Ist die Scharia ein Hindernis für die Implementierung der Menschenrechte?

Fallbeispiel: Einführung der Scharia im Swattal


Dossier / Travail de Séminaire, 2009

21 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Begriffsdefinitionen: Terrorismus, Fundamentalismus, Scharia & Menschenrechte

Länderinformation Pakistan: Historischer Überblick

Die Einführung der Scharia im Swat Tal – Hindernis für die Menschenrechte?

Menschenrechte in Pakistan

Fazit

Literaturverzeichnis

Länderkarte Pakistan

Einleitung

Seit den verheerenden Anschlägen in den USA am 11. September 2001 sind die Phänomene Fundamentalismus und Terrorismus präsenter und verbreiteter als jemals zuvor, wobei in die-sem Kontext auch die Begriffe Menschenrechte, Säkularismus, Demokratie und islamische Scharia immer häufiger genannt werden. Jedes Jahr ereignet sich eine Vielzahl terroristischer Attentate, sowohl in islamischen Ländern, als auch in der westlichen Welt, die enorme Kon-sequenzen nach sich ziehen. Insbesondere der Irak und Afghanistan sind die leidtragenden Nationen im sogenannten Krieg gegen den Terrorismus. Für die Vereinigten Staaten von Amerika und einige andere westliche Verbündete stellten bereits unzureichende Beweise eine Legitimationsgrundlage dar, um in beiden genannten Ländern zu intervenieren. Dem Irak wurde unterstellt, Massenvernichtungswaffen zu besitzen und die in Afghanistan lebenden Taliban wurden öffentlich beschuldigt, enge Verbindungen zu Osama bin Laden zu pflegen und ihn sogar zu schützen. Seitdem sind nicht nur erhebliche Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen, sondern auch zahlreiche zivile Opfer, mit der Folge, dass die angestrebten Ziele, die eigentliche Etablierung demokratischer Strukturen, welche die Menschenrechte implizie-ren und die konstante Verbesserung der Sicherheitslage, nur bedingt Erfolg zeigen.

In den westlichen und islamischen Ländern bestehen weitreichende Unterschiede und auch Uneinigkeiten, was das Rechtssystem und die Trennung von Religion und Staat angeht. Es werden gegenseitige Beschuldigungen erhoben, das islamische Rechtssystem mit der Scha-ria als allumfassende Grundlage wäre rückständig, genauso wie der westliche Werteverfall, der durch die Missachtung der Religion zustande kommt und zu einem verbreiteten Egoismus und Individualismus führt. Dennoch führt gerade im Irak, in Afghanistan oder aktuell auch in Pakistan, die westliche Dominanz zu einer Rückbesinnung zu religiösen Werten und zu einer Wiedereinführung der Scharia. Hierbei müssen jedoch deutliche Unterscheidungen getroffen werden, da gerade in diesen Regionen häufig radikale Fundamentalisten agieren, die aller-dings oft fälschlicherweise mit der gesamten Religion des Islam gleichgesetzt werden. Fal-schen Medienberichten und anderen Faktoren zufolge, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, entsteht das heute weitverbreitete Feindbild Islam mit seinem rückständigen Rechtssystem und den nicht vorhandenen Menschenrechten. In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, ob die Menschenrechte durch die Implementierung der Scharia behindert oder sogar missachtet werden?

In der vorliegenden Arbeit soll demnach nicht nur über die Begriffe Terrorismus, Fun-damentalismus, Scharia und Menschenrechte aufgeklärt werden, sondern ein Beispiel soll auch veranschaulichen, unter welchen Umständen es möglich ist, die Scharia einzuführen und ob diese mit den Menschenrechten vereinbar ist oder sie tatsächlich der alleinige Grund sein kann für die Missachtung der Rechte. Aufgrund der Aktualität soll als Fallbeispiel die Einfüh-rung der Scharia durch die Taliban im Swat Tal in Pakistan dienen, wobei die Literatur sich hierbei hauptsächlich auf aktuelle Zeitungsartikel beschränkt. Darüber hinaus wird einschlä-gige Literatur über die Entwicklung Pakistans, die Lage der Menschenrechte in der islami-schen Welt und die historischen Hintergründe und Entwicklungen des Fundamentalismus und Terrorismus eine fundierte Basis darstellen. Abschließend werden im letzten Abschnitt der Arbeit die herausgestellten Erkenntnisse und eventuell aufgetauchte Probleme zusammenge-fasst.

Begriffsdefinitionen: Terrorismus, Fundamentalismus, Scharia & Men-schenrechte

Aufgrund der häufig zu beobachtenden Missverständnisse bezüglich der Begriffsdefinitionen, sollen vorab einige Wortbedeutungen genauer beleuchtet und erklärt werden. Vor allem Fun-damentalismus und Terrorismus wird fälschlicherweise nicht nur mit der islamischen Religion in Verbindung gebracht, sondern sogar als Synonym verwendet. Dadurch entstehen unnötige Probleme und Vorurteile, die teilweise nur schwer beseitigt werden können.

Hierbei wird häufig der Ursprung und die eigentliche Bedeutung des Wortes Terro-rismus missachtet. Seit den Anschlägen in New York und Washington D.C. im Jahr 2001 wird das Phänomen Terrorismus fast ausschließlich mit dem Islam oder den islamischen Län-dern in Verbindung gebracht, allerdings ohne zu beachten, dass die Entstehung des Wortes bis ins 18. Jahrhundert in die Zeit der französischen Revolution zurückreicht. Anschläge, Entfüh-rungen und Protestbewegungen fallen alle unter die Wortbedeutung Terrorismus, wodurch die Begriffsdefinition zunehmend erschwert wird. Aufgrund dessen sollte dieser Ausdruck sehr vorsichtig verwendet werden oder einer genauen, auf das entsprechende Thema festgelegten Definition unterliegen. „Der Terrorismus ist eine Form des politischen Extremismus. Durch die systematische Anwendung von Gewalt insbesondere auf ausgewählte Repräsentanten des "Systems" soll die "herrschende Schicht" verunsichert und die "unterdrückte Klasse" mobili-siert werden – z.B. dadurch, dass der Staat mit seinen Abwehrmechanismen überreagiert“ (Jesse 2003). So lautet eine eher allgemein gehaltene Definition aus einem Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Eine weitere Erläuterung, die je-doch aus dem Kleinen Islam Lexikon stammt, soll als Vergleich aufgeführt werden: „In Ab-grenzung zu den Begriffen Krieg, Strafverfolgung und Kriminalität lässt sich Terrorismus als Versuch von nichtstaatlichen Gruppen definieren, politische Ziele durch Erzeugung von Angst und Schrecken zu erreichen, mittels Gewalt oder auch Androhung von Gewalt. [...] Werfen die Angegriffenen den politisch motivierten Gewalttätern Terrorismus im Sinne von illegitimer Gewaltanwendung vor, so sehen sich die Täter selber im Recht, weil sie Selbstver-teidigung gegen Unterdrücker und Aggressoren übten. [...] Kritiker der Attentäter (09/11), Muslime wie Nichtmuslime, bezeichneten deren Taten als kriminell, unzivilisiert, irrational und als unislamisch. Die Attentäter selber und ihre Sympathisanten verstanden ihre Aktionen dagegen als Kampf zur Verteidigung des Islam gegen die USA und deren Verbündete“ (Czempiel 2004: 315). Schon anhand dieser beiden Definitionen ist deutlich zu erkennen, welche Schwierigkeiten eine genau festgelegte Begriffsbestimmung mit sich bringt. Aufgrund dessen ist es von enormer Wichtigkeit, den Begriff Terrorismus nicht zu verallgemeinern, sondern eine explizite Differenzierung auf die jeweilige Form des Terrorismus vorzunehmen. Islamistischer Terrorismus gilt beispielsweise als eine besonders gewalttätige Ausprägung militanter islamistischer Gruppierungen, wobei auch hier noch einmal betont werden soll, dass islamistische Ansichten nicht mit der Ausübung der islamischen Religion gleichgesetzt werden dürfen. Darüber hinaus bestehen auch in der heutigen Zeit zahlreiche terroristische Netzwerke, die im Namen anderer Weltreligionen Attentate durchführen. Dessen ungeachtet sollte in diesem Zusammenhang der Begriff des Fundamentalismus nicht weniger beachtet werden. Denn gerade im Fall des islamistischen Terrorismus wird häufig eine Parallele zu dem Phänomen des Fundamentalismus gezogen. Auch hier soll eine Begriffsdefinition darü-ber aufklären, um welche Art von fundamentalistischen Strömungen es sich handelt: „[...] Der Begriff des Fundamentalismus wurde zuerst auf eine Gruppe amerikanischer Theologen in den Jahren 1909-1915 angewandt, welche sich u.a. für eine wörtliche Auslegung der Bibel aussprachen. Erst ein halbes Jahrhundert später hat man diesen Begriff auf Erscheinungen in anderen Religionen (Christentum, Hinduismus, Judentum & Islam) ausgeweitet. Als allen Formen des Fundamentalismus gemein, wird das Streben nach einer reinigenden Reform be-stehender Glaubensinhalte und religiöser Praktiken vor dem Hintergrund der eigenen Vorstel-lung von den grundsätzlichen Prinzipien und Normen der vertretenden Religion angesehen. Fundamentalisten sehen ihre Auslegung der heiligen Texte als die einzig gültige an [...]“ (Conermann 2006: 106). Anhand dieser Definition wird sowohl die Geschichte des Begriffs hervorgehoben, als auch das Missverständnis, Fundamentalismus wäre in der islamischen Welt entstanden, beseitigt. Darüber hinaus wird auch an dieser Stelle noch einmal betont, dass dieses Phänomen nicht nur in der islamischen Welt auftaucht, sondern auch, wie oben bereits erwähnt, in anderen Regionen der Welt. Dennoch ist das sture Festhalten und die Berufung auf die jeweilige Ideologie oder Grundlage ein gruppenübergreifendes Merkmal, was letzt-endlich jeder fundamentalistischen Gruppe nachgesagt werden kann.

Trotzdem besteht ein erheblicher und entscheidender Unterschied zwischen dem isla-mischen und dem westlichen Rechtssystem: die Scharia – das islamische Recht oder „die von Gott gesetzte Ordnung“ (Müller 2006: 283). Bereits an dieser Stelle tauchen auch die ersten Probleme hinsichtlich der Vereinbarkeit des Konzeptes der Allgemeinen Menschenrechte und der islamischen Rechtsprechung auf. Die Scharia besteht, wie gerade schon erwähnt, aus von Gott gegebenen Rechten, ganz im Gegensatz zu der Allgemeinen Erklärung der Menschen-rechte von 1948, die dem Naturgesetz und der Vernunft zugrunde liegen. Zwar wurden schon mehrere Versuche einer Annäherung in die Wege geleitet, wie die Allgemeine Islamische Er-klärung der Menschenrechte von 1981 und die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990, jedoch erhielten sie keinen völkerrechtlich bindenden Charakter aufgrund ihrer religiösen Begründung.

In den meisten arabischen und islamischen Ländern wird die Scharia immer noch als „Quelle der Rechtsschöpfung anerkannt“(Müller 2006: 283). Allerdings wird in einigen Fäl-len das islamische Recht mit der Rechtsordnung gleichgesetzt, wenn nicht sogar als alleinige Quelle angesehen. Viele augenscheinlich moderne Staaten in der islamischen Welt bekennen sich dennoch in irgendeiner Form zur Scharia, um religiöse Legitimität zu erlangen und da-durch islamische Aktivisten zu besänftigen, ohne hingegen die durch die Scharia festgelegten Vorschriften vollständig zu berücksichtigen. Dennoch halten nicht nur traditionelle Muslime oder radikale Fundamentalisten an der Scharia fest, so wie es momentan im Swat Tal in Pa­kistan der Fall ist. Die Scharia stellt für viele Muslime „ein Symbol kultureller Identität, Ge-rechtigkeit und Ordnung“ (Küng 2004: 662) dar, so dass sie für eine neue und zeitgemäße Interpretation plädieren und nicht für eine Radikalisierung oder Abschaffung des islamischen Rechts. Dies impliziert aber nicht gleichzeitig eine vollkommene Ablehnung des Konzeptes der universellen Menschenrechte, weshalb die Frage nach der Vereinbarkeit bestehen bleibt. Um jedoch voreilige Urteile auszuschließen, bedarf es einer genaueren Erläuterung des Men-schenrechtsmodells.

1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von den Vereinten Natio-nen verabschiedet, die dann 1966 durch den Pakt der wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-len Rechte und den 1976 verabschiedeten Pakt der bürgerlichen und politischen Rechte, er-gänzt wurde (vgl. Dicke/Fröhlich 2006: 309-317). Der Ursprung liegt jedoch in der Epoche der französischen Revolution, als 1789 die Erklärung der Rechte des Menschen und der Bür-ger (vgl. Tibi 1994: 23) festgelegt wurde. Seitdem besitzen die Menschenrechte Gültigkeit für jedes Individuum, ganz unabhängig von der ethnischen- oder religiösen Zugehörigkeit und von der Nationalität oder dem Geschlecht. Jeder Mensch hat jederzeit und überall einen uni-versalen Anspruch auf diese unter dem Begriff Menschenrechte zusammengefassten Rechte. Laut dem Politikwissenschaftler Bassam Tibi basiert das Konzept auf „Autonomie und Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer religiösen oder ethischen Zugehörigkeit, so-wie auf der Trennung der staatlichen von der gesellschaftlichen Sphäre“ (Tibi 1994: 224). Hier wird die Allgemeingültigkeit, also die Universalität der Menschenrechte noch einmal hervorgehoben. Diese wird jedoch oftmals von muslimischer Seite als westliche Dominanz angesehen, wodurch teilweise eine Ablehnung der Menschenrechte entsteht. Schon anhand dieser kleinen Beispiele wird deutlich, dass ein grundlegender Disput zwischen der islami-schen und der westlichen Welt bezüglich der Vereinbarkeit der Menschenrechte und der Scharia besteht. Jedoch muss hierbei betont werden, dass das islamische Recht nicht immer die alleinige und auch nicht die Hauptursache sein muss. Anhand der Untersuchung der Ent-wicklung im Swat Tal in Pakistan soll dies deutlich hervorgehoben werden. Um aber die Aus-breitung der Taliban in Pakistan zu verstehen und zu erklären, wie es zu einer so plötzlichen Radikalisierung kam, muss vorab ein kurzer Abriss der pakistanischen Geschichte erfolgen.

Länderinformation Pakistan: Historischer Überblick

Das „Land der Reinen“ (Durán/Ahmed 2005: 336), so wird der persische Name Pakistan des jungen staatlichen Gebildes übersetzt, ist die Heimatstätte für Muslime auf dem indischen Subkontinent. Im selben Jahr, in dem der antikoloniale Unabhängigkeitskampf gegen die Bri-ten gewonnen wurde, schaffte Ali Jinnah – der Führer der indischen Muslim-Liga – es, erfolg-reich die „Zwei-Nationen-Theorie“ (Durán/Ahmed 2005: 338) durchzusetzen, aus der letzt-endlich eine Abspaltung zwischen Indien und Pakistan resultierte. Hintergrund dieser Tren-nung war der Wunsch der muslimischen Bevölkerung in Indien, über einen eigenen Staat zu verfügen, der sowohl die Rechte der Hindus, als auch der Muslime, gewährleisten sollte. Vor 1971 bestand das Land noch aus West- und Ost-Pakistan. Letzteres trennte sich nach langfris-tigen Auseinandersetzungen ab und wurde zu Bangladesch, während das damalige Territori-um Westpakistan dem heutigen Pakistan entspricht (vgl. Elger 2006: 248). Auch wenn das eigentliche Ziel, die Gründung des muslimischen Staates Pakistans, erst 1947 durchgesetzt werden konnte, so wurde es bereits mit der Lahore-Resolution 1940[1] klar definiert. Laut den britischen Kolonialherren sollte die neue Nation Prinzipien des Säkularismus, der Freiheit und der Toleranz implizieren. Bereits kurze Zeit nach der konfessionell begründeten Schaffung des pakistanischen Staates offenbarte sich das Dilemma. Nach Ali Jinnahs Tod im Jahr 1949 wurde durch den Ministerpräsidenten Liaquat Ali Khan ein islamisches Fundament gelegt mit der Durchsetzung der Objectives Resolution[2], die später Grundlage der ersten Verfassung Pa-kistans werden sollte (vgl. Elger 2006: 248). Am 23. März 1956 wurde sie verabschiedet und erklärte den neuen Staat somit zur Islamischen Republik. Die außenpolitischen Gegebenheiten sowohl mit Afghanistan, als auch mit Indien, verliehen dem militärischen Sektor schon zu Beginn eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus stellte sich der Nation Building Prozess als enorm schwierig heraus. Begründet wurde dies durch die Tatsache, dass Pakistan weder wirt-schaftlich noch politisch auf die Unabhängigkeit vorbereitet war. Dennoch gelang es der Mus-lim-Liga unter Premierminister Ali Khan nicht, diese Krise anhand eines angemessenen poli-tischen Programms zu überwinden. Jedoch stand auch keine alternative Partei zur Auswahl, wodurch genug Spielraum für das Militär blieb, welches dadurch enorm gestärkt wurde (vgl. Ali 2008: 49f). Seitdem ist es aus dem Machtsektor kaum noch wegzudenken, denn innerhalb der knapp 62 Jahren Unabhängigkeit wurde Pakistan mehr als die Hälfte der Zeit vom Militär regiert.

Bereits mit der Verfassung 1973 ist die bedeutsame Stellung des Islam durch die Be-setzung hoher Ämter mit ausschließlich Muslimen hervorgehoben worden. Islamische Grund-lagen wurden zunehmend in der Verfassung verankert, aber vor allem die Stellung der Min-derheiten – insbesondere der Ahmadiyya[3] – spielte unter Zulfiqar Ali Bhutto eine herausra-gende Rolle (vgl. Ali 2008: 122f). Obwohl seine Pakistan People´s Party eigentlich im linken Flügel positioniert war, wandte er sich dem „Islamischen Sozialismus“ (Durán/Ahmed 2005: 358) zu und führte den Islam erstmalig als Staatsreligion ein. Im Laufe seiner Regierungspe-riode traf die oppositionelle Partei, die sich in Pakistan zu National Alliance verband, die An-nahme, dass Bhutto nur vordergründig islamisch sei. Hiermit wurde eine hervorragende Mög-lichkeit für General Zia al-Haqq, den damaligen Führer des Heeres, geschaffen, 1977 die Macht zu übernehmen (vgl. Ali 2008: 139f). Einige Wissenschaftler sehen in diesem Zeit-raum einen neuen Abschnitt in der pakistanischen Regierungsgeschichte, denn Zia instrumen-talisierte den Islam nicht nur als Legitimationsgrundlage, sondern auch als Stärkung seines politischen Apparates (vgl. Duránd/Ahmed 2005: 358). Nachdem er sich 1977 an die Macht geputscht und sein Militärregime errichtet hatte, forderte er die Etablierung eines islamischen Systems, indem alle Sektoren im Staat mit einbezogen werden sollten. Sowohl der wirtschaft-liche und gesellschaftliche, als auch der politische und rechtliche Sektor mussten sich der von Zia vorangetriebenen Islamisierung Pakistans unterziehen. Dadurch versuchte der neue Staatschef der jungen Nation eine neue einheitliche Identität zu geben und die separatistischen Strömungen einzudämmen.

Im rechtlichen Bereich wurden nicht nur Scharia Kammern auf regionaler Basis einge-führt, sondern auch ein Gericht auf nationaler Ebene, sowie eine Scharia Appellationskam-mer, die dafür zuständig war, die schon vorhandenen Gesetze zu islamisieren und die neu erlassenen Gesetze mit der islamischen Lehre in Einklang zu bringen (vgl. Durán/Ahmed 2005: 359). Längst veraltete Maßnahmen, wie die Steinigung und das Auspeitschen, wurden wieder eingeführt und zum Gegenstand der neuen Rechtsvorschriften. Dennoch fand die größ-te Reformierung im Bildungssektor statt, innerhalb derer zahlreiche Madrasas gegründet wur-den und von nun an von enormer Bedeutung waren. Die neuen Koranschulen boten auch Kin-dern, die aus ärmlichen Verhältnissen stammten, eine Möglichkeit, eine schulische Grundaus-bildung zu erlangen. Zweifellos setzte diese Ausbildung sich aus religiösen Inhalten zusam-men, die überwiegend fundamentalistische Hintergründe hatte, wie sich in der radikal-islamischen Gruppierung der Taliban äußerte, die – auch heute noch – mehrheitlich in diesen Madrasas ausgebildet werden. Dennoch soll an dieser Stelle nicht in Vergessenheit geraten, dass die Flüchtlingsströme aus dem damals sowjetisch besetzten Afghanistan sich aus größ-tenteils armen Familien zusammensetzten, die auf eine staatlich-subventionierte Schulausbil-dung in Pakistan angewiesen waren, um ihre Kinder zu ernähren. Diese ausweglose Situation und die Besatzung durch die Kommunisten – die in Pakistans Augen Ungläubigen – führten zu einer Radikalisierung, die in der Bewegung der Taliban ihren Höhepunkt fand. Welche Auswirkungen dieses Dilemma in der gegenwärtigen Epoche zeigt, soll Gegenstand des nach-folgenden Kapitels sein.

Während der sowjetischen Besatzung Afghanistan, in die Pakistan zunehmend invol-viert war, besetzte Zia das Amt des Präsidenten. Er versuchte die Islamisierungspolitik, insbe-sondere als Gegenpol zu den ungläubigen Kommunisten, voranzutreiben, damit sie in jede gesellschaftliche Sphäre durchsickerte. 1984 ließ er sich innerhalb kurioser Wahlen, an denen nur 20% der Wähler teilnahmen, erneut als Präsidenten ernennen und blieb bis zu seinem Tod am 17. August 1988 an der Macht (vgl. Durán/Ahmed 2005: 359f). Seine Ausgrenzungs- und Islamisierungspolitik sollte mit der im November 1988 gewählten Benazir Bhutto ein Ende finden, jedoch stellte sich schon nach kurzer Zeit heraus, dass die erste Ministerpräsidentin Pakistans nahezu machtlos war, um ihr Wahlprogramm zur Unterstützung der Armen durch-Systems, indem alle Sektoren im Staat mit einbezogen werden sollten.

[...]


[1] Der spätere Staatsgründer Ali Jinnah forderte eine Teilung Britisch-Indiens, um einen eignen muslimischen Staat zu errich-ten. Diese Forderungen wurden in der Lahore-Resolution, auch Pakistan-Resolution genannt, zusammengefasst (Sprung 2001).

[2] Die Objectives Resolution besagt, dass die Bildung der neuen Nation auf einem islamischen Fundament beruhen muss.

[3] Ahmadiyya ist eine sunnitische Bewegung hauptsächlich in Pakistan, die sich selber als Muslime bezeichnen, von den restlichen Muslimen aber ausgeschlossen werden. Sie wollen einen reformierten Islam mit friedlichen Mitteln verbreiten (Pistor-Hatam: 2006: 30).

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Ist die Scharia ein Hindernis für die Implementierung der Menschenrechte?
Sous-titre
Fallbeispiel: Einführung der Scharia im Swattal
Université
Otto-von-Guericke-University Magdeburg  (Institut für Politikwissenschaften)
Cours
International Ethics
Note
1,5
Auteur
Année
2009
Pages
21
N° de catalogue
V134192
ISBN (ebook)
9783640528288
Taille d'un fichier
505 KB
Langue
allemand
Mots clés
Scharia, Hindernis, Implementierung, Menschenrechte, Fallbeispiel, Einführung, Scharia, Swattal
Citation du texte
Daniela Schölch (Auteur), 2009, Ist die Scharia ein Hindernis für die Implementierung der Menschenrechte?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134192

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