, wo sie ihn, nachdem er ihr eine obszöne Frage stellt, erschießt. Anschließend stellt sie sich selbst der Polizei. Den Schluss des Films bildet die Rede eines Verlegers, der am Grabe Tötges ein Plädoyer für die Pressefreiheit hält.

2.2.2 Bezug zur literarischen Vorlage

„Ich wollte Literatur immer wieder auf den Marktplatz bringen […]. Deshalb, immer, wenn ich mich bemühe ein Buch zu verfilmen, versuche ich nicht, der sogenannten literarischen Qualität gerecht zu werden, sondern das, was in dem Buch an Lebensqualität und Aussage über Leben steht, herauszuarbeiten.“[10]

(Volker Schlöndorff)

Schlöndorff und von Trotta verfilmen mit Die verlorene Ehre der Katharina Blum den gleichnamigen Roman Heinrich Bölls, der 1974 durch sein brisantes Thema für eine lang anhaltende und kontroverse Diskussion sorgte. Sowohl die positiven als auch die negativen Kritiken des Films überschneiden sich teilweise mit denen, die die Böllsche Vorlage nach sich gezogen hat, denn auf inhaltlicher Ebene ähneln sich beide Werke aus gegebenem Anlass sehr. Dennoch muss der Film Schlöndorffs als eigenständiges Werk betrachtet werden, denn „eine Literaturverfilmung ist immer in erster Linie ein Film und etwas anderes als das als Vorlage benutzte literarische Werk.“[11] Das heißt, Schlöndorffs Verfilmung darf nur als eine von vielen möglichen Interpretationen des Romanstoffs angesehen werden. Helmut Kreuzer spricht in diesem Zusammenhang von „interpretierende[r] Transformation“[12], womit die absolute Werktreue zwar aufgehoben ist, nicht jedoch der Bezug zum Original, was impliziert, dass die interpretierende Transformation das ursprüngliche Werk nicht ersetzen kann. Gleichzeitig ist die Verfilmung „doppelter Kritik ausgesetzt – der Kritik am »Film« als solchem und der Kritik ihres Verhältnisses zum Verfilmten und zu früheren Verfilmungen.“[13] Zwar ist Schlöndorffs Verfilmung die einzige deutsche Literaturadaption des Böllschen Romans und in dieser Arbeit soll nicht kritisiert werden, wie gut oder schlecht die Umsetzung des literarischen Stoffs gelingt. Jedoch sollen die Unterscheide und Gemeinsamkeiten des Originals und der Verfilmung festgehalten werden, um einerseits die Eigenständigkeit des Schlöndorffschen Werkes zu unterstreichen und andererseits herauszustellen, inwieweit die Kernaussagen und Kritikpunkte in Buch und Film deckungsgleich sind.

Der wohl auffälligste Unterschied zwischen Roman und Verfilmung liegt in der zeitlichen Neustrukturierung des Erzählstoffs. Dieser, bei Böll in 58 Kapitel mit zahlreichen Orts- und Zeitsprüngen gegliedert, ist bei Schlöndorff in einen chronologischen Ablauf gebracht. Die Erschießung Tötges, die bei Böll der Erzählung vorangeht, erfolgt im Film erst am Schluss, somit erhält die Verfilmung einen ihr ganz eigenen Spannungsbogen, den der Roman entbehrt. Gast, Hickethier und Vollmers unterteilen die Filmhandlung nach den fünf Tagen, die die Geschichte umfasst, in fünf Abschnitte mit dramenähnlicher Funktion: Der erste Tag hat die Funktion einer Exposition, die Figuren werden vorgestellt und der Konflikt vorbereitet. Am zweiten Tag kommt es zum Konfliktausbruch, Katharinas Wohnung wird gestürmt, sie selbst wird von der Polizei verhört, eine Zusammenarbeit von Polizei und Zeitung ist erkennbar, die Blornas werden im Urlaub von einem Reporter belästigt und erste unsaubere Arbeitsmethoden Tötges werden deutlich. Der dritte Tag hat die Funktion einer Konfliktsteigerung. Tötges besucht Katharinas Mutter im Krankenhaus und gefährdet damit ihr Leben, in der Zeitung erscheint ein erster verleumderischer Artikel über Katharina, diese erhält drüber hinaus anonyme obszöne Anrufe und Briefe. Am Ende des dritten Tages wird mit dem abgehörten Telefongespräch zwischen Katharina und Götten die Wende in der Handlung eingeläutet. Der vierte Tag bringt eine weitere Steigerung des Konflikts. Katharinas Mutter stirbt, Götten wird verhaftet, die Artikel der Zeitung werden noch reißerischer und Katharina sagt Tötges ein Exklusivinterview zu. Der fünfte und letzte Tag schließlich stellt den dramatischen Höhepunkt der Geschichte dar. Katharina erschießt Tötges in ihrer Wohnung. Anschließend begegnet sie ihrem geliebten Ludwig im Keller des Polizeipräsidiums. Zusätzlich und gewissermaßen abseits des Geschehens um Katharina Blum hat Schlöndorff der Geschichte eine weitere Szene angehängt, die Grabrede des Verlegers, eine Art „satirisches Nachspiel“[14], von Böll selbst verfasst.[15] Darüber hinaus enthält der Film einige zusätzliche Szenen. So erlebt der Zuschauer, wie Katharina selbst ihre tote Mutter wäscht. Er beobachtet sie in ihrer Verzweiflung bei einer nächtlichen Autofahrt und sieht, wie sie aus Wut einen Zeitungskasten umstößt. All diese Szenen dienen der stärkeren Fokussierung auf Katharina und der Identifikation des Zuschauers mit ihr.[16] Andere Personen treten gegenüber der Buchvorlage in den Hintergrund, wie beispielsweise Dr. Blorna, oder werden hervorgehoben, wie etwa der Unternehmer und Universitätsprofessor Sträubleder, der einen zusätzlichen Auftritt bei einem Aufenthalt in einem Kloster erhält, ebenfalls unter Einwirkung Bölls, um die Parteinahme der Kirche für die Unternehmer zu akzentuieren.[17]

Die Identifikation mit Katharina wird außerdem durch einfache filmische Mittel, wie Großaufnahmen ihres Gesichts oder Blick auf das Geschehen aus ihrer Perspektive forciert.[18] Dadurch wirkt der Film emotionaler als seine Vorlage. Wo im Roman ein sachlicher Berichterstatter erzählt, erlebt der Zuschauer Trauer, Wut und Verzweiflung, was gleichsam zu einer stärkeren Ablehnung des Gegenspielers, der Zeitung führt, die durch den sehr unsympathisch dargestellten Reporter Tötges personifiziert ist. Gesteigert wird dieser Eindruck durch die „Tendenz des Films […], Situationen konkret zu zeigen.“[19] So wird die Vermutung, Tötges habe Katharinas Mutter besucht, zum Faktum, außerdem ist im Film eindeutig, dass Katharina und Götten sich vor der Karnevalsfeier nicht kannten. Kommissar Beizmenne, der durch weitere Aktionen, wie etwa, als er Katharina in ihrer Wohnung das Brot aus der Hand schlägt, wesentlich gewalttätiger erscheint, stellt Katharina unverkennbar die im Roman umstrittene Frage: ‚Hat er Dich denn gefickt?’[20] Durch diese Änderungen werden die einzelnen Figuren, sowohl Protagonisten als auch Antagonisten in ihren Charakteren verstärkt und die Handlung an sich wird verschärft, was jedoch durchaus im Sinne der Regisseure war.[21] Deshalb sahen sich Schöndorff und von Trotta allerdings auch dem Vorwurf der Schwarz-Weiß-Malerei ausgesetzt. Fraglich ist, ob es überhaupt Möglichkeiten gibt, bestimmte Handlungen wie etwa die oben erwähnte Frage Beizmennes anders umzusetzen ohne sie gänzlich auszuklammern. Vielmehr ist eine Literaturverfilmung gezwungen, an bestimmten Stellen Standpunkt zu bekennen und sich für die eine oder andere Möglichkeit zu entscheiden. Dass sie dadurch dem Zuschauer gegenüber dem Leser einen Teil der Interpretationsarbeit abnimmt, liegt in der Natur der Sache. Ähnlich verhält es sich mit dem fehlenden Berichterstatter. Anna K. Kuhn kritisiert, dass dieser der eigentliche Schlüssel zum Verständnis der Erzählung sei und bei Schlöndorff keine Beachtung finde, weshalb der Film das eigentliche Anliegen der Erzählung verfehle.[22] Aus den oben genannten Gründen ist dieser Vorwurf bedenklich. Eher könnte man doch die filmische Interpretierweise selbst als Ersatz des fehlenden Erzählers betrachten, die den Zuschauer schließlich nicht daran hindert, zu eigenen Erkenntnissen zu kommen, die sich mit ihr nicht decken. Da Heinrich Böll selbst an entscheidenden Stellen im Drehbuch mitgewirkt hat, können wir darüber hinaus davon ausgehen, dass die Aussagen des Films seinen eigenen, im Roman realisierten nicht unähnlich sind.

Abgesehen von der Geschichte selbst, die an einigen Stellen gekürzt wurde – z.B. wird nicht dargestellt, dass Katharina sich selbst der Polizei stellt – sind auch die anderen drei Elemente der Böllschen Erzählung, Titel, Untertitel und Motto, bei Schlöndorff realisiert, was den Film noch näher an den Roman heranrückt, denn „Titel, Untertitel, Motto, diese drei scheinbaren Kleinigkeiten, sind wichtige Bestandteile der Erzählung. Sie gehören dazu. Ohne sie ist die pamphletische […] Tendenz nicht verständlich.“[23] Roman- und Filmtitel sind identisch. Der Untertitel taucht bei Schlöndorff nicht expressis verbis auf, wird jedoch durch die Filmhandlung verwirklicht und das Motto, das dem Böllschen Roman vorangeht, wird im Film am Ende der Beerdigungsszene in leicht abgeänderter Form eingeblendet: „Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit gewissen journalistischen Praktiken sind weder beabsichtigt, noch zufällig, sondern unvermeidlich.“[24] Damit greift Schlöndorff, anders als Böll, nicht ausdrücklich die Bild- Zeitung an, sondern hält seine Kritik etwas allgemeiner. So kann man diese allgemein auf Boulevardmedien mit ähnlichen Arbeitsweisen beziehen.

Es ist also festzuhalten, dass die Verfilmung Schlöndorffs zwar als eigenständiges Werk anzusehen ist und durch die dem Medium Film eigenen Möglichkeiten und Zwänge gewisse eigene Tendenzen der Interpretation entwickelt. Letztlich orientiert sich der Film inhaltlich jedoch sehr an seiner literarischen Vorlage, was auch an dem Einfluss und der Mitarbeit Bölls liegen mag,[25] wenn er auch den Fokus auf das Geschehen um Katharina legt und einige Aspekte verschärft. Wie die Zeitung im Film dargestellt wird und welche Rolle der Journalist Wolfgang Tötges spielt, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.

2.3 Die Zeitung

„Diese Leute sind Mörder und Rufmörder. Alle. Es ist ja geradezu ihr Beruf unschuldige Menschen um ihre Ehre zu bringen, manchmal um ihr Leben. Sonst kauft ihnen ja niemand ihre Artikel ab.“[26] (Katharina Blum)

Volker Schlöndorff illustriert mit seinem Film den von Böll beschriebenen Gewaltenzusammenhang von Presse, Justiz, Gesellschaft und Wirtschaft.

Letztendlich missachten alle vier gesellschaftlichen Mächte Katharinas Menschenwürde und ihr Recht auf Schutz der Person, vordergründig durch die Tätigkeiten der Presse [d. h. der Zeitung ] und Justiz [repräsentiert durch Polizei und Staatsanwaltschaft], geduldet und unterstützt durch die wirtschaftlichen Mächte [vertreten durch Sträubleder und den nur namentlich erwähnten Lüding] und die öffentliche Meinung [die sich in den anonymen Briefen und Anrufen ausdrückt].[27]

Dabei spielt die Zeitung „in der von Heinrich Böll dargestellten Medienlandschaft die alles beherrschende Rolle.“[28] So ist es auch im Film. Nur einmal werden darin andere Medien ausdrücklich erwähnt, nämlich als die Polizeibeamtin Pletzer Katharina Blum andere Zeitungsartikel aus dem Polizeiarchiv besorgt, um sie davon zu überzeugen, dass nicht alle Printmedien in der gleichen Weise über ihren Fall berichten. Doch wie im Buch gibt Katharina ihr zu verstehen: „Alle Leute, die ich kenne lesen die Zeitung.“[29] Auf welche Weise die anderen Medien über den Fall des erschossenen Tötges berichten, bleibt im Film offen, es wird lediglich ein großes Aufkommen an Fotografen auf Tötges Beerdigung dargestellt, anders als in der Romanvorlage, wo betont wird, dass alle Medien den Fall Tötges wie einen „Ritualmord“[30] behandeln. Somit wird in der Filmversion die Monopolstellung der Zeitung noch mehr hervorgehoben. Das Boulevardblatt ist allgegenwärtig. Selbst im Urlaub in der Schweiz werden die Blornas auf der Skipiste von einem Reporter der Zeitung aufgesucht und belästigt und das Erste was sie sehen, als sie in Köln aus dem Zug steigen, ist ein Verkaufsstand der Zeitung. Dr. Blorna: „Dieser Dreck. Dieser verfluchte Dreck, der einen über die ganze Welt verfolgt.“[31] Die Zeitung ist die entscheidende Instanz, die Katharina zur Verzweiflung bringt. Durch ihre verleumderischen Artikel trägt sie darüber hinaus mit die Verantwortung für die anonymen Drohbriefe und sexuellen Belästigungen, die Katharina nach Erscheinen des ersten reißerischen Artikels am Freitag über sich ergehen lassen muss.

Es wird sehr schnell erkennbar, dass Polizei und Zeitung zusammen arbeiten. Direkt nach dem ersten Verhör Katharinas trifft sich Kommissar Beizmenne während der Verhandlungspause mit Tötges im Polizeirevier, nachdem er eine Schar anderer Journalisten mit der Begründung abgewimmelt hat, er dürfe über die Vernehmung nichts sagen. Tötges gibt er nun unter vier Augen in einem Raum der Polizeidienststelle umso bereitwilliger Auskunft. Beizmenne: „Fest steht, dass es sich um eine konspirative Wohnung handelt und dass die Blum nicht nur dem Götten, sondern möglicherweise auch anderen Unterschlupf gewährt hat.“[32] Damit wird im Film ausgesprochen, was in der Romanvorlage nur Vermutung ist – die Polizei liefert der Zeitung direkt Informationen aus den Vernehmungen, dazu noch falsche, denn dass es sich bei Katharinas Wohnung um einen konspirativen Treffpunkt handelt, ist allein Beizmennes Verdacht und keineswegs bewiesen. Dadurch verschärft Schlöndorff die Erzählung Bölls in einem entscheidenden Punkt, denn nicht nur die Zeitung ist hier Verleumder und Sinnverdreher, sondern auch die Justiz. Darüber hinaus überlässt der Kommissar Tötges ein Foto von Katharina und erhält dafür, „interessantes Hintergrundmaterial“[33], nämlich dass Katharina seit 2 Jahren Herrenbesuch erhielt und dass Dr. Blornas Frau Trude auf der Technischen Hochschule den Beinamen „rote Trude“ hatte. Beim zweiten Treffen von Beizmenne und Tötges, nach dessen Eindringen bei Katharinas Mutter im Krankenhaus, bestätigt Beizmenne dem Reporter, dass Götten „noch bis zur Sonntagsausgabe“[34] gefasst sein werde und bekommt im Gegenzug Dokumente über Else Woltersheim und deren angeblich kommunistischen Vater. Woher diese stammen, interessieren den Kommissar scheinbar nicht und über Tötges „Artikulationshilfe“, die im Prinzip aussagt, dass die Aussage von Katharinas kranker Mutter manipuliert ist, runzelt er lediglich leicht tadelnd die Stirn. Die Justiz bedient sich somit Informationen, die sie selbst mit den ihr zustehenden legalen Mitteln wahrscheinlich nie erlangt hätte. Im Gegenzug hat Tötges ob seiner kriminellen Vorgehensweise keine Strafverfolgung zu erwarten.[35] Nicht einmal, dass er im Anschluss an das Gespräch seiner Redaktion telefonisch diktiert, Kommissar Beizmenne habe konkrete Unterlagen, die die Emigration des Vaters von Frau Woltersheim in die Sowjetunion belegen, befremdet den Polizeibeamten. Tötges schützt sich rechtlich durch diese zweideutige Aussage. Zwar werden die Leser der Zeitung zweifelsfrei glauben, die Dokumente stammten aus polizeilichen Ermittlungen und nicht von der Zeitung selbst, letztlich bleibt genau dies aber bewusst offen. Dass die Justiz das Vorgehen der Zeitung toleriert, drückt sich darüber hinaus in Staatsanwalt Kortens Plädoyer für die Pressefreiheit aus,[36] das sowohl im Buch als auch im Film realisiert ist.

Ebenfalls die Verquickung von Zeitung und Wirtschaft ist wie im Buch ersichtlich. Sträubleders Geschäftspartner Lüding tritt nicht in Persona auf, über ihn wird im Film bloß gesprochen. Somit entfällt auch sein Anruf bei der Chefredaktion, der erwirkt, dass Sträubleder in der Sonntagszeitung nicht, Dr. Blorna dafür umso mehr erwähnt wird[37] – von der Sonntagszeitung kann der Zuschauer lediglich die Schlagzeile lesen, die nichts über die beiden Herren aussagt. Die Einflussnahme der Wirtschaft auf die Zeitung wird dafür durch Sträubleder deutlich, der gegenüber seinem Anwalt zu verstehen gibt: „Das hat Lüding in der Hand. In der Zeitung werd ich nicht erwähnt werden.“[38] Sträubleder fürchtet sich jedoch davor, dass Tötges seine Geschichte anderen Zeitungen verkaufen könnte, die nicht in seinem Einflussgebiet liegen. In seinem Monolog, kurz bevor er erschossen wird, gibt Tötges klar zu verstehen, dass er die Angelegenheit mit Sträubleder für „die Illustrierte“ ausschlachten will, was die These, die Presse stehe in einem äußerst fragwürdigen Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Anzeigenpartnern aus der Wirtschaft, die sich aus dem Roman ableiten lässt, zumindest insoweit entschärft, dass hier die Möglichkeit eingeräumt wird anzunehmen, es könne auch andere Medien geben, die wirtschaftlich unabhängig arbeiten.

Die Parteinahme der Kirche für die Zeitung tritt im Film nicht ganz so deutlich hervor wie in der Buchvorlage, denn die scharfe Verurteilung Katharinas durch den Dorfpfarrer fehlt gänzlich. Dennoch finden sich einige deutliche Anspielungen auf die Positionierung der Kirche im Fall Katharina, so etwa das Eingreifen des Vater Urbanus, der das Treffen zwischen Sträubleder und Katharina arrangiert und der später auf der Beerdigung – wenn auch nur sehr kurz – in der ersten Reihe der Trauergäste zu erkennen ist. Damit ist zumindest gesagt, dass die Kirche auf Seiten der Wirtschaft steht und Katharina ebenso wenig vor der Zeitung in Schutz nimmt wie die Wirtschaftsvertreter, die dessen vielleicht mächtig wären.

Das perfide Zusammenspiel von Justiz, Zeitung, Wirtschaft und Kirche wird bei der Beerdigung Tötges noch einmal abschließend auf satirische Weise in Szene gesetzt. Das Ehepaar Sträubleder steht in der ersten Reihe der Trauernden neben Tötges Mutter, Vater Urbanus, dem Staatsanwalt Hach und dem Verleger der Zeitung.

Die Zeitung wird in Buch und Verfilmung repräsentiert durch den Reporter Wolfgang Tötges. Er ist der einzige Journalist, der eine tragende Rolle spielt. Sein Fotograf Schönner, der ihn ein paar Mal begleitet und letztlich ebenfalls erschossen aufgefunden wird, ist nur eine gesichtslose Randfigur. Tötges steht stellvertretend für die Sensationspresse, die Katharina Blum demütigt und entehrt und stellvertretend rächt sich Katharina an ihm, auch wenn die Schüsse wohl dem gesamten Apparat gelten mögen. „Tötges […] ist der verlängerte Arm dieses kafkaesken Machtinstrumentariums, das Katharina Blum zur unschuldig Schuldigen degradiert.“[39] Dabei wird Tötges vom Täter zum Opfer und Katharina, ursprüngliches Opfer der Schmutzkampagne, übernimmt letzten Endes die Täterrolle.[40] Ihre kontrastierenden Charaktere drückt Böll schon in ihrer Namensgebung aus, die Schlöndorff übernimmt, und die ausführlich von Anette Gruhn-Hülsmann und Friedhelm Kicherer untersucht wurde. So leitet sich der Name „Katharina“ vom griechischen „katharos“ ab, was so viel heißt wie „rein“ oder „sauber“. Ihr Nachname „Blum“ ist auf das mittelhochdeutsche „bluome“ zurückzuführen, was „das schönste, beste seiner Art“ oder auch „Jungfrauschaft“ bedeutet.[41] Der Name „Tötges“ ermöglicht Assoziationen mit dem Begriff „Tod“. So lässt er sich einerseits als „der Todgeweihte“ deuten, andererseits als der „Todesherbeiführer“, im wörtlichen Sinne in Bezug auf die akute Lebensgefährdung, die sein Besuch bei der kranken Frau Blum bedeutet, im übertragenen Sinne in Bezug auf den „Sozialtod“, den Katharina durch seine Artikel erleidet.[42] Auch in ihrem Auftreten unterscheiden sich die beiden Figuren grundlegend. Katharina wirkt stets schüchtern, verletzlich und ein bisschen unscheinbar, Tötges dagegen

[...]


[1] Peter Boenisch, Bild am Sonntag, 11.8.1974, zit. n. Heinrich Böll, Bild · Bonn · Boenisch, Köln 1984, S. 8.

[2] Die Änderung des Zeitungstitels von Bild Zeitung zu Bild erfolgte am 13.9.1971 aus Marketinggründen. Man wollte künftig den Erscheinungsort der jeweiligen Regionalausgaben in das Logo integrieren. Vgl.: Tobias Lobe, BILD ist Marke. Margenorganismus BILD. Eine Analyse, Hamburg 2002, S. 37.

[3] IVW, „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“, <http://daten.ivw.eu/index.php?menuid=1&u=&p=&detail=true> [abgefragt: 23.06.2008].

[4] Axelspringer.de, „Daten und Fakten zu Europas größter Tageszeitung“, <http://www.axelspringer.de/inhalte/pressese/inhalte/fotolounge/texte_bild/daten_fakten.htm> [abgefragt: 23.06.2008].

[5] Plyrics, „Die Ärzte Lyrics ,Lasse Redn’“, <http://www.plyrics.com/lyrics/dierzte/lasseredn.html> [abgefragt: 23.06.2008].

[6] Bildblog, „BILDblog. Die Ärzte im Axel-Springer-Remix II“, <http://www.bildblog.de/page/2> [abgerufen: 23.06.2008].

[7] Thilo Wydra, Volker Schlöndorff und seine Filme, München 1998, S. 99f.

[8] Wolfgang Gast, Knut Hickethier, Burkhard Vollmers, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, in: Wolfgang Gast (Hg.), Literaturverfilmung, Bamberg 1993, S. 126-141, hier S.126f.

[9] Rainer Lewandowski, Die Filme von Volker Schlöndorff, Hildesheim 1981, S. 204.

[10] Schlöndorff im Interview mit Lewandowski, in: Lewandowski, S. 24.

[11] Wolfgang Gast, Knut Hickethier, Burkhard Vollmers, „Literaturverfilmung als ein Kulturphänomen“, in: Wolfgang Gast (Hg.), Literaturverfilmung, Bamberg 1993, S. 12-20, hier S. 14.

[12] Helmut Kreuzer, „Arten der Literaturadaption“, in: Wolfgang Gast (Hg.), Literaturverfilmung, Bamberg 1993, S. 27-31, hier S. 28.

[13] Ebd., S. 29.

[14] Gast/Hickethier/Vollmers (wie Anm. 8), S. 129.

[15] Volker Schlöndorff, in: „Erinnerungen“, in: Arthaus DVD 2008, Die verlorene Ehre der Katharina Blum (Extras).

[16] Gast/Hickethier/Vollmers (wie Anm. 8), S. 130.

[17] Schlöndorff (wie Anm. 15).

[18] Gast/Hickethier/Vollmers (wie Anm. 8), S. 130.

[19] Ebd., S. 132.

[20] Anna K. Kuhn, „Schlöndorffs »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«. Melodrama und Tendenz“, in: Wolfgang Gast (Hg.), Literaturverfilmung, Bamberg 1993, S. 134-141, hier S.136f.

[21] Vgl. Schlöndorff (wie Anm. 15).

[22] Kuhn, S.134.

[23] Heinrich Böll, „Zehn Jahre später. Nachwort zur Neuausgabe: »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« (1984)“, in: Jochen Schubert (Hg.), Heinrich Böll. Werke 22 1981-1984, Köln 2007, S. 429-434, hier S. 433.

[24] Die verlorene Ehre der Katharina Blum, (D 1975, Volker Schlöndorff/Margarethe von Trotta).

[25] Dieser wendete sich schon vor der Publikation seiner Erzählung mit den Druckfahnen an Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta, mit der Überzeugung, dass die Beiden sich aufgrund ihrer politischen Gesinnung sehr für den Stoff interessieren würden, vgl: von Trotta in „Erinnerungen“, in: Arthaus DVD 2008, Die verlorene Ehre der Katharina Blum (Extras).

[26] Die verlorene Ehre der Katharina Blum.

[27] Annette Gruhn-Hülsmann, Erläuterungen zu Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum, 3. Aufl., Hollfeld 2005, S. 75.

[28] Sonja Krebs, Rechtsstaat und Pressefreiheit in Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Ein Beitrag zur Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit im Spiegel der Literatur, Mainz 1990, S. 53.

[29] Die verlorene Ehre der Katharina Blum.

[30] Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum. oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann, Köln 1974, S. 17.

[31] Die verlorene Ehre der Katharina Blum.

[32] Ebd.

[33] Ebd. (Tötges).

[34] Ebd. (Tötges).

[35] Krebs, S. 72.

[36] Ebd., S. 67.

[37] Böll (wie Anm. 30), S. 134.

[38] Die verlorene Ehre der Katharina Blum.

[39] Wydra, S. 102.

[40] Krebs, S. 77.

[41] Gruhn-Hülsmann, S. 69.

[42] Friedhelm Kicherer, Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. Analysen und Interpretationen mit didaktisch-methodischen Hinweisen zur Unterrichtsgestaltung, 7. Aufl., Hollfeld 2007, S. 76.; zu den Deutungsmöglichkeiten der übrigen Figurennamen vgl.: Kicherer, S. 75-77 und Gruhn-Hülsmann, S. 69f.

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
Darstellungen der Bild-Zeitung im deutschen Spielfilm
Untertitel
Volker Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975) und Til Schweigers „Keinohrhasen“ (2007)
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,1
Autor
Jahr
2008
Seiten
58
Katalognummer
V134123
ISBN (eBook)
9783640416844
ISBN (Buch)
9783640411375
Dateigröße
679 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellungen, Bild-Zeitung, Spielfilm, Volker, Schlöndorffs, Ehre, Katharina, Blum“, Schweigers, Thema Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Arbeit zitieren
Christine Mewes (Autor:in), 2008, Darstellungen der Bild-Zeitung im deutschen Spielfilm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134123

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