„Philologie nämlich ... lehrt gut lesen, das heißt langsam, tief-, rück- und vorsichtig,
mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Türen, mit zarten Fingern und Augen lesen...
Meine geduldigen Freunde, dies Buch wünscht sich nur vollkommne Leser und
Philologen: lernt mich gut lesen!“ (Vorrede zur „Morgenröthe“, aus: K. Löwith, Nietzsches
Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen, S. 23)
„Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr seid meine
Gläubigen: aber was liegt an allen Gläubigen! Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da
fandet ihr mich. So tun alle Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben.
Nun heiße ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich Alle
verleugnet habt, will ich euch wiederkehren.“ (F. Nietzsche, „Also sprach Zarathustra“,
S. 114f.)
Durch Nietzsches gesamtes Werk zieht sich dieser eine rote Faden: die Ermahnung
zum Mißtrauen, zum kritischen Lesen, zum Selber - denken, die beharrliche Abwehr
jeglicher Interpretations- und damit Vereinnahmungsversuche. Nietzsche stellte sich
mit erhobenem Zeigefinger vor jedes seiner Bücher und wurde nicht müde, vor sich
selbst zu warnen: Glaubt mir nicht! Hat es etwas genützt? Die meisten seiner Leser
waren doch „menschlich - Allzumenschlich“ und brachten es zuwege, Nietzsche für
so unterschiedliche Bewegungen wie Anarchismus und Konservatismus, Nazismus
und Marxismus, Vegetarismus und Freikörperkultur zu vereinnahmen und als Mythos
auf ihren Altar zu stellen (S. Aschheim, Nietzsche und die Deutschen, S. 7).
Das Schwergewicht in der Nietzsche - Beurteilung hat sich dabei im Laufe der Jahre
immer wieder verlagert - lag es anfangs bei der Anerkennung bzw. Verdammung
des (Im)- Moralisten, wurde es im ersten Weltkrieg zur mythisierten Zarathustra -
Verehrung der jungen Leser, verzerrte sich zu einer grotesken Nietzsche-Karikatur
im Dritten Reich und mündet nach 1945 in der BRD in einer „Anerkennung“ Nietzsches
als Vollender der Metaphysik des Abendlandes (K. Löwith, Nietzsche - Zeitgemäßes
und Unzeitgemäßes, Vorwort).
Unbestritten hat Nietzsches Denken und literarische Produktion einen nicht wegzudenkenden
Einfluß auf die gesamteuropäische Literatur und Denkweise ausgeübt
und das Gesicht des 20. Jahrhunderts entscheidend mit geprägt. Eher selten ist es
dagegen zu verzeichnen, daß sich jemand ohne Wertmaßstäbe und Vorurteile gedanklich
mit Nietzsches Werk auseinandergesetzt hätte. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- l) Karl Löwith
- 1) Zur Person
- 2) Zu Nietzsche
- 3) Zum Werk
- 4) Zur Kritik
- 5) Zur Schuldfrage
- 6) Fazit
- 11) Georg Lukåcs
- 1) Zur Person
- 2) Zu Nietzsche
- 3) Zu Werk und Kritik
- 4) Zur Schuldfrage
- 5) Fazit
- 111) Thomas Mann
- 1) Zur Person
- 2) Zu Nietzsche
- 3) Zu Werk und Kritik
- 4) Zur Schuldfrage
- 5) Fazit
- IV) Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert die Nietzsche-Rezeption in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg anhand von drei exemplarischen Autoren: Karl Löwith, Georg Lukács und Thomas Mann. Die Arbeit zielt darauf ab, die unterschiedlichen Perspektiven dieser Autoren auf Nietzsches Werk aufzuzeigen und die Frage nach der Verantwortung für die mögliche missbräuchliche Verwendung von Nietzsches Ideen im Nationalsozialismus zu beleuchten.
- Nietzsches Einfluss auf die deutsche Philosophie und Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg
- Die unterschiedlichen Interpretationen von Nietzsches Werk durch Löwith, Lukács und Mann
- Die Frage nach der Verantwortung von Nietzsche für die missbräuchliche Verwendung seiner Ideen im Nationalsozialismus
- Die Rolle von Nietzsches Denken im Kontext der deutschen Geschichte und Kultur
- Die Bedeutung von Nietzsches Philosophie für die Gegenwart
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Nietzsche-Rezeption in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein und stellt die zentrale Fragestellung der Arbeit dar: die Frage nach der Verantwortung. Die Kapitel 1, 11 und 111 widmen sich jeweils einem der drei Autoren, die als exemplarische Fallbeispiele für die Nietzsche-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg gewählt wurden. Die Kapitel umfassen jeweils eine Darstellung der Person des Autors, seiner Beziehung zu Nietzsche, seiner Interpretation des Werkes und seiner Kritik an Nietzsche.
Das Kapitel über Karl Löwith beleuchtet seine skeptische und kritische Auseinandersetzung mit Nietzsches Werk. Löwith sieht in Nietzsches Philosophie eine gefährliche Mischung aus kosmischem Sinn und anthropologischem Willen, die in der Praxis zu einer gefährlichen Selbstüberschätzung und einem überspannten Willen zur Macht führen kann. Er kritisiert vor allem Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkehr als eine „atheistische Ersatzreligion“, die den Menschen in eine unhellenistische Selbstverewigung treibt. Löwith war der erste Wissenschaftler, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Zusammenhang zwischen Nietzsches Denken und dem Dritten Reich öffentlich thematisierte und sich gegen die lebens-philosophische Ausbeutung von Nietzsches Werk durch die Nazis wehrte.
Das Kapitel über Georg Lukács analysiert Nietzsches Werk aus marxistischer Perspektive. Lukács sieht in Nietzsche einen Vertreter der bürgerlichen Reaktion, der mit seiner Philosophie den Untergang des Kapitalismus und die Herrschaft des Proletariats verhindern möchte. Er sieht in Nietzsches Denken eine „Zerstörung der Vernunft“, die durch die Verherrlichung des Instinkts und die Ablehnung der Geschichte gekennzeichnet ist. Lukács kritisiert vor allem Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkehr als eine Scheinbewegung, die die historische Entwicklung zum Sozialismus verhindern soll.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Nietzsche-Rezeption, die deutsche Philosophie nach dem Zweiten Weltkrieg, die Verantwortung von Denkern für die Folgen ihrer Ideen, die Interpretation von Nietzsches Werk, Karl Löwith, Georg Lukács, Thomas Mann, die ewige Wiederkehr, der Wille zur Macht, die décadence, die Geschichte und Kultur Deutschlands, der Nationalsozialismus, der Faschismus, der Sozialismus und die Moral.
- Quote paper
- Jenny Haroske (Author), 1999, Die Nietzsche-Rezeption in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13433
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