Unheimliches Nachterleben in Eichendorffs lyrischer Dichtung


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

18 Pages, Note: 2,1


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Nacht bei Eichendorff

3. Nachtformen bei Eichendorff
3.1 Die Mondnacht
3.2 Die sternklare Nacht
3.3 Das Traummotiv und die Verzauberung der Nacht

4. „Unheimlichkeit“
4.1 Definition von „Unheimlichkeit“
4.2 Die unheimliche (finstere) Nacht

5 „Unheimlichkeit“ in ausgewählten Gedichten Eichendorffs
5.1 „Nachts“
5.2 „Abschied“
5.3 „Im Abendroth“
5.4 „Liebe in der Fremde“
5.5 „Nachtgebet“

6. Eichendorffs Sprache

7. Schlussbetrachtung

1. Einleitung

Die folgende Hausarbeit wird sich mit der unheimlichen Nachtlandschaft Eichendorffs beschäftigen. Dafür soll zunächst auf die verschiedenen Nachtformen in seiner lyrischen Dichtung eingegangen werden, um aufzuzeigen, wie und mit welcher Wirkung diese in Eichendorffs Texten vorkommen. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll dann heraus gearbeitet werden, welche Elemente grundlegend für seine unheimliche Nacht sind. Dafür sollen eine Reihe ausgewählter Gedichte, von denen ein Großteil selten oder gar nicht in der Eichendorff- Forschung behandelt wurde, herangezogen werden. Diese sollen eingehend beobachtet, dabei bereits auf sprachliche Auffälligkeiten hingewiesen werden, um diese in einem weiteren Schritt näher charakterisieren zu können. Im Schlußteil soll dann geklärt sein, wie Eichendorff es erreicht, seiner Nacht den unheimlichen Charakter zu verleihen.

2. Die Nacht bei Eichendorff

Gerade die Nacht ist es, welche in Eichendorffs Gedichten (neben dem schwülen Mittag bzw. Nachmittag) die Funktion des Bedrohlichen übernimmt.[1] Sie beinhaltet jedoch weit mehr, als eine einfache Definition des Wortes zu geben im Stande ist. Denn sie bildet neben dem Morgen, dem Mittag und dem Abend eines der bestimmenden Elemente seines oftmals untersuchten Tageszeiten-Rhythmus, wie sich schnell ergibt, wenn man sich durch den großen Haufen an Sekundärliteratur zu Eichendorff kämpft. In diesem Zusammenhang steht der Morgen („Aurora“) als beginnende Tageszeit für eine Aufbruchs- und Erwartungsstimmung, die sich in einer ausbreitenden lichtdurchfluteten Landschaft offenbart.[2]

Der sich an den Morgen anschließende Mittag mit seiner gesteigerten Licht- Wärme- und Klangentfaltung besitzt gleichsam einen ambivalenten Charakter, wenn er sowohl eine idyllische Ruhe, als auch einen Ort der Dämonie, die dazu im Gegensatz stehende gefahrvolle Ruhe also, impliziert.[3]

Der Abend dagegen entfaltet mit seiner verminderten Lichtwirkung eine, wie Joachim Heidenreich es ausdrückt, „unbestimmte Wehmut“, die in der anschließenden Nacht seinen Höhepunkt erreicht.[4]

Die Nacht, deren sich primär aufdrängendes Merkmal eben die Dunkelheit ist, mit ihrer schwammigen Doppeldeutigkeit- einem Ort der Phantasie- und Sehnsuchtsentfaltung auf der einen Seite und der Gefahr, der Verirrung und dem „Chaos“, welches in die (menschliche) Vernichtung zu führen droht, auf der anderen.[5]

Nicht nur als am längsten währende Tageszeit verdient es die Nacht, daß man ihr besondere Zuwendung schenkt, sondern auch gerade deshalb, da mit ihr eine erweiterte Symbolik einher zu gehen scheint, die sich nicht einfach schlüssig in einigen Sätzen festmachen läßt. Führt man sich die Forschungsliteratur einmal zu Genüge, so erkennt man rasch das rege Interesse an Eichendorffs Darstellung der Nacht und der mit ihr verbundenen Nachtsymbolik. Sehr viel seltener ist in diesem Zusammenhang auf die unheimliche Wirkung, primär hervor gerufen durch die Präsenz der atmosphärischen Dunkelheit, eingegangen worden.

Wie in der Einleitung vage angedeutet, will diese Arbeit versuchen, gerade auf die unheimlichen Elemente der Nacht einzugehen und zu zeigen, auf welche Art und Weise diese sprachlich realisiert werden. Im Folgenden möchte ich zunächst auf die verschiedenen Formen der Nacht, wie sie bei Eichendorff auftreten, eingehen.

3. Nachtformen bei Eichendorff

3.1 Die Mondnacht

Der Mond und das von ihm ausgehende mehlig weiße oder gelblich schimmernde Licht, welches vermag, Gegenstände bzw. Objekte auf vielerlei Art und Weise zu bestrahlen, ist ein in Eichendorffs lyrischen Werken immer wieder kehrendes, ja man darf behaupten, grundlegendes Element.

In dem Gedicht „Nachts“[6] drückt der personifizierte Mond eine rätselhaft unbestimmte Schauderhaftigkeit aus, die in der „stillen Nacht“ (12,1) verankert ist. Stille ist es auch, die stets im Zusammenhang mit dem Mond und dem Mondschein auftritt.[7]

Auch wird der Mond oftmals als für sich stehend, als allein und mit der Einsamkeit verbunden bezeichnet. Dies wird u. a. in dem Gedicht „Liebe in der Fremde“ (40) deutlich. Darüber hinaus aber spielt auch das Motiv der Liebe eine Rolle. Das lyrische ICH findet sich als Alleingänger[8] wie der Mond am Himmel durch die nächtliche Landschaft wandelnd wieder, in sehnsuchtsvollen Gedanken an seine Liebste, die nicht bei ihm weilt. Hier nun ist es keine Unheimlichkeit, die in der Mondnacht hervorgerufen wird, sondern gesteigerte emotionale Empfindsamkeit. Die im Innern brennende Liebe hebt sich über die furchteinflößenden Eindrücke der präsentischen Dunkelheit weit empor und verwandelt diese gleichsam lieblich anmutend (40).

Auch das bekannte Gedicht „Mondnacht“ thematisiert die Liebe, jedoch auf einer mehr transzendenten Ebene, wo die Vereinigung von Himmel und Erde, Vergangenheit und Gegenwart, dem Diesseits und Jenseits, im Mittelpunkt steht.[9]

Die Öffnung der Welt zur Erschließung der Vergangenheit bestimmt den Charakter der Mondnacht wesenhaft.[10] So kommt es in „Frühlingsnacht“ vor, wenn das lyrische ICH erwägt, daß „alte Wunder wieder scheinen Mit dem Mondesglanz herein“ (239,7). Oder auch in „Die Nacht“, wo es heißt, „das alte Mährchen hallt“ (37,4).

Die Mondnacht bei Eichendorff ist vielfältig. Sie verwandelt die Realität gleichsam in eine Traumwelt[11], mit welcher der menschlichen Seele Raum zur Entgrenzung aus der Wirklichkeit und für den Liebesbezug geschaffen wird. Aber es bleibt auch stets das Rätselhafte im Mondlicht verankert, das auf etwas Vergangenes hinweist, das einer unbedingten Entschlüsselung bedarf.[12] Dabei sind es die durch Traumbilder verwirrten Sinne, die den Menschen der Gefahr aussetzen, sich von den dämonischen Kräften, die in der Natur beherbergt sind, verlocken zu lassen.[13] Zu diesem Punkt aber später mehr.

3.2 Die sternklare Nacht

Die Sterne als festsitzende oder wandelnde, leuchtende oder funkelnde Himmelskörper finden bei Eichendorff eine ebenso breit gefächerte Verwendung, wie es der Mond mit seinen Eigenschaften tut. Sind es jedoch mehr mystische Elemente, die mit der Mondnacht aufs Engste verbunden sind, so müssen die Sternen dagegen mehr auf einen christlich geprägten Hintergrund, wie Peter Paul Schwarz feststellte, zurück geführt werden.[14]

Die Nacht mit ihrem weit gewölbten und sternenerhelltem Himmelszelt weist auf einen überirdisch christlichen Bereich hin; die Lichter in ihr sind als Zeichen göttlicher Präsenzen wahrzunehmen, die über dem irdischen Geschehen wachen und in der sternhellen Nacht sozusagen direkt vom Menschen empfunden werden können.[15] Dies wird z.B. in „Schöne Fremde“ ausgedrückt, wo es heißt, daß mehrere Sterne auf die Erde hinunter „funkeln“ (39,9). Auch die hoch gestellten Sterne, als „heil’ge Bilder“ (306,11), wie in dem Gedicht „In der Nacht“, bezeichnet, weisen nach Eichendorff auf diese überirdische Präsenz hin.

Wenn es in „Abschied“ (327) heißt, daß Gott die Sterne anzünden wird, ist dies nicht mehr nur indirekt, sondern direkt ausgesprochen. Es wird der Kontrast von Himmel und Erde angedeutet; auf die zwei Bereiche, das sich weit oben befindliche Gottesreich und auf den unteren, den auf die Erde beschränkten Bereich des Menschen, verwiesen.

Die Sternklarheit in dem Gedicht „Mondnacht“ (327-328) versichert die Gewißheit des Überirdischen Reiches. Dem „sternenklar(e)“ Himmel tritt hier der irdische Wald gegenüber, aber so, daß damit die harmonische Vereinigung von Himmel- und Erdreich angedeutet wird. Das Bild von der Seele, die ihre Flügel weit ausspannt, welches sich in den letzten Zeilen von „Mondnacht“ findet, weist auf den Zusammenhang zwischen Natur und Seele hin. Der Flug drückt die Teilnahme des lyrischen ICHs an der e.g. Vereinigung von Himmel und Erde aus, welche diese Mondnacht ausmacht.[16]

Im Zusammenhang mit der Nacht treten die Sterne noch in einigen anderen Formen bzw. die Sterne selbst in anderen Formationen (wie z.B. als Leitsterne oder in der Sternenrunde)[17] auf, doch diese genauer zu erläutern, werde ich an dieser Stelle unterlassen, da sie mir für den weiteren Verlauf dieser Arbeit als entbehrlich erscheinen.

3.3 Das Traummotiv und die Verzauberung der Nacht

Ein zentrales Motiv der Nacht bildet zudem das Traummotiv (das in ähnlicher Weise auch im schwülen Mittag bzw. Nachmittag Verwendung findet, hier aber nicht weiter erläutert werden kann), das in einem kurzen Abschnitt aufgegriffen werden soll.

Der Traum ist bei Eichendorff stark von dem Dämonischen beherrscht; Er wird als bedrohlich, besonders aufgrund der Passivität, die ihm anhaftet, empfunden.[18] Hermann Lucks bezeichnet es als „Traumverlorenheit“[19], in die der Mensch stolpert. Durch den Traum werden die verworrenen Stimmen aus dem Abgrund der Nacht, dem Grund, der die Dimensionen der Vergangenheit eröffnet, hörbar.[20] Dabei ist die Traumtiefe verschieden, es kann auf den gerade vergangenen Tag, aber auch auf eine mystischere Vergangenheit hingewiesen werden (Mährchen).[21] Dies setzt den Menschen der dämonischen Gefahr aus, sich in der Vergangenheit zu verlieren, wenn er sich in die tiefen Abgründe verlocken läßt. So warnt Eichendorff oft davor, einzuschlafen oder sich von den Träumen beirren zu lassen (39, 7-8).

[...]


[1] Lucks, Hermann: Wesen und Formen des Dämonischen in Eichendorffs Dichtung. Lüdenscheid, Inaugural-Diss. 1964, S.75.

[2] Heidenreich, Joachim: Natura Delectat. Zur Tradition des locus amoenus bei Eichendorff. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag, Diss. 1985, S.153.

[3] Ebd. S.153.

[4] Heidenreich, Joachim: Natura Delectat. Zur Tradition des locus amoenus bei Eichendorff, S.155.

[5] Ebd. .

[6] Die Gedichte Eichendorffs werden im Folgenden nach der historisch-kritischen Ausgabe zitiert. Zur Vereinfachung werden stets in Klammern die Seitenzahlen und Zeilenangaben angeführt. Zur Literatur: Regener, Ursula und Harry Fröhlich (hrsg.): Joseph von Eichendorff: Gedichte Erster Teil.- In: Sämtliche Werke des Freiherrn Jospeh von Eichendorff Historisch–kritische Ausgabe. Begründet von Wilhelm Kosch und August Sauer. Regensburg: Habbel 1962-1970. Stuttgart/Berlin/Köln/(Mainz): Kohlhammer 1970-1997. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, seit 1997.

[7] Heidenreich, Joachim: Natura Delectat. Zur Tradition des locus amoenus bei Eichendorff, S.197.

[8] als „Einsiedler“ bezeichnet in: Lucks, Hermann: Wesen und Formen des Dämonischen in Eichendorffs Dichtung, S.196.

[9] Krabiel, Klaus-Dieter: Tradition und Bewegung. Zum sprachlichen Verfahren Eichendorffs. – In: Fromm, Hans u.a. (Hrsg.): Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur, Bd. 28, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 1973, S. 55.

[10] Schwarz, Peter Paul: Aurora: Zur romantischen Zeitstruktur bei Eichendorff. – In: Buck, August u.a. (Hrsg.): Ars poetica. Texte und Studien zur Dichtungslehre und Dichtkunst, Bd. 12, Bad Homburg v.d.H./ Berlin/ Zürich 1970, S.83.

[11] Lucks: Wesen und Formen des Dämonischen in Eichendorffs Dichtung, S.79.

[12] Schwarz, Peter Paul: Aurora: Zur romantischen Zeitstruktur bei Eichendorff, S. 84 ff. .

[13] Mayer, Paola: Die unheimliche Landschaft: Ein Aspekt von Eichendorffs lyrischer Dichtung. – In: Behler, Ernst u.a. (Hrsg.): Athenäum. Jahrbuch für Romantik. Paderborn: Schöningh 1995, S.182.

[14] Schwarz, Peter Paul: Aurora: Zur romantischen Zeitstruktur bei Eichendorff, S. 99 f. .

[15] Mayer, Paola: Die unheimliche Landschaft: Ein Aspekt von Eichendorffs lyrischer Dichtung, S.182.

[16] Krabiel, Klaus-Dieter: Tradition und Bewegung. Zum sprachlichen Verfahren Eichendorffs, S.54f. .

[17] Näheres dazu läßt sich aber gut geordnet finden in: Schwarz, Peter Paul: Zur romantischen Zeitstruktur bei Eichendorff, S.100-104.

[18] Lucks, Hermann: Wesen und Formen des Dämonischen in Eichendorffs Dichtung, S.78.

[19] Ebd. .

[20] Schwarz, Peter Paul: Aurora: Zur romantischen Zeitstruktur bei Eichendorff. – In: Buck, August u.a. (Hrsg.): Ars poetica. Texte und Studien zur Dichtungslehre und Dichtkunst, Bd. 12, Bad Homburg v.d.H./ Berlin/ Zürich 1970, S.90.

[21] Schwarz, Peter Paul: Aurora: Zur romantischen Zeitstruktur bei Eichendorff, S.91.

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Unheimliches Nachterleben in Eichendorffs lyrischer Dichtung
Université
University of Cologne  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Cours
Literatur der Romantik
Note
2,1
Auteur
Année
2005
Pages
18
N° de catalogue
V134275
ISBN (ebook)
9783640417285
ISBN (Livre)
9783640413126
Taille d'un fichier
467 KB
Langue
allemand
Mots clés
Eichendorff, Nachterleben, Romamtik, Unheimlich, lyrik, Abschied, Im Abendroth, Nachtgebet, Liebe in der Fremde, Sprache, Nacht, Schauerromatik, schwarze Romantik
Citation du texte
MA Ariane Jäger (Auteur), 2005, Unheimliches Nachterleben in Eichendorffs lyrischer Dichtung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134275

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