Angelehnt an Brechts Konzeption von einem Theater als „Lusthaus und Schreckenskammer“ schuf Heiner Müller eine extreme Dramaturgie, welche die bisherigen Wahrnehmungsmuster zur deutschen Geschichte infrage stellte. Nach Norbert Otto Eke zielte Müllers Theatergestaltung bewusst darauf ab, „die ,Gesellschaft an ihre Grenzen zu bringen‘, das ,Kontinuum der Normalität‘ aufzusprengen und den Zuschauer in Entscheidungssituationen zu bringen.“ Die vorliegende Arbeit untersucht eben jene literarischen Techniken, mit denen Müller sein Geschichtsdrama konzeptioniert. Vor dem Hintergrund der Einflüsse Walter Benjamins und Ernst Bloch auf Müllers geschichtsphilosophische Denkweise soll die folgende Analyse dabei hervorheben, auf welche Weise er Brechts pädagogisches Theater umsetzt und welches Deutschlandbild Müller aus der Historie zeichnet.
Unter dem Titel "Spielen Schriftsteller eine Rolle?" eröffnete Hans Magnus Enzensberger 1964/65 seine Gastdozentur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Im Rahmen der Frankfurter Poetikvorlesungen befasste sich der deutsche Dichter und Publizist besonders mit der Rolle des Schriftstellers in der Gegenwart. Konkret ging es dabei um die Verantwortung und die Aufgabe, welche dieser als Beobachter und moralische Gewissensinstanz der gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Epoche wahrnehmen muss. Insbesondere der Frage, ob sich Literatur als Geschichtsschreibung überhaupt eigne, widmete Enzensberger eine ganze Vorlesung. Unter anderem verglich er dabei eine Beschreibung der sozialen Lage in Deutschland 1928 aus der Sicht des Historikers Golo Mann in seinem Werk Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz.
Auch der deutsche Dramatiker Heiner Müller setzte sich mit den Anforderungen einer literarischen Geschichtsschreibung auseinander. Anders als Enzensberger beließ er es jedoch nicht bei einer theoretischen Untersuchung, sondern rückte in seinen Theaterstücken die Vergangenheitsbewältigung in der deutschen Bevölkerung in den Fokus. Besonders in seinem 1971 fertig gestellten Stück "Germania Tod in Berlin" werden seine geschichtsphilosophischen Überzeugungen deutlich.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Schriftsteller als Geschichtsschreiber - Hans Magnus Enzensberger
- Heiner Müllers Geschichtsphilosophie
- Autobiographische Wurzeln
- Der Einfluss Walter Benjamins
- Ernst Blochs Utopie bei Heiner Müller
- Müllers Dramenkonzeption
- Ein postmodernes Drama?
- Exkurs: Das Müllersche Vorbild - Bertolt Brecht
- Deskriptive Analyse
- Struktur
- Sprache
- Inhaltliche Analyse
- Motiv der Totenbeschwörung
- Anachronismus
- Intertextualität
- Das Motiv der Gewalt
- Das Deutschlandmotiv
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die literarischen Techniken, die Heiner Müller in seinem Geschichtsdrama „Germania Tod in Berlin“ einsetzt. Im Zentrum steht die Analyse der geschichtsphilosophischen Denkweise Müllers, die durch die Einflüsse Walter Benjamins und Ernst Bloch geprägt ist. Dabei wird beleuchtet, wie Müller Brechts pädagogisches Theater umsetzt und welches Deutschlandbild er aus der Historie zeichnet.
- Heiner Müllers Geschichtsphilosophie und seine Interpretation der deutschen Geschichte
- Die Rolle des Dramas als Medium der Geschichtsbewältigung
- Die literarischen Techniken und Stilmittel Müllers, insbesondere Sprache, Struktur und Motive
- Die Beziehung zwischen Müllers Werk und der literarischen Postmoderne
- Der Einfluss von Bertolt Brecht auf Heiner Müllers Dramenkonzeption
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und stellt die Fragestellung vor, die untersucht werden soll. Im zweiten Kapitel wird Hans Magnus Enzensbergers These vom Schriftsteller als Geschichtsschreiber vorgestellt und anhand seiner Analyse von Golo Manns „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ und Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ erläutert. Kapitel 3 beschäftigt sich mit Heiner Müllers Geschichtsphilosophie und beleuchtet die Einflüsse Walter Benjamins und Ernst Blochs auf seine Denkweise. Kapitel 4 befasst sich mit Müllers Dramenkonzeption und setzt sie in Bezug zur literarischen Postmoderne. Der Exkurs analysiert die Bedeutung Bertolt Brechts für Heiner Müllers Werk. In Kapitel 5 werden die Struktur und Sprache des Dramas „Germania Tod in Berlin“ analysiert. Kapitel 6 geht auf die inhaltlichen Aspekte des Stücks ein, darunter die Motive der Totenbeschwörung, Anachronismus, Intertextualität und Gewalt. Das Deutschlandmotiv wird als wichtiger Bestandteil der Analyse betrachtet.
Schlüsselwörter
Heiner Müller, Germania Tod in Berlin, Geschichtsphilosophie, Walter Benjamin, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Dramenkonzeption, Postmoderne, Deutschlandmotiv, Gewalt, Totenbeschwörung, Anachronismus, Intertextualität, Sprache, Struktur.
- Citation du texte
- Christopher Trinks (Auteur), 2019, Deutsche Geschichte in Heiner Müllers "Germania Tod in Berlin". Literarische Konzepte der Katastrophen- und Gewalterfahrung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1342442