Heimerziehung in Deutschland und England. Ein Vergleich


Dossier / Travail, 2009

20 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Heimerziehung in Deutschland und England
2.1. Residential child care in England
2.2. Heimerziehung in Deutschland

3. Aktuelle statistische Daten und Trends zur Heimerziehung in England und Deutschland

4. Aufbau und Fragestellung des Vergleichs

5. Verschiedene Aspekte der Heimerziehung in England und Deutschland im Vergleich
5.1. Professionalität der pädagogischen Fachkräfte im Vergleich
5.1.1. Professionalität der Fachkräfte in England
5.1.2. Professionalität der Fachkräfte in Deutschland
5.1.3. Juxtaposition der Professionalität
5.1.4. Komparation der Professionalität in Großbritannien und Deutschland
5.2. Rechtssysteme der Jugendhilfen im Vergleich
5.2.1. Rechtssystem in England
5.2.2. Rechtssystem in Deutschland
5.2.3. Juxtaposition der Rechtssysteme
5.2.4. Komparation der Rechtssysteme in Großbritannien und Deutschland

6. Resümee

7. Fazit

Literatur

1. Einleitung

Der internationale Vergleich wird aufgrund evidenter Faktoren der modernen Gesellschaft mit Sicht auf eine wissenschaftliche und praktische Annäherung an internationale Gegebenheiten immer bedeutender. Bereits 1930 stellte Alice Salomon fest, dass die Welt „kleiner geworden ist“ (Alice Salomon 1930; zit. in Hering 2007, S. 59). Sie schreibt in ihrem Buch „Warum internationale Wohlfahrtspflege notwendig ist“: „Es gibt im Kulturkreis der heutigen Menschheit kein Land mehr, das sich selbst genügt und ohne Beziehungen zu anderen Ländern bestehen kann. Die Länder sind voneinander abhängig, in wirtschaftlicher, sozialer, geistig-sittlicher Beziehung" (Salomon 1930; zit. in Hering 2007, S. 59). Diese Aussage von der Pionierin der Sozialen Arbeit hat heute mehr Bedeutung denn je. In Zeiten von Internationalisierung, Europäisierung und Globalisierung wird die internationale Perspektive unerlässlich. Der Vergleich ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Werkzeug, um ein besseres Verständnis der pädagogischen Prozesse im Allgemeinen, aber auch der einzelnen Systeme, wie z.B. die Heimerziehung im Besonderen, zu erhalten. Ziel dieser Arbeit ist es, „über den eigenen Tellerrand“ hinauszuschauen und die Heimerziehung in Deutschland und England in einigen Teilbereichen miteinander zu vergleichen. Sie soll Beispiel dafür sein, wie durch das Feststellen von Kongruenzen, Affinitäten aber auch Divergenzen der Blick für das eigene System geschärft werden kann, um im Anschluss Zukunftsperspektiven für das eigene Land anzuregen und zu diskutieren.

2. Heimerziehung in Deutschland und England

Um den Vergleich der Heimerziehung in zwei verschiedenen Ländern möglichst begreiflich zu gestalten, ist es zunächst wichtig, die zentrale Begriffe, die in dieser Arbeit zur Verwendung kommen, zu erläutern. Somit kann ein gleiches Verständnis über die Begriffe Heimerziehung und residential child care hergestellt und bestehende Unterscheide bewertet werden. Ziel hierbei ist es, die Assoziationen und Interpretationen, welche mit dem Begriff der Heimerziehung und des residential child care verbunden sind, aufzudecken und auf einen Nenner zu bringen, damit keine Verständigungsschwierigkeiten auftauchen (vgl. Raivola 1986, S. 268).

Im Rahmen dieser Hausarbeit wird der Terminus „Heimerziehung“ für den Vergleich verwendet. Um eventuellen Missverständnissen und Fehlinterpretationen vorzubeugen, wird zunächst der Begriff „residential child care“ für Großbritannien und der Begriff der „Heimerziehung“ für Deutschland definiert.

2.1. Residential child care in England

In England entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten eine erhebliche Ausdifferenzierung der Heimerziehung (residential child care). Aufgrund der unterschiedlichen Betreuungsarrangements ist es immens schwierig, eine eindeutige Definition für die Heimerziehung zu finden (vgl. Knuth 2008, S. 44). Utting beschreibt die Heimerziehung in England als „… continuous residence in permanently staffed accommodation for more than three children, which provides or enables access to the care and services normally available to children and such additional measures of care, control and treatment as resident children require (Utting, W.; zit. in: Knuth 2008, S. 44).

Generell lässt sich sagen, dass die englische Heimerziehung, von der Vollzeitpflege (foster care) und von vielen Formen der Feldsozialarbeit (field social work) abzugrenzen ist. Aber auch die Definition von Heimerziehung in Großbritannien ist mit Schwierigkeiten behaftet, denn der Begriff „in residence“ beschreibt umfassend „alle institutionellen Wohnformen: von der Eliteausbildung in Internaten, Universitäten und Militärakademien bis zur Unterbringung von behinderten, armen, alten und pflegebedürftigen Menschen“ (Gabriel 2001, S. 14). „Verengt man die begriffliche Definition der institutionellen Fremdunterbringung auf junge Menschen, die wegen wohlfahrtstaatlicher, justizieller Intervention oder festgestellter erzieherischer Bedarfe von ihrem Elternhaus auf Zeit getrennt wurden, nähert sich der Begriff der deutschen Definition an“ (ebd. 2001, S. 14).

Wohnformen für Kinder und Jugendliche außerhalb des Elternhauses beinhalten in England ein breites Spektrum der Heimerziehung. Für die vorliegende Arbeit ist festzuhalten, dass es ausschließlich um den Bereich der englischen Heimerziehung (residential child care) gehen soll, der durch die englische Gesetzgebung im Children Act 1989, Part III, Section 23 2 (b-e) geregelt ist.

2.2. Heimerziehung in Deutschland

Im §34 des KJHG wird das Feld der Heimerziehung in Deutschland als „Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen“ tituliert (Günder 2000, S. 41). Diese gesetzliche Formulierung von Heimerziehung macht bereits darauf aufmerksam, „dass der Bergriff der Heimerziehung inzwischen nur noch als Sammelkategorie für eine Vielzahl unterschiedlicher Betreuungssettings verstanden werden kann“ (Bürger 2001, S. 646). Weiterhin erschweren unterschiedliche Sichtweisen, Arbeitsmethoden und „kategoriale Unklarheiten“ Heimerziehung kurz und präzise zu bestimmen (Gabriel 2001, S. 9).

Im KJHG wird über die Heimerziehung in Form von „Einrichtungen über Tag und Nacht“ gesprochen (Günder 2000, S. 41). Wolfgang Trede und Michael Winkler haben sich intensiv mit Heimerziehung beschäftigt und sind sich einig, dass auch diese Formulierung die verschiedenen Settings und Formen von Heimerziehung nicht mehr fassen kann (vgl. Trede/Winkler 1997, S. 220). Sie schlagen deshalb den Alternativbegriff „Leben und Aufwachsen an einem anderen Ort“ vor und legen gleichzeitig fest, was Heimerziehung für junge Menschen leisten soll: „die Organisation von Orten des Lebens, die entwicklungsfähigen Subjekten Ruheräume und Schutzzonen anbieten, zugleich individualisiert oder im kollektiven Zusammenhang Lernmöglichkeiten eröffnen, welche die Annahme der eigenen Person und zugleich eine selbständige Weltanschauung ermöglichen“ (ebd. 1997, S. 221).

Im Rahmen dieser Arbeit bezieht sich die Definition der Heimerziehung auf den §34 des KJHG, welcher unter anderem auch Hilfen in Wohngruppen, Wohngemeinschaften und der mobilen Betreuung in der eigenen Wohnung einschließt. Die Heimerziehung in Deutschland stellt eine Jugendhilfemaßnahme dar, die in der Regel Internatserziehung und Hilfen durch medizinische und psychiatrische Behandlungen ausschließt. Weiterhin ist die Heimerziehung von Einrichtungen der Behindertenhilfe und des Jugendstrafvollzugs abzugrenzen. Auch ist die stationäre Jugendhilfe nicht mit der Vollzeitpflege gleichzusetzen, da dieser Begriff eher mit der Unterbringung in einem Familiensystem als in einer Institution in Verbindung steht.

3. Aktuelle statistische Daten und Trends zur Heimerziehung in England und Deutschland

Generell lässt sich festhalten, dass das Credo der Fremdplatzierung in den meisten europäischen Ländern lautet: „stationäre Erziehungshilfen, also alle kurz-, mittel- oder langfristigen Unterbringungen außerhalb der eigenen Familie im Rahmen „öffentlicher Erziehung“, möglichst überhaupt zu vermeiden“ (Trede 2001a, S. 200). Ein genaueres Hinsehen zeigt allerdings, dass dieses Ziel in den letzten Jahren in vielen EU-Ländern nur sehr eingeschränkt umgesetzt werden konnte. Ein detaillierter Blick lohnt sich an dieser Stelle auf die Fremdplatzierungsquoten[1] von Deutschland und England.

Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die vergleichende Forschung Tendenzen in der Gegenüberstellung der deutschen und der englischen Heimerziehung aufzeigen, sie „jedoch nur wenige Aussagen auf die faktische Fremdplatzierungspolitik zu [lassen]“ (Knuth 2008, S. 26). Trede kritisiert, dass es „für eine vergleichende Beurteilung nationaler Platzierungspolitiken … leider an validen Daten (fehlt)“ (Trede, W.; zit. in: Knuth 2008, S. 26). Auf Grundlage einiger Daten erstellte Wolfgang Trede eine Statistik, welche einen Überblick über die Fremdplatzierungsquoten in Europa an einem Stichtag im Jahre 2004 ermöglicht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Quelle: Knuth, Nicola 2008, S. 26

Die Statistik zeigt erhebliche Unterschiede in den Fremdplatzierungsquoten zwischen hochentwickelten säkularen Sozialstaaten. Besonders ins Auge fällt, dass in England im Jahre 2004 lediglich 34 Kinder und Jugendliche pro 10.000 der Gleichaltrigengruppe im Rahmen der Heimerziehung untergebracht wurden, in Deutschland dagegen mehr als doppelt so viele (74 Kinder und Jugendliche pro 10.000 der Gleichaltrigengruppe).

Festzuhalten ist an dieser Stelle auch, dass in England zwischen den Jahren 1985 und 1995 ein deutlicher Rückgang der Fremdunterbringungsquote zu verzeichnen war, während in Deutschland keine ähnlichen Tendenzen festgestellt werden konnten (vgl. Knuth 2008, S. 28).

Divergenzen lassen sich auch erkennen, wenn der Fokus auf die Formen der Unterbringung beider Länder gerichtet wird. Folgende Statistik zeigt, dass in England Minderjährige eher in Pflegefamilien untergebracht werden, während in Deutschland die Heimerziehung bevorzugt wird:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Gegenüberstellung der stationären Unterbringung und der Unterbringung in Pflegefamilien für unter 18-jährige an einem Stichtag in Deutschland und England; Zahlen aus dem Buch von Knuth, Nicola 2008, S. 203; eigene Darstellung

Deutlich sichtbar zeigen die Statistiken und die gesammelten Daten, dass Deutschland im Vergleich zu England eine wesentlich höhere Fremdunterbringungsquote vorzuweisen hat. Auch die Tendenz, dass in England viel mehr Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien anstatt in der Heimerziehung untergebracht werden, wurde deutlich.

4. Aufbau und Fragestellung des Vergleichs

Die Statistiken zeigen, dass in Europa sehr unterschiedliche Fremdplatzierungspolitiken vorherrschen, die sich unter anderem in den Fremdplatzierungsquoten widerspiegeln. Das Interesse der vorliegenden Arbeit ist es, diesen Unterschieden anhand eines dualen Vergleichs nachzugehen. Die Jugendhilfesysteme in Deutschland und England ähneln sich sehr, dennoch lassen die Fremdplatzierungsquoten auf sehr unterschiedliche Fremdplatzierungspolitiken schließen. Ziel dieser Arbeit ist, die Gründe hierfür etwas näher zu hinterfragen. Die vorliegende Arbeit wird zwei Teilbereiche aus dem Sektor Heimerziehung herausgreifen und beschreiben, um in Anschluss daran mögliche Konsequenzen für die Soziale Arbeit zu diskutieren. Im Rahmen dieser Arbeit fiel die Wahl auf den Bereich der Professionalität der Mitarbeiter und der für die Heimerziehung verantwortlichen Gesetzgebung. Die Entscheidung für diese beiden Teilbereiche entstand aus der Erwartung, dass diese beiden Bereiche die Verschiedenheiten der Fremdplatzierungspolitiken ein Stück näher erläutern können. Allerdings muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden, dass die Beschreibung und die Analyse von lediglich zwei Bereichen nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“ darstellt, um Unterschiedlichkeiten in beiden Systemen verstehen zu können. Sie sollen lediglich einen kleinen Einblick in die Welt des internationalen Vergleichs ermöglichen.

[...]


[1] Gemeint ist hiermit die Anzahl der Fremdunterbringungen von Minderjährigen, bezogen auf 1.000 der Gleichaltrigenpopulation.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Heimerziehung in Deutschland und England. Ein Vergleich
Université
European University Viadrina Frankfurt (Oder)
Note
1,3
Auteur
Année
2009
Pages
20
N° de catalogue
V134279
ISBN (ebook)
9783640417292
ISBN (Livre)
9783640413164
Taille d'un fichier
575 KB
Langue
allemand
Mots clés
Heimerziehung, Deutschland, England, Vergleich
Citation du texte
Carolin Weigand (Auteur), 2009, Heimerziehung in Deutschland und England. Ein Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134279

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