Models und Roman-Modelle


Essay, 2001

26 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhalt

EINLEITUNG

I. DIE MODELS
Lady Emma Hamilton und Mme Henriette Hendel-Schütz

II. DIE ROMAN-MODELLE
Goethes ’ Die Wahlverwandtschaften ’ und
Hoffmanns ’ Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza ’
II.1 Lebende Bilder und Goethes Roman ’ Die Wahlverwandtschaften ’
II.1.1 Charakterisierungen von Luciane und Ottilie
II.1.2 Lucianes „schöner Rücken“
II.1.3 Ottilies Marien-Tableau
II.2 Lebende Bilder und Hoffmanns Erzählung
’ Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza ’
II.2.1 Die „doppelte Sphinx“
II.2.2 Die heilige Cäzilie

III. DIE MODELS UND DIE ROMAN-MODELLE - Eine Schlussbetrachtung

BIBLIOGRAFIE

EINLEITUNG

Die Aufführung von sogenannten Lebenden Bildern oder tableaux vivants war ein beliebtes Gesellschaftsspiel des Bürgertums im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Der Begriff bezeichnet „ plastische Darstellungen von Gem ä lden durch lebende Personen (...). “1 Nach B. Jooss handelt es sich um „ szenische Arrangements von Personen, die für kurze Zeit stumm und bewegungslos gehalten werden und sich so für den Betrachter zu einem Bild formieren. “2 Ein Lebendes Bild ist ein Phänomen, das zwischen bildender und darstellender Kunst anzusiedeln ist. Es ist eine spezielle Kunst- und Unterhaltungsform, die wie Gemälde oder Plastiken in erster Linie visuell erlebt wird.

Die Schau dieses Vorgangs durch das Publikum ist dabei wesentlicher Bestandteil der Aufführung selbst.

In den Beschreibungen Lebender Bilder sehen wir, dass sie zwei Irritationen beim Kunstbetrachter auslösen. Zum einen werden die zweidimensionalen Figuren aus der Bildenden Kunst durch die Darsteller verkörpert. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen Darsteller und dargestellter Figur.

Zum anderen fallen die Kunstwerke aus der Bildenden Kunst aus ihrem Rahmen hinein in die Realität des Betrachters. Das Kunstwerk ist nicht weiter Medium, denn seine plastische Darstellung steht nun ganz unvermittelt Auge in Auge mit dem Zuschauer. So werden die Grenzen zwischen Darstellung und Betrachter unscharf.

Diese beiden Irritationen, die Lebende Bilder beim Betrachter auslösen, will ich untersuchen. Zuerst aus der realen Perspektive anhand des Portraits der beiden Protagonistinnen der Aufführung Lebenden Bilder Lady Emma Hamilton und Mme Henriette Hendel-Schütz. Sie waren die Körper gewordenen Projektionsflächen, die ’Models’ und ‘Stars‘ der Tableaux. Was war das Faszinierende an den Darbietungen der beiden Künstlerinnen? Welchen Anteil hatte die Inszenierung der Aufführungen und wie war deren Wirkung auf die Zuschauer?

Zeitgleich zum Wirken der beiden Künstlerinnen setzten sich zwei bekannte literarische Vertreter mit der gesellschaftlichen Mode der Lebenden Bilder auseinander. In Johann Wolfgang Goethes ’ Wahlverwandtschaften ’ (1809) finden wir in der Figur Luciane eine

Persiflage auf Lady Hamilton. Ernst Theodor Amadeus Hoffmann karikiert in seiner

Erzählung ’ Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza ’ (1814) in der Hausdame Mme Hendel-Schütz.

In einem zweiten Schritt werde ich also die Irritationen von Darsteller - dargestellter Figur und Betrachter aus der literarischen Perspektive betrachten. Wie wurden die sprachlosen Darstellungen literarisch reflektiert bzw. übersetzt? Und welche Haltung haben Goethe und Hoffmann gegenüber diesen Darstellungen eingenommen? Inwiefern entsprechen ihre Roman-Modelle den künstlerischen Darstellungen der beiden ‘Models‘ und inwiefern nicht?

I. DIE MODELS

Lady Emma Hamilton und Mme Henriette Hendel-Schütz

Lady Emma Hamilton und Mme Henriette Hendel-Schütz waren die herausragenden Darstellerinnen Lebender Bilder im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Sie prägten mit ihrer Kunstfertigkeit und Professionalität das Genre und verliehen ihm gesellschaftliches Ansehen. Zugleich hoben sie sich mit ihren künstlerischen Attitüden3 von den gängigen Laiendarstellungen ab und hatten Anteil daran, dass die Schau von Lebenden Bildern zu einer Mode des Bürgertums wurde.

Das Repertoire beider umfasste antike als auch neuere Sujets. Zu beider Standardrepetoire gehörten die Figuren „Niobe“ und „Maria Magdalena“. Lady Hamilton stellte des weiteren Einzelbilder wie „Iphigenie“, „Kleopatra“, Nymphen und Musen dar. Mme Hendel-Schütz arbeitete von 1808 an ganze Zyklen aus, in denen sie Kunstwerke aus verschiedenen Stilrichtungen und Epochen nacheinander stellte. Die Themen wurden sowohl in einzelnen Figuren als auch in Gruppen aufgeführt, wobei sich beide Künstlerinnen nicht streng an die Vorbilder aus der Kunst hielten.

Emma Hamiltons Spezialität lag in der Nachstellung von Bildmotiven aus der Malerei, was ihr den Namen einer „ lebenden Bildergalerie “ 4 gab. Sie gilt als die erste, die die Posen vor einem leeren dunklen Bühnenkasten zur Schau stellte, was das bildhafte Moment unterstützte. Sie stand dabei in einem Lichtkegel, während das Publikum ins Dunkel gehüllt war. Frau Hendel-Schütz übernahm diese Art der Inszenierung. Sie trat in einem Kasten auf, der „ schwarz und grau ausgeschlagen5 war. Bekleidet waren die Künstlerinnen mit einem „ griechischen Gewand “ , „ einer langen, mit einem Bande einfach unter der Brust zusammen geknüpften (wei ß en) Tunica. “ 6 Die geschickte Handhabung des „ griechischen Gewands “ sowie die Verwendung von verschiedenfarbigen Schals und Tüchern, die auch verschieden drapiert waren, verdeckten und akzentuierten den Körper des weiblichen Modells. Dagmar von Hoff und Helga Meise bezeichnen die weiße Tunica als „ Leinwand “ oder „ reine Tafel “ 7, die Tücher und Schals waren dazu die Kontrastierung.

Die gezielte Inszenierung der Lebenden Bilder zeigte Wirkung bei den Zuschauern. Der Maler Wilhelm von Kügelgen erinnert sich an einen Auftritt von Mme Hendel- Schütz:

„ Als Sibylle imitierte die Künstlerin ein bekanntes Bild meines Vaters. Dann streckte sie sich nieder auf die Estrade und unter ihren weiten Schleiern scheinen die m ä chtigen Glieder einer L ö win zu schwellen: sie stellte eine Spinx dar. Die Sphinx aber ward zur Jammergestalt einer b üß enden Magdalena mit langem, aufgel ö stem Haar, und diese erhob sich dann als ’ mater dolorosa ’ , um sich endlich in eine heitere, strahlend sch ö ne Himmelsk ö nigin zu verkl ä ren. Ein Zuck und Ruck in den Gew ä ndern - und die Verwandlung war stets vollst ä ndig vollbracht. “ 8

Mit den fünf changierenden Figuren Sibylle - Sphinx - büßende Magdalena - mater dolorosa - Himmelskönigin orientiert sich Hendel-Schütz am Fünf-Stufen-Schema des Theaters - allgemein waren die dramatischen Elemente stark vertreten in den Darstellungen der Künstlerin. Weiter zeigt das Zitat die Verwandlungen und Übergänge der Figuren, die nacheinander ohne fallenden Vorhang vor den Augen der Zuschauer abliefen. Die ständigen Wandlungen und Übergänge - ausgeführt von einer Künstlerin - sind sicher ein Grund für die Begeisterung und Verwirrung des Zuschauers.

Ein weiterer Grund wird deutlich, wenn wir den Blick des Betrachters nachverfolgen. Er geht unter die nicht ganz blickdichten „ weiten Schleier “, wo die „ m ä chtigen Glieder einer L ö win (zu schwellen scheinen)“. In der Beschreibung der Aufführung vermengen sich die Ebenen von dargestellter Figur und darstellender Person. Die Sphinx und Mme Hendel-Schütz, die eine etwas üppige Statur hatte, gehen ineinander über. Und der Betrachter ist gleichermaßen irritiert durch die Körperlicheit des Bildes und die weiblichen Rundungen der Darstellerin. Für ihn ist Hendel-Schütz mehr als ein Medium oder eine Projektionsfläche wie z.B. eine Leinwand. Denn hier ist die „Leinwand“ körperlich und selbst ein wichtiger Teil der Aufführung. Ich nenne dieses Phänomen ’Projektionskörper’, aus dem die Bilder entstehen.

Der Blick des Betrachters auf den Projektionskörper scheint emanzipiert zu sein von bürgerlichen Moralvorstellungen, denn „ alles war Auge “ 9, wenn Mme Hendel-Schütz auf der Bühne erschien. Diese Bemerkung trifft wohl die große Präsenz, die von der Künstlerin ausging und welche durch die Inszenierung noch verstärkt wurde. Sie ist aber auch Ausdruck einer unbändigen Schaulust auf das Körperliche, die eng mit einer Sexualisierung der Wahrnehmung verknüpft ist.

Ganz so frei war dieses Schauen jedoch nicht. Der Blick des meist männlichen Publikums auf die weiblichen Figuren, die auch von Frauen dargestellt wurden, brauchte das Medium (oder den Vorwand) der Kunstbetrachtung, um den Körper in dieser freien Weise zu schauen. Hierin hatte die Schaulust ihre moralische Rechtfertigung.

Lady Hamiltons Ehemann und Mäzen Sir William Hamilton formulierte treffend dieses Ineinandergehen von dargestellter Figur und darstellendem Körper. Was er über seine Frau sagt, kann auch auf Mme Hendel-Schütz bezogen werden:

„ Emma was by nature a model - a model that called forth the slumbering

ideals or sensations of the others. “ 10

Das Wesen von Lady Hamilton ist es, nicht sie selbst, sondern ein Modell zu sein. Sie ist ein Modell für das Publikum, das dessen schlummernden Ideale weckt. Die Wirkung geht nicht nur von der Darstellung auf das Publikum aus. Der Projektionskörper Hamilton wird auch durch die Projektionen und Träume belebt, die sich die Zuschauer von der dargestellten Figur oder der verschleierten Darstellerin machen.

Der überschwängliche Zuspruch des zeitgenössischen Publikums auf die Darstellungen der beiden Künstlerinnen passt zur Überinszenierung und Dramatisierung dieser Kunstform.

Nicht nur auf der Bühne verschmolzen die beiden Darstellerinnen mit den dargestellten Figuren. Auch ausserhalb der Bühne zeigten sich Lady Hamilton und Mme Hendel-Schütz in ihren weissen Gewändern. So vermengten sich Bühnenleben und Privatleben der beiden Frauen, was neben einer Überhöhung Ihrer Kunst auch zu einer Überhöhung ihrer Biografie führte.

Auch Johan Wolfgang von Goethe unterhielt Kontakt zu Lady Hamilton und kommentierte ihre Kunstdarstellung in der „ Italienischen Reise “ für das Jahr 1787:

„ Er (Sir William Hamilton) hat ihr ein griechisch Gewand machen lassen, das sie trefflich kleidet, dazu löst sie ihre Haare auf, nimmt ein paar Schals und macht eine Abwechslung von Stellungen, Geb ä rden, Mienen, etc, dass man zuletzt wirklich meint, man träume. Man schaut, was viele tausend Künstler gerne geleistet hätten, hier ganz fertig in Bewegung undüberraschender Abwechslung. (...) Sie weiß zu jedem Ausdruck die Falten des Schleiers zu wählen, zu wechseln und macht sich hundert Arten von Kopfputz mit denselben Tüchern. (...) So viel ist gewiß , der Spaß ist einzig! Wir haben ihn schon zweiAbende genossen. “ 11

Goethes Blick geht nicht unter die Schleier der Künstlerin. Er umschreibt ihren Körper gewissermaßen und fixiert sich auf das Drumherum: die Schals, Tücher, die Abwechslung und Bewegung. Die wohlwollende Umschreibung bezieht sich nur auf die Darstellerin Lady Hamilton. Kein Wort verliert Goethe hier über Lady Hamiltons Darstellung als Kunstform. Lebende Bilder scheinen für ihn nicht Kunst, sondern nur Spaß zu sein. Dennoch setzte er sich in einem Werk mit dem Thema Lebende Bilder auseinander. In seinem Roman „ Die Wahlverwandtschaften “ verarbeitet er unter anderem seine Eindrücke von Lady Hamilton.

II. DIE ROMAN-MODELLE

Die Quellen, die das reale Stellen der tableaux beschreiben, geben großteils nur Auskunft über technische Details der Ausführung und beklagen eine mangelnde Vermittlung des Kunstideals. Wie werden die Darstellungen aber von den zeitgenössischen Dichtern Goethe und Hoffmann in ihren Texten reflektiert und thematisiert?

Man kann sicherlich nicht von einem Zusammengehen von Literatur und Lebenden Bildern sprechen. Dafür waren die tableaux zu sehr Randphänomen und die Vorbehalte der Literatur gegenüber diesem Genre zu groß.

Dennoch sind verschiedene Punkte, die wichtig für das Funktionieren von Lebenden Bildern sind, auch wichtig für das Funktionieren von Literatur.

Zum Beispiel Fragen der Inszenierung und der Perspektivierung, die unter den Begriff ’Erzähltechnik’ gefasst werden können. Welche Darstellung ist dem Sujet angemessen, das dargestellt werden soll und wie lenkt man den Blick des Lesers am besten auf das Erzählte?

[...]


1 Conversations-Lexicon, 9.Bd., 1818, S.611.

2 Birgit Jooss,: Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezei t. Berlin 1999, S. 13.

3 B. Jooss unterscheidet Lebende Bilder, in denen Gemälde nachgestellt werden, von Attitüden, welche sich eher auf die Nachahmung von Plastiken beziehen.

4 Dagmar von Hoff / Helga Meise, Tableaux vivants - Die Kunst- und Kultform der Attitüden und

lebenden Bilder. In: Renate Berger / Inge Stephan (Hg), Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Köln / Wien 1987, S.

5 ebd., S.73.

6 ebd., S.71.

7 ebd., S.71.

8 Dagmar von Hoff / Helga Meise, Tableaux vivants..., S. 84.

9 ebd., S.73.

10 Dagmar von Hoff / Helga Meise, Tableaux vivants..., S.81.

11 Dagmar von Hoff / Helga Meise, Tableaux vivants..., S.79f.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Models und Roman-Modelle
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Instit für Neuere Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Lebende Bilder
Note
1.3
Autor
Jahr
2001
Seiten
26
Katalognummer
V13422
ISBN (eBook)
9783638190893
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Models, Roman-Modelle, Lebende, Bilder
Arbeit zitieren
Michael Kunth (Autor:in), 2001, Models und Roman-Modelle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13422

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